Beiträge von Katla

    Eine sensationelle Nachricht, wie ich finde: !TimeMachine wird ab incl. der #9 vom Memoranda Verlag publiziert! [Al4]

    Herausgeber sind weiterhin Udo Klotz & Christian Hoffmann, das Zine zeigt auch das vertraute Coverdesign. Die #9 hat als Schwerpunktthema "Horror"!


    Link zur aktuellen Ausgabe hier. Bestellungen direkt über den Verlag. Auch können ältere Ausgaben angefragt werden, es sollen noch einige wenige erhältlich sein.


    Ich danke Mammut auch noch mal von Herzen, dass mein Essay zu den Exklusionszonen aus der #7 - mit mehr und teils anderen Tschornobyl-Bildern von Nazar - ins Zwielicht Classic 18 gerettet wurde.



    Ja, es gibt aber eine ganze Menge magischer Symbole, von denen viele eckig / sternig sind. Es kann sein, dass sie es meinte, es kann auch sein (meine ich eher), dass nicht. Ich bin bei Lesen aber auch kurz zusammengezuckt, weil ich spontan ein Hexagramm im Kopf hatte - nur hab ich als Teenie viel (historische Bücher) zu Magiekram gelesen, daher fiel mir sofort danach auf, dass es eben nicht dieses Zeichen ist. UNd dass die beiden keinesfalls austauschbar sind, oder nur in den gleichen Kontext gehören.


    Ich bin immer bissl vorsichtig, Dinge passend zu machen, weil sie in kleinen Aspekten passend aussehen: Nazis - Davidstern - Harbou - Antisemitin. Das mag so sein. Aber es gibt auch sehr viele Aspekte an dem Buch, die sehr stark dagegen sprechen. Vielleicht wollte sie es mehr nazi schreiben, hat es aber nicht hinbekommen. Oder sie hing Teilen der Ideologie an und Teilen gar nicht, und das Buch zeigt eben das genau. Das ist meine Sicht darauf. Und das sieht man an lebenden Leuten aktuell heute, wenn man die Haltung zu aktueller, spaltender Politik anschaut. Zudem ist das Buch 1925 geschrieben worden, nicht 1935. Die Leute damals saßen nicht wie wir mit dem Geschichtsbuch in der Hand und wußten im Detail, wohin alles führen würde. Wir sehen verdammt noch mal heute, wo Dinge hinführen und tun nichts (oder zu wenige).


    Ich rezipiere es zudem auch im SF-Kontext, oder im spekulativen, gucke nicht bei jedem Satz, ob der jetzt nazi ist oder nicht. Was sollte das?

    Ich würde gerne wissen, was bleibt von der Geschichte übrig, wenn man die Liebesgeschichte zwischen Maria und Freder, die spannungsreiche Vater-Sohn-Beziehung, Rotwangs Racheplan, Konflikt zwischen Fortschritt und dunklen Geheimwissenschaften und den Klassenkampf zwischen Arbeitern und Kapitalisten außer Acht lässt? Wieso ist die vermeintliche Heilsbringerin weiblich und nicht männlich, was für die damalige Zeit eher ungewöhnlich ist?

    Ja, ich hab auch schon gedacht, man müsste mal eine Skizze anfertigen mit all den story arcs und Motivlinien. Aber das Buch ist nicht so arg schwarz/weiß (trotz Christensülz), viele Figuren sind gebrochen, und sei es bei Maria durch das Doppel. Auch Futura gibt es fast doppelt - einmal die kalte Glas/Cyberfrau und einmal die 'Hure Babylons'. Maria gibt es also drei Mal und dann ist noch Hel als Blaupause, eine Tote. Also gibt es die gleiche Frau vier Mal.

    Freder ist recht einseitig, sehr Sturm & Drang, aber dafür ist die Epoche eigentlich wieder zu spät, und das passt gar nicht zum Nazidenken.


    Ich lese das Buch eher als eine Geschichte um Architektur, Innovation, Technik und Magie. Um das Thema 'belebtes Unbelebtes' herum - ich schaue auf das Verhältnis von Haus zu Haus, von Robot zu Gottmaschinen, wer bedient die Maschinen, wer liebt sie, wer hasst sie, warum und was machen die Maschinen / Häsuer selbst (am Ende werden alle autonom, die Häuser bewegen sich physisch von ihren Fundamenten weg / drehen sich auf ihnen - wie in Georg Heyms "Gott der Stadt" -> Korybantentanz). Warum tötet der Automat Futura die Herzmaschine? Sowas eben.

    Dann schaue ich wie die Menschen-Figuren zu diesen unbelebten Dingen stehen: der Magier Rotwang, der Maschinist Grot und Joh Fredersen als der Mann, der per Schalter die Zeit bestimmt. Diese Liebessache zwischen Maria und Freder läuft in meiner Aufmerksamkeit etwas nervig nebenbei mit.


    Jedes Werk gerät mit der Veröffentlichung aus der Kontrolle des Erstellers. Ich lese das Buch sicher teils gegen Harbous Intention, aber ich denke auch, man kann ihr ruhig etwas mehr Komplexität zugestehen. Das sind recht wilde Konzepte im Roman, im Sinne des Weird, im Sinne Harlan Ellisons.


    p.s. Ah, spannend, dein Salomon ist in einem Hexagramm. Jetzt müsste man - auch bei meiem Pentagramm-Salomon - schauen, von wann die sind. Das einzige mittelalterliche Bild hab ich nämlich als Dreieck gefunden, gar nicht sternig.

    Über die roten Schuhe bin ich auch gestolpert, ohne zu wissen, wie ich die einordnen sollte.

    Obwohl die Farbe der Prostituierten im Mittelalter (zumindest der städtischen, z.B. in Köln) gelb war, gilt Rot und bes. rote Schuhe als Zeichen der Wollust, Auflehnung und Sünde.


    Hans Christian Andersen schrieb 1862 das Märchen "Die roten Schuhe", nach dem später auch das weltberühmte Ballett und danach 1948 in UK der Film entstand. Das war meine Assoziation, und ich denke, in Metropolis ist eine kürzere Erwähnung als die rauszitierten Passagen, dass die Farbe vom Gehen durch Blut kommt (allerdings nicht das von Kindern). Bei Andersen sind die Schuhe - die ein magisches Eigenleben haben - auch dezidiert antikirchlich, rebellisch und in letzter Kosequenz aber auch destruktiv. Den Dorfbewohnern fallen sie unangenehm auf, sie schauen, ob die Prota sie trägt oder nicht.


    Selbstverständlich sind auch Dorothys Hexenschuhe im Zauberer von Oz rot (in meinem alten Buch genauso wie im Film). Das ist letztlich die einzig mögliche Farbe für Zauberschuhe und Rotwang wird damit zum Grenzgänger, Widerständigem und aber auch in der modernen Stadt bereits anachronistisch. Ebenso verliert das Haus ja seine Macht und ist eben nur noch ein etwas gruseliges, abandoned Magierhaus - aber es kann keinen mehr in seinen Wänden festhalten und es tötet keinen mehr, der es angreift. Ich sehe die beiden - Zauberer und Haus - in Symbiose. Die traditionelle Magie wird abgelöst durch Kybernetik und Rotwang gelingt zumindest in Ansätzen damit eine Transformation: der Schritt in die Moderne.

    Dem Haus gelingt es nicht, es verliert nach dem ersten, errfolgreichen Aufbegehren gegenüber dem Automaten in sich (Futura) wie auch gegenüber den am Ende wildgewordenen / entfesselten Hochhäusern an Relevanz.


    Grot (linientreuer und obrigkeitshöriger Arbeitervertreter)

    Grot ist eigentlich ein Außenseiter, genau wie Rotwang. Ich sehe die beiden als Gespiegelte / Gegengleiche. Grot tillt ja vollkommen aus, weil Futura ihm die Herzmaschine ermordet hat. Durch die Verwechslung will er daher Maria töten. Ich hatte nicht so arg den Eindruck, dass er am Ende über seinen Verlust hinweggekommen und bereit zur Versöhnung ist. Grot ist seiner Maschine / seinen Maschinen viel mehr verpflichtet als seinem Chef, in dessen Nähe er sich nie aufhält.


    Grot hat die lebenden Maschinen und Rotwang hat sein lebendes Haus und den Automaten, Futura, da sind sehr enge Verbindungen, obwohl die beiden nicht direkt miteinander agieren. Ich denke, Rotwang steht für die traditionelle Magie, die Symbole und Zaubersprüche benutzt, Futura ist der Bruch damit und der Schritt ins Jetzt / in die Zukunft. Und die gehört Grots Maschinen (die immer noch leben, aber ohne Magie, sondern durch Technik).


    Ins schwarze Holz der Tür eingedrückt stand kupferrot, geheimnisvoll, das Siegel Salomonis [- die alte Bezeichnung für den Davidstern], das Pentagramm.

    Das stimmt nicht so ganz. Der 'Davidstern' besteht aus zwei Dreiecken, nämlich eines für Wasser und eines für Feuer - er ist ein Hexagramm (griech. Präfix hexa = 6). Er steht in Zusammenhang mit Alchemie, Elementen und Sternkunde, eigentlich nicht so sehr mit Magie.


    Das Siegel Salomons ist der Name Gottes, ein sog. Tetragrammaton. Wie der erste Namensteil sagt, werden die Schriftzeichen in einem (1) Dreieck dargestellt, oder - ggfs. moderner - im Pentagramm, z.B. so. Das ist nötig durch die Anzahl der Silben.


    Die Türen des Hauses zeigen Pentagramme (griech. penta = 5), im Volksmund 'Drudenfuß'. Dieser ist auch im Film hinter Futura zu sehen.

    Pentagramme stehen im Kontext von Magie / Zauberei und werden verwendet zur Anrufung (Spitze nach oben) und zum Bannen (Spitze nach unten) von Dämonen, später auch Geistern. Sie sind oft Teil eines magischen Zirkels und müssen in einem Zug gezeichnet werden, wobei die Streiche sich am Ende genau schließen müssen, nicht offenstehen.

    Die Idee, dass ein Pentagramm mit der Spitze nach unten für Schwarze Magie steht (wie im Metal) und das mit der Spitze nach oben für Weiße ist ziemlich konterintuitiv. Vllt. ist diese Sicht aber auch aus der georgianischen oder viktorianischen Epoche; nicht original.

    Das Pentagramm wird mit dem hermaphroditischen, hybriden Gott Baphomet verbunden (der Ziegenbock-Kopf mit Hörnern und Geißbart bezeichnet das Pentagramm mit der Spitze nach unten, die Flamme zwischen den Hörnern ist die unkörperliche, reine und perfekte, allumfassende Weisheit und Erkenntnis - dies durchaus in naturwissenschaftlichen bzw. philosophischen, nicht nur esoterischen Sinne. Selbstverständlich ist die Weisheit weiblich - zumindest bei Giger (traditionell ist es eine Fackel).


    [Magie, Dämonen, Geister, Götter existieren selbstverständlich nicht, ich schreibe es nur so, wie es traditionell verstanden wurde.]


    Klar, man kann sagen, Hexagramme und Pentagramme sind beides irgendwie Sternsymbole und Harbou hat eben doch den Davidstern gemeint. Der zu der Zeit Menschen noch nicht aufgezwungen wurde und wie gesagt eigentlich kaum Überschneidungen zum Pentagramm hat - warum sollte sie das kaschieren, wenn sie so nazi war?

    Ich denke, es geht beim Haus um Magie. Dadurch, dass die Pentagramme an den Türen sind = Anrufung / Öffnen und Bannen / (Ein)Schließen ist das auch eine ganz direkt / praktisch abzuleitende Symbolik. Und klar ist das Schwarze Haus (oh je, auch noch das) böse, aber es ist auch sehr cool und geheimnisvoll. Schon in den Gothic Tales sind die Bösewichter spannend, da muss man nicht auf Jean Rays Stochenhaus oder Malpertius warten.


    That said: Ich versuche hier nichts schönzureden, mir liegt weder daran, von Harbou zu dämonisieren noch von aller Schuld freizusprechen. Aber mit diesen Fragezeichen-Assoziationen ist es immer so eine Sache. Ich kann auch sagen: Die Unterwelt = Hohlwelt? Tuonela - die Totenwelt (in christlicher Vorstellung)?

    Oder aber doch im SF-Kontext - wie ich tatsächlich dachte - sind die Arbeiter im Untergrund eine Referenz zu Wells' von den Morlocks unterjochten Sklaven (Time Machine, 1895). Was zu meiner Leseweise passt, dass Joh Fredersen eine sehr oppressive, negative Figur ist und seine 'Milde' am Ende eigentlich nur ein Einknicken im Angesicht der veränderten Epoche.

    Will gar nicht an die in der Schweiz lebende Lesbe erinnern, die Kinder aus fremden Ländern adoptiert und gleichzeitig was von Remigration schwafelt.

    Oder an Hunderte ukrainischer Kinder, die nach Russland verschleppt wurden? Für ...? Im Phantastik-Kontext hierzu kann man schauen, was Lukianenko dazu sagt. (Oder lieber nicht ...)


    Ich finde es wirklich extrem spannend, weil ich Metropolis - christlicher Schwulst hin oder her - nicht in die Nazirichtung eingeordnet kriege. Beim besten Willen nicht, und das ist unabhängig von dem, was die Autorin damit sagen wollte (siehe Belyy tigr).

    "Der Krieg und die Frauen (1913): Autorin: Agnes (von Zahn-)Harnack

    "Du junge Wacht am Rhein (1915): Autor: Paul Leuteritz

    "Die deutsche Frau im Weltkrieg (1916): Autorin: Thea von Harbou


    Eins zu drei für dich, da war ich schlampig - eines der drei Bücher ist wirklich von der Metropolis-Verfasserin. Ich hab zwei geprüft, das dritte nicht mehr. Kann nix dazu sagen, weil ich das Buch nicht kenne (klar, das wird nicht super sein, aber warum schrieb sie Metropolis wie sie es nun mal schrieb und nicht passgenauer für den Faschismus? Da passt eben gar nix, und es wäre ein Leichtes gewesen, das bei gleichem Plot so einzurichten.)


    Ansonsten interessiert mich Wiki nicht, weil bis zu 10% von AIs erstellt wird und es nicht unbedingt Fakten sind, sondern eine Person reicht, die etwas postet. Belege laufen über echte Recherche, nicht YT Videos.

    Ich habe mir den kompletten Film angeschaut, der ja auf dem Roman basiert und deshalb angenommen, dass das im Buch ähnlich thematisiert wird.

    Das kennst du sicher, oder?: Assumption is the mother of all fuck-ups. :- )


    Wir debattieren hier ja von der gleichen politischen Warte aus. Nur, um das noch mal festzustellen.


    p.s. Crosspost

    Ja, Mammut das sind auch spannende Gedanken. Ich finde die ganze Diskussion spannnend. Es ist sicher nicht mein Lieblingsbuch, aber es ist extrem schräg und es hat irre viel Aspekte, die der Nazi-Ideolgie eigentlich entgegengehen. Und warum nicht? Ich denke an diesen schwulen Mystiker, der absolut überzeugter Nazi war und nach einer (implizierten) Zwangsversetzung als KZ-Wart Suizid beging - der Name, verdammt, mein Gedächtnis ... Jedenfalls: Ich hab oft den Eindruck, dass sich Haltungen heute so schwer kategorisieren lassen wie eh und je.


    Und die Rezeption ist nicht unbedingt anhängig von der Intention des Werkes, ich denke bereits die ganze Zeit an einen meiner Lieblingsfilme, Belyy tigr. Der Regisseur ist ein Freund Putins, und das Werk lässt sich aus demokratischer Sicht als Warnung vor Putins Politik, wie auch aus interner Sicht als Rechtfertigung für den Überfall auf die Ukraine lesen. Der Filmemacher ist einer der absolut wenigen, die Putin öffentlich aufforderten, den sinnlosen Krieg zu beenden - dennoch: Das Werk kann auf zwei Arten gesehen werden. Ich bin nicht sicher, wie man den Roman Metropolis nazigerecht interpretieren könnte und der Regisseuer Fritz Lang floh vor den Nazis ... Also wie kommt der Eindruck?


    Ich wäre echt gespannt auf Hinweise, wo genau im Text Metropolis faschistisch wäre. Ich sehe im Text selbst nur Gegenargumente.

    Ich muss gestehen, dass ich lediglich einige Seiten des Buches "Metropolis" gelesen habe. Ich konnte mich nicht mit Harbous schwülstigem Schreibstil und dem zuweilen aufdringlichen kitschig-religiösen Unterton anfreunden.

    Hallo Hospes,


    das kann ich so gut nachvollziehen, wirklich. MIr haben sich in der zweiten Hälfte auch die Fußnägel aufgerollt. Das Expressionistische an sich - also eher in der ersten Hälfte ohne so viel Religion - fand ich ein sehr spannendes, ungewöhnliches Leseerlebnis.

    Durch einen Blick auf die Veröffentlichungen vor "Metropolis" wie "Der Krieg und die Frauen (1913), "Du junge Wacht am Rhein (1915) und "Die deutsche Frau im Weltkrieg (1916) wird deutlich, wohin die Reise geht.

    Keiner behauptet, es habe vor 1933 keine faschistischen Bücher oder Ideologien gegeben - das hatte eine Entwicklung, und zwar bereits im Kaiserreich, oder - wie nicht nur ich, sondern auch Historiker meinen - ist eine direkte Folge der militärischen Missionskriege (der Deutsche Ritterorden war explizites Vorbild für die Waffen SS), der Hexen-/Ketzerverfolgungen, des Dreißigjährigen Krieges und von mir aus der Christianisierung Europas selbst.

    Aber keines dieser von dir genannten Bücher ist von Harbou. Das ist also eine Aussage über die Epoche, den generellen Zeitgeist, aber nicht über den Roman.

    Aber meiner Meinung nach ist das wichtigste Element des Werkes die Darstellung der "Massen", die unbestreitbar Assoziationen zum Nationalsozialismus hervorrufen. Der Mensch als Drähtchen in einem großen, klaglos funktionierenden Werk, die Masse, die nur noch Werkzeuge für hohe Ziele ist.

    Das ist aber eine steile These dafür, dass du nur drei Seiten gelesen hast. Das find ich ehrlich gesagt nicht in Ordnung, vor allem, weil du sehr intelligent und differenziert bist. Eben das, was du hier ausführst, wird nicht im Roman dargestellt (und ich hab jede Zeile gelesen bis auf 3 Seiten Christengelaber im letzten Zehntel, die ich nur überflogen hab).


    Mir geht es nicht um die Verteidigung eines Werkes an sich (da bin ich letztlich leidenschaftslos), sondern um die Auseinandersetzung mit einem Werk. Was als Mindestmaß erfordert, dass man es gelesen hat. Dann kann man alles - alles - als These aufstellen und am Text belegen. Ich wäre sehr gespannt auf eine Diskussion am Text entlang.


    Wie gesagt, kaum jemand kennt die Autorin heute noch, ich sehe keinerlei faschistischen Gedanken im Roman selbst, im Gegenteil (auch, wenn die Autorin ihnen angehangen haben mag- zum Zeitpunkt des Schreibens oder später). Und ich sehe identische Probleme sich real, heute zuspitzen, zu denen zu wenig Leute Stellung beziehen. Da wir heute über u.a. das Internet, das Institute for the Studies of War etc. die Möglichkeit haben, kritischen fact check zu machen, ist es heute um ein Tausendfaches unverzeihlicher als damals, dass Menschen faschischtisch/stalinistischen Ideologien aufsitzen oder sie ignorieren.


    Wir fragen uns immer: Wie war es möglich, dass ganz normale Leute den Nazis zujubelten, die Verbrechen nicht sahen / ignorierten / wegredeten und sie im Nachhinein noch relativierten? Ganz einfach: Man muss heute nur nach Osten schauen. So geht das. Ganz einfach. Wir haben eine absolut identische Situation von Propaganda, die auf Verbrechen und Lügen basiert, es wird darauf aufbauend ein Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat geführt (der zweite in acht Jahren) - wie damals - und keinen kümmert es. DAS ist mein Problem mit dem ganzen Thema. Weil es Menschen in direkter Nachbarschaft betrifft, die heute noch sterben und leiden können, nicht bereits tot sind. Das Problem begann auch nicht mit dem ersten oder zweiten Krieg gegen die Ukraine, sondern mit Zwangspsychiatrie, öffentlicher Erschießung von über 120 Journalist*innen, Folter und Ermordung Homosexueller sowie Dissidenten generell, in Russland selbst. Es gibt quasi-GULAGs in Sibirien mit Zwangsarbeit. Es gibt Verschleppung und (sexuelle) Folter.

    Problemanalysen / Vergangenheitsbewältigung im Hinblick auf die Nazizeit bringen absolut nichts, wenn die Erkenntnisse nicht auf aktuelle Entwicklungen übertragen werden.

    Jayaprakash Satyamurthy: "Im Express nach Eden" hat mich leider kalt gelassen.

    Eine durchaus charmante, aber imA durchweg sozialrealistische (höchstens etwas rauchgeschwängerte) Geschichte, aus der unerklärt eine Miniszene raussticht, in der alle Protas sterben, was dann aber irgendwie doch nicht passierte. Weil alles weitergeht als wär nix. Kam mir unmotiviert vor, und für Slipstream wäre es mir insgesamt nicht slippery genug. Vielleicht ist mir aber auch etwas ganz Wesentliches entgangen. (Da sind z.B. eine Menge ungewöhnlicherweise unausgeschriebener Zahlen, auch in Bezug auf Orte = Gleise, aber darin hab ich keine Bedeutungen erkennen können.)


    Martin Ruf: "Diasmo"

    Ich bin immer wieder fasziniert, wie unterschiedlich die Eindrücke und Geschmäcker sind. Der Text hat mich voll erwischt, das ist eine enorme erzählerische Sicherheit vom großen Ganzen = Aufbau und Struktur über den historischen Sprachduktus zum Kleinen in der Wortwahl und im Satzbau, und hat perfektes Timing. Martin mutiert wirklich in Nullkommanix zu einem meiner liebsten deutschsprachigen Autoren.


    Erstmal bin ich ein riesen Fan von story-in-story (hier wie bei Rays "Mainzer Psalter" dreifach verschachtelt und ebenfalls in Manuskripten / Briefen erzählt), dann eben auch von diesem 'es wurden dieunddie alten Handschriften / herätische Bücher usw. ... gefunden'. Das alles aber nicht entsprechend angestaubt und auch gar nicht klischeehaft/verbraucht, sondern ganz lebendig und spannend. Klasse gemacht der fiese Teaser, was die Inqusition für neue Richtlinien aufstellte - gutes Foreshadowing, nicht zu kryptisch, nicht zu platt.


    Dann hat mich diese Engelsfigur voll gepackt, die Beschreibungen so wunderbar alles offenlassend und doch konkret; Details, die so wirken, als habe das jemand real / physisch vor sich gehabt (der Mund! Hammer!), das ist großes Kino. Absolutes sense of wonder, hab ich selten so. Auch die Auffindeszene in der Kapelle, als der Mönch sagt "Ich hole mal Wein", und dann ...


    Winzige Nöle (Spoiler, daher verdeckt):


    Fazit: Irre viel Phantasie, sehr haptisch, tolle Sprache, es wirkt auch noch ganz unverkrampft, 'effortless'. Sehr souverän, stilecht, krasse Lektüre; werde ich noch einige Male lesen. Ich will einen Roman mit sowas!


    [Cof]

    So wie ich den Thread auffasste, ging er ja – erst einmal – um den Roman Metropolis, – und nicht um eine allgemeine Darstellung von Thea v. Harbou, ihrer Verdienste und Verfehlungen.

    So habe ich den Faden auch verstanden.


    Probleme habe ich dabei nur mit den extrem christlichen Passagen (relevant eher in der zweiten Hälfte), die natürlich sehr gut zum Faschismus passten, umso weniger zur SF.

    Aus dem Grund hatte ich mir online angeschaut, wo sie so stand und war dennoch baff erstaunt, dass sie in so starke Nähe zum Regime gerückt wird (oder dort stand). Ich kann in dem Buch - außer der Religion - gar nichts finden, das eine nazistische Haltung unterstützte:


    - Maria ist und bleibt unverheiratet und ich hatte die Befreiung der Kinder weniger als ein Übermutter-Motiv gelesen, denn als Rettung der jüngsten Generation, als expressionistisches Bild.

    - Freder ist extrem emotional und spontan, getrieben von irrationalen Gefühlen und er lehnt sich gegen den Vater und damit Authorität / Tradition auf. Das ist kein Männerbild, das ich mit den Nazis verbinde.

    - Joh Fredersen ist kalter Kapitalist, der lernt, die sozialen Belange der Ausgebeuteten zu erkennen. Hospes Einwand der Anbiederung der NSDAP an die Arbeiterschicht ist interessant (das passte), aber ich kenne zumindest aus dem Raum Ostholstein, dass die Nazipartei eher anitintellektuell war und gerade in Lübeck (einem gallischen Dorf im parteitreuen Holstein) wurde absichtlich das Bürgertum / die obere Mittelschicht zerschlagen bzw. Lübeck der Stadtstaat = die skandinavisch orientierte Selbständigkeit abgesprochen. Hier richtete sich der Hass auf die Industriellen, Kaufmannsschicht - und die sehe ich von Joh Fredersen repräsentiert.

    - Die Rebellion ist gegen die Herrschers(ch)icht gerichtet, was die NSDAP nicht gutheißen sollte.

    - Arbeiter werden aus den Fabriken befreit und die maschinenunterstützte Produktion angeprangert - was vor dem Hintergrund der Rüstungsindustrie, die sich später im Overdrive befand, aus Nazisicht Sabotage = Volksfeinde wäre/n.
    - Die "Untermenschen" (in Metropolis wortwörtlich zu sehen) befreien sich, rebellieren, der Herrscher beugt sich zu ihnen herunter (aus rechter Sicht gesagt), verbrüdert sich fast mit ihnen. Das ist doch das Gegenteil von Nazihetze.

    - Die Nazis waren - wenn man Boss, Mercedes Benz, Siemens und all die anderen Hersteller / Fabriken bedenkt - absolut nicht gegen die Industrie, sondern trieben sie voran. U.a. eben mit Zwangsarbeitern - die ja im Buch wie gesagt befreit werden.


    Von daher sehe ich den Roman nicht als politisch-problematisch an, und von Harbou ... keine Ahnung. Sie lebte unverheiratet in Partnerschaft mit Lang, und heiratete dann einen Inder. Der mag bei den Nazis als ursprünglicher Arier (im ethnologischen Sinne) durchgegangen sein, aber auch die Roma sehen in den Ariern Indiens ihren legendenhaften Ursprung. Und wie die Nazis zu denen standen, ist ja bekannt ...

    Der Expressionismus zumindest in der Kunst wurde nach einer Zeit des Zögerns schließlich unter "entartet" subsumiert. Frage ist, ob die Nazis das Buch als solches erkannten.


    Dann ist der Roman 100 Jahre alt und ich habe viel mehr Probleme mit aktuell lebenden Menschen, die keine Haltung gegen Putins Russland finden, obwohl er in und außerhalb seines Landes die Politik Stalins und Hitlers (-> Stichwort Bloodlands) bis ins Detail imitiert, und das bezgl. Stalin explizit. Da steht das Nazireich wieder auf und die Reaktion darauf ist mir als moralischer Kompass sehr viel wichtiger als ein alter SF-Roman und eine Autorin, die heute doch eher unbekannt ist.

    In Cthulhu Libria Neo. Der expressionistische Film wurde 2017 mein Text über Thea v. Harbou veröffentlicht (S. 21 – 26).

    Das klingt ungefähr so, wie ich die Sache mit weniger Informationen und weniger Sachverstand auf die Film-Epoche bezogen einschätze - da der Band sicher vergriffen ist: Magst du mir vielleicht den Text oder einen Scan zusenden, bitte? Daran wäre ich wirklich außerordentlich interessiert.

    Okay, lieben Dank, dann hatte ich keinen Knick in der Optik. :) Diese ganzen Konnotationen und Symboliken hab ich auch so gesehen, aber da sind ja noch faktisch handelnde Figuren, also konkret physisch anwesend. Und da müssten sich doch eigentlich die anderen beiteilgten Figuren anders zu Futura / Maria oder Hel verhalten, denn sie wissen ja quasi nicht, dass sie Figuren in diesem Konzept sind. Und daher einfach mal ein paar extrem zentrale / wichtige Dinge als gegeben nehmen müssen, ohne sie zu hinterfragen (eben auch physisch-konkrete Dinge, abgesehen von der Symbolik, die ja auf Ebene der Autorin, nicht auf der der Figuren / Erzählung liegt). Sie reagieren auch darauf, aber gar nicht so, wie es irgendwie logisch wäre.


    Hatte aber auch schon die Idee, dass von Harbou eine Reihe Konzepte aufgestellt hat, und die im Roman verteilt hat - teils konsequent, und teils eben total widersprüchlich zu ihrem eigenen Set-Up, nur, damit sie ein Bild so schreiben kann, wie sie es von der Symbolik her eben will. Also eine Extremform von reim dich oder ich schlag dich.


    Im Film war das - glaube ich, nicht so arg mehr in Erinnerung - anders, oder? Hat nicht jemand die lebende Maria in dem Roboter eingegesperrt und damit ferngesteuert, also ein bionisches Cyber-Konzept? Und dann wurde Maria am Ende wieder als Mensch befreit und fleischlich? Mag mich irren. Das wäre aber sehr viel logischer beim gleichen Konzept / Plot / Gegensatz.


    Mir fielen übrigens extrem starke Parallelen zu Neon Genesis Evangelion auf. Und wenn es 2001 in Japan eine Metropolis Verfilmung gab, kam das sicher nicht aus dem Nichts, sondern dann wurde der deutsche Film dort sicher schon vorher rezipiert.

    Angefangen bei dem sensibel-empathischen Jungen Shinji (widerstrebender Pilot von UNIT-01) und seinem extrem kalten Vater, Gendo Ikari, in dieser gottähnlichen, eiskalten Leitungsfunktion, der Herr über etwas Maschinenähnliches ist: Die EVAs sind zwar Mechas, also versklavte Lebewesen in einem Rüstungskäfig, aber sie sehen aus wie Roboter, benötigen Elektrik und werden von menschlichen Kids gesteuert.

    Shinji und sein Vater haben ein sehr schwieriges Verhältnis, der Vater traut dem Sohn nichts zu, stößt ihn ständig weg, zieht sich in den 'Turm' - das Militärlabor der Organisation NERV - zurück. Er scheint Shinjis Empathie zu verachten und legt ihm unmögliche Prüfungen auf.


    Shinjis Mutter Yui ist ebenfalls früh gestorben und wie ein Geist anwesend, zudem wiederauferstanden in der mysteriösen Pilotin von Test-UNIT-00, Rei Ayanami, die sich auch als Automat herausstellt (oder irgendwann zu einem wird). Ihr eigentlicher Name war Petit Eva, was eine Mecha-Symbiose nahelegt. Shinji liebt Rei erotisch (es gibt ebenso keinen Sex in der Serie), hier die gleiche seltsame, inzestuöse Doppelung. Yui und Rei haben gewisse Ähnlichkeiten, ob es hier für eine echte Doppleung reicht, kann ich schwer sagen, weil ich Anime-Gesichter insgesamt recht ähnlich finde - zumindest bei gleicher Mimik, Statur und Frisur (was hier gegeben wäre).

    Gendo hat ein semi-erotisches Verhältnis zu Rei (zumindest später in ihrer Cyborgform, die er wohl auch konstruierte), und ist damit ein Konkurrent zu seinem Sohn Shinji - wenn man Maria und Hel als eine Person nimmt, ist das auch hier ähnlich.


    Yuis Seele war vor der Erzählzeit magisch mit ihrem Mecha verschmolzen, und soweit ich mich erinnere, ist später ihr Doppel Rei die Pilotin genau dieses Robo-Wesens.


    Auch ist Rei asexuell und in Grautönen gekleidet, während die sexy selbstbewusste Asuka (Pilotin von UNIT-02) wie ihr Mecha Rot trägt. Es gibt Tod und Wiederauferstehung auch im religiösen, nicht so sehr magischen oder SF-Sinne.


    Die Mechas / EVAs haben einen 'berserk' Modus, wenn ihre Piloten - und sie selbst - extrem wütend werden, und können im Overkill zerstören, auch benötigen sie in diesem Modus auf magische Weise keine Energie von außen. Das ist ein ähnliches Bild wie die befreiten Maschinen in Metropolis, und es ist ähnlich gefährlich für sie selbst.


    Tokyo-3 in Rebuilt bewegt sich ähnlich, nämlich können die Häuser in die Erde gefahren werden (was bei von Harbou diese Tänze / Umdrehungen auf den Fundamenten wären).


    Auch die Traumszenen mit Rei und Yui (Shinjis toter / Geistermutter) drehen sich um Vergebung und es gibt explizit einen semi-spekuativen Brief, der Vergebung bringt, wie bei Hel / Fredersen.


    Ich mag manchmal ein bisschen wilde Verbindungen ziehen, aber ist mir bissl viel für einen Zufall. Da könnte man noch viel mehr raussuchen, die Kreuzigung, Heiligenscheine der EVAs unter bestimmten Konditionen, das Babel/Erlösungs-Schema, die Lilith / Yui Gegensätze oder die bösen Alien-Engel, die die Städte bzw. auch mal die Welt zerstören - die dann von der jüngeren Generation wiederaufgebaut werden muss. Das ist im Buch wie in der Serie auch eine direkte Anweisung des Vaters an den Sohn.


    Das finde ich schon sehr spannend. Mal gucken, ob es genau dazu Sekundärliteratur gibt.

    Dank der Drogis, die heute Nacht - wie fast jede - versuchten, bei uns (genau zwei OGs unter meinem einzigen Fenster) die Eingangstür einzutreten bzw. aufzubrechen, bin ich früher als erwartet mit dem Buch durch. Ich notiere mir mal alles, um nicht zu stark vorzugreifen. Ab der Mitte kommen zwar sehr schöne weitere SF-Aspekte (die mechanisierte Stadt, die lebenden Maschinen), aber das Buch schert da in eine andere Richtung aus, die stark expressionistisch, aber religiös, nicht phantastisch ist.


    Die Autorin predigt hier auch Wasser und trinkt Wein, denn trotz ihrer extrem scharfen Verurteilung von Prostitution (die eher selten etwas mit Lust zu tun hat) und Untreue beendete sie ihre Beziehung zu Fritz Lang dadurch, dass sie sich direkt beim Sex mit einem indischen Schauspieler erwischen ließ (mit dem sie sich dann auch fest verpartnerte ). Öhem!


    Eine Frage hab ich vorab, vermutlich hab ich unbemerkt was am Anfang überlesen:

    Rotwang baute Futura nach dem Aussehen seiner ersten Frau, Hel, die Joh Fredersen ihm ausspannte. Hel ist Freders Mutter und starb früh. Obwohl Rotwang wg. Hel immer noch von Eifersucht zerfressen ist, schickt er seinen Automaten Futura in das Haus der Söhne, wo sie - offenbar wie alle eher gezwungen - Prostituierte und Dienerin ist. Das wundert mich stark, aber egal.


    Maria kommt aus dem Arbeiteruntergrund (wortwörtlich der unteren Welt) und ist ein Mix aus jungfräulicher Mutter Maria und einem sozialistischen Agit-Prop Mädchen. Wird etwas über ihre Familienherkunft gesagt? Ich meine nicht. Sie tritt zum ersten Mal mit der Schar befreiter Kinder in die obere Öffentlichkeit, am Anfang des Buches. Da gibt es Futura bereits, in Aktion, wenn auch nicht mit fertig ausgearbeitetem Gesicht.


    Im Laufe des Romans aber werden Futura und Maria von allen und jedem verwechselt: vom Erbauer, Rotwang selbst; dem verliebten Freder, den Arbeitern, die Maria ja besser / länger kennen sollten, von Grot, der nicht sicher ist, wer von den Frauen seine Maschinen ermordet hat, usw. usf.. Die Verwechslung geht so weit, dass die Frauen an einem Ort (Dom, am Ende) sein können, unterschiedlich gekleidet mit unterschiedlichem Verhalten, und niemandem scheint klar zu sein, dass dort zwei Frauen, nicht eine sind. Teils sind ja beide quasi im selben 'Frame' und niemanden schert das offenbar. So: "Haben wir da grad die Falsche ...? Und wer ist die andere?"


    Es wird beschrieben (Glas, kalt), dass Futura Hand an die Herzmaschine legt, aber warum? Die Handlung passte besser zu Maria. Gibt es eine magische Symbiose, obwohl die beiden - extrem antifeministisch / sexistisch - konträr angelegt sind, als Hure von Babylon (bzw. in Freders Traum eine rosenfarbene Variante der Frau, die mit dem Mond bekleidet ist und das Tier der Apokalypse reitet) vs heilige Jungfrau und Übermutter?


    Wie können Futura und Maria physisch quasi Zwilinge sein? Zudem: Freder wird ja - und wenn von Fotos / Bildern - wissen, wie seine Mutter (Hel) ausgesehen hat. Maria ist *aus Gründen* ein Abziehbild seiner Mutter zur Zeit seiner Geburt und er verliebt sich erotisch in sie? Hui. Und sein Vater, der Hel ja auch liebte, findet das nicht irgendwie komisch?


    Klar, Hel ist die christliche Erfindung 'Nordische Totengöttin' und Maria kommt aus dem Untergrund (= das nordische Tuonela, die eisige Unterwelt im geograf. Norden). Man könnte meinen, in Maria wäre Hel auferstanden, dann ist Freders Liebe nur ein bissl inzestuös. Aber auch das erklärt nicht die Ähnlichkeit mit Futura, die im Buch motivisch auch viel mehr mit Kälte & Tod in Verbindung gebracht wird als Maria.


    Wie seht ihr das, oder du, Mammut ? Oder hab ich einen Knick in der Denke irgendwo?

    Dies ist zwar der Filmfaden, aber da oben auch schon der Roman erwähnt wird, setze ich dies mal hier rein: Im aktuellen Rundbrief Dieter von Reekens wird eine ungekürzte Übersetzung des Romans folgendermaßen angekündigt:


    Letzte und erste Menschen von Olaf Stapledon

    Erste ungekürzte deutsche Ausgabe der 1930 erschienenen britischen Erstausgabe „Last and First Men“. Gekürzte Ausgaben waren 1983 und 2015 erschienen.

    Paperback, ca. 324 Seiten, ca. 22,50 Euro.

    Das Buch ist in Vorbereitung, Vorbestellungen werden notiert.

    Ich füge hinzu: Versand erfolgt EU-weit kostenlos und sehr rasch. Keine Lieferung an Buchläden. Bezahlung: Banküberweisung nach Rechnung.


    Bestellung über: verlag [ät] dieter-von-reeken [dot] de


    Ausführliche Infos, Cover, Vorwort des Autors und Kapitelverzeichnis etc. hier.

    Als letztes großes Land in Europa hat man extrem schnell die Wandlung vom Bauernstaat zum Industriestaat vollzogen

    Ja, sehr guter Punkt. Hier aber dann vorletztes, Finnland vollzog diese innerhalb von sehr knapp 20 Jahren und begann damit erst in der Nachkriegszeit: bes. Mitte der 50er. Vorher gab es auch lokale Industriezentren wie Outokumpu mit Minen und Stahlwerken, aber mit Ausnahme von Helsinki keine Großstädte. Wobei Helsinki eben kein Industriezentrum war / ist. Da Finnland bis Ende der 50er ein nahezu reiner Agrarstaat war, gibt es hier durch die identischen Arbeiten, die Männer wie Frauen verrichteten, eine extrem gefestigste, quasi natürlich gewachsene Gleichberechtigung der Geschlechter.


    Als kleines OT eingeworfen: Ich lese gerade zufällig (wegen Tokyo-3 in Rebuild of Evangelion) das wunderbare, reichbebilderte Anime Architecture (Stefan Riekeles, UK 2020). Es widmet je ein langes Kapitel je einem Film oder einer Serie und neben NGE, Ghost in the Shell, Patlabor 2 und Akira dem japanischen Metropolis von 2001. Dort gibt es an das amerikanische Art Deco angelehnte Gebäude, eine Konsumtempel-Megacity und die dystopische Industrie-Sektion. Maria / Futura heißt dort Tima und ist eine einzige Figur.


    Der Film basiert auf dem gleichnamigen Manga, das lose auf eben dem deutschen Film basiert. Durch die Shinto-Religion (keine Trennung zw. Lebendigem und Nichtlebendigem) werden Roboter positiv gesehen und der Film bekommt damit eine ganz andere Ausrichtung. Obwohl wesentlich mehr humoristisch und disney-esk, gibt es einen stärkeren Umschwung ins Dystopische, die Zerstörung der Stadt und das Schicksal von Tima, die als eine Art Zombie-Robot endet und dann tragisch stirbt, werden auch als Kritik am intoleranten Menschen an sich, weniger speziell an kapitalistisch-despotischen Menschen gezeigt.

    Stand S. 113, also genau auf der Hälfte (das Vorwort rausgerechnet).


    Es gibt Spannung, inneres Erleben und richtige Action (Flugzeug), insgesamt ist viel los, einige Fäden beginnen sich zusammenzufügen, während neue entstehen.


    Inzwischen bin ich an ihre Symbolik gewöhnt und kann einiges stark Expressionistische mehr genießen als zu Anfang - z.B. Freders irrsinnigen Lauf durch das Schwarze Haus mit all den Blutmetaphern, die ich nicht nur visuell schön finde, sondern auch als gute Beschreibung von einem zu anstregenden Sprint empfinde.

    Kleine - etwas ärgerliche - spekulative Unlogik hier, als Freder die Tür 'verletzt' und das Haus nur schreit, aber ihn nicht angreift. Scheint mir gegen das etablierte Verhalten zu sprechen, weil es vorher alle, die sich bedrohend auch nur näherten, tötete - oder aber das Haus erkennt das 'Gute' in Freder und lässt sich schaden, was mir als Konzept zu kitschig wäre.


    Dann hätte ich fast gedacht, von Harbou habe das Panzerglas erfunden, aber das kommt wohl aus UK, 1914 - wo es zum Schutz der Museumsbilder gegen protestierende Suffragetten erdacht wurde! (So sehr ich die bewundere, einige Aktionen waren ebenso kontraproduktiv wie Ähnliches heute). In Deutschland gab es das erst knapp 10 Jahre nachdem sie Metropolis schrieb.

    Rahmenlose Fenster, die ganz explizit erwähnt werden: Ich hab, obwohl das Schwarze Haus des Magiers aus Stein ist - automatisch an Böhms Rathaus in Bensberg gedacht. Diese Art, Panzerglas einzusetzen war noch Ende der 60er innovativ.


    Toll fand ich auch Freders Traum mit den düsteren, engen Gassen zwischen den Hochhäusern und dieser grünen Glasstraße dazwischen.

    Freder und sein ex-Diener / Kamerad Josaphat (schon wieder ein abrahamischer Name) gehen mir als Figuren ein bissl auf den Keks, weil es deutlich ist, dass ihnen halt so 'hehre' Charaktere verliehen wurden, das ist mir ein bisschen zu dolle (okay, J. macht auch ein paar 'böse' Sachen, aber das wird als nötiges Übel oder Notwehr dargestellt). Dito die lebende Maria, die aber bislang mehr durch Abwesenheit glänzt.


    Joh Fredersen finde ich als Antagonist interessant, weil er recht kühl agiert (also nicht so ein narzisstisch durchgeknallter Maniac, sondern eher ein James Bond Bösewicht, der im kapitalistischen Sinne ökonomisch-rational denkt und vorgeht). Es scheint aber Brüche zu geben.


    Sehr spanned ist Futura, die gläserne Robot-Maria, weil es ganz dezent so aussieht, als könnte sie einen eigenen Antrieb haben - jedenfalls führt sie nicht sklavisch Befehle aus, sondern ist ihrem Schöpfer selbst durchaus ein Rätsel. Das empfinde ich ganz anders als im Film, wo mir die Robot-Maria stark instrumentalisiert in Erinnerung blieb. Die Figurenkonzeption hat auch etwas sehr Unheimliches, weil sie weniger als Roboter, denn als eiskalter, gläserner und semi-magischer Android beschrieben wird.


    Momentan zumindest sehe ich die Figur stärker in der schwarzromantischen Tradition Deutschlands - also näher an Hoffmanns Sandmann (Olimpia), denn an der spekulativen Robotik, die es in der zeitgenössichen SF ja bereits lange gab, mit innovativen Technik-/Weltraumthemen. Zu den Automaten der Romantik bzw. spezielle bei Hoffmann hab ich hier einen interessanten Artikel gefunden, mit einer langen Liste Sekundärliteratur. Ärgerlich, zumal der Autor eine feministische Haltung vorgibt: Erwähnt wird dort bei Metropolis nur Fritz Lang als Erdenker.


    Die Verbindung von Technik und Magie ist super spannend und zieht sich durch verschiedene Motive (Futura und Metropolis selbst, das Schwarze Haus ...).

    Schön auch, dass fast alle SF-Aspekte über die Architektur erzählt werden - sowohl die Stadt als Ganzes wie auch einzelne Aspekte, Beleuchtung ... Also viel weniger über Technik an sich: Autos, Flugzeuge und der Paternoster entsprechen wohl genau denen der 1920er.


    Das Spannungsfeld zwischen (christlicher) Religion und Wissenschaft bzw. fast eher Ökonomie / Industrialisierung ist ganz intererssant. Freder sagt irgendwo um S. 100 herum in etwa: Religionen entstehen durch Angst des Menschen und dann schaffen sie sich Götter, die sie beschützen / beherrschen sollen und in diesem Sinne stünde Joh Fredersen kurz davor, zum Gott zu werden. Man braucht nur auf Pootin (orthodox) und den orangen Burgerking (evangelistisch) zu schauen und erkennt genau das heute im RL.

    Andererseits war ich sicher, dass von Harbou es nicht als Kritik an der Religion so schreib und schaute - weil mir das Buch wirklich sehr gut gefällt und ich keinen Bock auf die befürchtete Enttäuschung hab - auf die letzten beiden Seiten ... Ja, naja.


    Ich hab immer noch die verrücktesten Träume, das ist echt klasse. Heute Nacht gab es eine Art unheimlichen SF-Krimi.

    Du liest also die deutsche Ausgabe?

    Ja, weil ja das Original auch deutsch ist (hab die neue Ausgabe von Dieter von Reeken). Ich denke auch, dass es extrem schwer sein muss, deutschen Expressionismus zu übersetzen, weil der Zeitgeist im z.B. Postviktorianismus anders war als der in der Weimarer Republik, das sind vollkommen andere Formsprachen und Verknüpfungen von Wort und Konzept. Vielleicht schaue ich mir Metropolis aber mal übersetzt an, interessant wäre es.


    Klar können Übersetzungen mal besser als das Original sein: Hallahans Das Stilett vs The Search for John Tully, Suhrkamps Lovecraft-Bände vs die englischen Billigtaschenbücher aus den 80ern und umgekehrt etwas Ironisch-Romantisch-Nichtphantastisches, das ich mal wegen dem sehr guten Audiobuch mit David Tennant & Emilia Fox las: Glattauers Love Virtually / Every Seventh Wave, das im deutschsprachigen Original unsäglich platt und lahm ist.

    Interessant finde ich auch das Nebeneinander von Neuer Turm Babel und dem Dom.

    Man weiß natürlich nicht, ob von Harbou den ausufernden, schwärmerischen Stil selbst mehr mochte oder das für einen Publikumsgeschmack schrieb, aber diese Zwischenszenen, die eher nüchtern eingestreut werden, packen mich echt. Genau dieses Bild mit der Stadt und dem schwarzen Dom darin ist wirklich unglaublich stark. Das sind heute noch ganz frische Bilder.

    Ich wüsste hypothetisch wirklich gern, wie ein dystopischer Horrorroman von ihr geklungen hätte. Eigentlich sind hier schon Bilder, wie sie Jean Ray und später Volodine verwenden.


    Was mir auch gefällt: Das wird nicht alles in gerader Linie erzählt, die Autorin jongliert echt mit einer ganzen Menge Bälle in der Luft und ich hab durchaus den Eindruck, dass sie noch weitere hinzufügen wird. Trotzem wirkt es zumindest momentan nicht zerfranst.