Über die roten Schuhe bin ich auch gestolpert, ohne zu wissen, wie ich die einordnen sollte.
Obwohl die Farbe der Prostituierten im Mittelalter (zumindest der städtischen, z.B. in Köln) gelb war, gilt Rot und bes. rote Schuhe als Zeichen der Wollust, Auflehnung und Sünde.
Hans Christian Andersen schrieb 1862 das Märchen "Die roten Schuhe", nach dem später auch das weltberühmte Ballett und danach 1948 in UK der Film entstand. Das war meine Assoziation, und ich denke, in Metropolis ist eine kürzere Erwähnung als die rauszitierten Passagen, dass die Farbe vom Gehen durch Blut kommt (allerdings nicht das von Kindern). Bei Andersen sind die Schuhe - die ein magisches Eigenleben haben - auch dezidiert antikirchlich, rebellisch und in letzter Kosequenz aber auch destruktiv. Den Dorfbewohnern fallen sie unangenehm auf, sie schauen, ob die Prota sie trägt oder nicht.
Selbstverständlich sind auch Dorothys Hexenschuhe im Zauberer von Oz rot (in meinem alten Buch genauso wie im Film). Das ist letztlich die einzig mögliche Farbe für Zauberschuhe und Rotwang wird damit zum Grenzgänger, Widerständigem und aber auch in der modernen Stadt bereits anachronistisch. Ebenso verliert das Haus ja seine Macht und ist eben nur noch ein etwas gruseliges, abandoned Magierhaus - aber es kann keinen mehr in seinen Wänden festhalten und es tötet keinen mehr, der es angreift. Ich sehe die beiden - Zauberer und Haus - in Symbiose. Die traditionelle Magie wird abgelöst durch Kybernetik und Rotwang gelingt zumindest in Ansätzen damit eine Transformation: der Schritt in die Moderne.
Dem Haus gelingt es nicht, es verliert nach dem ersten, errfolgreichen Aufbegehren gegenüber dem Automaten in sich (Futura) wie auch gegenüber den am Ende wildgewordenen / entfesselten Hochhäusern an Relevanz.
Grot (linientreuer und obrigkeitshöriger Arbeitervertreter)
Grot ist eigentlich ein Außenseiter, genau wie Rotwang. Ich sehe die beiden als Gespiegelte / Gegengleiche. Grot tillt ja vollkommen aus, weil Futura ihm die Herzmaschine ermordet hat. Durch die Verwechslung will er daher Maria töten. Ich hatte nicht so arg den Eindruck, dass er am Ende über seinen Verlust hinweggekommen und bereit zur Versöhnung ist. Grot ist seiner Maschine / seinen Maschinen viel mehr verpflichtet als seinem Chef, in dessen Nähe er sich nie aufhält.
Grot hat die lebenden Maschinen und Rotwang hat sein lebendes Haus und den Automaten, Futura, da sind sehr enge Verbindungen, obwohl die beiden nicht direkt miteinander agieren. Ich denke, Rotwang steht für die traditionelle Magie, die Symbole und Zaubersprüche benutzt, Futura ist der Bruch damit und der Schritt ins Jetzt / in die Zukunft. Und die gehört Grots Maschinen (die immer noch leben, aber ohne Magie, sondern durch Technik).
Ins schwarze Holz der Tür eingedrückt stand kupferrot, geheimnisvoll, das Siegel Salomonis [- die alte Bezeichnung für den Davidstern], das Pentagramm.
Das stimmt nicht so ganz. Der 'Davidstern' besteht aus zwei Dreiecken, nämlich eines für Wasser und eines für Feuer - er ist ein Hexagramm (griech. Präfix hexa = 6). Er steht in Zusammenhang mit Alchemie, Elementen und Sternkunde, eigentlich nicht so sehr mit Magie.
Das Siegel Salomons ist der Name Gottes, ein sog. Tetragrammaton. Wie der erste Namensteil sagt, werden die Schriftzeichen in einem (1) Dreieck dargestellt, oder - ggfs. moderner - im Pentagramm, z.B. so. Das ist nötig durch die Anzahl der Silben.
Die Türen des Hauses zeigen Pentagramme (griech. penta = 5), im Volksmund 'Drudenfuß'. Dieser ist auch im Film hinter Futura zu sehen.
Pentagramme stehen im Kontext von Magie / Zauberei und werden verwendet zur Anrufung (Spitze nach oben) und zum Bannen (Spitze nach unten) von Dämonen, später auch Geistern. Sie sind oft Teil eines magischen Zirkels und müssen in einem Zug gezeichnet werden, wobei die Streiche sich am Ende genau schließen müssen, nicht offenstehen.
Die Idee, dass ein Pentagramm mit der Spitze nach unten für Schwarze Magie steht (wie im Metal) und das mit der Spitze nach oben für Weiße ist ziemlich konterintuitiv. Vllt. ist diese Sicht aber auch aus der georgianischen oder viktorianischen Epoche; nicht original.
Das Pentagramm wird mit dem hermaphroditischen, hybriden Gott Baphomet verbunden (der Ziegenbock-Kopf mit Hörnern und Geißbart bezeichnet das Pentagramm mit der Spitze nach unten, die Flamme zwischen den Hörnern ist die unkörperliche, reine und perfekte, allumfassende Weisheit und Erkenntnis - dies durchaus in naturwissenschaftlichen bzw. philosophischen, nicht nur esoterischen Sinne. Selbstverständlich ist die Weisheit weiblich - zumindest bei Giger (traditionell ist es eine Fackel).
[Magie, Dämonen, Geister, Götter existieren selbstverständlich nicht, ich schreibe es nur so, wie es traditionell verstanden wurde.]
Klar, man kann sagen, Hexagramme und Pentagramme sind beides irgendwie Sternsymbole und Harbou hat eben doch den Davidstern gemeint. Der zu der Zeit Menschen noch nicht aufgezwungen wurde und wie gesagt eigentlich kaum Überschneidungen zum Pentagramm hat - warum sollte sie das kaschieren, wenn sie so nazi war?
Ich denke, es geht beim Haus um Magie. Dadurch, dass die Pentagramme an den Türen sind = Anrufung / Öffnen und Bannen / (Ein)Schließen ist das auch eine ganz direkt / praktisch abzuleitende Symbolik. Und klar ist das Schwarze Haus (oh je, auch noch das) böse, aber es ist auch sehr cool und geheimnisvoll. Schon in den Gothic Tales sind die Bösewichter spannend, da muss man nicht auf Jean Rays Stochenhaus oder Malpertius warten.
That said: Ich versuche hier nichts schönzureden, mir liegt weder daran, von Harbou zu dämonisieren noch von aller Schuld freizusprechen. Aber mit diesen Fragezeichen-Assoziationen ist es immer so eine Sache. Ich kann auch sagen: Die Unterwelt = Hohlwelt? Tuonela - die Totenwelt (in christlicher Vorstellung)?
Oder aber doch im SF-Kontext - wie ich tatsächlich dachte - sind die Arbeiter im Untergrund eine Referenz zu Wells' von den Morlocks unterjochten Sklaven (Time Machine, 1895). Was zu meiner Leseweise passt, dass Joh Fredersen eine sehr oppressive, negative Figur ist und seine 'Milde' am Ende eigentlich nur ein Einknicken im Angesicht der veränderten Epoche.