Wanda Friese – Scarabäus. Phantastische Geschichten

  • Wanda Friese – Scarabäus. Phantastische Geschichten

    Illustrierter Pappeinband, 168 Seiten

    Drei Fichten Verlag. München 1946

    Inhalt: „Ronneby“, „Abenteuer im Herbst“, „Scarabäus“, „Venezianische Begebenheit“, „Spiegelgeschichte“, „Gesicht im Mond“



    1946 erschien im Münchener Drei Fichten Verlag das Buch Scarabäus von Wanda Friese. Es enthält sechs – der Untertitel sagt es – „Phantastische Geschichten“. Darin zeigt sich die Autorin als Bewahrerin einer Tradition, die bis in die Romantik zurückreicht – und damit merkwürdig aus der Zeit gefallen scheint.


    Zitat

    „Es reizt mich keineswegs dieses Oben,“ schrie ich, „ich will gerade nach unten, begreifen Sie doch, in die tiefste Tiefe, mitten in das Grauen hinein.“

    (Aus: „Abenteuer im Herbst“)


    Inhalt

    Als Erzähler fungiert der Arzt Jan Fabrizius, der einem Kreis junger Zuhörer (angeblich) Selbsterlebtes vorträgt. Da Fabrizius gleich zu Beginn als „unverbesserlicher Aufschneider und Phantast“ bezeichnet wird, ist seine Glaubwürdigkeit fraglich.


    1. In „Ronneby“ brennt er darauf, das geheime, nächtliche Treiben seines Rosengärtners zu ergründen. Dadurch tritt er Ereignisse los, die ihn schließlich um Haus und Garten bringen.
    2. In „Abenteuer im Herbst“ leidet Fabrizius unter der Jahreszeit, die ihn schwermütig und übellaunig macht. Er verletzt mutwillig einen guten Freund, dessen Doppelgänger ihn daraufhin heimsucht.
    3. „Scarabäus“ behandelt eine Episode aus der Studentenzeit des Erzählers in Palermo. Dabei gerät er in den Bann eines mysteriösen ägyptischen Karfunkelsteins, eben jenes Skarabäus aus dem Titel.
    4. Die „Spiegelgeschichte“ kreist um die Sammelleidenschaft für Spiegel, die Fabrizius auf ein wunderliches Märchenschloss führt. Hier kommt es zu einem Wiedersehen mit einem alten Freund aus Jugendtagen.
    5. Die „Venezianische Begebenheit“ erweist sich als Hommage an Venedig, wo Fabrizius auf der Suche nach dem Außergewöhnlichen ist. Er begibt sich in die Hände des Gondoliere Beppo, dem in dieser Nacht der heilige Fischfang des St. Marcus obliegt. Als Beppo sich aus dem Staub macht, ist Fabrizius von den in die Gondel schwappenden Fischen völlig überfordert. Er schlachtet sie sinnlos ab – zur Buße verdingt er sich ein Jahr lang als armer Fischer in der Lagunenstadt.
    6. In „Gesicht im Mond“ hat Fabrizius ein Haus mit 20 Zimmern geerbt. In einer gespenstischen Vollmondnacht führt sein Diener Franz ihm den Besuch einer Dame zu. Sie nähert sich Fabrizius, wird kleiner und kleiner – um sich als seine uneheliche Tochter zu entpuppen …


    Zitat

    „Venezia,“ stöhnte ich, in einer der herrlichsten Kirchen kniend, „Venezia, du Stadt, von der ich das Schönste erhofft, warum stößest gerade du mich in den Staub?“

    (Aus: „Venezianische Begebenheit“)


    Eindruck

    Die kurzen Inhaltsangaben können nur Schlaglichter auf die verästelten, von allerlei Wendungen und Figuren belebten Abenteuer werfen (die stets auch eine Romanze beinhalten). Immerhin ergibt sich ein klares Bild des Erzählers Fabrizius: ein habgieriger, unsteter und aufbrausender Charakter, der auch vor Gewalt nicht zurückschreckt. Durch seine Wünsche und Launen bringt er sich und andere in Bedrängnis; nervenaufreibende Auseinandersetzungen sind die Folge. Auch die Verletzung seiner Berufspflicht als Arzt geschieht obligatorisch – mit ebenfalls fatalen Auswirkungen. Die phantastischen Elemente sind dementsprechend psychologisch geprägt und thematisieren Komplexe wie Selbstverleugnung, Gewissensbisse oder Identitätsverlust.


    Zitat

    Andererseits konnte es einem Traumwandelnden wie mir leicht geschehen, dass er Schwarz von Weiß nicht mehr zu unterscheiden vermochte.

    (Aus: „Scarabäus“)


    Fazit

    Wie gesagt wirkt Wanda Frieses mit diesem Band aus der Zeit gefallen. Ihr einziges Zugeständnis an die Moderne ist die Eisenbahn in „Abenteuer im Herbst“. Ansonsten hantiert sie mit zeitlos genretypischem Zubehör wie dem verwunschenen Schloss, dem Doppelgänger, dem Zauberstein usw. Einerseits ist ihr gediegener Stil – ohne sprachliche Überraschungen oder Experimente – etwas zu altertümlich, um sie literarisch interessant zu machen. Andererseits steht sie einer von Blut, Boden und Volkstum geprägten „NS-Phantastik“ fern; ja ihr nervöser Protagonist Jan Fabrizius ist ein echter Anti-Held mit verwerflichen Tendenzen. Ein Einfluss E. T. A. Hoffmanns, auch was die Erzählperspektive angeht, scheint denkbar. Ich gebe 4 von 5 Daumen.

    :thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:


    Wanda Friese

    Die DNB listet von Wanda Friese noch eine phantastische Novelle namens „Beryll“ (1948, laut Kosch 1949). Nach dem Krieg ist die 1904 in Biała Piska/Gehlenburg geborene Autorin, die ihre verhaltene Karriere mit Lyrik-Veröffentlichungen begann, nicht mehr groß in Erscheinung getreten (sie wird auch als Graphikerin geführt). Für die 1950er-Jahre lassen sich noch vereinzelt Beiträge für die Zeitschrift Ostpreußen-Warte belegen. Ich las noch den Kurzroman Junges Herz auf der Nehrung (1938): Vor dem Hintergrund der Kurischen Nehrung sucht eine junge Malerin ihre eigenen Bedürfnisse und Liebesgefühle zu ergründen. Die Geschichte punktet mit einigen fein gezeichneten Figuren und ist authentisch geschildert, insgesamt jedoch unspektakulär. Von der lebhaft mäandernden Phantastik des Scarabäus ist hier jedenfalls noch nichts zu spüren.

  • „Beryll“ ist ebenfalls eine etwas längere phantastische Novelle.

    Ich habe sie vor vielen Jahren einmal gelesen, kann mich aber nicht mehr an den Inhalt erinnern. Ich hatte auch nur eine Kopie gehabt, da das Buch, im Gegensatz zu „Skarabäus“ im Handel praktisch nie auftaucht.

  • „Beryll“ ist ebenfalls eine etwas längere phantastische Novelle.

    Ich habe sie vor vielen Jahren einmal gelesen, kann mich aber nicht mehr an den Inhalt erinnern. Ich hatte auch nur eine Kopie gehabt, da das Buch, im Gegensatz zu „Skarabäus“ im Handel praktisch nie auftaucht.

    So erging es mir mir dem hier besprochenen Werk. Es ist aber auch kein Wunder, denn die Geschichten sind nicht gerade das, was ich als stringent bezeichne. Jetzt, bei der wiederholten Lektüre, kam es mir vor, ich läse das Buch zum ersten Mal … „Beryll“ würde mich natürlich auch interessieren.

  • Marie von Geyso

    * 3.4.1862 in Meiningen; † 26.7.1926 in Danzig; Malerin, Erzählerin; Tochter eines Kammerherrn; Studium der Malerei in München; Freundschaft mit Ricarda Huch; ab 1892 in Danzig.


    Das Buch habe ich vor 35 Jahren gelesen und fand es ganz nett, aber nicht sonderlich interessant. Viel hängengeblieben ist da aber nicht, wie ich gestehen muß.

  • Neben der Titelgeschichte sind noch enthalten:

    Der Venediger, Das Kloster, Der Turm, Die Spinnen, Die Wiese, Die Blume.


    Wenn du dich für ältere Phantastik interessierst, kann ich dir wärmstens empfehlen:


    Robert N. Bloch: Eine Bildergalerie vergessener Phantasten. Autorenlexikon der deutschsprachigen Phantastik 1880-1950, sehr informativ, gerade bei unbekannteren Autoren.

    Frau Geyso ist allerdings nicht enthalten.

  • Herzlichen Dank für die ausführlichen Informationen! Ich habe wohl nicht gut genug recherchiert, um den vollständigen Namen herauszubekommen und somit bei der Suche keinerlei Anhaltspunkte bekommen.


    Das Lexikon ist eigentlich schon seit der Veröffentlichung auf meiner Wunschliste,

    ich wollte aber noch ein wenig warten und dann ein gebrauchtes Exemplar erwerben.

    Ich bin mir nämlich nicht so sicher, ob es sich für mich lohnt, da die Qualität in den Reihen der phantastischen Schriftsteller immer sehr schwankt und ich insbesondere von dt. Autoren kaum sehr populäre Namen kenne. Und dann haben wir ja in diesem Buch größtenteils die ganz unbekannten Autoren! Sind denn dort auch kurze Rezensionen zu lesen, sodass man vorab eine Ahnung hat, ob sich ein Kauf einer Geschichte lohnt?