Wie vermutlich bereits aus zwei Posts zu besuchten Film-Veranstaltungen hervor geht, kamen Arkham Insider Axel und ich am vergangenen Wochenende im süd-niedersächsischen Braunschweig zusammen. Da wir am liebsten die Welt des Buches bereisen, zogen wir am Samstag bereits in aller Frühe durch die nebligen Gassen und zugigen Straßen der Heinrich-Stadt. Am Rande des 33. Internationalen Filmfestivals planten also zwei leidenschaftliche Literaturflaneure einen Streifzug durch die Braunschweiger Antiquariate und Buchläden. Dass es deren reichlich gibt, versicherte uns eine lobenswerte Initiative der HändlerInnen vor Ort.
Zitat von Elias CanettiAuf seinen Morgenspaziergängen zwischen sieben und acht pflegte er in die Auslagen jeder Buchhandlung, an der er vorüberkam, einen Blick zu tun. Seine Leidenschaft für Bücher, die einzige, die er sich in einem strengen und arbeitsreichen Leben gestattete, zwang ihn zu Vorsichtsmaßregeln. Bücher, auch schlechte, verlockten ihn leicht zum Kauf.
Der erste Weg führte scharf östlich an der ehemaligen Herzogsresidenz Burg Dankwarderode vorbei gen Theaterpark, wo sich noch einige Übriggebliebene der letzten Nacht mit leeren Blicken aus dem Dunst schälten und nur wenige Automobile die Ruhe um das friedlich daliegende Staatstheater störten. Erstes Ziel war Michael Krögers alteingesessenes Ladenlokal Buch & Kunst in der Kasernenstraße. Sollten BuchfreundInnen in Braunschweig Station machen und lediglich Zeit für einen einzelnen Antiquariatsbesuch haben, so sollte die Wahl auf dieses fallen.
axel-nils-buch-kunst.jpg Die Flaneure auf der Schwelle
Im Buch & Kunst schreiten die geneigten BesucherInnen gedämpften Schrittes durch ein urig verwinkeltes, da und dort dezent dämmriges, mit gediegenem Regalwerk ausgestattetes Etablissement. Die Auswahl ist wahrlich exzellent: Die übersichtlich sortierte Auslage hält aus so ziemlich allen belletristischen und sachliterarischen bzw. wissenschaftlichen Gebieten eine ansprechende Auswahl bereit. Für Phantasten sind besonders die eigens eingerichteten Abteilungen "Horror / SF" und "Märchen" von Interesse. Blicke lohnen aber auch in das Regal mit englischsprachigen Werken und in den Klassiker-Flur, gelegen zwischen einem geisteswissenschaftlichen Séparée und dem Hauptraum (Vorsicht: Stufe!). Dort findet sich u. a. naturgemäß einiges von und zu Wilhelm Raabe. Besonders lobenswert ist neben der volksnahen Bepreisung die Tatsache, dass Herr Kröger einige Reihen gesondert bereit hält. So können bspw. SammlerInnen der Insel-Bibliothek, der Rowohlt-Monographien u. ä. angenehm Lücken füllen, ohne dabei in verschiedenen Ecken nach einzelnen AutorInnen oder Titeln suchen zu müssen.
Zitat von H. P. LovecraftKeine Woche würde ich ohne meine private Bibliothek überleben!
Weiter durch den kühlen Herbsttag, vorbei am beeindruckenden Wasserturm an der Giersbergstraße in Richtung Hopfengarten. Dort erwartete uns die prall gefüllte Leseratte. Obgleich die Phantastik hier in einer kleinen Ecke mehr oder weniger ein Nischendasein fristet - was nicht heißt, dass sich in dieser Nische nicht reiche Beute machen ließe - so kann man sich hier dennoch trefflich durch die engen Büchergassen kämpfen. Die Kriminaliteratur ist hier gut aufgestellt, auch die Abteilungen für "Poesie" und "Jugendbuch" lohnen durchaus den einen oder anderen Blick. Ein eigenes Fach für gebrauchte Audiomedien (gar nicht mal so oft anzutreffen) konnte das allgemeine Interesse erregen. Eine geschmackvolle Auswahl an diversen Klassikern und englischsprachige Bücher unterschiedlichster Art runden das Angebot ab. Und natürlich ist es eine angenehme Überraschung, wenn am Schluss festzustellen ist, dass die beim Stöbern geführten Debatten über phantastische Literatur vom Personal mit Spannung abgelauscht wurden.
axel-nils-leseratte.jpg (Lese-)Ratten vor dem Gemäuer
Nach einem kurzen Abstecher ins Antiquariat Bücherlöwe, in dem die sehr freundliche Frau Biegel in angenehm-überschaubarer Atmosphäre einige Raritäten bereit hält (PhantastInnen sollten sich den Klassiker-Bereich im hinteren Teil des Ladens vorknöpfen), wählten die Wanderer zwischen den BücherWelten den Weg aus den östlichen Gebieten nach Westen, um sich in der Braunschweiger Innenstadt zu verdingen. Da "Deutschland kleinstes Antiquariat" Fuhrmann am Burgplatz leider geschlossen hatte, ging es weiter durch die immer wieder von mittelalterlichen Einschüben durchbrochene Ödnis der Fußgängerzone. Wer nach Neuware lechzt, kann hier bei Pfankuch reinschauen oder - am Ringerbrunnen vorbei - den mehrstöckigen Graff ansteuern (Obacht: Die Zweitsauendeins-Abteilung gibt es hier nicht mehr). Deutlich empfehlenswerter ist für InnenstadtstreicherInnen die Kaffeetwete, wo die Buchhandlung Göritz mit einer Mischung aus Neuem und Altgedientem aufwartet. Der freundliche Besitzer ist für einen kleinen Plausch stets zu haben und in den über das gesamte Ladenlokal verteilten Antiquaria finden sich potentielle Schätze.
Sollte dann noch Bedarf bestehen, so liegt der enge, versteckte Handelsweg nur zwei Ecken weiter. Dort hat u. a. Comiculture seinen Sitz, und wer schon nerdige Comicshops besuchte, bevor es dieses Wort überhaupt in den allgemeinen Gebrauch schaffte, der muss hier zumindest einen schnellen Besuch abstatten.
Zitat von Gustave Flaubert
In einer engen und sonnenlosen Gasse von Barcelona lebte vor geraumer Zeit ein Mensch, unheimlich und bizarr, wie eine Traumgestalt aus E. T. A. Hoffmanns Dichtungen, eine Gestalt mit bleicher Stirn, mit glanzlosem, leerem Blick. Das war Giacomo, der Buchhändler.
Zeit nun also, die Ausbeute dieses an Buch- und Herbstluft so reichen Tages zu sichten und zu drapieren!
braunschweig-buecher.jpg Braunschweiger Lesekabinett
Eine gemeinschaftlich begangene tour de librairie ist nur schwerlich mit Alltagserfahrungen in Relation zu setzen. Wenn sich die Tür in den Sommer hinter den Flaneuren schließt, so wird doch bereits nach neuen Gärten und Straßen Ausschau gehalten. Ganz zum Ende war die Reise der Träumer aber noch nicht gekommen. Als man gerade sorglos disputierend durch einige Tweten und über einen Kopfsteinpflasterplatz abseits der Hauptschlagadern delirierte, nahm plötzlich ein kurioses Häuschen vor den Flaneuren Gestalt an. Es handelte sich um die Liberey, Deutschlands älteste freistehende Bibliothek.
liberei.jpg Das Haus an der Grenze
An dieser Stelle verliert sich die Spur der Flaneure, der Wanderer zwischen den BücherWelten. Die "Story of two Antiquaries" aber geht weiter... vor den Leinwänden der Stadt...