Jóhann Jóhannsson: Last and First Men
Island 2020
Format: 16 mm Film, s/w. 70 Min.
Musik: Jóhann Jóhannsson & Yair Elazar Glotman, Voiceover: Tilda Swinton
Text: W. Olaf Stapledons gleichnamiger SF-Roman, UK 1930. (Dt. Die letzten und die ersten Menschen, Heyne 1983)
Drehorte: Kroatien, Bosnien & Herzegowina, Serbien, Montenegro (Liste der einzelnen Standorte hier)
Featurette (mit Yair Elazar Glotman)
Last and First Men ist der einzige Film des Komponisten und Musikers Jóhann Jóhannsson (1969-2018) und hatte 2020 posthum auf der Berlinale Premiere. Jóhannsson wurde vor allem durch seine Soundtracks für Denis Villeneuve bekannt: Prisoners, Sicario und bes. Arrival; veröffentlichte aber auch eigene Alben.
Obwohl es eine Romanverfilmung ist, gibt es keine Spielfilmszenen und keine Protagonisten, wiedergegeben wird der als Nachricht aus der Zukunft konstruierte Text als eingesprochene Lesung; gezeigt werden Monumente und Brutalist Architecture aus dem ehemaligen Jugoslawien. Obwohl die Formate -16 mm / Schwarzweiß vs 35 mm Farbe - unterschiedlich sind, erinnern mich die Ausschnitte sehr stark an Heinz Emigholz' wunderbare Architektur-Dokumentation Goff in der Wüste (DE 2003, 110', eine Sequenz von langen Festeinstellungen ohne Musik oder Voiceover).
Der Roman gilt als das SF-Werk mit der ambitioniertesten Zukunftsprojektion, er erzählt mit der Stimme der letzten humanoiden Spezies zwei Millionen Jahre nach heutiger Zeit. Eine Sprachnachricht erreicht die heutigen Menschen aus der Zukunft, beeinhaltet Prophezeiungen und Aufforderung zu gegenseitiger Hilfe - möglicherweise ähnlich Cixin Lius Prämisse in The Dark Forest / The Three-Body Problem. Stapledons Roman ist ebenfalls eine Trilogie, es folgten The Last Man in London (1932) und Star Maker (1937), vor allem das mittlere Werk hat autobiografische Referenzen zu Stapledons philosophischen Anschauungen, Pazifismus und Moral; während der dritte - eher lose verbundene - Roman sogar die Historie des gesamten Universums erzählen will.
In Last and First Men werden Genexperimente und ein - allerdings biologisches, nicht artifizielles - Superhirn antizipiert. Es werden 18 verschiedene humanoide und 3 weitere sub-humanoide Spezies (nicht als 'Untermenschen' zu sehen, sondern als Mensch-Tier bzw. Mensch-Fisch Crossover / Untergruppen) beschrieben, die teils zivilisierter und teils 'barbarischer' als heutige Menschen leben, sodass ein Wechsel von Fortschritten und Rückschritten verzeichnet wird.
Auch, wenn er nicht angab, ob der Roman sein eigenes Schaffen beeinflusste, begeisterte sich Lovecraft dafür und empfahl ihn mit größtem Nachdruck weiter (z.B. an Fritz Leiber). Brian Aldiss, wegen seiner spezieistischen Haltung und non-humanoiden Erzählperspektiven einer meiner SF-Lieblingsautoren (u.a. Hothouse), gibt an, von Stapledon beeinflusst zu sein.
In diesem Kontext ist es mehr als konsequent, wenn Jóhannsson keine Menschen agieren lässt, sondern dem Autoren folgt, dessen Roman als 'future history' - nicht direkt als Science Fiction - bezeichnet wird. Die Aufahmen wirken wie reine Dokumentation, wobei es unklar ist, ob man Historie oder Zukunft, die menschliche Kultur oder Alien-Zivilisationen betrachtet. Brutalist Architecture mag als Idee aus dem Bauhaus hervorgegangen sein, dessen Grundkonzept extremer Pragmatismus und Komfort sein sollte, aber später in beinahe menschenverachtenden Selbstzweck ausartete: Dies ist ebenso ein Merkmal des Brutalismus, der Lebewesen seiner monumentalen Gewalt unterwirft bzw. den Geist der Diktatur verkörpert.
Der Soundtrack vermittelt gleichzeitig SF Genre wie auch düster-meditatives Ambient und erreicht - soweit ich das von Ausschnitten sagen kann - ein perfektes Zusammenspiel von Ton (Musik + Stimme) und Bild.
Obwohl es mit keinem der Formate / Werke dieses Fadens direkt zu tun hat, sind die drei Photoserien von Darbian's / Urbex hier einen Blick wert: ebenfalls abandoned Brutalism, teils mit SF-Bezug, aus dem Balkan. Unter einer dystopischen Prämisse gibt es eben auch Gebäude diesen Stils, die einfach wunderschön sind, und - auch in Deutschland - gibt es Initiativen zur Erhaltung.
Standphotos, Albumcover: