Maurice Sandoz:
Das Haus ohne Fenster
Morgarten Verlag Zürich, 1948, 119 Seiten
Der Autor
Maurice-Yves Sandoz (1892-1958) war in der Literatur des 20. Jahrhunderts eine singuläre Erscheinung. Ein Bohemien und Weltenbummler, der frei von finanziellen Sorgen und Ambitionen nach eigenem Gutdünken seinen musischen Neigungen frönen konnte. Der Spross des gleichnamigen Schweizer Pharma-Unternehmens gab wegen eines Augenleidens die mögliche wissenschaftliche Karriere auf, um stattdessen zwischen Italien, USA und dem Genfer See pendelnd schreibend und komponierend seine künstlerische Leidenschaft auszuleben. Sein recht schmales Gesamtwerk umfasst ein paar Erzählbände sowie die zwei kurzen Romane Das Labyrinth (Morgarten, 1941) und Das Haus ohne Fenster. Beide behandeln sie Spukhäuser der etwas anderen Art. Während Ersterer altbekannte Motive aus der britischen Schauerliteratur aufwärmt, geht Sandoz mit Letzterem ganz eigene Wege.
Foto: Trude Fleischmann
Das Haus ohne Fenster
Das Buch dreht sich um die titelgebende Villa Nirwana. Eine magisch anmutende Wunderkammer, die der exzentrische jüdische Professor Kascha am Ufer des Bodensees erbauen ließ. Bewacht von allerlei exotischem Getier, umsäumt von klimafremden Pflanzen und bewohnt von rätselhaften Schönheiten, zieht sie den Erzähler seit seinem Erstbesuch als 12-jähriger in ihren Bann, der ihn zeitlebens nicht loslässt. Verstärkt oder besser gespeist wird diese Faszination von der schillernden Figur des Besitzers. Über den zurückgezogen lebenden Hausherrn kursieren die widersprüchlichsten Geschichten. Ein Alchemist, der in den Kellerräumen seine Phantasmen zusammenbraut? Ein technisch versierter Schöngeist? Ein ehemaliger Soziologieprofessor an der Berliner Universität? Stimmt es, dass er alle Frauen, die ihn lieben, ins Verderben stößt? Und dann wäre da noch eine aufsehenerregende Affäre der Berliner Gesellschaftswelt, die in einem Gerichtsprozess endete. Einig ist man sich nur in der Uneindeutigkeit. Professor Kascha erscheint als überlebensgroße Projektion sinnlicher Sehnsüchte. Ein menschliches Mysterium. Dem Erzähler gelingt es, dieses im Laufe des Buches durch das Zusammentragen einzelner Hinweise wenigstens teilweise zu entwirren.
Sandoz pflegt einen ungemein eleganten, leicht manierierten Stil. Wie so viele seiner Erzählungen, ist auch dieser Roman autobiographisch gefärbt. Charakteristisch für seine Arbeiten ist das Verschwimmen der Grenzen zwischen Erinnerung und Fiktion. Das Phantastische erscheint bei ihm sehr subtil, als ins Makabre oder Bizarre verzerrte Wirklichkeit und wird am Ende nicht selten rational erklärt, was die suggestive Wirkung der Geschehnisse aber keineswegs abmildert, sondern durch die zwar natürlichen, doch makabren Einfälle eher unterstreicht. Seine Werke erinnern an Walter de la Mares leise Form des Grauens.
Immer wieder beschleicht einen das Gefühl, dass der Autor mit dem portraitierten Professor genauso viel gemein hat, wie mit dem Erzähler. Man könnte den Roman daher vielleicht sogar als kritische Reflexion seines eigenen Lebensstils lesen. Wie Kascha ließ Sandoz eine neoklassizistische Villa in Rom errichten, fühlte sich einer kunstsinnigen Ästhetik verpflichtet und bewegte sich am Rande der Gesellschaft.
Wo kann man das lesen?
Die ernüchternde Antwort: Nirgends. Sandoz‘ Bücher erschienen zumeist in kleinen, bibliophilen, mitunter selbst finanzierten Auflagen. Sein Vermögen und die Kontakte zur Kunstwelt, ermöglichten es ihm mit Fabius von Gugel und Salvador Dalí namhafte Künstler als Ausstatter zu gewinnen. Für das großformatige Das Haus ohne Fenster steuerte Letzterer nicht nur das Titelbild bei, sondern fertigte außerdem mehrere farbenprächtige Aquarelle als Innenillustrationen an. Die Bücher üben damit einen erheblichen Reiz auf Sammler aus, der weit über den Kreis der (Phantastik-)Leser hinausgeht. Gepaart mit der geringen Verfügbarkeit lässt das die Preise im antiquarischen Handel in die Höhe schnellen. In den Jahrzehnten nach seinem Tod wurde bisher leider nur ein Teil seiner Titel neu aufgelegt. Das Labyrinth aus der Reihe DuMont’s Bibliothek des Phantastischen sollte leicht und günstig aufzutreiben sein. Empfehlenswert wäre auch Der Friedhof von Skutari – Unheimliche Erzählungen vom Zürcher Limmat-Verlag. Eine Sammlung mit so ziemlich allen seinen Kurzgeschichten, die auch ein paar Zeichnungen von Dalí enthält.
Man kann nur hoffen, dass der Ablauf des Urheberrechts zu einer kleinen Sandoz-Renaissance führen wird.