Ich bin auf S. 25 und bislang absolut begeistert. Der einzige winzige Abstrich ist momentan ein Perpsektivwechsel zw. Beth und Fran, den ich erst übersehen hab und unnötig finde. Da hoffe ich, es geht nicht so weiter (PoV des Transmannes fand ich dagegen sehr gut und spannend, hoffe auf mehr von der Figur.)
Lese das Buch bewusst langsam, weil es handwerklich irre gut gemacht ist und tatsächlich - trotz Pulp-Aspekt - eine wirklich schöne, fluffige und dynamische Sprache hat. Es geht um Figuren und Haltungen, die ich zu wenig finde. Ist an den imA passenden Stellen ernst, hart oder witzig, der Tonfall liegt nie daneben, es kommt eine Punchline und die wird selbstbewusst beendet, nicht ausgewalzt, bis sie nicht mehr funzt. Tolles Timing bis ins Detail, wirklich grandioser Spannungsaufbau. Dazu: kurze, wunderbare Settingbeschreibungen, alles in so Halbsätzen - das Glitzern einer gebrochenen Granitfelswand im Mondlicht, Algen und Pollen auf dem Wasser, die vor dem Trinken abgeschöpft werden, der gebrochene Aspahlt der Interstate ...
Was micht sonst so oft stört (menschelnde Backstories apropos of nothing eingesplict, um sich kompliziertere Charakterisierungen zu sparen), wird hier kurz gehalten, man lernt die Figuren im Verlauf der Handlung quasi organisch und allmählich kennen, sie werden einem nicht aufgedrängt / angedient.
Kleine Backstories werden in den Plot integriert und haben dort eine Funktion, wie Beth die Kindheitsgeschichte um Miniaturautos, die der Zahnarzt verschenkt, erzählt, während sie Fran ohne Betäubung einen Zahn zieht (ich musste mich zwingen, das nicht zu skippen, so körperlich war es beschrieben!). Die kleine Kindheitsgeschichte hat eine Punchline und als Fran lacht, kommt der Zahn raus.
Daraus (Beth): "When I was six our dentist got these little cars. Dragsters, cement mixers, all kinds of shit. My brother Derek got a little cop car and I was obsessed with that thing. I used to pretend it had tiny cops inside it, drinking tiny coffees and complaining about their tiny wives. (...)"
Das allein ist ein so wunderbares Bild, und entwickelt sich so toll (vom winzigen Kaffee zum sich beschweren über die winzigen Ehefrauen...), einfach wirklich großes Kino. Diese Momente können glänzen, darauf wird nicht drei Seiten lang rumgeritten (looking at you, Mr Stieg Larsson & George R. R. Martin).
Ich finde es wirklich super, dass Yvonne Rezensionsnerdista mit einer davon ganz unterschiedlichen Biografie bzw. Identität so gut gefällt. Mir Pansexueller (ohne gender trouble) ist sowohl die TERF-Seite aus Innensicht der Szene gut bekannt (ich gehe mit Felker-Martins Urteil, schon damals, als ich noch ein Teil davon war und so viel Überzeichnung steckt auch gar nicht drin) als auch die Transcommunity Kaliforniens (mein damaliger Partner war ein Transmann). Manhunt ist das erste Buch, dass die Komplexität, den Humor, die Selbstironie, die Scharfsicht / Intelligenz und die unglaubliche Warmherzigkeit - sorry, Kitschphrase, aber wahr - wiedergibt, wie ich sie damals dort kennengelernt habe.
Manhunt mag nach Dystopie klingen, aber man darf nicht vergessen, wie oft Transleute rein aufgrund ihrer Identität Opfer nicht nur von extremer Gewalt, sondern Mord werden. Es gibt sogar (in den USA) eine erfolgreiche Verteidigung der Angeklagten vor Gericht: Wenn der Täter jemanden umbrachte, weil das Opfer mit ihm unter 'Vorspiegelung, eine geborene / biologische Frau zu sein' sexuelle Handlungen initiierte, ist es strafmindernd bis -verhindernd (= Freispruch). Nicht nur Erwachsene werden Opfer, sondern auch junge Teens. Die sehr empfehlenswerte The Advocate bringt jährlich entsprechende Nachrufe heraus (für Opfer in den USA). Die Listen werden immer länger.
Die Gewalt im Buch (bei richtigen Splatterszenen bin ich noch nicht angekommen) hat letztlich also eine Entsprechung in der Realität, das finde ich schon sehr schlau aufgezogen: Eben nicht als politisches Pamphlet, sondern in spekulative, post-apokalyptische Action verpackt.
Hier ist übrigens ein schönes, langes Interview mit der Autorin (Fader vom 29.4.2022).
Long story short: Ich bin echt geflasht - sowohl von Form wie auch von Inhalt - und hoffe sehr, dass es so weitergeht. Mal wieder ein Hoch auf dieses Forum, das Buch hätte ich sicher übersehen!