• Die Novelle ist 1997 in der Goblin Press erschienen, wurde 2000 aber im Heyne-Verlag neuaufgelegt. Eine Veröffentlichungsgeschichte, die in dieser Form sicher einmalig ist, sich für Verlag und Autor aber nicht auszahlte - „Nonnen“ hat sich bei Heyne weder besonders gut verkauft, noch Siefener zum verdienten Durchbruch verholfen.


    Verlagsinfo:

    „Benno Durst arbeitet bei einer Kölner Versicherung, doch seine große Leidenschaft gilt der fantastischen Literatur. Mit seinem Leben unzufrieden, flieht er in in die Welt der Fantasie. Seine neuste Erzählung schildert eine Gruppe junger Intellektueller, die sich wiederum zum Zeitvertreib gegenseitig Gruselgeschichten erzählen -- in bester romantischer Tradition.

    In einer dieser Geschichten kommt der Steinmetz Hartmut Schwartz auf dem Heimweg von der Arbeit an einem Nonnengrab vorbei. Dabei fällt ihm auf, dass alle vier der Franziskanerinnen, obwohl unterschiedlichen Alters, am gleichen Tag verschieden sind. Neugierig macht er sich auf die Suche nach des Rätsels Lösung. Haben sich die Ordensschwestern mit bösen Mächten eingelassen und wurden dafür bestraft?

    Unterdessen geschehen im Leben des Erzählers Benno geheimnisvolle Dinge. Er findet ein Tagebuch, das er gerade erst in seine Geschichte hineingedichtet hat. Zudem wird er von Erinnerungen heimgesucht, die sein Selbstbild in Frage stellen und einen bösen Verdacht nähren: Hat er einst im Affekt einen Mitschüler umgebracht?

    Michael Siefener steht mit seinem verschachtelten Roman in der Tradition der düsteren Romantik des 19. Jahrhunderts. Geschickt spielt er mit den gattungstypischen Motiven und transportiert sie in unsere Zeit. Dabei geht es ihm weniger um eine abenteuerliche Handlung, seine Stärken sind die dunkle Atmosphäre und die Verstrickungen des menschlichen Alltags.

    Mag Siefener bisher noch als "junges deutsches Talent" gegolten haben, beweist er mit diesem Buch, dass er den Kinderschuhen entwachsen ist. Nonnen ist Dark Fantasy von einer Qualität, wie sie hierzulande selten ist.“


    Meine Meinung:

    Den Autor Benno Durst nutzt Siefener gekonnt, um sich über die Engstirnigkeit diverser Kritiker und Feuilletonisten lustig zu machen, die Phantastik generell für Trivialliteratur halten und das Genre nur mit der Kneifzange anfassen. In „Nonnen“ gibt es beispielsweise ein äußerst amüsantes Gespräch mit einem Verleger, der Benno rät doch endlich erwachsen zu werden und diese infantilen Fantastereien aus seinen Romanen zu streichen; dann könnte evtl. auch ein richtiger Autor aus ihm werden.

    Gleichzeitig geht Siefener hier aber auch mit jeder Menge Selbstironie ans Werk: Benno ist ein verschrobener, selbstverliebter Kerl, der sich für den nächsten Kafka hält, aber prinzipiell nur schreibt, um so seiner jämmerlichen Existenz zu entkommen. Natürlich ist der Protagonist dabei mal wieder ein Alter Ego bzw. überzeichnetes Selbstportrait des Autors: Er hasst seinen juristischen Job, geht kaum unter Menschen, träumt von der großen Schriftstellerkarriere, schreibt aber in einem viel zu altmodischen Stil, der heute kaum noch gefragt ist.

    Das alles macht aus der Novelle ein gelungenes Meta-Spiel, welches zudem permanent zwischen dem Autor Benno und dessen fiktionaler Geschichte namens „Nonnen“ wechselt… bis sich beide Welten gegen Ende dann immer mehr miteinander vermischen bzw. beeinflussen.

    Gerade dieser Punkt hat mich etwas an Siefeners geniale Kurzgeschichte „Hotel Kehrwieder“ erinnert, auch wenn es hier bei weitem noch nicht so schräg, surreal und experimentell zugeht. Dennoch ist es ein extrem interessanter Ansatz, den er hier verfolgt: Wir erleben wie Benno die einzelnen Kapitel plant, begleiten ihn bei seiner Recherchearbeit, tauchen tief ein in den Entstehungsprozess seines Romans - Danach bekommen wir dann besagte Kapitel zu lesen und werden vom Autor auf die Schwächen und Stärken aufmerksam gemacht. Im Prinzip erhält man in dieser Novelle, neben der eigentlichen Geschichte, also noch einen gratis Schreib-Ratgeber geboten - How to write a Weird-Fiction-Novel.

    Dennoch ist dieses Frühwerk stellenweise auch etwas langatmig (auf den ersten 100 Seiten passiert nicht viel) und entfaltet noch nicht die enorme Sogwirkung von Siefeners späteren Werken. Und der Horror-Part (vier Nonnen wenden sich von Gott ab, praktizieren unchristliche Rituale und kommen dabei zu Tode) ist ebenfalls eher vernachlässigbar - Aber um ihn geht es hier eigentlich auch gar nicht. „Nonnen“ ist vielmehr eine Geschichte über das Geschichtenschreiben. Und ein Psychogramm eines Autors, der versucht durch seine Kunst der Realität zu entkommen, am Ende aber das genaue Gegenteil bewirkt und gnadenlos mit den ganzen Verfehlungen in seinem Leben konfrontiert wird.

    Denn Phantastik ist nicht immer reiner Eskapismus. Sie legt manchmal Dinge offen, die unserm Ich eben nur in der Abstraktion nähergebracht werden können. Oder wie es in einer Stelle der Novelle heißt: „Du glaubst du kannst mir entkommen, wenn du dich in Phantasiewelten begibst. Aber es gibt keine Phantasiewelten. Es gibt nur Spiegelungen unserer Realität. Phantasie ist die Übersetzung der Realität, nur eine andere Sprache für dieselben Dinge.“

  • Ich habe die Ausgabe der Goblin-Press gelesen. Ich weiß nicht, ob sie mit dem Heyne-Buch inhaltlich 100%ig übereinstimmt. In meiner Ausgabe fehlt meines Wissens nach die Kurzgeschichte, welche als Zusatz in der Heyne-Ausgabe enthalten ist.

    Die Idee der Geschichte in der Geschichte hat mir sehr gefallen.Besser funktioniert als die Geschhichte hat meiner Meinung nach der atmosphärische Aufbau. Typisch Siefener sind die sozial isolierten Hauptcharaktere, welche die Phantasie suchen und den Wahn finden.