Martin Ruf - Qualitas Occulta


  • "Könnte es sein, dass Sie neu in dieser Stadt sind und gar nicht wissen, dass Sie gerade ein Netz immer kleinerer, immer dunklerer Gassen betreten haben?

    Sind Ihnen etwa die hoch aufragenden, windschiefen Häuser noch nicht aufgefallen?

    Haben Sie noch nicht bemerkt, dass sich diese Häuser so weit über die immer schmaleren Wege neigen, dass ihre Schatten auch noch die letzten Reste des Sternenlichts verdunkeln?

    Können Sie aufhören, mit den Zähnen zu klappern?"


    Chapbook mit drei Erzählungen von Martin Ruf. Auf Facebook heißt es dazu:

    "Mit dieser Veröffentlichung geht unsere Chapbooks- und Novellenreihe WHITETRAIN Underground in die #5te Runde. Wer gleich handelt, kann das gute Stück vielleicht sogar noch zu Halloween auf dem Tisch haben.

    Auch ist damit die kleine Trilogie mit Beiträgen Martin Rufs für die Reihe abgeschlossen, nachdem zuvor seine Übersetzungen von D.P. Watts Ophelia und Louis Marvicks Ein Connoisseur der Trauer erschienen waren.

    Whitetrain bedankt sich hiermit bei allen Mitfahrenden und wünscht eine neblige Schauerzeit. Gedenket Eurer Toten."


    Habe das Buch gerade bestellt. Da bisher alle Chapbooks der Underground-Reihe absolut großartig waren und ich Martin Rufs Kurzgeschichte aus dem "IF Annual 2020" sehr gemocht habe, kann es eigentlich nur gut werden.

  • It's Halloween, so here we go...


    "Qualitas occulta: (lat.: dunkle Eigenschaft), vor allem in der Naturlehre auftretende Bezeichnung für unerklärliche, weil nicht wahrnehmbare Ursachen und Kräfte." (Metzler Lexikon der Philosophie).


    Enthalten sind in diesem schmalen Buch drei Kurzgeschichten. Neben dem Tod, spielt dort vor allem Nebel eine große Rolle. Und genauso undurchschaubar und geheimnisvoll wie der Nebel, fallen auch Rufs Texte aus.

    Z.B. "Die verlorenen Kinder des Doktor Dapertutto". Dort geht es um einen ehemaligen Schriftsteller, der inzwischen in einer Psychiatrie lebt und regelmäßig Besuch von Fans bzw. "Verwirrten" bekommt, die mit ihm über Literatur sprechen wollen und ihm ihre Manuskripte übergeben. Von einem Dr. Dupertutto erhält er eines Tages einen recht experimentellen Text, der eigentlich eine Art Abschiedsbrief ist.

    Die Erzählung lebt primär von ihrer melancholischen Stimmung und ihrer wirklich schönen Sprache. Sie erinnert zwar an klassische Schauerliteratur (ich musste z.B. an die Geistergeschichten von Poe, Bierce und Hawthorne denken), Ruf macht daraus aber durchaus etwas Eigenes und erzeugt dabei eine enorme Intensität. Das Ende hat mir jedenfalls eine Gänsehaut bereitet.

    In "Braunhoffers Kutschen" wird es anschließend sogar noch besser. Die Geschichte spielt in einer namenlosen Stadt, die kürzlich einer nicht näher genannten Seuche zum Opfer gefallen ist. Dr. Braunhoff eröffnet dort einen Kutschenbetrieb, doch seine Wagen fahren nur in der Abenddämmerung und bieten den Fahrgästen ein äußerst rätselhaftes Schauspiel. Zudem leidet die Stadt plötzlich an einer Wespenplage und mysteriöse Frauen in Togen durchwandern die nebligen Gassen.

    Hier bewegt sich Ruf eher im Bereich des Surrealismus. Das Ganze hat mich u.a. an Baconsky, Ligotti, vor allem aber an Kubins "Die Andere Seite" erinnert. Braunhoffer scheint mir zumindest eine recht Patera'hafte Figur zu sein. Allerdings mehr Teufel als Gott... Ein ziemlich irrer Trip und eine Leseerfahrung die "einem Traum glich, ohne ein Traum zu sein" und schließlich im absoluten Grauen endete. Während der Tod in der ersten Geschichte noch eine Erlösung darstellte, wird er hier zur reinen Tortur.

    Zum Schluss folgt dann "Austernfischer". Dort begegnen wir dem titelgebenden Vogel, der Sterbenden kurz vor ihrem Tod erscheint, ihnen kryptische Botschaften ins Ohr flüstert, sie mit einem X markiert und danach wieder spurlos verschwindet. Mit 3 Seiten mehr Skizze als Geschichte, stellt sie jedoch einen gelungenen Epilog dar.


    Herr Ruf scheint ja nicht gerade ein Vielschreiber zu sein und dieses Buch fällt auch nicht besonders umfangreich aus, dafür bietet es jedoch eine wirklich enorm hohe Qualität. Ich hoffe mal, dass vom Autor in naher Zukunft noch weitere Veröffentlichungen bei Whitetrain folgen werden.