Angesichts dieser Reihe – aber auch
angesichts der erwähnten Zeitschriften Orchideengarten und
Kokain – wird wieder einmal klar, wie engstirnig oder auch
engherzig unser heutiger Phantastik-Begriff ist. Es ist klar, dass
die Literaturwissenschaft mit Definitionen operieren muss und
bekanntlich gibt es ziemlich eindeutig abgesteckte Grenzen der
Phantastik. Es ist aber immer wieder wichtig sich klarzumachen,
dass diese Grenzen nachträglich gezogen wurden und jedenfalls nicht aus der literarischen Praxis heraus geboren wurden.
Ich selber bin eigentlich mittlerweile
an einem Punkt, an dem ich mich gar nicht mehr als generischen
Phantastik-Leser bezeichnen würde. Viel wichtiger als die
einschlägige Definition sind mir Dinge wie
etwa: Zeitgeist, zeit- und kulturgeschichtliche Zusammenhänge, die
Gebundenheit an eine gewisse Epoche, – überhaupt eine gewisse
Antiquität an sich. Und auch wenn die hier vorgestellte Reihe
Galerie der Phantasten heißt, so ist einer ihrer Bekanntesten –
nämlich Hanns Heinz Ewers – ein sehr gutes Beispiel für einen
sogenannten Phantasten, der recht viele Geschichten schrieb, die nach der herkömmlichen Definition gar nicht phantastisch sind
und strenggenommen durch die lexikalischen und bibliografischen
Raster fallen müssten.
Daher behagen mir zunehmend
Begriffe wie „unheimlich“, „abseitig“ oder „sonderbar“.
Diese Begriffe können durchaus auf Texte zutreffen, die nicht
phantastisch sind, die aber von so herausragender Qualität sind,
dass es schade wäre, würden sie ein aufnahmebereites Publikum durch
das engmaschige Netz der orthodoxen Phantastik-Definition nicht
erreichen.
Ja, Ewers, Strobl, Kubin & Co. Die Autoren dieser Zeit waren ja alle auch Fanboys Poes 
Arkham Insider Axel
Da hast du sicher Recht. Wobei eine verbindliche Definition von phantastischer Literatur ja bis heute fehlt. Es existieren zwar verschiedene Ansätze, die im akademischen Milieu alle ihre Fans haben, aber so richtig schlüssig finde ich keine davon. Das zeigen auch die Abgrenzungsschwierigkeiten beim Erstellen einer Bibliographie, auf die noch ein jeder gestoßen ist, der sich daran versucht hat.
Was du über Ewers schreibst, gilt etwa genauso für Balzac. Die wenigsten seiner enthaltenen Geschichten sind genuin phantastisch, im Sinne von übersinnlich. Die meisten sind eher verträumt-romantisch oder makaber. Wie du richtig schreibst, früher ging man mit dem Befriff halt wesentlich offener um. Da kann man den Begriff fast als Synonym für Überzeichnung und alles Abseitige interpretieren, also was außerhalb der eng gesteckten literarischen (und gesellschaftlichen) Konventionen stand.
Ich verwende Phantastik, vor allem umgangssprachlich, trotzdem gerne als Oberbegriff und zähle für mich das Groteske und Merkwürdige, was eben diese typischen Unsicherheiten beim Leser erzeugt, einfach genauso dazu.
Alles anzeigen
Hallo,
Word!!! - Danke Euch für diese schon längst fälligen Statements! 
Ich sehe es exakt genau so. Was mich an Literatur und Kunst allgemein fasziniert, ist das "Abseitige", "Merkwürdige", "Nicht Alltägliche", das Unbehagen weckt und zur Reflexion anregt - das kann im besten Fall "Phantastik" sein oder das, was viele heute im gängigen Sinn darunter verstehen (Fantasy, Horror, Science Fiction), muss aber nicht ... ich finde den anglo-amerikanischen Ausdruck "Weird Fiction" viel treffender.
In der Zeit von der Jahrhundertwende bis zur Weimarer Republik gab es noch nicht diese Herausbildung von "Genres", wie wir sie heute kennen, und gerade in Deutschland erlebten expressionistische Bücher und Filme, die sich mit einschlägigen Themen befassen und heute als Meisterwerke der Kunst gelten (Das Kabinett des Dr. Caligari, Nosferatu, Metropolis ...), eine Hochblüte.
PS - weil ich gerade "Metropolis" erwähnt habe ... wer weiß heute schon noch, dass die damalige Ehefrau des Regisseurs Fritz Lang, Thea von Harbou, zu diesem und weiteren Filmen ihres hochgerühmten Mannes die Drehbücher verfasst hat ... und dass sie zuvor eine Reihe von Sammlungen "unheimlicher" Geschichten veröffentlicht hatte?
Im Rahmen einer solchen "anderen" Kategorisierung erscheinen mir auch heute jede Menge literarischer Werke interessant, die gemeinhin nicht unter "Phantastik" subsummiert werden. Vielmehr sind denke ich phantastische Elemente Teil der Populärkultur geworden und fließen wie selbstverständlich in grundlegend realistische Settings ein.
Aber, weil's grad gut passt - nochmals zurück zu den literarischen Klassikern:
Ich arbeite grad am Finishing der Übersetzungen und dem Vorwort des dritten Bandes unserer UNTOTEN KLASSIKER - "Die Tore der Hölle" des Franzosen Maurice Level (1875 - 1926). Als Arzt und Journalist schrieb Level neben "psychologischen" Kriminalromanen vor allem auch Kurzgeschichten, die dann zu kurzen Bühnenstücken für das berühmt-berüchtigte "Grand-Guignol"-Theater in Paris adaptiert wurden. Es gibt darin kaum "übernatürliche" Elemente, aber jede Menge bizarrer Plots, absonderlicher Charaktere, psychische Abartigkeiten und menschliche Grausamkeit in der Tradition der "Contes cruels". Ich denke, das sollte für Euch interessant sein ... 
Level wird übrigens gerade erst auch in Frankreich "wiederentdeckt" - der Film und die darauf basierende französische Originalserie "Les Revenants" ("The Returned") basieren auf einem Roman von Level ... und für den englischsprachigen Raum hat S. T. Joshi eine komplette Sammlung aller Kurzgeschichten Levels auf Englisch herausgebracht ("13 Hours with a Corpse").