Bram Stoker: Midnight Tales
Hrsg. Peter Haining, Vorwort von Christopher Lee
Peter Owen Modern Classics. London 1990, Paperback reprint von 2001
Illustriert von verschiedenen Künstlern, die jedoch uncredited bleiben, so sich nicht zufällig eine Signatur im Bild finden lässt.
Die Texte wurden "für eine moderne, junge Leserschaft editiert" - was mich ganz außerordentlich wundert.
Das hübsche Bändchen hatte ich im Sommer für € 3,- in einem Antiquariat gekauft und hab wirklich nicht viel erwartet. Allerdings gehört dies zu den fünf schlechtesten Büchern, die ich je gelesen hab und würde mich jemand mit vorgehaltener Waffe zwingen, mich für das übelste zu entscheiden, würde ich nicht zögern, dieses zu nennen.
Stoker schrieb die zwölf kurzen Geschichten - wie wohl auch nahezu alle anderen Erzählungen - während seiner Arbeit als Agent für den Schauspieler Sir Henry Irving vom Jahr 1878 an. Der Start liegt also mindestens 60 Jahre nach der Veröffentlichung von Mary Shelleys Frankenstein, 82 nach Matthew Lewis' The Monk und 13 Jahre nach Lewis Carrolls Alice in Wonderland. Von einem frischen Wind, literarischer Innovation, revolutionären Konzepten oder linguistisch-symbolischen Spielereien ist in Midnight Tales allerdings nichts zu spüren: Stoker schreibt bestenfalls im Stil der (schlechtesten) Georgian Gothic Ende des 17. Jh.: kruder Stil, vorhersehbare Plots, platteste Figuren, noch plattere paranormale Phänomene.
Ich halte mich nicht für besonders anfällig für 'literarische Aufreger', mag ein bissl altmodischen Ian-Fleming-Sexismus auch ganz gerne, weil das nichts mit mir zu tun hat. Aber Stoker schreibt nicht nur mit einem - sorry - Stock im Arsch, sondern schon aus der Haltung eines Incels: unerträglicher Sexismus, Rassismus und Klassismus durchtränken beinahe jede einzelne Zeile, völlig ungebrochen werden hier Helden entworfen, die in ihrer standhaften Ehre bestätigt werden und querbeet auf alles herabsehen, was anders ist: hysterische, irrationale, schwache und ohnmachts-anfällige Frauen, Unterklasse-Schurken (am schlimmsten sind die mit Dialekt!) und natürlich diejenigen verbrecherischen Halbmenschen mit roter (als Referenz in "The Squaw") und schwarzer Haut oder 'yellow faced' (meint: chinesische Piraten). Die (Anti)Helden dürfen dabei auch ruhig mal ein bisschen grob sein und Katzen quälen - auch wenn es dann poetic justice gibt.
Als einzig 'ausländische' Kultur findet das Ägypten der Pharaonenzeit Gnade, was ja zu der Zeit - wie die griechisch/römische Antike - generell durchaus mit Bewunderung angesehen wurde.
Der Stil schwankt zwischen sülzig-verkitschtem Märchenton ("The Spectre of Doom"), Abenteuerklamotte ("The Red Stockade") und ansonsten eben selbst zum Ende des 18. Jh. anachronistischem Horror. Einige Texte sind in einem fürchterlichen Akzent oder Dialekt/Regiolekt verfasst, der wohl die Unterklasse oder eben - selbstverständlich! - die irische Landbevölkerung charaktrisieren soll und der das Lesen wirklich zur absoluten Qual macht, zumal ich den Eindruck habe, Stoker hätte sich die Varianten selbst ausgedacht.
Meine Lowlights:
"But if the crafts [die Segelboote der Piraten] were ugly, the men were worse, for uglier devils I never saw. Swarthy, yellow chaps, some of them, and some with shaven crowns and white eyeballs, and others as black as your shoe, with one or two white men, more shame, among them ..."
Irgendwo wird gesagt, dass 'Frauen ja halt immer irgendjemandem hinterherlaufen' und zu der ärgerlichen Haltung kommt ein unsäglicher Stil, der so ziemlich alle no-gos des Schreibens durchexerziert:
- The reply rang out hurridly; 'No, no! Come away quick - quick! This is no place to stay, and on this of all nights.'
- 'A wolf - and yet not a wolf!' another put in shudderingly.
-'Truly we have earned our thousand marks!' were the ejaculations of a fourth.
--- and so on and so forth. Eine Übung in 'welche Inquitformeln sollte man meiden wie der Teufel das Weihwasser?'.
An moderne Leserschaft angeglichen my arse. (Dazu: Ich bin kein Freund davon, Bücher umzuschreiben, weder unter einer politischen Sensibilität noch aufgrund veränderter Stilpräferenzen).
Stoker mixt wild die Erzählhaltungen und schafft es sogar einmal, seinen Icherzähler mit einem plötzlichen auktorial-allwissenden Anfall während einer Ohnmacht berichten zu lassen, was die Umherstehenden tun und sagen.
Nett am Buch sind die kleinen Intros vor jeder Geschichte, die einen Bogen schlagen zu dem, was Irving und Stoker zu der Zeit erlebten oder was sie interessierte; Lees Vorwort ist ein vergessenswerter erweiterter Werbeslogan und Heinings Editorial wäre spannend, würde mich Stoker jetzt noch interessieren.
Kurz gesagt: Sowas ist einfach unerträglich, ich bin sehr erstaunt, dass der Autor (ebenso wie der genauso spießige und dazu noch homophobe M. R. James, der imA auch nur eine gute Geschichte verfasste) noch nicht in die gescholtene Riege aller J. K. "Transen wollen meine Cervix klauen" Rowling literarischer Unpersonen aufgenommen wurde. Wenn es überhaupt - neben Rowling - jemand verdient hat, ins Scheinwerferlicht des diskriminierenden, abwertenden Schreibens gezerrt zu werden, ist es jedenfalls Stoker. Wäre das Buch selbst nicht so hübsch, würde ich es jetzt in die Tonne kloppen.
Fazit: Jenseits einer Bewertung.