Holly - Stephen King
Heyne Verlag, 2023
Hardcover
636 Seiten
ISBN: 978-3-453-27433-4
Preis 28,00 €
Seit Holly Gibney zum ersten Mal in Mr. Mercedes aufgetaucht ist, hat sie Fans, wozu ich mich zähle. Holly ist ein unsicheres Wesen mit ein paar Macken, die sie nur umso sympathischer machen. Als King sie zuletzt in einer längeren Kurzgeschichte in Blutige Nachrichten unterbrachte, gefiel mir zwar die Story, aber ich tat kund, dass ich mir doch einen Einzelband für sie gewünscht hätte. Offensichtlich war ich mit diesem Wunsch nicht alleine.
Holly wird von einer Frau beauftragt nach ihrer vermissten Tochter Bonnie zu suchen, weil die Polizei aufgrund von Corona chronisch unterbesetzt ist, suchen die nicht nach ihr. Die gehen davon aus, dass sie alt genug ist, zu entscheiden, wo sie sich aufhalten möchte. Gewisse Ungereimtheiten bei Bonnies Verschwinden fallen zwar auf, werden aber nicht weiterverfolgt.
Je mehr Holly recherchiert, desto klarer wird, dass es sich um einen Serientäter handeln muss, denn sie stößt auf immer mehr Personen, die rund um die Stelle, an der Bonnie verschwunden ist, auch zum letzten Mal gesehen wurden. Da die Opfer offensichtlich nach keinem gängigen Schema ausgesucht werden, fällt es Holly schwer, die Zusammenhänge sofort zu erkennen. Es gibt, Junge und Alte, Männer und Frauen unter den Opfern.
King macht kein Geheimnis daraus, wer die Täter sind: Ein altes Ehepaar, Universitätsprofessoren, die allgemein geachtet sind; bei denen nie im Leben jemand auf den Gedanken kommen würde, dass die beiden total verrückt sind.
Der Professor glaubt, Beweise dafür gefunden zu haben, dass der Verzehr von Menschenfleisch, den Alterungsprozess aufhält und diverse Krankheiten dadurch gelindert werden. Auch wenn die beiden schrullig sind und Menschen töten, um sie zu essen und zu Salben zu verarbeiten, fand ich die Idee, sehr alte Menschen als Täter darzustellen, irgendwie interessant. Denn die halten wir in Gedanken oft für zu alt und gebrechlich, um irgendetwas Böses zu tun. Natürlich gibt es alte Griesgrame, die für niemanden ein gutes Wort finden, aber Alte, die mithilfe eines Rollstuhles, Opfer einfangen, - die Idee hat schon was und wer, wenn nicht King sollte darauf kommen?
Nebenbei muss Holly sich mit einem Anwalt treffen, der ihr eröffnet, dass sie ein Vermögen von ihrer Mutter geerbt hat, obwohl diese ihr weisgemacht hat, dass sie einem Betrüger aufgesessen sei, der ihnen das komplette Vermögen abgeluchst hätte. Und ihr dementer Onkel muss in dieses Komplott eingeweiht gewesen sein. Wieder einmal fühlt sie sich von ihrer Familie betrogen.
Ihre Mutter starb übrigens, weil sie Corona für nicht real hielt und sich prompt infizierte.
Man ahnt relativ früh, dass entweder einer von Holly Vertrauten oder sie selbst früher oder später in die Klauen der verrückten Professoren geraten werden, und so wundert es nicht, dass Holly sich eines Tages in einem Käfig wiederfindet.
Wie es ausgeht, verrate ich natürlich nicht.
Eine weitere Rolle in diesem Buch spielt Corona. King zeigt die Leugner ebenso, wie die Übervorsichtigen. (Ratet, zu welcher Sorte Holly gehört!)
Bei den Rezensionen, die ich bislang gelesen habe, wird das kritisiert, aber mich hat es nicht gestört, denn King gibt nur das wieder, was wir alle über ein paar Jahre miterleben mussten. Es wäre völlig unrealistisch gewesen, wenn er das zu Corona-Zeiten, in denen das Buch spielt, außen vor gelassen hätte.
Ich habe das Buch schnell gelesen, weil ich es für spannend hielt, obwohl es völlig ohne die mittlerweile überpräsenten Cliffhanger auskommt. King haucht allen seinen Personen, sogar den Nebendarstellern, Leben ein, sodass man sie förmlich vor Augen hat. Er zeigt sie mit ihren Macken, ohne sich dabei über sie lustig zu machen. Er zeigt auch die Alten mit ihren Gebrechen völlig realistisch und das gelingt nicht vielen Autoren.
Kurz und bündig: Wer King mag und Holly liebt, wird diese Buch mögen. Ich kann es jedenfalls sehr empfehlen.