David Peak: Corpsepaint
Petaluma, CA 2018. Word Horde, 229 S.
Tja … ich bin echt hin- und hergerissen. Weil ich Peaks Non-Fiction so außerordentlich schätze, möchte ich seine Prosa dringend mögen. Ein anderes Werk (The River Through the Trees) fand ich aber belanglos und vom ästhetischen Standpunkt bestenfalls unauffällig. Die Eleganz seiner Sachtexte konnte ich auch hier nur stellenweise finden. Zweifelsohne hat das Buch aber etwas, das zwischendurch durchscheint und es ist der ehrliche Versuch, aus typischen Settings und Mainstreamerzählweisen auszubrechen. Außerdem einfach – haptisch & optisch – ein sehr schönes Buch.
Plot:
Der alternde Begründer einer US-amerikanischen Black Metal Band namens Angelus Mortis, Max a.k.a. Strigoi, hat Probleme mit seiner Drogensucht und verliert immer mehr den Bezug zur Musik. Er startet eine Zusammenarbeit mit dem jungen Drummer Roland, der fachlich exzellent, aber ansonsten ein schlampiger, reizbarer Schluffer ist. Das Label schickt die beiden zur Aufnahme des als Comeback gedachten Albums in eine ‚alternative‘ BM-Kommune in die Ukraine. Dort laufen angestaute Konflikte erstmal vollkommen aus dem Ruder, bevor sich der Plan des Labels doch auf recht ungewöhnliche Art und Weise erfüllt. Auch wenn die Geschichte als Sozialrealismus beginnt, entwickelt sie sich im letzten Viertel zur eindeutigen Phantastik.
BM ist nicht mein bevorzugtes Metalgenre, und abgesehen von einer detaillierten, monatelangen Recherche für eine eigene Kurzgeschichte kann ich nicht behaupten, irgendwelche Insidereinblicke zu haben. Ich bin auch eigentlich kein Freund von diesen ständigen Diskussionen, was nun trv kvlt sein soll *gn*. Auch Peak hat eindeutig sehr gründlich recherchiert, aber seltsamerweise behindert das seine Erzählung mehr, als dass es ihr nützt: Es gibt einfach eine Menge vielzirkulierter Anekdoten und Dokus, die er fast 1:1 verarbeitet (z.B. die Story der beiden VICE-Journalisten, die von Gaahl durch den Schnee zu einer angeblich von seinem Opa gebauten Berghütte geschleift wurden), und diese Wiedererkennungseffekte machen das Eintauchen in die Geschichte schwierig. Auch an der Figurenzeichnung erkennt man ein paar Metal-Größen: Gaahl, Vikernes, Kvitrafn und sicherlich Masha „Scream“ Arkhipova, Vokalistin/Texterin des erfolgreichsten Musikexports Russlands, Arkona.
Die weit abgelegene Siedlung mit den schwer bewaffneten Selbstversorgern erinnert an Vikernes‘ französischen Rückzugsort, von dem aus er Selbstverteidigungsanleitungen für Endkriegs-Szenarien bloggt; ebenso an die neo-heidnische Kommunen der Rodnovery (= Slavic Native Faith), in einer derer Arkhipova aufwuchs und weiterhin lebt. Der – durchaus sympathische – Versuch Peaks, realistische Figuren zu entwerfen gerät an (zu) vielen Stellen allerdings zu einer Collage von extremen Persönlichkeitsaspekten, die im Gesamtbild nicht komplex, sondern unstimmig bzw. arbiträr wirken. Die Zerrissenheit wird noch dadurch verstärkt, dass Peak in jedem Kapitel den personal-auktorialen Erzähler wechselt: Max, Roland, Seph (die ‚Anführerin‘ der Kommune) und sogar ein kleiner Ziegenbock erzählen jeweils aus ihrer Sicht, Überleitungen und temporale/kausale Anschlüsse gibt es nicht. Diese Perspektivwechsel sind interessant, allerdings teils auch irritierend, da sich fast alle Protagonisten gegenseitig hassen, sodass man ständig eine andere Haltung zu den Protas bekommt (das meine ich nicht als Kritik: obwohl es auch störend war, ist es eine wirklich spannende Struktur).
Eine ähnliche – hierbei aber negative – Zerrissenheit gibt es beim Thema: Peak als Amerikaner wird BM vor allem mit Satanismus verbinden, und diesen nicht mit der europäischen Variante, sondern der dort vorherrschenden atheistischen Church of Satan / LaVeyan Satanism. Auch interpretiert er die politische Haltung vieler BM Bands miss, indem er die Betonung von vorchristlicher regionaler (sehr viel selten nationaler) Kultur und Geschichte als unbedingten Nazismus interpretiert – was sich aber eben nicht immer bedingt, auch wenn Mayhem oder Burzum Negativbeispiele wären. Gerade die extrem innovative und spannende osteuropäische Pagan / Black / Deathmetal-Szene, die ja wohl für sein Setting Pate stand, lässt sich da nicht über einen Kamm scheren. Peaks – gut gemeinte – Kritik an diesen Negativausrichtungen liest sich zu stark aus dem auktorialen Part der Erzählstimme heraus; hier wäre es spannender gewesen, nicht den von konservativen Massenmedien Standpunkt zu wählen, sondern eine Erzählung aus echter Innensicht. Die Moral wäre besser dem Leser überlassen gewesen. So ist Corpsepaint eine eigenartige Mischung aus detailliertem Einblick / Verständnis und spießigem Klischeedenken.
Hierbei ist mir unklar, warum Peak die Ukraine als Setting wählte. Er nimmt zwar explizit auf das Neoheidentum Bezug, verbindet dies aber mit dem US-amerikanischen, atheistischen LaVey’schen Satanismus, was einfach Unsinn ist. Anstatt die spirituelle Kommune mit dem rekonstruierten alten slawischen Götterglauben zu verbinden, beschreibt er ihre Religion wie die christliche: der zentrale Gott wird zwar in den Kontext von cosmic horror und Nihilismus gesetzt, aber – auch in personal erzählten Passagen ‚aus Innensicht – absolut identisch zum strafenden, patriarchalen Kontrollfreak der abrahamistischen Religionen beschrieben. Das ist mit Abstand meine größte Kritik am Buch, und das, was mich am meisten aus der Geschichte geworfen hat. Echt ärgerlich.
Das Buch wird dort spannend, wo Peak sich aus der Recherche oder seiner Kritik löst und frei erzählt: der Part des cosmic horror, ca. 20-30 Seiten gen Ende, sind eine wunderschön dunkle, abgründige tour de force aus Bodyhorror, Nahtoderlebnis, spiritueller Selbsterkenntnis und (nicht-depressivem) Nihilismus. Zusammen mit dem hohen body count bekommt man hier ein echtes Gefühl der Dunklen Phantastik und des Weird.
Corpsepaint hat zwei Enden – ein offenes und ein Extro. Ich hatte den Impuls, nach dem open end aufzuhören, und wünschte, ich hätte es getan: der Abschluss reißt die Geschichte schon wieder aus dem Phantastischen raus und verbindet das Thema BM/Neoheidentum mit dem Krieg in der Ukraine, was einfach extrem oberflächlich und sensationalistisch rüberkommt; nichts zu der Geschichte selbst beiträgt und seine beiden einzigen Sympathieträger (Seph und Roman) vollkommen diskreditiert.
Das sind jetzt fast 2 DIN A 4 Seiten Kritik, allerdings habe ich das Buch auch sehr gern gelesen, weil es wirklich spannend und unvorhersehbar ist, neugierig auf die Figuren macht, und eine eben etwas andere Art darstellt, BM-Horror zu erzählen. Die Reise als sowohl faktische wie innerliche ist angenehm klassisch, und der originelle Teil gen Schluss zeigt auch Peaks Erzähltalent, unkitschig und innovativ un-lovecraft’sch über die schreckenbehaftete spirituelle Reise in/durch den Tod zu schreiben.
In Punkten: irgendwo zw. 2/10 und 7/10.
Ich hab mir den Spaß gemacht, das Buch mit einem durchgehenden Soundtrack zu lesen:
Graveland (POL) / Norkturnal Mortum (UKR): The Spirit Never Dies für das Intro in den USA / die Hinreise,
Nokturnal Mortum: Істина | Verity in Dauerschleife und
Arkona (RUS): "Pokrovy Nebesnogo Startsa" für die Seph-Passagen gen Ende.
(Verity höre ich sowieso gerade rauf und runter, eher growliges Folk-Metal als hardcore BM, und da bin ich heilfroh, dass sich die Band vor Jahren ausdrücklich von ihrer rechten Vergangenheit distanziert hat – eine Tatsache, die leider noch nicht auf dem deutschen Wikipedia angekommen ist).