Diese Novelle von Jörg Kleudgen ist schon etwas älter (erstmals 2011 erschienen, wenn ich es richtig sehe). Erschienen ist sie in Jörg Kleudgens eigenem Verlag Goblin Press.
Die meisten Leute hier werden vermutlich mit Jörgs Werk und seinem Verlag bestens vertraut sein. Ich bin selbst erst etwa um 2016 mit der deutschen Phantastikszene in Kontakt gekommen, als ich für eine Ausgabe des CLN tätig wurde. Tatsächlich kam ich erst im vergangenen Jahr dazu, mir das aktuelle Programm der Goblin Press anzuschauen und mir einige Titel zu bestellen - nun habe ich mit "Stella Maris" meinen Einstand als Leser der Goblin Press feiern können.
In Jörg Kleudgens Novelle sucht der Chemiker Jonas Schwarz Abstand von seiner bisher recht betrüblichen Existenz, indem er sich weit außerhalb der Saison auf eine Nordseeinsel zurück zieht. Zudem hat er kürzlich einen schweren Schock erlitten, von dem er sich hier zu kurieren gedenkt. Aber seine Vergangenheit lässt sich so leicht nicht abschütteln, wie Schwarz bald bemerken muss.
Es ist dem Autor gelungen, mit "Stella Maris" eine faszinierende und hoch suggestive Novelle subtilen Grauens vorzulegen, die von Beginn an einen angenehmen Sog entwickelt und verschiedene Ansätze sowie Erzählebenen gekonnt verwebt. Sprache und Satzkonstruktion lassen den geübten Autor erkennen, der seine eigene Stimme längst gefunden hat. Einflüsse der klassischen und post-klassischen Weird Fiction lassen sich mannigfaltig feststellen, wenn man danach sucht. Die Reziprozität des Protagonisten und der Außenwelt erinnern an Robert Aickman, während der Umschlag von unterschwellig brodelnder Natur ins Körperliche an vergleichbare Konstruktionen aus dem Werk Arthur Machens gemahnen. Durch das Grundgerüst der Novelle mit seinen vielen - zum Teil nett schrulligen - Anspielungen und dem Versuch, überzeugenden Hintergrundrealismus durch wissenschaftliche Vorgangseinkleidung zu generieren, zieht Jörg Kleudgen natürlich seinen Hut vor H. P. Lovecraft. Aus all diesen Einflüssen dringt aber des Autors eigener Klang durchgehend erkennbar heraus, wenn Jörg Kleudgen sich z. B. als ausgezeichneter Kenner norddeutsch-maritimer Topographie und Soziologie erweist und sich diese mit Deutlichkeit zur Orientierung durch den sich entfaltenden Sog nimmt. Subtile Andeutungen hinsichtlich konfessioneller Geschichte und lokaler Mythenbildung tun ihr übriges, um aus "Stella Maris" einen äußerst empfehlenswerten kontemporären Beitrag zur dunklen Phantastik anspruchsvoller Couleur zu machen.
Ich habe die Novelle in einem Zug gelesen, da sich mich durchaus zu fesseln vermochte. Kritikpunkte wären aus meiner Warte des Freundes von Minimalismus höchstens an einigen wenigen Stellen anzubringen, denen ein oder zwei kurze Absätze weniger in der beschreibenden Ausführung wohlgetan hätten. Ich würde hier aber kein allgemeingültiges Urteil formulieren wollen, da derlei Feinheiten zu oft schlicht Geschmacksache sind. Aufs Gesamt gesehen ist es Jörg Kleudgen bewundernswert gut gelungen, eine Szenenreihe hinsichtlich Stimmung und Effekt zu einer Einheitlichkeit zu verdichten. Ausflüge in die Individualpsychologie werden pointiert gesetzt und dabei derart eingehegt, dass sie sich homogen einfügen.
Ich freue mich sehr darauf, mehr von Jörg und mehr aus der Goblin Press zu lesen.