Der Autor und das Buch waren mal kurz Thema hier und ich hatte erwähnt, dass ich vor langem eine Rezi davon geschrieben habe.
Ich glaube Arkham Insider Axel hatte danach gefragt. Leider finde ich das Thema und den betreffenden Post nicht mehr.
Gefunden habe ich aber die Rezi jetzt wieder:
Um an Dunklen Gestaden zu wandern mußt du die Wahrheit hinter dir lassen und eintauchen in eine andere Realität. Du wirst Zeuge, wie Besucher aus anderen Sphären heimkehren und wie der Verfall sich wie ein lebendes Wesen ausbreitet. Du triffst fast vergessene Familienmitglieder wieder und eine Meerjungfrau macht dir ein Geschenk.
Fünf Kurzgeschichten/Novellen von Quentin S. Crisp:
- Cousin X
- Die Meerjungfrau
- Verfall
- Der Einsiedler
- Die Fleischfabrik
Die bevorstehende Ankunft von Cousin X scheint Sashas Eltern in einen verschwörerischen und ratlosen Zustand zu versetzen. Sasha fasst allerdings bald Vertrauen zu dem ruhigen, tagträumerischen Jungen, der seltsam suggestive Fähigkeiten zu haben scheint. Außerdem ist da noch sein Interesse, herauszufinden, "wie die Dinge funktionieren".
Eine ungewöhnlich aufgebaute Geschichte, die ich, zumindest im ersten Teil, fast als literarisches Pendant zu Peter Jacksons Heavenly Creatures bezeichnen möchte. Hier wie dort schaffen sich zwei Kinder/Jugendliche eine Fantasiewelt in der sie unbeschwert ihren Spielen nachgehen können, abgeschottet und geschützt vor den Erwachsenen.
Der zweite Teil der Geschichte - Cousin X und Sasha treffen sich als Erwachsene auf einer Hochzeit wieder - besteht fast ausschließlich aus dem sich entspinnenden Dialog der beiden. Quentin Crisp bereitet damit gekonnt und leise das Feld für den finalen Schrecken.
Zunächst eher durch deren erotische Komponente von Meerjungfrauen fasziniert, erliegt der Protagonist immer mehr deren Mythos und er wird zum besessenen Sammler und Spurensucher. Schließlich findet er eine echte Meerjungfrau am Strand, die er in sein Haus bringt und dort mit ihr in einer geschlechtslosen, "nichtexistenten Kindheitsliebe" lebt. Eines Tages eröffnet ihm Die Meerjungfrau, dass durch ein Ritual "der Schwanz einer Meerjungfrau in menschliche Beine und Sexualorgane umgewandelt werden kann". Obsession und Verlangen gewinnen die Oberhand.
Quentin Crisp lässt sich mit dem Aufbau der Geschichte sehr viel Zeit. Er beschreibt schön die Steigerung der Obsession von unbestimmten voyeuristischen Neigungen über die Liebhaberei von Unterwäsche als Verhüllung der weiblichen Scham ("Ich lernte, dass ich sie um so stimulierender fand, ...wenn ich ganz bewusst vergaß, was dahintersteckte, und sie als echten Teil des weiblichen Körpers betrachtete") hin zu bestimmten Kunstwerken ("Der Künstler hat jedoch keine Behaarung abgebildet und nicht einmal die Andeutung einer weiblichen Scham") und Photographien, die fast zwangsläufig weiter zur Glattheit einer Nixe führen. Dennoch herrscht kein sexuelles Verlangen, als die Meerjungfrau schließlich greifbar ist. Es entwickelt sich ein anfänglich zaghaftes gegenseitiges Unterrichten in Sprache und Lebensart bis die finale Verwandlung der Nixe zur Frau in einem Albtraum endet.
Alle Versuche, den Verfall in dem kürzlich geerbten Haus aufzuhalten sind von Misserfolg gekrönt. Der Verfall kehrt stets nach kurzer Zeit wieder. Erst als der Hausbewohner sich ihm ergibt, wird der Verfall zu seinem Beschützer.
Moder, Schimmel, Verfall und Schmutz wird hier als leibhaftiges Lebewesen dargestellt, dass seinen Platz in dem alten Haus nicht räumen will. Der Hausbewohner wird letztendlich ein Teil des Verfalls.
Begonnen als eher widerwilliger, nachbarschaftlicher Gefallen, wird aus den Einkaufsdiensten für den Einsiedler auf dem Hügel schnell eine Regelmäßigkeit. Neugierig geworden, entdeckt der unfreiwillige Sozialdiener Bücher in einer fremden Schrift im Kühlschrank des Einsiedlers. Beim heimlichen Versuch, die Bücher zu lesen, muss der Eindringling feststellen, dass die Schrift und die Bücher zu leben scheinen und weit mehr beinhalten, als es den Anschein hat. Auch Der Einsiedler selbst ist weit mehr, als der zunächst vermutete verwirrte Exzentriker.
Die Story beginnt sehr stimmungsvoll und vielversprechend. Der Verlauf wird allerdings immer mystischer. Leider erfährt der Leser nichts weiter über die Figuren, so dass diese fremd bleiben und auch kein Identifikationspotenzial besteht.
Echtes Fleisch ist seit dem vernichtenden Krieg schwer zu bekommen. In einem Forschungszentrum, der Fleischfabrik, wird daher an der Entwicklung von künstlichem Fleisch gearbeitet. Tatsächlich gelingt es, sogenanntes Plastifleisch zu züchten. Allerdings entwickelt das Forschungsprodukt ein erschreckendes Eigenleben.
Die Geschichte beginnt recht vielversprechend mit Shauns Arbeitsantritt als Pfleger im Forschungszentrum. Zusammen mit ihm lernt der Leser die Personen und den Zweck der Einrichtung kennen. Leider erweist sich die Story als inkonsequent und, gegen Ende, ermüdend. Die vorgestellten Personen tauchen, bis auf eine halbherzige Ausnahme, nicht wieder auf und auch einige weitere Möglichkeiten der Geschichte versanden leider. Insgesamt eine Story, die Clive Barker-Fans ansprechen dürfte.
In den Geschichten herrscht stets eine unscharfe Zwielichtstimmung. Man bewegt sich als Leser eher in einem Fantasiereich, in das Eindrücke aus der real existierende Welt eingeflochten sind, als umgekehrt. Ausnahme ist Die Fleischfabrik. Diese Story wirkt kühler und realer.
Bei den Hauptpersonen handelt es sich stets um Einzelgänger, mit nur geringem, wenn nicht verächtlichem Interesse an ihren Mitmenschen und der Außenwelt.
Wie seine Figuren geringschätzig auf ihre Umwelt blicken, verweigert sich Quentin Crisp - Absicht oder nicht - gängigen Erzählmustern. Die einsamen Figuren seiner Geschichten werden nicht unbedingt als Sympathieträger dargestellt. Dem Leser fällt es schwer, eine Beziehung zu den Personen aufzubauen. Teilweise werden eingeführte Personen einfach nicht weiter erwähnt. Auch die mitunter anfänglich eingeschlagene Richtung der Geschichten weist oftmals in die Irre, siehe Der Einsiedler die wie eine Gespenstergeschichte wie The Fog-Nebel des Grauens beginnt und zu einem Besucher aus einer fremden Welt führt.
Die Erwartungen, die der gute und gewissenhafte Storyaufbau von Cousin X und Die Meerjungfrau (als die beiden besten Geschichten hier) weckt, werden leider nicht ganz erfüllt. Das Ende ist in beiden Fällen zu platt und beliebig. Verfall verstehe ich als interessante Stilübung. Der Einsiedler erweist sich nach anfänglicher Spannung als zu konfus und ohne befriedigendes Ende. Die Fleischfabrik halte ich für unausgereift. Eine gründliche Überarbeitung täte der Geschichte gut. Schade um die gute Prämisse.
Der Titel der Sammlung geht auf eine Zeile aus Poes The Raven zurück. Aus "Night's Plutonian Shore" wurde in der Übersetzung nicht "Plutos nächt‘ge Sphär" sondern "Dunkle Gestade" was ja auch die Stimmung sehr gut trifft. Der Untertitel Aufgesang lässt vermuten, dass hier noch etwas zu erwarten ist. Angekündigt ist offiziell allerdings noch nichts.
Bei den meisten der Geschichten handelt es sich um frühe Werke von Quentin Crisp. Die Fleischfabrik (original: The Meat Factory) ist sogar eine Welterstveröffentlichung. Das vom Verlag angekündigte Vorwort von Mark Samuels ist nicht enthalten und leider fehlen auch Angaben zum Übersetzer und die Originaltitel und Ersterscheinungsinfos der Geschichten.
Ansonsten ist dem Blitz-Verlag mal wieder eine (in diesem Preissegment) mustergültige Veröffentlichung gelungen, die das erste hellere Licht auf ein neues Talent unter den Phantastikautoren wirft. Man darf gespannt sein auf weitere, reifere Werke von Quentin S. Crisp.
Das stimmige Covermotiv und die passenden Innenillustrationen zu jeder Geschichte stammen vom großartigen Mark Freier, der bisher alle Bände der Reihe illustriert hat.
Fazit: Qualitativ eher heterogene Sammlung von Frühwerken.