Dennis Mombauer: The House of Drought
Stelliform Press, Hamilton / Ontario 2022
Paperback & eBook, 106 Seiten
Cover Art: Rachel Lobbenberg, Lektorat: Selena Middleton
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Chicago Review of Books, schöne Rezension
Dennis Mombauer ist einer der Autoren in Wurdacks Alraune 1 - Maritime Schrecken ("Durch das Auge der Stille" - das Zine ist z.Zt. vergriffen, bei Interesse bitte PN an mich) und er war so lieb, mir seinen englischsprachigen Debütroman zu schenken. Erstmal eine Besprechung, ich hab ihm ein paar Fragen geschickt, wenn er Lust zur Antwort hat, folgt hier noch ein Interview. Ich hab auch nachgefragt, ob ein Versand aus DE möglich ist; und tagge mal die Alraune-Crew Arkham Insider Axel , Nils und Ernst .
Die Novelle ist angekündigt mit: A HAUNTED HOUSE FOR THE CLIMATE CHANGE ERA. Sie bietet aber mehr als nur das: das augenscheinlich verlassene Herrenhaus im Dschungel Sri Lankas ist weniger von Geistern bewohnt (auch, wenn dies auf gewisse Weise ebenfalls stimmt), als dass es selbst eine paranormale Entität darstellt. Architektur, die wie ein monströser Organismus von ungutem Leben erfüllt ist, andererseits aber auch Leben bewahrt. Das Haus steht für die Verbrechen der Kolonialisten, die es dort in die Natur setzten, andererseits aber im Hinblick auf den Klimawandel auch für die der gesamten Menschheit – doch dabei ist es selbst keine moralische, wertende Instanz, die bewusst über einzelne Individuen richtet. Obwohl diese politischen Hintergründe im Kurzroman allgegenwärtig sind, zeichnet Dennis sie mit dezenter Hand, verwebt sie subtil mit dem Plot und der Figurenzeichnung und ermöglicht so ein intuitives, empathisches Nachvollziehen.
Die Geschichten, die schließlich zusammenlaufen: Vier Kinder, deren Onkel im eigenen Heim bedroht wird; ein Filmemacher-Duo, denen noch ein persönlicher Aspekt für ihre Klimawandel-Doku fehlt; eine überforderte Mutter, die das Gefühl für Raum und Zeit verliert; eine legendäre Weiße Frau oder ‚Mother of Saps‘, die sowohl nährend als auch parasitisch agiert; ein seltsamer Eremit, dem der Urwald Schutz bietet; und eine junge Frau, die auf der Suche nach ihrem verschollenen Vater sowohl an ihre Grenzen stößt wie auch über sich selbst hinauswächst …
Die Geschichte wird – vor allem in den ersten zwei Dritteln – in kurzen Sequenzen achronologisch erzählt, springt zwischen verschiedenen Epochen sowie einer spekulativen Parallelwelt hin und her (und bei den gleichen Personen zw. Kinder- und Erwachsenenzeit) reißt verschiedene Lebensgeschichten an und verlässt sie wieder, ohne Einleitungen oder Erklärungen. Es tauchen somit erst einmal eine verwirrende Vielzahl von Personen auf (an die 12 Protagonisten und einige mit Namen genannte Statisten, Nebenfiguren kommen dabei kaum vor), deren Schicksale sich erst nach und nach auf knapp der Hälfte des Buches zu kreuzen beginnen. Diese Andeutungen, wiederkehrende Motive und spekulativ-traumartige Passagen verdichten sich dann immer stärker zu einem wirklich albtraumhaften Geflecht, wobei auch die – ich sage mal ohne zu spoilern – physikalischen Gegebenheiten des Dürre-Hauses immer klarer und gruseliger werden. Kurze Passagen sind reiner Body-Horror, und Dennis beweist eine individuelle, faszinierende Fantasie, die ein echtes sense of wonder ermöglicht.
Besonders auf den letzten zwanzig Seiten wandelt sich die atmosphärische Geistergeschichte in echten Horror, der mich in seiner Intensität sogar an Adam Nevills Last Days erinnerte (s.u.), dabei immer schräger, surrealistischer wird und mich total geflasht hat. Ich möchte nichts vom Plot oder dem Ende spoilern, aber fand es extrem angenehm, dass das Paranormale – wie der Klimawandel – nicht einfach besiegt werden kann, sondern Teil unserer Realität bleiben muss.
Mit klassischen Geisterhausgeschichten hat dieses Buch nur gemein, dass es um verdrängte Familiengeschichten und bes. um Kleinkinder geht, bzw. auch vernachlässigte Aufsicht oder Adoption (im weitesten Sinne). Mir fällt kaum eine Erzählung oder ein Film des Genres ein, der damit brechen würde. House of Drought jedoch fehlt eine gewisse Sentimentalität – ggfs. auch der Kitsch – die viele Geisterhausgeschichten begleitet. Möglicherweise durch das südasiatische Setting und die no-nosense Dialoge, die sehr angenehm natürlich klingen und mich – auch wenn dies ein anderer Kulturkreis ist – sofort an Chinatowns in den USA erinnerten: Fragen enden oft mit „yea?“ (hörbar knapper als das englische yeah) oder „no?“, die Kinder erscheinen durch ihre Rede klug, gewitzt, individuell, ohne dass sie zu niedlich wirkten. Unter fremden Erwachsenen ist wohl der Namenszusatz „Auntie“ oder „Uncle“ eine Höflichkeitsgeste. Dennis bringt einem somit das Land nahe, ohne einen own voices-Text zu imitieren: House ist ein perfekter Mix aus respektvoller Außensicht und kulturellem Erleben als Teil der Gesellschaft.
Ein kleiner Kritikpunkt ist der Epilog, auf den ich gerne verzichtet hätte: er erklärt mir etwas, das ich bereits durch alles Vorherige kapiert hab, zudem ist es – andres als alle anderen Passagen im Buch – etwas dick aufgetragen. Meine anfängliche Kritik, dass es schwer ist, sich in all den Namen, Personen und Geschichten zurechtzufinden, löste sich ab der Hälfte in Nichts auf – dann wird die Geduld belohnt, winzige Puzzleteile fügen sich ganz allmählich zusammen und ich fand's dann grandios gemacht, sehr selbstbewusst mit der Erzählzeit (der Dauer des Lesens) umgegangen.
Wem dieses Buch liegt, könnte auch diese mögen (ich sehe Ähnlichkeiten, gehe aber davon aus, dass alle Bezüge reiner Zufall bzw. dem Genre geschuldet sind):
Julia Jorges: Glutsommer (Blitz 2022). Es geht auch um sommerliche Dürre als Indiz für Klimawandel und es gibt eine Weiße Frau, die sich um Kinder bemüht (bei Julia negativ = Entführung, bei Dennis positiv als Naturmacht gegen die Zivilisation). Auch gibt es eine Vielzahl von Protas, deren Verbindungen erst langsam deutlich werden. ( Julia )
Marko Hautala: Black Tongue (Tammi / AmazonCrossing 2015; dt. Stumme Seelen, dtv 2017). Auch hier wird eine sagenhafte Gestalt mit der Postmoderne / Teenagekultur verbunden: Ein Naturgeist / alte Göttin / Hexe, die sowohl an Baba Jaga wie auch die finnische Urgöttin Akka angelehnt ist, Kinder bzw. die Herzen von Erwachsenen frisst und von einer bestimmten semi-magischen Wurzel, die sie gern ausgräbt, eine schwarze Zunge hat. Nicht nur die halb-bedrohliche, halb-beschützende Quasi-Göttin, auch die Verbindung zum naturbelassenen Urwald und der Erde ist ähnlich, sondern ebenfalls die starken Bezüge zum Folk Horror.
Jean Ray: „Das Storchenhaus“ in Das Storchenhaus (Suhrkamp 1986): Auch ein im wahrsten Sinne des Wortes gefräßiges Haus, das sich nicht um Schuld oder Unschuld kümmert, sondern nur um … Fleisch & Blut. Nichtsdestotrotz hat auch diese Geschichte wie Dennis‘ Novelle eine eigene Moral.
Adam Nevill: Last Days (Pan Macmillan 2013, dt. Der letzte Tag, Heyne 2013). Auch in House of Drought ist einer der Protagonisten ein Dokumentarfilmemacher, was immer ein guter Grund ist, irgendjemanden zum Auskundschaften irgendwohin zu bewegen und dort ausharren zu lassen, obwohl Gefahr droht oder extrem schräge Dinge passieren. Auch, wenn Last Days kein Folk Horror ist, behandeln beide Bücher verdrängte Historie und paranormale Entitäten, die Häuser heimsuchen, dabei auch eine Natur/Stadt bzw. Gesellschaft/Einsamkeit Dichotomie herstellen. Auch spielen beide mit dem Konzept der Zeit bzw. des spekulativen Überdauerns; und Dennis hat eine ähnlich intensive, eigenständige Art, Grusel hervorzurufen, der nah an den Body-Horror gerät.
Doctor Who … mehr zu sagen wäre ein unverzeihlicher Spoiler.
Tiina Raevaara: Eräänä päivänä tyhjä taivas (The Day the Sky Was Empty, TEOS 2008 – leider in keine Sprache übersetzt). Hier geht es um eine Welt ohne Sonne, es ist allerdings kein nuklearer Winter, sondern eben ein Zwielicht-Sommer. Eine Frau sucht ihre Mutter und entdeckt sie in dem einsam gelegenen Familiensitz im Wald, in einem parallelweltlichen Haus im Haus, das sich hinter einer Wand verborgen hielt. Im 'richtigen' Haus leben noch ihr Vater und sieben Brüder, die ihr sämtlich feindselig gegenüberstehen und offenbar das ‚Verschwinden' der Mutter zu verantworten haben. Einer meiner Lieblingsromane.