Leopold von Sacher-Masoch – Die Toten sind unersättlich

  • Leopold von Sacher-Masoch – Die Todten sind unersättlich

    in: Galizische Geschichten. Novellen von Sacher-Masoch

    260 Seiten, Verlag von R. Jacobsthal. Berlin 1886 (2. Auflage)

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    „Es war ein Kuß ohne Ende, nicht wie wenn zwei Seelen ineinander fließen, sondern wie wenn eine dämonische Gewalt langsam mir das Blut aus dem Leben saugen würde.“ — Leopold von Sacher-Masochs Vampirgeschichte „Die Toten sind unersättlich“ führt (soweit ich es beurteilen kann) ein Schattendasein. Doch strenggenommen sollte sie Pflichtprogramm sein für alle, die sich auch nur ansatzweise für Blutsauger begeistern können.

    Worum geht’s?

    Der junge Gutsherr Manwed ist mit Aniela, der Tochter des benachbarten Gutsbesitzers Bardoßoski verlobt. Regelmäßig versammelt sich dort ein kleiner Kreis bei Tee und Kartenspiel. Das Gespräch kommt auf das unweit gelegene, halb verfallene Schloss Tartakow. Dort soll’s spuken; sagenhaft ist das in einem der Säle stehende Marmorbild der Marina Tartakowska, einer zu Lebzeiten ebenso betörenden wie lasterhaften Frau.

    Der geistreiche Manwed, durch die Erzählung angefeuert, reitet nach Tartakow, um die Statue zu sehen. Im Schein des Vollmonds beginnt die Marmorne für ihn zu leben, schlägt ihn in ihren Bann. In seiner Leidenschaft händigt er ihr seinen Verlobungsring aus, den sie eifersüchtig festhält.

    Anschließend zeigt sich Manwed – der seinen Fehltritt vor versammelter Runde beichtet – reumütig. Bei Bardoßoskis ist man geneigt, seine Geschichte als schlechten Scherz oder überreizte Phantasie abzutun. Doch noch während Manwed Aniela um Verzeihung bittet, sieht er den Geist der Toten, die ihm mahnend zuwinkt. Wieder reitet er nach Tartakow, wieder verbringt er dort die Nacht. Danach bleibt er spurlos verschwunden. Ist er tot, krank, auf Reisen …? Im letzten Abschnitt erfahren wir, was aus ihm wurde (verraten es hier jedoch nicht).


    Zitat

    […] „gut, ich aber sage Dir, daß ich keinen Willen mehr habe, daß meine Seele einem Dämon in Venusgestalt verfallen ist, und daß ich diese kalte, todte Schöne, ohne Herz, ohne Sprache, ohne Augen liebe, wie ein Wahnsinniger“, […]


    Eindruck

    Die hier so knapp beschriebene Erzählung ist vielschichtig und voller sympathischer Details.

    • Da ist die gemütliche Abendgesellschaft, die sich gerne bei Gespenstergeschichten gruselt
    • Da ist die nächtliche Schneelandschaft, die Manwed immer wieder neu hypnotisiert
    • Da ist das verwunschene Geisterschloss mit seinen labyrinthartigen Korridoren und Treppenfluchten
    • Da ist das Spiel mit dem Aberglauben, das Sacher-Masoch meisterlich beherrscht: Die Unsicherheit ob der geschilderten Ereignisse überträgt sich von seinen Figuren auf uns, die Lesenden. Neben dem volkstümlichen Dämonenglauben werden hier vor allem sexuelle Abhängigkeit und Unterwerfung thematisiert. Ein Dauerbrenner im Werk des Dichters, der sich deswegen scharfer Kritik ausgesetzt sah, etwa in einer zeitgenössischen Einschätzung des Literaturwissenschaftlers Eduard Engel:
    Zitat

    Durch eine Sondergattung: den krankhaft sinnlichen Roman, hatte sich schon in diesem Zeitabschnitt der Galizier Leopold von Sacher-Masoch aus Lemberg (1836 – 1895) bemerkbar gemacht; die Stunde seines Ruhmes aber schlug doch erst nach 1870. Seine Romane werden vielleicht in der Geschichte der Medizin eine Rolle spielen; für die Literatur sind sie schon durch ihre stümperhafte Form nicht mehr vorhanden. […]

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    Erstausgabe und Schauplatz

    Die Erzählung erschien 1875 in dem Band Galizische Geschichten in alter Rechtschreibung als „Die Todten sind unersättlich“. Das Buch verdankt seinen Namen der Sympathie und Beschäftigung des Autors mit dieser „habsburgischen Erfindung“: Leopold von Sacher-Masoch wurde 1836 in Lwiw geboren, damals Hauptstadt Galiziens, einer Provinz Österreich-Ungarns, deren westliches Gebiet heute zu Polen, das östliche zur Ukraine gehört.

    Zum Zeitpunkt ihres Erscheinens konnte „Die Todten sind unersättlich“ noch als relativ frühes Beispiel einer Vampirgeschichte gelten. Allerdings ist sie seltener in einschlägigen Sammlungen zu finden als z. Bsp. „Carmilla“ (Sheridan Le Fanu, 1872), „Die Familie des Wurdalak“ (A. K. Tolstoi, 1884) oder „Der Wij“ (Gogol, 1835).


    Heinrich Heine: Helena

    Der Story vorangestellt ist Heinrich Heines Gedicht „Helena“ (1852). Es stimmt auf das Kommende ein; die letzte Zeile ist Namensgeberin und Motto schlechthin.


    Du hast mich beschworen aus dem Grab

    Durch deinen Zauberwillen,

    Belebtest mich mit Wollustgluth —

    Jetzt kannst du die Gluth nicht stillen.


    Preß’ deinen Mund an meinen Mund,

    Der Menschen Odem ist göttlich!

    Ich trinke deine Seele aus,

    Die Todten sind unersättlich.


    Dass es „Helena“ 1968 in die verdienstvolle Bibliotheca Dracula (Von denen Vampiren oder Menschensaugern: Dichtungen und Dokumente) schaffte, ist fein. Mit Sacher-Masochs Geschichte hätte man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können, doch blieb diese leider unberücksichtigt – verpasste Chance.


    Spätere Ausgaben

    Hier ist vor allem die Ausgabe in der Achilla Presse zu nennen, wo „Die Toten sind unersättlich“ 2008/2009 als Band 7 der mutabor-Reihe erschien, illustriert von Heike Küster. Empfehlenswert ist zudem die von Hans-Joachim Kruse herausgegebene Sammlung Die Toten sind unersättlich. Gespenstergeschichten (1986, Aufbau-Verlag). Eine Hörspiel-Adaption auf CD bescherten uns Titania-Medien 2015 mit Folge 99 des „Gruselkabinetts“.


    Übrigens

    Die Bücher der Achilla Presse wurden im Feuilleton wohlwollend erwähnt, wie auch diese Rezension von Die Toten sind unersättlich in der FAZ von 2009 zeigt: Stein aus Herz


    Nicht entgehen lassen sollte man sich diese musikalische Adaption von Heines „Helena“, dargebracht von den beiden Liedermachern Witthüser & Westrupp „zu Düsseldorf am Rhein“:


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  • "Helena" durfte bereits zweimal als "Opener" für TOTENSCHEIN-Lesungen dienen. Und ja, ich habe das Gedicht in der Suhrkamp-Ausgabe "Von denen Vampiren" entdeckt.
    Jedenfalls vielen Dank für den Hinweis auf die SM-Erzählung!

  • Dieses Forum ist noch mal mein Tod ... Ganz heißen Dank für die gelehrte und so schön fotografierte Vorstellung, Arkham Insider Axel . [Cof]


    Eigentlich wollte ich den Kauf deutschsprachiger Bücher stärker einschränken, weil ich die hier (in Helsinki) einfach nie wieder loswerde. Aber da ich grad 30 englisch/finnische Bücher an das phantastische Antiquariat um die Ecke verschenkt hab, und dafür im Tausch nur zwei Hefte mitnahm, ist ja Platz. X/Nicht mehr im Regal, aber auf dem Fußbodenstapel. Dein Foto vom Exemplar des Aufbau Verlags hat's gerissen, ich vermisse heutzutage diese mensch-gezeichneten Coverbilder ganz außerordentlich. Auch, wenn wohl die Statue erwacht (`? zumindest in der Phantasie?), finde ich unbelebte Objekte als Protagonisten extrem spannend - meist hat man das ja in der SF, Automaten und Raumschiffe oder fremde Planeten (Steine, Metalle). Und dann gab es ja noch das Bildnis zu Saïs (mag bei Sacher-Masoch derselbe Topos sein, mal schauen).


    Vor ewiger Zeit - als Pendant zum doch recht actionlastigen de Sade - hab ich Venus im Pelz gelesen, und fand es erstaunlich gediegen, ein bisschen wie Wilde meets Le Fanu. Zur vorgestellten Geschichte war ich dann nicht mehr gekommen und hatte sie dann irgendwann aus den Augen verloren. Danke für die Erinnerung, das Buch ist bestellt.


    Ich war sicher, die Toten wären verfilmt worden, auf der Suche bin ich aber nur auf das ebenfalls von dir verlinkte Hörspiel gestoßen (klingt gut!). Dazu schrieb Hörspielsachen.de:

    Zitat

    Das alles wird natürlich in eine schöne, manche sagen auch blumige, der Zeit des Autors entsprechende Sprache gepackt, die vielleicht nicht jedermanns Sache ist, trotz ihrer Gewähltheit aber oft eine Spannung und Atmosphäre entwickelt, von der Autorinnen neumodischer Bums- und Peitschprosa à la Fifty Shades Of Grey nur träumen können.


    Friss das, Christian Grey!

    ^^ [Nerdine]

  • Katla Wenn du Venus im Pelz kennst, kannst du gut anschließen. Die Story ist recht kurz und kann rasch gelesen werden, wobei der Teufel wirklich im Detail steckt. Sicher, um ein eigentlich unbelebtes Objekt handelt es sich hier auch; hinzu kommt übrigens noch das Motiv der Reinkarnation.


    Zu dem Hörspiel hast du eine interessante Besprechung herausgekramt. David Nathan ist natürlich ein Qualitätsversprechen, scheint insgesamt eine reizvolle Angelegenheit zu sein. Ich werde das gute Stück antesten (Exemplar ist in der örtlichen Stadtbücherei vorhanden).

  • Ich habe das Hörspiel gestern gehört und fand es recht vergnüglich. David Nathan at his best.

    Sehr „klassisch“, aber das passt auch gut zum klassischen Text. Ich würd‘s empfehlen.

    Jetzt will ich die Story aber um so mehr lesen, um auch die Details besser zu erfassen.

    Erstes Urteil. Hätte ich die Story „anonym“ gehört, wäre ich bei anschließender Nennung des Verfassers der Vorlage, sagen wir mal, „nicht überrascht“ gewesen.

  • Carsten Wenn es dir gefiel, muss ich da auch mal reinhören! [Cof] Nathan ist mir bislang kein Begriff, was nix heißen soll.

    Wenn du die deutsche Synchronstimme von Johnny Depp kennst, kennst du auch David Nathan. :) Neben seiner Tätigkeit als Synchronsprecher ist er auch sehr aktiv bei Hörspielen und Hörbüchern, wo er auch oft (und gut) im phantastischen und düsteren Bereich unterwegs ist.

  • Carsten Ah nee, kenne ich nicht, weil ich schon in Deutschland keine synchronisierten Kinofilme anschaute (und bin quasi auf dem Sprung, Minus One auf japanisch mit finnischen UT zu gucken, das kann heiter werden). Mit Depp verbinde ich manisches Overacting, auch abgesehen von den Pirates - hoffe, der Sprecher selbst kann auch anders. Was ja so klingt, wenn er viel Phantastik macht.

  • Carsten Ah nee, kenne ich nicht, weil ich schon in Deutschland keine synchronisierten Filme anschaute (und bin quasi auf dem Sprung, Minus One auf japanisch mit finnischen UT zu gucken, das kann heiter werden). Mit Depp verbinde ich manisches Overacting, auch abgesehen von den Pirates - hoffe, der Sprecher selbst kann auch anders.

    Ich schaue auch grundsätzlich lieber im Original, aber aufgrund "kultureller Osmose" (und Menschen, im Freundeskreis, die auch mal lieber synchronisiert gucken) war er mir dann doch ein Begriff.
    Sein Stil passt durchaus gut zu etwas "gesetzteren" Texten.

  • Spätere Ausgaben

    Hier ist vor allem die Ausgabe in der Achilla Presse zu nennen, wo „Die Toten sind unersättlich“ 2008/2009 als Band 7 der mutabor-Reihe erschien, illustriert von Heike Küster. Empfehlenswert ist zudem die von Hans-Joachim Kruse herausgegebene Sammlung Die Toten sind unersättlich. Gespenstergeschichten (1986, Aufbau-Verlag). Eine Hörspiel-Adaption auf CD bescherten uns Titania-Medien 2015 mit Folge 99 des „Gruselkabinetts“.

    Schade, dass die Achilla Ausgabe nirgendwo mehr zu erwerben ist (ein Exemplar ist online bei knapp 60€).

    Dann werde ich alternativ die Geschichtssammlung von Kruse kaufen müssen.

    Vorher werde ich aber nochmal meine Bibliothek durchsuchen, ob die Geschichte nicht doch schon in einer Anthologie vorhanden ist. Ich habe wohl die umfänglichste Sammlung im Bereich Blutsauger, daher wäre es auf jeden Fall eine riesige Überraschung, wenn mir diese Erzählung noch fehlt.

    Schon mal vielen Dank an dieser Stelle für diese Rezension!

  • Die Geschichte erschien weiterhin in den folgenden Sammlungen:

    Manfred Kluge (Hg.): Der unheimliche Gast (1991 Habel)

    Oliver Kotowski (Hg.): Lasst die Toten ruhen (2012 Atlantis)


    Vom Kluge Band scheint es noch eine Ausgabe von 2003 zu geben.

  • Oliver Kotowski (Hg.): Lasst die Toten ruhen (2012 Atlantis)

    Gerade dieses Buch ist lohnenswert, bringt es doch die mysteriöse (wenn auch aufgeklärte) Vampir-Episode aus Karl Mays "In den Schluchten des Balkan": ein gelungener und selten gewürdigter Beitrag zum Thema.


    Vorher werde ich aber nochmal meine Bibliothek durchsuchen, ob die Geschichte nicht doch schon in einer Anthologie vorhanden ist. Ich habe wohl die umfänglichste Sammlung im Bereich Blutsauger, daher wäre es auf jeden Fall eine riesige Überraschung, wenn mir diese Erzählung noch fehlt.

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