William Hope Hodgson: Das Nachtland (The Nightland)
Broschur, 416 Seiten. Ins Deutsche übertragen von Annette von Charpentier
Bastei-Verlag/Science Fiction Special. Bergisch Gladbach 1982
ZitatUnd einmal hörte ich fern in der Nacht einen Schrei, so dass mir klar wurde, in diesem Land waren Monster unterwegs und wanderten durch die Dunkelheit.
Inhalt
In einer fernen Zukunft ist die Sonne erloschen. Die letzten Menschen haben sich in einer gigantischen Metallpyramide verschanzt. Dort lässt es sich leben: Energie für Technik, Infrastruktur und Landwirtschaft liefert eine nutzbar gemachte Erdströmung. Diese Super-Power zieht auch einen Schutzkreis um die Pyramide, denn das Nachtland wird bevölkert von Monstern und psychischen Mächten, welche die Menschen vernichten wollen.
Erzähler und Held der Geschichte ist ein junger Mann, der eines Tages einen telepathischen Hilferuf aus weiter Ferne vernimmt. Er stammt von einem Mädchen namens Naani, das zu der Einwohnerschaft einer weiteren Pyramide gehört. Der Erzähler macht sich auf, das unwirtliche Land zu durchqueren, um zu Naani zu gelangen. Bestialische Menschenwesen, Monsterhunde oder Riesenschnecken kreuzen seinen Weg. Es gelingt ihm, Naani zu retten und ihre Liebe zu gewinnen. Doch haben beide die Rechnung ohne die unsichtbaren Psycho-Kräfte gemacht, die das Nachtland machtvoll regieren …
It works!
Das Nachtland ist eine Mixtur aus Fantasy, Science Fiction und Horror-Elementen. Mit der eingearbeiteten Lovestory steht es in der Tradition jener klassischen Scientific Romances, in denen ein wagemutiger Held die in Not geratene Jungfrau befreit. Der Roman lebt von seinem merkwürdigen Schauplatz und den dort herrschenden Gesetzmäßigkeiten. Freilich standen WHH bei der Niederschrift schon eine Reihe utopischer und dystopischer Vorbilder zur Verfügung. Dank seiner funkelnden Imagination setzt er jedoch immer wieder eigene Glanzlichter: die Andeutung psychologischer Schrecken, im Gegensatz dazu die lustvolle Beschreibung körperlicher Entartungen sowie generell ein höchst suggestives Spiel mit unserer Wahrnehmung: Schreie und Gelächter in der Nacht, trampelnde Schritte im Dunkeln – zu wem gehören sie? Dazu die Anwesenheit böser Kräfte im Äther, unterschwellig, aber von entsetzlichem Ausmaß: it works!
It sucks!
Trotz dieser gelungenen Aspekte liegt denn aber doch die Lektüre des Romans schwer im Magen. Verantwortlich dafür sind WHHs gekünstelter Stil und eine erzählerische Langatmigkeit, die ihresgleichen sucht. Gewisse Szenen, Handlungsabläufe und Empfindungen werden endlos repetiert und laufen sich buchstäblich zu Tode. Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Erzähler, also die Hauptfigur, als höchst zweifelhafter Charakter entpuppt. Falls seine Verliebtheit in Naani auch nur den geringsten Schluss auf WHHs eigenes Frauenbild zulässt – na dann, gute Nacht. Der Umgang des Helden mit der „Maid“ ist eine üble Mischung aus Männlichkeitswahn, Schwarzer Pädagogik und Sadismus. Um sie gefügig zu machen, setzt es auch schon mal Schläge. Aua, aua, aua; der Gesamteindruck des Romans steht eh schon auf wackligen Beinen – und gerät durch die Schilderung solch pubertärer Phantasien noch weiter ins Wanken.
Fazit
„Es gibt Bücher, die sehr lesenswürdig, aber nicht lesbar sind.“ Dieses Goethe-Zitat trifft auch auf Das Nachtland zu. Für die Rezeption des phantastischen Werks von WHH ist es unentbehrlich. Wer sich aber auf ein ausgemachtes Lesevergnügen freut, dürfte enttäuscht werden. Und wer es schafft, von der ersten bis zur letzten Seite dranzubleiben, darf sogar stolz auf sich sein. Zwar als letzter seiner Romane veröffentlicht, gibt es die Annahme, dass WHH Das Nachtland zuerst schrieb und es sich somit um ein Anfängerwerk handelt. Das würde vielleicht seine Unausgewogenheit erklären; eine Untugend, die WHH niemals ganz ablegen konnte, die aber hier doch extrem ins Auge fällt. Unterm Strich erweist sich Das Nachtland als bizarres und viel zu lang geratenes Buch, dessen interessante Gesamtkonzeption nicht über die genannten Schwachpunkte hinwegtrösten kann. Meine Empfehlung beschränkt sich daher auf: für Fans.