Bear Pirate Viking Queen
Text: Jean Lewis
Zeichnungen und Schriften: Jonathan Marks Barravecchia (-> Homepage)
Idee / Konzeption: Lewis & Barravecchia
Image Comics, Portland, USA 2024
Band 1-3 (jedes ca. 50-70 Seiten), im August erscheint ein Softcover-Sammelband.
Ausführliche, begeisterte Rezension Band 1 und Band 2 auf monkeysfightingrobots.com.
Image Comics erweist sich wirklich als Fundgrube für innovative Graphic Novels, und nach Robinsons Junk Rabbit hab ich mir den ersten Band dieser Mini-Serie vorgenommen. Soweit bin ich absolut begeistert: Sämtliche Zeichnungen sind Aquarelle, also handgemacht - man sieht sogar wunderbar das raue Aquarellpaper im Druck. Die Story ist total verrückt, die Sprache teils dreckig, teils poetisch (Icherzähler Pirat). Es gibt sehr ruhige, dramatisch-melancholische Bilder und andererseits schön gezeichnete Gewaltszenen, die durchaus deftig sind. Dabei auch tolle, dynamische Verwendung von negative space, wo also das Papier weiß gelassen wird.
Obwohl die Begriffe im Titel ohne Komma geschrieben sind und sich auf eine Figur beziehen könnten, sind es wie bei Le Carrés ebenfalls Komma-losen Tinker Tailor Soldier Spy (Dt. Dame, König, As, Spion) vier verschiedene Protagonisten.
Band 1 (Umfang 53 Seiten)
Irgendwann im 18. Jahrhundert, britische Kolonialzeit: Reddish ist Captain in der Royal Navy und geht im Intro erst mal über Bord. Als er in die Tiefe sinkt, hat er eine Art Nahtoderlebnis, wobei ihm ein Bär erscheint, die beiden kämpfen und der Kapitän gewinnt. Nach seiner paranormalen Rettung verdingt sich der ehemals königliche Marinesoldat als Pirat, wobei der Bär ihn wie ein spiritueller Begleiter / Totemtier begleitet. Allerdings sind die beiden oft radikal anderer Meinung und der Bär zudem hochaggressiv. Hier folgt die Erzählung den Mythen der Nordischen und Sibirischen Kulturen (v.a. Finnland & Karelien), die den Bären als höchsten Gott und Schöpfer/Vater der Menschen ansahen bzw. ansehen.
Captain Reddish - der Icherzähler - ist ein extrem unangenehmer Mensch, imA ohne positiv-ambivalente Züge: ehrlos, unnötig brutal, er sieht auf seine Crew herab und ist auch noch feige: flieht durchaus allein, anstatt sich mit dem Rest der Männer den Gefahren zu stellen.
Nach Raubfahrt gegen zwei Schiffe seiner ehemals eigenen Marine befiehlt er, das Piratenschiff in einen Sturm zu steuern, und dort auf der wild-schwarzen See treffen sie auf einen kleinen Schoner, der ein Viking-Drachenschiff im Schlepp hat. Von dem bizarren Bild und der Furcht seiner Männer unbeeindruckt, befiehlt Reddish, den Schoner zu plündern, seine Mannschaft (darunter auch die Kapitänsfrau und zwei Kinder) zu töten und das Schiff zu versenken. Das Tau, mit dem die Piraten den Draken an ihrem Mast festgemacht hatten, durchschlägt er entgegen der Warnung des Bären, und das Vikingschiff treibt davon in die Dunkelheit.
Nun haben die Piraten allerdings ein Problem: Der Geist eines Wikingerkriegers ist bei ihnen an Bord - mal in Form eines weißen Schemens (er wird mit Eis / Frost verbunden), mal als schattenschwarzes Monster und mal als physischer Körper eines Mannes. Obwohl Reddish versucht zu fliehen, spießt der gestaltwandelnde Wikinger ihn mit (s)einem Hirschgeweih auf. Der Captain geht ein zweites Mal über Bord, stirbt dieses Mal aber.
Bär und Berserker (was ja wunderbar passt, denn Berserker sollen in Wolf- wie auch Bärenform gekämpft haben) segeln mit der Crew das Schiff auf Großbritannien zu, wo der Wikinger - historisch gesehen - noch eine Rechnung offen hat.
Dieser Epochenmix hat mir unglaublich gut gefallen, eine grandiose, verrückte Idee und auch ganz dezidiert paranormal. Ein character death - zudem noch der eines Icherzählers - kam unerwartet, war mir aber nur recht: Diesem Typen so durch drei Bände zu folgen, puh. That said: Als Antiheld funktioniert er schon super, ich fands mutig, so eine Figur - ohne Korrektiv, ohne positiven Gegenpol - ins Zentrum zu stellen, ihn die Geschichte tragen zu lassen.
Als roter Faden durchziehen Themen um Kolonisierung, Eroberung und Plünderung die Geschichte, eben mittels der beiden Epochen / Machtzentren historisch gegengespiegelt.
Hoffe sehr, dass mein Comichändler den Sammelband anbieten wird, das ist mal wirklich eine frische, absolut toll gezeichnete und liebevoll mit unterschiedlichen Schriftbildern erzählte Reihe. Speziell begeistert bin ich auch von den liebevoll im Detail - und dabei mit ausgesprochener Verständigkeit der Funktionen von Rigg und Segeln - gezeichneten verschiedenen Schiffstypen.