Als phantastischer Abenteuerroman par excellence hat Henry Rider Haggards "Sie" (1886) nicht nur den Abenteuerfilm massiv beeinflusst, sondern gilt auch auch als ein Urahn der heutigen Fantasyliteratur. Gelesen hab ich die Ausgabe aus dem Benu-Verlag, die ein Neudruck von "Die Herrin des Todes. Abenteuerroman aus dem dunkelsten Afrika" in der Übersetzung von Georg Schröder-Stettin darstellt, 1926 erschienen in der Vaterländischen Verlags- und Kunstanstalt Berlin.
Der Klappentext
ZitatDurch die geheimnisvolle Inschrift auf einer alten Scherbe inspiriert begibt sich der junge Leo Vincey zusammen mit seinem väterlichen Freund Horace Holly auf die Suche nach der geheimnisvollen Königin einer längst als untergegangen gewähnten Kultur im Innersten Afrikas. Unwegsames Gelände überquerend dringen sie tief in unerforschte Gebiete ein, müssen schier unvorstellbare Hindernisse überwinden und entkommen mehrere Male mit knapper Not dem Tode. In der verlassenen Totenstadt von Kor, dem Überbleibsel einer Zivilisation, die schon lange vor der Blüte des Alten Ägyptens untergegangen ist, begegnen sie schließlich der ebenso schönen wie grausamen Königin Ayesha, die in Leo Vincey ihren Geliebten aus einem weit zurückliegenden Leben wieder zu erkennen glaubt. Von der schönen »Herrin des Todes« unwiderstehlich angezogen, werden die Helden in ein lebensgefährliches Abenteuer verstrickt.
Der Klappentext gibt genau den Inhalt wieder und weckt Erinnerungen an zahlreiche ähnlich gelagerte Romane und Filme. Das tut aber nicht nur der Klappentext, sondern der gesamte Roman selbst. Ich bin mir sicher, ihn bisher nicht gelesen und auch keine Verfilmung gesehen zu haben, und doch erschien er mir so generisch und dadurch absolut vorhersehbar, dass ich immer wieder die Lektüre verwundert unterbrochen habe. In dieser Hinsicht ist es ein wirklich bemerkenswertes literarisches Kleinod.
Stil und Übersetzung sind ganz ordentlich gealtert und lassen sich flüssig weglesen, wenn man einmal von der sehr theatral und stets etwas pathetisch geratetenen Dialogen absieht. Diese sind aber vielleicht genau der Grund, warum ausgerechnet dieses Buch so häufig verfilmt wurde.
Die Reise nach Afrika und die Begegenungen der Europäer mit gegenwärtigen und schier unsterblichen Einheimischen gerät natürlich eurozentristisch, rassistisch, sexistisch ... Auch deutlicher Antisemitismus findet sich in den Äußerungen verschiedener Figuren. Alle dies ist aber nicht untypisch für die Entstehungszeit und nimmt auch keine überraschenden Ausmaße an. Entsprechend sind natürlich alle einheimischen Wilde, die, sobald die elterlichen Aufpasser einmal nicht vor Ort sind, nach Krieg und Menschenfleisch dürsten. Die Natur wird als durch und durch Fremd beschriebe, die Fauna bis zum Monsterhorror verschkrecklicht. Aber wenn Krokodil und Löwe miteinander um Leben und Tod kämpfen, dann könnten es sch dabei auch genauso gut um T-Rex und Triceratops handeln Deshalb hat es mich auch wenig verwundert, als ich las, dass "Sie" zum "Lost Race"-Genre gezählt wird, eine Begrifflichkeit, die natürlich in Analoge zur "Lost World" gebildet wurde.
Die "verlorene Rasse", auf die die Reisenden im Zentrum dieser Wildnis treffen, besteht hier in einer einzigen Frau, die die Jahtausende überdauert, gewaltsam über die nur noch dahin vegetierenden Stämme gebietet und auf die Wiedergeburt ihres Geliebten wartet. Eben dieses erkennt sie ... oh Wunder! ... in einer der Hauptfiguren wieder. Dummerweise hat sich der neu Angebetete jedoch gerade in einem barbarischem Kussritual verehelicht und dadurch seine große Liebe gefunden. Wie gesagt: Die Handlung ist kein Stück überraschend und folgt den Konventionen zahlreicher Vorbilder. Da darf es nicht einmal daran fehlen, dass der Reisebericht natürlich von einem Herausgeber an die Öffentlichkeit gebracht wird, der für die Wahrheit birgt und dennoch die Sonderbarkeit und Exotik rühmt.
Wie gesagt, das ist alles so generisch, als wollte Haggard den typischsten aller phantastischen Reiseromane schreiben – oder aber, als habe sich ein ganzes (Sub-)Genre daran ausgerichtet. Ob das empfehlenswert ist? Vielleicht für alle, die ein echtes historisches Interesse an der Entwicklung der Phantastischen Literatur haben.
Edit: Tippfehler.