Eröffne mal einen extra Faden und ziehe ein paar Infos aus meinem Post #33 bei Night Visions Helsinki Horror Film Festival raus.
"Ich habe die Zukunft des SF-Films gesehen und ihr Name ist Restore Point!", würde ich überall verlauten lassen, wäre ich ein berühmter Genre-Bestsellerautor. Aber genau das dachte ich wirklich, als die Credits liefen und das Licht im Kino anging.
Fast zwei Stunden perfekten Kinos, mit tollen Bildern / Settings / Effekten, Pacing und einem Drehbuch, das wirklich intelligente Dialoge liefert, seine Hinweise streut und wieder Twists bringt, die einen das Foreshadowing vergessen lassen, zudem werden immer wieder kleine Hinweise und Fäden aufgenommen und sämtlich auch gelöst. Andererseits ist der Plot auch nicht angestrengt kryptisch oder krampfhaft 'überschlau'. Alles entwickelt sich ganz unangestrengt und organisch.
Das Hauptthema (Plot s.u.) ist schlicht, aber sehr effektiv: Im Jahr 2044 können Menschen ihr Gedächtnis elektronisch speichern und - sollten sie eines unnatürlichen Todes sterben - bei einer Wiedererweckung 'upgedated' werden. Drehbuchautor Hloz setzt ein paar sehr schlaue Grenzen (z.B. ein Gesetz, das Wiederbelebung nur erlaubt, wenn die letzte Speicherung 48 Stunden her ist) und viele andere kleine Details, die Spannung reinbringen. Dabei gibt es sowohl als explizit verwendeten Begriff wie auch visuelle Referenzen einige Rückbezüge auf Frankenstein. Auch scheut sich der Film nicht vor einigen on-screen Headshots und wohldosiertem Blutvergießen.
Einer der Spannungspunkte ist dabei, was einen Menschen ausmacht: Sein Körper oder seine Erinnerung. Lässt an Derrida denken, der genau dasselbe diskutierte (-> Mit jedem Mensch werden seine Erinnerungen ausgelöscht und daher stirbt mit jedem Menschen eine gesamte Welt.)
Das visual design ist ganz wunderbar, es ist an den passenden Stellen hochtechnisiert (auch glaubhaft funktionierend / designt aussehend) und an anderen rural oder low tech. Es gibt eine Menge tolle spekulative Architektur (teils weitergedacht postmodern, teils neobrutalistisch) und sogar die obligatorische Schwarzmarktszene ist frisch und individuell. Auf Facebook sind einige schöne kurze Videos zu den Renderings / CGI-Designs.
Ja, es gibt extrem auffällige visuelle Ähnlichkeiten zu Titane (v.a. über die Hauptfigur, auch einige Frames), wie ich im NV-Faden via Screenshots gegenübergestellt hab). Restore Point war aber vom Drehbuchschreiben an sieben Jahre in Arbeit, sodass zumindest die Figur nicht an den französischen Film angelehnt gewesen sein kann. Und da die Filme generell sehr unterschiedlich sind, ist das imA verzeihlich.
Robert Hloz - ein junger, extrem engagierter und sympathischer Mensch - war heute beim Festival zu Gast. Er erzählte, dass er viele Szenen selbst drehte, damit der Großteil des Budgets (€ 2 Mill.) an den richtigen Stellen eingesetzt werden konnte: Weltenbau/Setting und die Technik dort. Keine Ahnung, wann ich - außer dem Albtraum Dune - das letzte Mal einen SF-Film aus den USA sah, aber mir sind schon die Trailer zu viel, mit einem CGI-Overkill, dümmsten Plots und platten Sprüchen sowie schnarchigen Schablonenfiguren, die schnarchige Schablonensachen machen.
Hier ist das vollkommen anders: es ergibt sich eine gut/böse-Aufteilung, aber bis dahin nimmt der Plot (und die Figurenentwicklungen) viele Wendungen, die zumindest ich so gut wie nie vorausgesehen habe. Es wird andererseits aber auch nix 'aus dem Ärmel' gezogen, alles bleibt nachvollziehbar und es gibt viele Grauzonen und Ambivalenzen. Zudem wie gesagt in einem absolut perfekten Pacing von der ersten zur letzten Minute, es gibt keine lange Exposition und alle Backstories werden in laufende Handlung eingeflochten.
Das ist also eine richtig fette Empfehlung. Ich hoffe sehr, dass dieser Film Schule machen wird (er scheint international ein ziemliches Furore zu machen, auch ist evt. eine Spin-Off TV-Serie geplant), denn das ist imA europäisches Kino at its best. Und immer noch spannende Action/Unterhaltung, kein unbedingtes Arthouse.
Bod obnovy / Restore Point
Tschechische Republik, Polen, Slowakei, Serbien 2023
Drehbuch: Robert Hloz, Tomislav Čečka, Zdeněk Jecelín
Regie: Robert Hloz
Mit: Andrea Mohylová, Matěj Hádek, Václav Neužil, Milan Ondrík, Karel Dobrý, Agáta Kryštůfková
Länge: 111'
Internationaler Verleih (auch für deutschsprachige Länder): XYZ Films
In DE: Wird oder wurde (?) wohl auf dem Fantasy Film Fest 2023 gezeigt.
Trailer (OV mit Engl. UT)
Plot:
Prag im Jahr 2041. Die Menschen haben ein verfassungsmäßiges Recht auf eine vollständige Lebenszeit. Wenn jemand eines unnatürlichen Todes stirbt, wird er durch die innovative Technologie von Restore Point wiederbelebt, vorausgesetzt, die Person hat alle 48 Stunden routinemäßig eine Sicherungskopie ihrer Gehirndaten erstellt. Die Einrichtung wird vom Institute of Restoration betrieben. Die junge Detektivin Emma Trochinowska, alias Em, eine aufstrebende Polizeikoryphäe, ist einer Terrorgruppe namens 'River of Life / Fluss des Lebens' auf der Spur, die sich gegen die 'unnatürliche' Wiederbelebungstechnologie stellt und Bombenanschläge auf Zivilisten verübt.
Als der Wissenschaftler, der die Wiederbelebungstechnologie entwickelt hat, David Kurlstat, und seine Frau ermordet werden, ist Em verwundert, dass ausgerechnet er keinen gültigen Restore Point eingerichtet hatte, mit dem er wiederbelebt werden könnte. Der Fall erreicht bald die höchste Politik.