Geister zum Fest (Richard Dalby)


  • Dalby, Richard (Hrsg.): Geister zum Fest. Weihnachtliche Gruselgeschichten.

    Knaur. München 1992. Aus dem Englischen von Stefan Troßbach


    Eine jahreszeitlich passende Empfehlung stellt die Sammlung weihnachtlicher Gruselgeschichten Geister zum Fest dar, im englischen Original: Ghosts for Christmas (1988). Ihr Herausgeber, Richard Dalby (1949 – 2017), war in seiner englischen Heimat eine Kapazität auf dem Gebiet der Ghost Story und dürfte dort bekannter sein als bei uns. Allerdings sind auch in hiesigen Verlagen mehrere seiner Anthologien erschienen; die Titel sprechen für sich: Eiskalte Weihnachten, Kein Friede auf Erden oder O du grausame Weihnachtszeit


    Dass Gespenstergeschichten in England quasi ein nationales Kulturgut sind, ist bekannt, vor allem erfreuen sie sich zur Weihnachtszeit traditionell großer Beliebtheit. Die Auswahl setzt sich daher zu einem nicht geringen Teil aus Beiträgen zusammen, die ursprünglich in den Weihnachtsausgaben britischer Magazine erschienen, etwa J. Sheridan Le Fanus „Der Totengräber“ („The Dead Sexton“), 1871 veröffentlicht in Once a Week, oder Algernon Blackwoods „Der Seesack“ („The Kit-Bag“), welche das Pall Mall Magazine Weihnachten 1908 brachte. Insgesamt erstreckt sich der von Dalby berücksichtigte Zeitraum ungefähr zwischen dem mittleren/späten 19. und dem mittleren 20. Jahrhundert; mit Ramsey Campbell ist jemand an Bord, der sogar heute noch tätig ist. Sein „Weihnachtsgeschenk“ („The Christmas Present“) schrieb er im Dezember 1969 für BBC Radio Merseyside. Diese kurzen Infos eingangs jeder Geschichte sind recht hilfreich, wenngleich eine durchgängige und genaue Quellenangabe wünschenswert gewesen wäre.


    Über die Qualität und die Natur einer solchen Auswahl lässt sich wie immer trefflich streiten. Zumindest bin ich nur über wenig Bekanntes gestolpert und der Anteil der Neuentdeckungen (weniger an AutorInnen denn an Geschichten) ist für mich recht hoch. Ein spontaner Abgleich mit einigen einschlägigen deutschen Veröffentlichungen lässt vermuten, dass dies nicht nur eine persönliche Einschätzung ist.

    Es folgt das Inhaltsverzeichnis, – frohe Weihnachten! [Gho]


    Jerome K. Jerome – Unsere fröhliche Geisterschar (Our Ghost party)

    Charles Dickens – Die Geschichte von den Kobolden, die einen Totengräber stahlen (The Story of the Goblins Who Stole a Sexton)

    Mark Lemon – Das Gespenst als Detektiv (The Ghost Detective)

    Joseph Sheridan Le Fanu – Der Totengräber (The Dead Sexton)

    Robert Louis Stevenson – Markheim (Markheim)

    Sir James M. Barrie – Das Heiligabend-Gespenst (The Ghost of Christmas Eve)

    Louisa Baldwin – Original und Fälschung (The Real and the Counterfeit)

    Mrs. B. M. Croker – Nummer Neunzig (‘Number Ninety’)

    John Kendrick Bangs – Thurlows Weihnachtsgeschichte (Thurlow’s Christmas Story)

    Elia W. Peattie – Liebes kleines Gespenst (Their Dear Little Ghost)

    Grant Allen – Der Turm von Wolverden (Wolverden Tower)

    Bernard Capes – Ein Geisterkind (A Ghost-Child)

    Algernon Blackwood – Der Seesack (The Kit-Bag)

    E. Nesbit – Der Schatten (The Shadow)

    Elinor Glyn – Das Gespenst von Irtonwood (The Irtonwood Ghost)

    E. G. Swain – „Grabet und ihr werdet finden“ (Bone to his Bone)

    Algernon Blackwood – Übergang (Transition)

    R. James – Die Geschichte eines Verschwindens und eines Erscheinens (The Story of a Disappearance and an Appearance)

    Marie Corelli – Der Mönch und der Engel (The Sculptor’s Angel)

    Hugh Walpole – Der Schnee (The Snow)

    A. M. Burrage – Smee (Smee)

    Marjorie Bowen – Das Rezept (The Prescription)

    J. B. Priestley – Der Dämonenkönig (The Demon King)

    H. Russell Wakefield – Der Weihnachtsbaum (Lucky’s Grove)

    George H. Bushnell – Ich werde die geeigneten Vorkehrungen treffen (‘I Shall Take Proper Precautions’)

    Rosemary Timperley – Weihnachtsbekanntschaft (Christmas Meeting)

    L. P. Hartley – Der Mann im Lift (Someone in the Lift)

    Ramsey Campbell – Das Weihnachtsgeschenk (The Christmas Present)

    Daphne Froome – Weihnachtszauber (Christmas Entertainment)

    David G. Rowlands – Gebal, Ammon und Amalek (Gebal and Ammon and Amalek)

  • Schöne Sache! Man dankt für die kleine Weihnachtsvorstellung. Ein paar Einzelbewertungen würden mich indes interessieren - oder eine Gesamtkritik nebst einer Empfehlung.


    Tatsächlich ist ein bemerkenswertes Aufkommen unbekannterer Autor*innen zu beobachten. Klar, mit Dickens, Stevenson und Barrie sind drei Schwergewichte dabei, und auch Edith Nesbith ist gewiss geläufig. ebenso wie die enthaltenen Genre-Klassiker James, Blackwood, Wakefield, Le Fanu, Walpole und Hartley. Auch Jerome K. Jerome (Drei Mann in einem Boot), Conan Doyles guten Freund Grant Allen, B. M. Croker, John Kendrick Bangs und E. G. Swain kenne ich zumindest mittelbar. Da bleiben dann aber immer noch jede Menge unbekannte Namen!

  • Ein paar Einzelbewertungen würden mich indes interessieren - oder eine Gesamtkritik nebst einer Empfehlung.

    Beinharte Schrecken sind mir bisher (ich habe erst 8 Geschichten gelesen) noch nicht untergekommen – wobei Stevensons

    „Markheim“ ja nicht ohne ist. Als etwas lahm empfand ich von Mark Lemon „Das Gespenst als Detektiv“, wo ein zu Unrecht Verurteilter (aber noch Lebendiger!) als Geist erscheint und der Gerechtigkeit den Weg weist. Die vier folgenden Beiträge bieten aber bodenständige Kost. Mein Favorit bisher ist Le Fanu.

    1.

    Wie es sich für die (klassische) Gespenstergeschichte gehört, hat sie oftmals einen moralischen Anstrich. Dafür bieten diese beiden Garne ein gutes Beispiel:

    Joseph Sheridan Le Fanu – Der Totengräber (The Dead Sexton)

    Jemand, der früher ein Lump war, kehrt nach langer Abwesenheit in sein Heimatstädtchen Golden Friars zurück. Dort läutet er die Kirchenglocken und bringt die Toten unter die Erde, fällt ansonsten durch einen untadeligen, wenn auch schweigsam-mürrischen Lebenswandel nicht weiter auf. Doch so harmlos ist dieser Zeitgenossen keineswegs … eines Tages wird er auf grausige Art Opfer seiner verborgenen Machenschaften. Kurz nachdem man seine Leiche in der Remise des Gasthofs aufgebahrt hat, erscheint ein unheimlicher Fremder und quartiert sich für die Nacht ein …

    5 von 5 Daumen: :thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    2.

    Charles Dickens – Die Geschichte von den Kobolden, die einen Totengräber stahlen (The Story of the Goblins Who Stole a Sexton)

    Der boshafte Totengräber Gabriel Grub (er erinnert ein wenig an Ebenezer Scrooge) bekommt, was er verdient: nämlich eine Nacht in der Gesellschaft abgefeimter Kobolde, die ihn ordentlich piesacken. Zwar überlebt er dieses Rendezvous, bleibt aber für den Rest seines Lebens ein gezeichneter Mann. – Ursprünglich das 29. Kapitel aus Dickens’s Roman Die Pickwickier.

    3 von 5 Daumen: :thumbup::thumbup::thumbup:

    3.

    Einen Fall von „dumm gelaufen“ präsentiert uns Mrs. Baldwin. Sie bedient sich einer ebenfalls populären Parole, nämlich, dass man mit Geistern bessern keine Späße treibt, – es könnte tödlich enden:

    Louisa Baldwin – Original und Fälschung (The Real and the Counterfeit)

    Ein junger Bursche hat sich – die Eltern sind vor dem Winter in Northumberland gen Süden geflüchtet – zwei Freunde auf den elterlichen Stammsitz eingeladen. Gemeinsam verbringt man die Feiertage bei Schlittenfahrten, gutem Essen und traulichen Gesprächen. Letztere kreisen natürlich bald um Gespenster. Tatsächlich wurde das Haus auf den Resten eines alten Zisterzienserklosters errichtet. Und in gewissen Vollmondnächten lässt sich das Gespenst eines Mönchs sehen … Und falls nicht, kann man dem ja nachhelfen. Denkt sich jedenfalls einer der jungen Männer, der felsenfest vorgibt, nicht an Geister zu glauben!

    3 von 5 Daumen: :thumbup::thumbup::thumbup:

    4.

    Inspiriert von M. R. James „The Stalls of Barchester Cathedral“ scheint diese Geschichte zu sein, die sich vor dem Hintergrund von Modernisierungen in einer anglikanischen Kirchengemeinde in Essex abspielt.

    David G. Rowlands – Gebal, Ammon und Amalek (Gebal and Ammon and Amalek)

    Abermals ein Mann, der Küster, Totengräber, Glöckner und Chorsänger in Personalunion ist. Er, der Hochbetagte, kennt noch die alten Zeiten – und ging einst, als Kind, einen fürchterlichen Bund mit drei biblischen Figuren – Gebal, Ammon und Amalek – ein, welche die Grabplatte eines lokalen Prominenten zieren. Dieser aber, der dem Ort mit seiner Marmeladenproduktion zu Wohlstand verhalf, hatte alles andere als eine reine Weste … Und der besagte Bund erfährt nun, angesichts der ungeliebten Neuerungen in der Gemeinde, neues Blut … Altes Testament, die Church of England, ein Marmeladenfabrikant und ein kindliches Drama vereinen sich zu einer wilden Mischung. Nicht uninteressant.

    4 von 5 Daumen: :thumbup::thumbup::thumbup::thumbup: