Restore Point (2023) - SF-Thriller 'Blade Runner meets Frankenstein'

  • Eröffne mal einen extra Faden und ziehe ein paar Infos aus meinem Post #33 bei Night Visions Helsinki Horror Film Festival raus.



    "Ich habe die Zukunft des SF-Films gesehen und ihr Name ist Restore Point!", würde ich überall verlauten lassen, wäre ich ein berühmter Genre-Bestsellerautor. Aber genau das dachte ich wirklich, als die Credits liefen und das Licht im Kino anging.

    Fast zwei Stunden perfekten Kinos, mit tollen Bildern / Settings / Effekten, Pacing und einem Drehbuch, das wirklich intelligente Dialoge liefert, seine Hinweise streut und wieder Twists bringt, die einen das Foreshadowing vergessen lassen, zudem werden immer wieder kleine Hinweise und Fäden aufgenommen und sämtlich auch gelöst. Andererseits ist der Plot auch nicht angestrengt kryptisch oder krampfhaft 'überschlau'. Alles entwickelt sich ganz unangestrengt und organisch.


    Das Hauptthema (Plot s.u.) ist schlicht, aber sehr effektiv: Im Jahr 2044 können Menschen ihr Gedächtnis elektronisch speichern und - sollten sie eines unnatürlichen Todes sterben - bei einer Wiedererweckung 'upgedated' werden. Drehbuchautor Hloz setzt ein paar sehr schlaue Grenzen (z.B. ein Gesetz, das Wiederbelebung nur erlaubt, wenn die letzte Speicherung 48 Stunden her ist) und viele andere kleine Details, die Spannung reinbringen. Dabei gibt es sowohl als explizit verwendeten Begriff wie auch visuelle Referenzen einige Rückbezüge auf Frankenstein. Auch scheut sich der Film nicht vor einigen on-screen Headshots und wohldosiertem Blutvergießen.

    Einer der Spannungspunkte ist dabei, was einen Menschen ausmacht: Sein Körper oder seine Erinnerung. Lässt an Derrida denken, der genau dasselbe diskutierte (-> Mit jedem Mensch werden seine Erinnerungen ausgelöscht und daher stirbt mit jedem Menschen eine gesamte Welt.)


    Das visual design ist ganz wunderbar, es ist an den passenden Stellen hochtechnisiert (auch glaubhaft funktionierend / designt aussehend) und an anderen rural oder low tech. Es gibt eine Menge tolle spekulative Architektur (teils weitergedacht postmodern, teils neobrutalistisch) und sogar die obligatorische Schwarzmarktszene ist frisch und individuell. Auf Facebook sind einige schöne kurze Videos zu den Renderings / CGI-Designs.


    Ja, es gibt extrem auffällige visuelle Ähnlichkeiten zu Titane (v.a. über die Hauptfigur, auch einige Frames), wie ich im NV-Faden via Screenshots gegenübergestellt hab). Restore Point war aber vom Drehbuchschreiben an sieben Jahre in Arbeit, sodass zumindest die Figur nicht an den französischen Film angelehnt gewesen sein kann. Und da die Filme generell sehr unterschiedlich sind, ist das imA verzeihlich.


    Robert Hloz - ein junger, extrem engagierter und sympathischer Mensch - war heute beim Festival zu Gast. Er erzählte, dass er viele Szenen selbst drehte, damit der Großteil des Budgets (€ 2 Mill.) an den richtigen Stellen eingesetzt werden konnte: Weltenbau/Setting und die Technik dort. Keine Ahnung, wann ich - außer dem Albtraum Dune - das letzte Mal einen SF-Film aus den USA sah, aber mir sind schon die Trailer zu viel, mit einem CGI-Overkill, dümmsten Plots und platten Sprüchen sowie schnarchigen Schablonenfiguren, die schnarchige Schablonensachen machen.

    Hier ist das vollkommen anders: es ergibt sich eine gut/böse-Aufteilung, aber bis dahin nimmt der Plot (und die Figurenentwicklungen) viele Wendungen, die zumindest ich so gut wie nie vorausgesehen habe. Es wird andererseits aber auch nix 'aus dem Ärmel' gezogen, alles bleibt nachvollziehbar und es gibt viele Grauzonen und Ambivalenzen. Zudem wie gesagt in einem absolut perfekten Pacing von der ersten zur letzten Minute, es gibt keine lange Exposition und alle Backstories werden in laufende Handlung eingeflochten.


    Das ist also eine richtig fette Empfehlung. Ich hoffe sehr, dass dieser Film Schule machen wird (er scheint international ein ziemliches Furore zu machen, auch ist evt. eine Spin-Off TV-Serie geplant), denn das ist imA europäisches Kino at its best. Und immer noch spannende Action/Unterhaltung, kein unbedingtes Arthouse.


    Bod obnovy / Restore Point

    Tschechische Republik, Polen, Slowakei, Serbien 2023

    Drehbuch: Robert Hloz, Tomislav Čečka, Zdeněk Jecelín

    Regie: Robert Hloz

    Mit: Andrea Mohylová, Matěj Hádek, Václav Neužil, Milan Ondrík, Karel Dobrý, Agáta Kryštůfková

    Länge: 111'

    Internationaler Verleih (auch für deutschsprachige Länder): XYZ Films

    In DE: Wird oder wurde (?) wohl auf dem Fantasy Film Fest 2023 gezeigt.


    Trailer (OV mit Engl. UT)


    Plot:

    Prag im Jahr 2041. Die Menschen haben ein verfassungsmäßiges Recht auf eine vollständige Lebenszeit. Wenn jemand eines unnatürlichen Todes stirbt, wird er durch die innovative Technologie von Restore Point wiederbelebt, vorausgesetzt, die Person hat alle 48 Stunden routinemäßig eine Sicherungskopie ihrer Gehirndaten erstellt. Die Einrichtung wird vom Institute of Restoration betrieben. Die junge Detektivin Emma Trochinowska, alias Em, eine aufstrebende Polizeikoryphäe, ist einer Terrorgruppe namens 'River of Life / Fluss des Lebens' auf der Spur, die sich gegen die 'unnatürliche' Wiederbelebungstechnologie stellt und Bombenanschläge auf Zivilisten verübt.

    Als der Wissenschaftler, der die Wiederbelebungstechnologie entwickelt hat, David Kurlstat, und seine Frau ermordet werden, ist Em verwundert, dass ausgerechnet er keinen gültigen Restore Point eingerichtet hatte, mit dem er wiederbelebt werden könnte. Der Fall erreicht bald die höchste Politik.

  • Apropos Frankenstein ...

    In Sitges lief dieses Jahr BIRTH/REBIRTH, der das Thema wohl auch recht originell aufgreift.


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  • In Sitges lief dieses Jahr BIRTH/REBIRTH, der das Thema wohl auch recht originell aufgreift.

    Lieber Elmar - herzlichen Dank für den Tipp. Hoffe, das klingt nicht unfreundlich, aber dem "recht originell" kann ich mich nicht anschließen. Es ist der älteste Hut überhaupt, die Themen 'Kind/Geburt/Kindestod' mit Frauen in Verbindung zu bringen. Mary Shelleys feministischer Verdienst und Innovation war es ja gerade, in einer Zeit, in der diese Verbindung extrem stark betont wurde, das Thema 'parental abandonment' eben nicht über Mutter/Kind, sondern Vater/Sohn zu erzählen. Shelley würde das sicher nicht gutheißen, sie rotiert bestimmt im Grab. Das Thema hat ja mit ihrer eigenen Biografie zu tun, und da hat sie eine beneidenswerte Abstraktionsleistung geschafft.


    Es wird eben nicht alles innovativer, wenn man schon wieder programmatisch alle Rollen politisch 'gegendreht'. Dabei hätte man daraus etwas wirklich Spannendes, Aktuelles machen können: Familien, die von Vätern verlassen werden ist seit Jahrzehnten ein starkes Tabuthema bzw. feministisches Thema innerhalb der Black Community.


    Der Film mag übrigens von verschiedenen, recht aktuellen Fällen in Großbritannien inspiriert worden sein. Dort gab es einige Gerichtsstreits, wobei Eltern sich weigerten, die lebenserhaltenden Maschinen ihrer hirntoten oder anders im Sterben begriffenen Kinder abschalten zu lassen. Der letzte und in der Presse am breitesten diskutierte Fall war der um Indi Gregon, es gab aber auch Fälle mit älteren Kindern, die wesentlich länger künstlich am Leben erhalten wurden.


    In Birth/Rebirth sieht mir das aus wie die üblichen Zombie-Monster (vielleicht mit einem Schuss Besessenheits-Optik), in Restore Point ist der Punkt, dass 'verfrühter' Tod etwas Neues, Ungewöhnliches ist und dass die Wiedererweckten eben nicht die Anderen sind, sondern vollkommen normale Leute wie du und ich.

    Uiuiui, der hat aber nen eigenen Tread verdient

    :thumbup:

  • Ich hab kein Netflix und weiß daher nicht, ob das Programm überregional dasselbe ist, aber auf der FB-Seite des Films wird gesagt, dass Bod obnovy / Restore Point nun auf Netflix zu sehen ist. Ich nehme stark an, das bedeutet Original mit engl. UT wie auch im Kino gezeigt.


    Vielleicht hat ja jemand Lust, es zu probieren ...

  • Cool, vielen lieben Dank für die Info, Elmar! Das ist ja super, dann bekommt der endlich - zumindest potenziell - ein breiteres Publikum.


    Grad zwei Tage bevor das Filmteam das mit Netflix ankündigte, lehnte das Science Fiction Jahr meinen Vorschlag ab, den Film zu besprechen und ein Interview zu führen - mit der Begründung, man habe davon nie gehört und hätte nix gefunden, wo der zugänglich sei (naja, DVD/BluRay ...). Abgesehen davon, dass ich dachte, man wolle dort nicht Blockbustern hinterherhecheln, sondern auch Innovationen aufgreifen, hatte ich da wohl ein unglückliches Timing.


    Egal, ich wäre aber immer noch sehr gespannt, wie er anderen hier gefällt. Ich hoffe ja wirklich sehr, es gibt den irgendwann wo zu streamen / als VoD, hab keinen Player mehr und will auch nicht noch mehr Plastik/Scheiben in der Bude haben.

  • Hab diesen Film letztes Jahr am NIFFF in Neuchatel gesehen. Echt empfehlenswert, allerdings ist er wesentlich ruhiger als der genannte Blade Runner. Auch ist die präsentierte Welt deutlich näher an der Realität als in Ridley Scotts Meisterwerk.

    Muss ich mir auf jeden Fall auf Disc besorgen.



  • STORY

    Im Jahr 2041 hat jeder Mensch im falle eines unnatürlichen Todes das Recht, wiederbelebt zu werden. Dafür muss von Zeit zu Zeit eine Speicherung der Gehirndaten auf einem mobilen Gerät erfolgen. Alle 48 Stunden muss eins solches Hirn-Backup durchgeführt, da bei einer Wiederbelebung mit älteren Backups gesundheitliche Nebenwirkungen auftreten.

    In Prag bekommt die Polizistin Emma „Em“ Trochinowska (Andrea Mohylová) einen neuen, brisanten Fall zugewiesen. Ausgerechnet David Kurlstat, der Forschungsleiter in Sachen Wiederherstellungstechnologie, und dessen Ehefrau sind ermordet worden. Merkwürdig ist, dass beide kein verwendbares Hirn-Backup gespeichert haben. Schnell fällt der Verdacht auf die Gruppe „River of Life“, die offen gegen die Wiederherstellungstechnologie vorgeht. Als jedoch David Kurlstat plötzlich lebendig vor ihr steht, muss die Ermittlerin erkennen, dass der Fall komplexer ist, als zunächst vermutet.


    MEINUNG

    Mit „Restore Point“ hat Plaion Pictures wieder einen europäischen Volltreffer im Programm, der bereits auf mehreren Festivals mit Preisen ausgezeichnet wurde. Die osteuropäische Ko-Produktion kann es nicht nur aufgrund ihrer visuellen Stärken mit so manchem Hollywood-Streifen mühelos mithalten.


    Geboten bekommt man einen Krimi, der nicht nur im SF-Gewand spielt, sondern auch eine spekulative Technologie nutzt, die einen entscheidende Anteil an der Geschichte hat. Ähnlich wie die Precrime-Verbrechensverhütungstechnologie in „Minority Report“ klingt die Möglichkeit der Wiederbelebung zunächst perfekt, offenbart jedoch auf den zweiten Blick Lücken, die für unlautere Zwecke ausgenutzt werden können. Zum Beispiel gibt es einen „blinden“ Zeitraum zwischen dem Restore Point und der tatsächlichen Backup-Einspielung. Eine Idee, mit der noch viel mehr hätte gespielt werden können.

    Das Noir-Feeling von „Restore Point“ trägt zu dem oft gezogenen Vergleich mit „Blade Runner“ bei. Wie Deckard ist auch Em, die Hauptfigur des Films, eine Einzelgängerin, die immer tiefer in ihren Fall hineingezogen wird. Mehrmals muss Sie sich fragen, wem sie vertrauen kann. Jeder Ermittlungsschritt wirft neue Fragen auf und Em ist immer wieder gezwungen, ihre bisherigen Grundsätze zu überdenken.


    Auch optisch überzeugt „Restore Point“ auf ganzer Linie. Zwar spielen einige Szenen in Wäldern oder abgelegenen Häuser, doch wenn die Handlung in die Stadt (Prag) geht, ist die dargestellte Zukunfts-Architektur – außen wie innen – unfassbar spektakulär.


    Insgesamt erweist sich „Restore Point“ als bemerkenswert stimmiges Gesamtpaket, das man aufgrund seiner visuellen Qualitäten auf der großen Leinwand sehen sollte. Die Krimi-Handlung ist überraschend bodenständig, inklusive einiger überraschender Wendungen, und die Science-Fiction-Elemente sind geschickt in die Geschichte eingewoben, ohne zum reinen Selbstzweck zu werden.

  • HarryW und Elmar Ach, freut mich riesig, dass euch der Film auch so gut gefallen hat.


    Und Elmar, unsere Eindrücke decken sich ja wirklich bis ins Detail, das finde ich auch super schön (auch, wenn andere Standpunkte natürlich auch immer spannend sind!). [Cof] <3


    Hoffe sehr, er bekommt mit Netflix noch mal ein paar Zuschauer mehr, auch wenn ihm selbstverständlich die große Leinwand besser steht.

  • Shadowman Oh, ich hatte die Info auf der offiziellen FB-Seite des Films gesehen und nicht nur Elmar hier, sondern auch andere sagten ja, dass es quasi ein Programm weltweit sein müsste. Ich hab keine Bezahldienste, und bei Netflix kann man leider nix suchen, ohne Kunde zu sein - vielleicht kann jemand mit einem Account helfen?


    p.s. Hast du es auch unter dem Originaltitel versucht? Der läuft wohl öfter ganz selbstbewusst unter Bod obnovy, auch international.

  • Hab beide Titel gesucht, leider nichts gefunden.

    Vielleicht ist das Angebot auch wieder entfernt worden, Filme und Serien kommen und gehen bei Netflix manchmal recht fix...