Der erste Roman von William Hope Hodgson. Zumindest der erste der veröffentlicht wurde - Nämlich 1907. Inzwischen geht man jedoch davon aus dass Hodgson seine Endzeit-Dystopie „The Night Land“ bereits 2 Jahre zuvor geschrieben hat.
Auf Deutsch findet man ihn u.a. im Suhrkamp-Band "Stimme in der Nacht", der neben "Glen Carrig" noch 3 Kurzgeschichten von Hodgson enthält.
Inhalt + Meinung:
„Die Boote der Glen Carrig“ ist in der Form eines Tatsachenberichts verfasst und beginnt recht ungewöhnlich. Als die Handlung einsetzt ist die große Katastrophe, die zum Sinken des titelgebenden Schiffs geführt hat, nämlich bereits geschehen. Die Crew treibt schon tagelang in zwei Rettungsbooten auf offenem Meer herum, bis sie plötzlich auf sehr seltsames Land stößt: Fremdartige Vegetation, absolute Stille, scheinbar kein Leben. Hodgsons gelingt es hier von Anfang an meisterlich eine surreale und äußerst bedrohliche Atmosphäre zu kreieren, ohne dabei viel Zeit zu verschwenden - Denn eins wird schnell klar: Das Land auf dem die Überlebenden gestrandet sind ist kein Ort für Menschen.
Daneben tragen noch das Auffinden eines gigantischen Schiffswracks und die unheimlichen Aufzeichnungen der ehemaligen Besatzung zur hoffnungslosen Stimmung des Ganzen bei. Außerdem muss die Crew schon bald feststellen, dass sie gar nicht so allein ist, wie sie eingangs angenommen hat.
Hodgson lässt sich bei der Einführung des Grauens jedoch viel Zeit. Zunächst offenbart es sich lediglich durch seltsame Geräusche: Furchtbare Schreie, Wimmern und Weinen. Die Wesen werden als „kriechende Masse“ höchstens angedeutet und geben sich lange nicht richtig zu erkennen. So hält er die Spannung konstant hoch und sorgt auch für ein paar wirklich unheimliche Momente. Später wird Hodgson dann jedoch konkreter. Z.B. treffen die Überlebenden auf bizarre Bäume, die die Menschen zu sich locken und sie anschließend assimilieren. Wobei die Opfer weiterzuleben scheinen (was übrigens auch die Ursache für das Wimmern und Weinen ist). Eine ziemlich beklemmende Idee. Und auch seltsame Mensch-Tier-Hybriden, die direkt aus Innsmouth stammen könnten (und eine Mischung aus Fisch, Vogel, Schnecke und Mensch darstellen) tauchen irgendwann auf.
Nach dem wirklich famosen Einstieg kommt es dann jedoch leider zu ein paar Längen. Und wenn sich der anfängliche sense of wonder mal gelegt hat, wird es stellenweise auch etwas repetitiv: Am Tag erforscht die Crew die Umgebung, sammelt Feuerholz, sucht Trinkwasser und errichtet Lager... in der Nacht kommt es dann zum Angriff seltsamer Kreaturen. Und dann geht wieder alles von vorne los. Da der Roman jedoch nur 190 Seiten lang ist, fällt dies (anders als z.B. bei „The Night Land“) nicht allzu sehr ins Gewicht.
Mir war jedoch nicht mehr bewusst, dass die Ereignisse auf der Holk (ein zweites bemanntes Schiff) einen so großen Raum einnehmen und quasi die komplette zweite Hälfte des Romans ausmachen. Hier hätte man definitiv kürzen können. Zumal die phantastischen Elemente ab diesem Zeitpunkt deutlich in den Hintergrund treten und sich Hodgsons voll und ganz auf die große Rettungsmission konzentriert.
Lovecraft sah das übrigens ähnlich. In „Supernatural Horror“ schrieb er: „Die brütende Bedrohung am Anfang des Buches ist einfach unübertrefflich, auch wenn der Text gegen Ende schwächer wird und sich in Richtung gewöhnlicher Romanze und Abenteuer entwickelt.“ Der „Versuch, die Prosa des 18. Jahrhunderts nachzuahmen“ hat mich hingegen überhaupt nicht gestört. Ganz im Gegenteil: Ich fand es ganz stimmungsvoll.
Fazit:
Trotz seiner offensichtlichen Schwächen (die Axel eventuell kritischer sehen wird) hat mich „Die Boote der Glen Carrig“ auch bei der erneuten Lektüre wieder in seinen Bann gezogen. Ich habe aber auch prinzipiell eine großes Faible für biological Horror. Der Roman versprühte außerdem starke „Annihilation“-Vibes (Jeff Vandermeer) und an das surreale Meisterwerk "The Other Side of the Mountain" (auf Deutsch: "Terra Infernalis") von Michel Bernanos musste ich auch öfters mal denken. Ich bin mir sicher, dass Hodgsons Monsterinsel für die beiden Autoren eine Inspiration war.
Wer mit der „Strange Island“/“Die Natur ist dein Feind“-Thematik etwas anfangen kann, kann hier mMn jedenfalls absolut nichts falsch machen. Zumal das Buch aus dem Suhrkamp-Verlag neben dem Roman noch drei lesenswerte Kurzgeschichten von WHH enthält. Darunter auch „Stimme in der Nacht“, die zusammen mit „Die Saat aus dem Grab“ von Clark Ashton Smith zum Beeindruckendsten gehört, was ich in Sachen grausame Pflanze-Mensch-Symbiose je gelesen habe.