Vermischtes aus dem Radioprogramm

  • Katla Freut mich, dass die Empfehlung die korrekte Adressatin finden konnte. :)



    Mr. Arkadin


    Mr. Arkadin - Hörspiel Pool | BR Podcast
    Thriller · Neapel, 1950er Jahre. Der Kleinkriminelle Guy van Stratten und seine Freundin Mily werden Zeugen eines Mordes. Im Sterben flüstert der Fremde zwei…
    www.br.de




    Vom Umgang mit Vorgefundenem - Hinterlassenschaften


    Vom Umgang mit Vorgefundenem - Hinterlassenschaften
    Etwas ist da, und es ist nicht von mir - eine Hinterlassenschaft. Spuren der Vergangenheit im Gegenwärtigen. Oft nehmen wir sie nicht wahr, manchmal aber…
    www.hoerspielundfeature.de

  • Sensitivity Reading: Empathie oder Zensur?


    Sensitivity Reading: Empathie oder Zensur?
    Sensitivity Reader prüfen Texte auf Diskriminierung marginalisierter Gruppen hin. Steht dabei die Freiheit der Literatur auf dem Spiel? Hannah Rau lotet aus.
    www1.wdr.de




    Vita Sackville-West - Das Erbe


    Vita Sackville West: Das Erbe - Lesungen | BR Podcast
    Da erbt man ein uraltes Herrenhaus irgendwo in der Provinz - was tun? Kein Telefon, aber Pfauen im Park. Ein sommerlich leichter Rundgang durch Garten und…
    www.br.de

  • Sensitivity Reading: Empathie oder Zensur?

    Geldmacherei unter dem Vorwand der Nächstenliebe und vor allem: Gleichmacherei. Die literarische Version von Stalins Kühen.


    Mich triggert das ja so dermaßen. Gibt es eigentlich kostenloses Sensitivity-Reading? Ich würd da sehr gern eine lesbische Sex-Geschichte hinschicken, unter dem Vorwand, ich wäre ein ratsuchender Hetero-BioMann. Ich könnte vorhersagen, was dort "korrigiert" würde (schließlich komme ich aus der Szene, der dieser Irrsinn entsprang), aber es wär dennoch spannend. Tipps, jemand? Möchte ich echt gern machen, nur eben nix dafür bezahlen.

  • Oh wow, das scheint Dich seh zu triggern - dafür, dass Du an keiner Stelle jemals gezwungen wirst, Dein Werk einem Sensitivity Reading zu unterziehen. Oder sehe ich da etwas falsch?


    Wenn es Dir nicht passt, lass die Finger davon und gut ist.


    Was mich triggert, sind Leute, die Anderen, die eventuell um einen Millimeter Aufmerksamkeit anderen Menschen gegenüber bemüht sind, sofort Geldmacherei vorwerfen. Übrigens auch schön und sehr ironisch, dass eine derartige Kritik mit dem Wunsch nach kostenloser Arbeit (denn sonst ist es ja Geldmacherei!) ausgerechnet von einer Person im Kulturbetrieb kommt, der ohnehin schon gebeutelt ist, da alle Leute stets deren Dienste für unsonst haben wollen.


    Auch den Vorwand der Gleichmacherei finde ich beachtlich. Hast Du da mal konkrete Beispiele, wo so etwas Deiner Meinung passiert ist? Denn ich erfreue mich in den letzten Jahren eher darüber, ein für mein Empfinden deutlich heterogeneres literarisches Angebot genießen zu können - und zwar explizit in Hinblick auf die Punkte, die für ein Sensitivity Reading relevant sind.


    Gibt es schwarze Schafe in dem Feld? Sicherlich. Aber da dermaßen ungehobelt und unverschämt drüber herzuziehen (anstatt sich ehrlich kritisch mit dem Thema auseinanderzusetzen), ist keine konstruktive Herangehensweise und wirkt, ehrlich gesagt, verbohrt konservativ.

  • Auch den Vorwand der Gleichmacherei finde ich beachtlich. Hast Du da mal konkrete Beispiele, wo so etwas Deiner Meinung passiert ist?

    Ja, 35 Jahre Gespräche / Interaktionen mit Angehöriginnen der feministischen und später queeren Szene (zu Zeiten, in denen ich aktiver, kulturproduzierender Teil davon war und danach dann mit Einzelpersonen). Es gibt Sanktioniertes und Unsanktioniertes, Yay und Nay, und das geht von Banalitäten wie Äußerem, kulturellen Interessen, Ausdrucksweise bis zu Sex oder Körperempfindungen. Es wird immer viel von Diskriminierungen der Mainstreamgesellschaft gesprochen, aber seltsamerweise nie von denen innerhalb der "Familie", Szene.


    Ich habe folgende Probleme:

    1. Die Idee, Fiktion repräsentiere automatisch die Realität oder / und Fiktion sollte die Realität repräsentieren.

    2. Die Idee, dass Nichtmehrheits-Merkmale oder -lebensweisen, aufgrund derer Einzelpersonen ggfs. von einer Mehrheit diskriminiert werden, bedeuteten auch eine generelle Ähnlichkeit der eventuell, potenziell oder faktisch Diskriminierten - entweder in Teilbereichen oder noch eher im Ganzen.


    1. Wenn ich Fiktion schreibe, repräsentiere ich niemanden, nicht mal unbedingt mich selbst. Fiktion kann von den Schreibenden erzählen (autobiografische Texte), kann aber auch eine freie Exploration sein, die aus welchen Gründen auch immer für die Schreibenden selbst interessant sind. Wenn ich als pansexuelle Bio-Frau (sorry, 2000er Vokabular der Trans-Szene, ich bleib dabei, weil ich das sehr witzig finde) als männlicher Icherzähler eine Sexszene schreibe, repräsentiert diese nicht das reale Erleben von Männern allgemein, nicht mal das Erleben eines einzelnen Mannes. Es ist meine fiktionale Exploration von Heterosex aus Männersicht. Und wenn eine zweite, Nicht-Ich pansexuelle, weiße, mittelständige Biofrau in einer Fiktion eine Sexszene mit einer anderen Frau schreibt, muss das in keiner Weise mit meinem entsprechenden Erleben zu tun haben - warum sollte es?


    2. Es gibt einen extrem wichtigen Kampf um Gleichberechtigung vor dem Gesetz. Diskriminierungen aus welchem Grund auch immer sind scheiße und es müssen Gesetze geschaffen werden, die eine Verfolgung von Diskriminierenden möglich macht.

    Das Subsumieren von - sagen wir nur mal - Leuten mit non-mainstream sexuellen Identitäten und Vorlieben ist dort sinnvoll, wo es um Gesetze geht. Es ist nicht dort sinnvoll, wo es um individuelles Erleben und damit Identität geht - weil Menschen zu verschieden sind und aus zu vielen Facetten bestehen (zum Glück).

    Nur weil ich wegen meiner sexuellen Vorliebe und meinem Äußeren diskriminiert werden könnte (was so faktisch stets nur innerhalb, aber ironischerweise nicht außerhalb der sozialpolitischen Szene passierte), habe ich dadurch nicht automatisch Ähnlichkeiten zu anderen Personen, die diesen einen Diskriminierungsaspekt teilen - wir mögen vollkommen andere, davon unbetroffene Dinge im Leben / in der Kultur wertschätzen und als identitätsstiftend ansehen. Bei genauem Hinsehen gibt es ggfs. auch bei dem Teilaspekt (sagen wir: sexuelle Vorlieben, Erleben, Verortungen) keine tatsächlichen Ähnlichkeiten.


    Sensitivity Reading macht nun Folgendes:

    Es wird davon ausgegangen, dass Fiktion etwas aus der Realität repräsentiert oder/und zu repräsentieren hat.

    Es wird davon ausgegangen, dass eine oder mehrere Diskriminierungsaspekte eine generelle / umfassendere Gemeinsamkeit und Ähnlichkeit unter Individuen bedeuten. Diese Aspekte werden über andere Persönlichkeitsaspekte gestellt - ob die betreffende Person das in der Realität selbst so sehen würde oder nicht (ich mag ja pansexuell sein, identifiziere mich aber z.B. eher über einen Beruf oder Hobby, die damit nix zu tun haben).


    Sensitivity Reading muss eine Gemeinsamkeit herstellen, um zu Aussagen zu kommen, wie entsprechendes Personal in Fiktionen politisch sensibel dargestellt wird, meint: realistisch, repräsentativ, unverletzend. Wer entscheidet, was mich verletzt und was nicht, was meinem Alltag , Identität und meinem Erleben entspricht, mich interessiert und was nicht? Eine Person (sensitivity reader) kann vollkommen unmöglich über das Erleben einer anderen Person urteilen, entscheiden, oder sich in die real gegebene Bandbreite eindenken/-fühlen oder diese überhaupt erfassen, verstehen. Weil das nicht möglich ist. Weil Fiktion die Exploration von individuellen Ideen / Emotionen / Konzepten ist, die mir vielleicht vollkommen fremd sind. Das ist der Witz am Fiktionalen.

    Wenn eine sensitivity readerin eine fiktionale pansexuelle Biofrau gegenliest, muss sie zu Schlüssen kommen, wie un/wahrscheinlich oder wie un/verleztend das Bild ist - die einzige Basis zu einer solchen Entscheidung ist a) sie selbst (das gilt nicht) oder b) eine Verallgemeinerung (was lediglich Klischeebildung ist und ggfs. sogar diskriminierend ist).


    Wenn jetzt die individuelle Exploration von einzelnen Schreibenden "korrigiert" wird von einer im Vergleich dagegen kleinen Gruppe sensitivity readern, die ja Hinweise geben, was sozialpolitisch / identitätsstiftend gesehen realistisch sein soll, findet automatisch eine Gleichmachung statt, die den (möglichen) Klischees des Mainstream / der "Unbetroffenen" nicht eine größtmögliche Differenzierung gegenüberstellt, sondern wohlmeinend andere, ebenso unrealistische und ggfs. diskriminierende Klischees erschafft und / oder zementiert. ImA kann das nicht der Sinn von Literatur sein.

  • Ja, 35 Jahre Gespräche / Interaktionen mit Angehöriginnen der feministischen und später queeren Szene

    Na, dann fügen wir doch mal das 36. Gespräch hinzu, von einer queeren Frau, die sich selbst als queer-feministisch bezeichnet, selbst aber in keiner Szene aktiv ist - abgesehen davon, dass ich meine Zeit mit viel Gleichgesinnten verbringe. Denn die sind meine Familie - nicht irgendeine Szene.

    Hinweis: 36 Gespräche sind kein repräsentatives Set. Aber das sei dahin gestellt.


    Es gibt Sanktioniertes und Unsanktioniertes, Yay und Nay, und das geht von Banalitäten wie Äußerem, kulturellen Interessen, Ausdrucksweise bis zu Sex oder Körperempfindungen.

    Mich würden, wie zuvor geschrieben, konkrete Beispiele interessieren.


    Kommen wir zu deinen konkreten Problemen:

    1. Die Idee, Fiktion repräsentiere automatisch die Realität oder / und Fiktion sollte die Realität repräsentieren.

    Hier musst du für mein Verständnis einmal konkreter werden. Stört dich die Annahme, Fiktion spiegele die Realität, oder widerspricht das Sensitivity Reading deinen Wünschen nach mehr Realität in der Fiktion? Platt gesagt: Kommen dir in der Fiktion zu wenige oder zu viele Slurs drin vor, was bspw. Ethnien, Gender, Sexualität und Able-bodiedness angeht? Denn zumindest in meiner Lebensrealität nehme ich deutlich mehr davon wahr, als ich sie in Fiktion lese.


    2. Die Idee, dass Nichtmehrheits-Merkmale oder -lebensweisen, aufgrund derer Einzelpersonen ggfs. von einer Mehrheit diskriminiert werden, bedeuteten auch eine generelle Ähnlichkeit der eventuell, potenziell oder faktisch Diskriminierten - entweder in Teilbereichen oder noch eher im Ganzen.

    Auch hier bräuchte ich konkrete Beispiele, wo dermaßen über einen Kamm geschert wird. Wenn das die Sensitivity Readings sind, die du oder Kolleg*innen bisher durchgemacht haben - dann tut es mir leid zu sagen, dass ihr euch über den Tisch habt ziehen lassen von eben den schwarzen Schafen, die ich bereits erwähnte.



    muss das in keiner Weise mit meinem entsprechenden Erleben zu tun haben - warum sollte es?

    Wo wird das gefordert? Ganz konkret, wer hat dir gesagt, dass muss mit deinen Erlebnissen zu tun haben?


    Bei genauem Hinsehen gibt es ggfs. auch bei dem Teilaspekt (sagen wir: sexuelle Vorlieben, Erleben, Verortungen) keine tatsächlichen Ähnlichkeiten.

    Das magische Wort ist Intersektionalität. Sicherlich, der Begriff bezieht sich auf Schnittmengen verschiedener Diskriminierungsformen - aber der Intersektionalitätsgedanke hat in den letzten Jahrzehnten viel dafür getan, dass eben nicht alles über einen Kamm geschert wird und dass individuelle Lebens- und Erlebnisformen wahrgenommen und respektiert werden müssen. Dabei ist das Ziel aber nicht unbedingt, Ähnlichkeiten zu finden - und da sehe ich auch noch immer nicht ganz, wo das passiert. Könnte in meinem Fall aber ganz ehrlich und tatsächlich daran liegen, wo ich bisher gelebt und mich herumgetrieben habe (Rheinland, nie weiter als 80 km von Köln entfernt; Los Angeles; Gießen als eine Stadt, die aufgrund der Größe ihrer Universität einen extrem jungen Altersdurchschnitt hat).


    Sensitivity Reading macht nun Folgendes:

    Es wird davon ausgegangen, dass Fiktion etwas aus der Realität repräsentiert oder/und zu repräsentieren hat.

    Es wird davon ausgegangen, dass eine oder mehrere Diskriminierungsaspekte eine generelle / umfassendere Gemeinsamkeit und Ähnlichkeit unter Individuen bedeuten. Diese Aspekte werden über andere Persönlichkeitsaspekte gestellt - ob die betreffende Person das selbst so sieht oder nicht (ich mag ja pansexuell sein, identifiziere mich aber z.B. eher über einen Beruf oder Hobby, die damit nix zu tun haben).

    Mein Erlebnis von Sensitivity Reading ist, wie du dir aus dem bisherigen Text erschließen kannst, ein gänzlich anderes. Da passen unsere Bilder nicht zusammen und ich fürchte, an der Stelle mache ich dir dein Gesprächsset kaputt. Meiner Erfahrung sind das nicht die Grundannahmen, mit denen Personen an ein Sensitivity Reading herantreten - denn deren erstes Ziel ist erst einmal zu prüfen, ob diskriminierende Stereotypen oder Klischees ungewollt eingearbeitet wurden.



    Sensitivity Reading muss eine Gemeinsamkeit herstellen, um zu Aussagen zu kommen, wie entsprechendes Personal in Fiktionen politisch sensibel dargestellt wird, meint: realistisch, repräsentativ, unverletzend.

    Nein, muss es nicht. Das ist ein komplettes Non-Sequitur-Argument. Sensitivity Reading muss keine Gemeinsamkeit herstellen. Die Aufgabe von einem Sensitivity Reading ist nicht, eine schöne Welt zu erdenken. Die Aufgabe von Sensitivity Reading ist, gedankenlos oder unwissend reproduziertes diskriminierendes Geschreibsel aufzuzeigen und Gegenvorschläge zu machen. Sensitivity Reader*innen sind nicht die Autor*innen. Es sind Lektor*innen mit bestimmten Spezialisierungen.



    Katla, hast du bereits über die Option nachgedacht, dass du überhaupt nicht jedes erfolgte Sensitivity Reading in einem Text erkannt hast und dass deine Haltung weniger von einer objektiven Beobachtung als von ausschließlich schlechten Erfahrungen kommt? Verstehe mich nicht falsch, dass sind dann furchtbare Erfahrungen und die würde ich dir nicht wegreden wollen. Aber sie können nicht die Grundlage sein, um das komplette Konzept des Sensitivity Readings auf so platte, rücksichtslose Weise runterzuputzen. Ich meine das nicht zynisch, aber auch Sensitivity Reader*innen sind nicht alle gleich und sollten daher nicht gleichgemacht werden...

  • Hinweis: 36 Gespräche sind kein repräsentatives Set. Aber das sei dahin gestellt.

    Hallo Rahel, ich fürchte, du musst noch mal lesen, was ich schrieb: Gespräche aus 35 Jahren Interaktion mit der feministischen Szene, bzw, seit meinem Ausstieg mit einzelnen Vertreter*innen davon. Ich führe doch seit den späten 80ern keine Strichliste, wann jemand mal was Blödes zu mir gesagt hat ... Ich meine allerdings, diese Zeitspanne ist schon ein repräsentativer Rahmen. Darin fanden eine ganze Reihe szene- und sozialpolitischer Umwälzungen und Neudefinierungen statt, einige imA begrüßenswert, andere eben nicht. Vor diesen Entwicklungen betrachte ich auch sensitivity reading, d.h. es ist eine lange Zeitspanne einer sich stets verändernden Szenepolitik (intern) und ihren Forderungen nach Außen.


    Abgesehen von privaten Kontakten und Aktivitäten (separatistische Lesbenszene Berlin damals und viele Kontakte zu Frauen von damals, von denen sich einige auch immer noch da verorten, auch wenn das separatistisch inzwischen out ist, weil man - zum Glück - nicht mehr so stark biologisch 'weiblich' von 'männlich' abgrenzt), waren das 15 Jahre als Co-Leiterin und Kuratorin des Lesben Film Festival Berlin, eines der drei ältesten und größten europäischen dieser Art. Das Festival zeigte ca. 90 Kurz- und Langfilme in 2 Kinos und lief eine Woche - du kannst dir ausrechnen, dass ich allein über das Publikum ne Menge gehört hab; dazu feministische Seminare, Magazine, Zirkel, Cafés ... Ja, USA kenne ich auch, weil ich einige Jahre mit einem Transmann aus Oakland zusammen war (Christopher Lee R.I.P., kein Scherz, kennst du vielleicht auch).


    Ich möchte hier - sage ich, weil ich annehme, das könnte so wirken - kein Kompetenzgerangel anfangen, sondern mich a) nur verorten und b) deine "36 Gespräche" etwas zurechtrücken.

    Mich würden, wie zuvor geschrieben, konkrete Beispiele interessieren.

    Du bist nicht bi, sondern Lesbe, weißt es nur noch nicht (weil alles andere als Zaunreiterin und Verrat am Volk an den Schwestern aus der Szene wäre) alternativ (wegen langer Haare oder ähnlichen Modedingen): Du bist eine Femme und weißt es nur noch nicht. (Erstes grad mal wieder kürzlich gehört, zweites damals von einer Lesbe in San Francisco). Alternativ: "Du bist keine Lesbe, weil ... (bitte einsetzen: du nicht so aussiehst [?!], du XY Buch liest / Filme schaust / Musik hörst ...). Was du beim Sex magst, ist patriarchal. Du kannst auf die und die Art gar keine Lust empfinden, weil Frauen nur auf Weise XY Lust empfinden. Und wenn doch, bist du patriarchal manipuliert, dass du nur glaubst, du hast Lust dabei. Ich bin öfter mal in Szenekneipen nicht bedient worden, aber meine beste kurzhaarige (Hetero *gn*)-Freundin oder die Butches hinter mir. Eine heterosexuelle Freundin behauptete, bi zu sein, um nicht ständig angegriffen zu werden und behauptete (da grad hochschwanger von ihm) in Gegenwart ihres Partners, dass sie nur Frauen liebe und mit Männern nix zu tun haben wolle (sein Gesicht dabei werd ich nie vergessen - zumal sie später zugab, nie in eine Frau verliebt gewesen zu sein und das nur gesagt hatte, weil sie den peer pressure nicht aushielt).


    Von einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin hörte ich: "Jedes Bild von einer Frau macht die Frau zum Objekt. Daher: Keine Bilder machen, denn das ist automatische Objektivierung."

    Frage einer: "Wenn ich nun im Urlaub meine Liebste fotografiere? Angezogen?"

    Antwort: "Nein, das ist Objektivierung. Die mit der Kamera hat den dominanten (=patriarchal geprägten) Blick, die andere ist das Objekt. In Beziehungen zwischen Lesben muss Machtausgleich sein, daher keine Fotos!"


    Ich könnte mir die Finger wundschreiben und ähnliches listen, das sind keine Einzelfälle und nicht alles davon eben aus grauer Vorzeit. Dieselben Haltungen lese ich heute z.B. in finnischen Studiblättern (wie Voima) oder Magazinen, die sich u.a. um Feminismus & Sexualität / Erotikfiktionen drehen (Tulva).


    Ich höre dich schon sagen: Ja, was ist das denn alles für ein Scheiß? Wer sagt denn sowas?

    Eben. Das sind Fremddefinitionen und Maßregelungen, die Individuen die Selbstdefinition, Selbstverortung und ganz grundlegende Empfindungen und Erfahrungen schlichtweg absprechen, um sie in eine (okay, wirklich ganz, ganz platt gesagt!) "Szenenorm" zu pressen.

    Sicher gibt es Tausend beschissene Klischees, aber nicht alle kommen aus dem diskriminierenden Mainstream. Mir ist Latte, wer mich diskriminiert, ich hab da - needless to say - generell keine Lust drauf. Sensitivity reading kommt in wirklich gerader Linie aus dieser Szenepolitik. Das heißt nicht, dass jeder so "korrigierte" Text schlecht ist, aber es heißt, dass ggfs. eine dominante Szenesicht über eine abweichende gesetzt wird.


    Nachdem ich nach Finnland zog, hab ich davon (abgesehen von Artikeln, die mir Freundinnen schickten), nicht mehr so viel mitbekommen, aber als ich aus Spaß mal vor wenigen Jahren in einen feministischen Zirkel hier ging bzw. mir mal ganz aktuelle finnische Szenemagazine anschaue, sehe ich, dass sich davon - trotz inzw. Queerness, inter- und transsexuellem Erleben - erschreckend viel gehalten hat. Gerade getragen von der Generation Anfang / Mitte Zwanzig, die von den Ursprüngen dieser Entwicklung nichts mitbekamen.


    Hier musst du für mein Verständnis einmal konkreter werden. Stört dich die Annahme, Fiktion spiegele die Realität, oder widerspricht das Sensitivity Reading deinen Wünschen nach mehr Realität in der Fiktion?

    Mich stört das Vorgehen (und das wird von sensitivity reading unterstützt), dass eine fiktionale Figur, die bestimmte Eigenschaften einer momentan vom Mainstream diskriminierten Gruppe besitzt, auf eine sozialpolitisch und -historisch korrekt gebürstete Form "korrigiert" wird.

    Das kommt sicher aus der Zeit vor den 80ern, wo im Film bes. jede Lesbe suizidale Alkoholikerin und psychopathisch war. Und realistischere Alternativen her mussten. Das ist ja gut. Aber imA schießt das inzwischen übers Ziel hinaus

    Auch hier bräuchte ich konkrete Beispiele, wo dermaßen über einen Kamm geschert wird

    und

    Wo wird das gefordert? Ganz konkret, wer hat dir gesagt, dass muss mit deinen Erlebnissen zu tun haben?

    Da lese ich aus INterviews und Selbstdarstellungen von sensitivity readern. Und nein, ich bin nicht überzeugt, dass sich diese reader über ihre eigene bias genügend bewusst sind. Das ist ja das Problem, das Ethnologen und Historiker, Linguisten usw. auch haben. Das ist nur mit Eigenverortung und Individualisierung zu umgehen. Halbwegs.

    Dabei ist das Ziel aber nicht unbedingt, Ähnlichkeiten zu finden - und da sehe ich auch noch immer nicht ganz, wo das passiert. Könnte in meinem Fall aber ganz ehrlich und tatsächlich daran liegen, wo ich bisher gelebt und mich herumgetrieben habe (Rheinland, nie weiter als 80 km von Köln entfernt; Los Angeles; Gießen als eine Stadt, die aufgrund der Größe ihrer Universität einen extrem jungen Altersdurchschnitt hat).

    Ja, mag auch daran liegen, oder?

    Mein Erlebnis von Sensitivity Reading ist, wie du dir aus dem bisherigen Text erschließen kannst, ein gänzlich anderes. Da passen unsere Bilder nicht zusammen und ich fürchte, an der Stelle mache ich dir dein Gesprächsset kaputt.

    Du machst mir gar nix kaputt, ich sage nur, was ich erlebt habe und deshalb denke. Ich will und wollte dir im Gegenzug auch nicht deine Freunde am sensitivity reading "kaputt" machen. Schön, wenn es für dich klappt.

    Meiner Erfahrung sind das nicht die Grundannahmen, mit denen Personen an ein Sensitivity Reading herantreten - denn deren erstes Ziel ist erst einmal zu prüfen, ob diskriminierende Stereotypen oder Klischees ungewollt eingearbeitet wurden.

    Ja, genau - prüfen. Und dafür benötigst du einen Rahmen, eine Art Blueprint.

    hast du bereits über die Option nachgedacht, dass du überhaupt nicht jedes erfolgte Sensitivity Reading in einem Text erkannt hast und dass deine Haltung weniger von einer objektiven Beobachtung als von ausschließlich schlechten Erfahrungen kommt?

    Hast du mal darüber nachgedacht, dass diese Bemerkung haarscharf am Patronizing langschrammt? Ich hab in meinem Erwachsenenleben ne Menge nachgedacht, auch, wenn ich viel mit heißem Blut und viel Sarkasmus (flapsig) schreibe.

    Aber sie können nicht die Grundlage sein, um das komplette Konzept des Sensitivity Readings auf so platte, rücksichtslose Weise runterzuputzen. Ich meine das nicht zynisch, aber auch Sensitivity Reader*innen sind nicht alle gleich und sollten daher nicht gleichgemacht werden...

    Ich putze gar nix runter, ich sag, was ich nach 35 Jahren Erfahrungen zu einer Entwicklung in der Literatur denke, die beginnt, mein Schreiben einzuschränken ("Wir nehmen nur own voices" - Hm. Hat auch Vor- und Nachteile.)


    So, sorry, ich muss malochen.


    Herzliche Gruesse,

    Katla

  • Gespräche aus 35 Jahren Interaktion mit der feministischen Szene

    Fair enough, sorry - da habe ich mich verlesen. Danke für die Einordnung!



    Ich höre dich schon sagen: Ja, was ist das denn alles für ein Scheiß? Wer sagt denn sowas?

    Da hörst du ganz richtig :D Ich möchte da direkt kurz einhaken:

    1. Das ist nicht meine Realitätserfahrung. Nichts davon. Aber wie gesagt - ich treibe mich auch nicht aktiv in "der" Szene herum (die aber von dem, was ich daraus höre, auch überhaupt nicht so heterogen ist, wie du es für mein Verständnis hier grade beschreibst).

    2. Wie die Szene Leute maßregelt oder nicht, sei erst einmal dahingestellt - das hat aber mit Sensitivity Reading erst einmal noch nichts zu tun. Da springst du mir zu schnell vom einen zum anderen mit der Begründung, Sensitivity Reading käme aus der Szenepolitik. Erweitern wir den Blick doch einmal weg von der queer-feministischen Szene. Wie passen diese Dinge deiner Meinung bspw. zu Aspekten wie Race und Able-Bodiedness? Erlebst du die Gleichmacherei da auch? Denn lass uns bitte nicht vergessen: Sensitivity Reading ist mehr als nur Gender und Sexualität.


    Da lese ich aus INterviews und Selbstdarstellungen von sensitivity readern.

    Wie gesagt: Ich hätte gerne konkrete Beispiele. Sprich: Welches Interview? Welche Selbstdarstellung? Das mache ich nicht, um dich irgendwo festzunageln - ich will nur nachvollziehen können, wo du herkommst. Ebenso will ich das Buch, Kurzgeschichte, was-auch-immer genannt bekommen, wo die Sache für deinen Geschmack über das Ziel hinausschießt.


    Ja, genau - prüfen. Und dafür benötigst du einen Rahmen, eine Art Blueprint.

    Das liest sich für mich so, als jeder Rahmen deiner Ansicht nach schlecht und problematisch ist. Warum ist das so, bzw. wie meinst du das?


    Hast du mal darüber nachgedacht, dass diese Bemerkung haarscharf am Patronizing langschrammt? Ich hab in meinem Erwachsenenleben ne Menge nachgedacht, auch, wenn ich viel mit heißem Blut und viel Sarkasmus (flapsig) schreibe.

    Das war nicht meine Absicht - aber den Kommentar könnte ich dir, ehrlich gesagt, genauso zurückschießen. Wenn dir das zu weit geht, dann muss ich ein Stück weit auch sagen: Selbst schuld nach dem flapsigen Einstieg. Wenn du provokativ einsteigst (und da scheinst du dir ja im Klaren drüber zu sein), dann musst du auch mit einer provokativen Antwort rechnen. Und wie in meiner ursprünglichen Aussage möchte ich noch einmal betonen (auch, wenn du es in deinem Zitat geschickt ausgeklammert hast):


    Verstehe mich nicht falsch, dass sind dann furchtbare Erfahrungen und die würde ich dir nicht wegreden wollen.

    Für mich wichtiger ist aber noch folgender Punkt:

    was ich nach 35 Jahren Erfahrungen zu einer Entwicklung in der Literatur denke, die beginnt, mein Schreiben einzuschränken ("Wir nehmen nur own voices" - Hm. Hat auch Vor- und Nachteile.)

    Hier würde mich wieder sehr konkret interessieren, wo du das erlebt hast - denn unter Umständen ist es viel wichtiger, über eben diese (potenziell problematischen) Instanzen namentlich zu sprechen. Das ist nämlich im Interesse vieler Kulturschaffender: Wer bietet Safe Spaces und wer betreibt ausgrenzendes Gatekeeping?



    Aber ja, back to work auch auf meiner Seite.



    EDIT: Um es mal kurz und knapp auf den Punkt zu bringen, was mich an deiner Argumentation bisher stört: Was ich von dir bisher mitkriege ist (überspitzt gesagt) "Sensitivity Reading ist schlecht und macht schöne Dinge kaputt". Da fehlt mir jede Differenzierung und auch nur der Versuch, ein positives Potenzial zu erkennen. Für mein Gefühl ist das der Sache gegenüber ungerecht und realitätsfremd. Es ist nun einmal komplexer.

  • 1. Das ist nicht meine Realitätserfahrung. Nichts davon. Aber wie gesagt - ich treibe mich auch nicht aktiv in "der" Szene herum (die aber von dem, was ich daraus höre, auch überhaupt nicht so heterogen ist, wie du es für mein Verständnis hier grade beschreibst).

    Hallo Rahel,

    nee genau - deshalb finde ich unseren Austausch (wenn auch vielleicht etwas nervenaufreibend) auch sehr positiv: Was wir hier machen ist letztlich genau Diversity in action. Wir beide verorten uns zumindest in groben Ansätzen in einer ähnlichen Kultur und einer ähnlichen (nicht-hetero zumindest) Sexualität. Aber wir haben auch jeweils Erfahrungen und leben / lebten in Zusammenhängen, die die andere nicht kennt oder kennt, aber anders erlebt. Das genau ist doch Diversity: Eine Vielfalt von Stimmen. Dinge zu hören, mit denen man nicht gerechnet hat. Die Szene ist auch nicht nur homogen, aber wenn mir immer wieder bestimmte Haltungen entgegengebracht werden, die zum Ziel haben, Leuten eigene Verortungen und Erfahrungen abzusprechen, weil sie irgendwie in irgendwas nicht passen, ist das eben ein - ggfs. sehr großer Anteil - meines Erlebens der Szene.

    Wie passen diese Dinge deiner Meinung bspw. zu Aspekten wie Race und Able-Bodiedness? Erlebst du die Gleichmacherei da auch? Denn lass uns bitte nicht vergessen: Sensitivity Reading ist mehr als nur Gender und Sexualität.

    Ich bin ein Kind der 80er und der Politik der 90er: Ich kann mich derart kritisch nur zu Dingen äußern, die mich betreffen, weil ich sonst mit Annahmen und Erfahrungen operieren muss, zu denen ich keine Berechtigung habe. Selbstverständlich umfasst SR auch andere Bereiche (zum Bsp. auch Altersdiskriminierung, da fühle ich mich bald kompetent, was zu zu sagen *gn*).

    Was ich generell ablehne, sind präskriptive Eingriffe - selbst, wenn sie mit guten Intentionen vorgenommen werden und einer politischen Stoßrichtung entstammen, mit der ich durchaus - zumindest, was Analysen betrifft - teilkonform gehe. Ich gehe aber letztlich am ehesten mit: the road to hell is paved with good intentions.


    Ich bin interessiert an ungefilterten Haltungen, die so individuell sind wie Leute eben selbst. Das kann wehtun und das kann verärgern. Aber es ist imA eine bessere Grundlage für ein Gespräch (von mir aus einen handfesten Streit). Ich denke nicht, dass es sinnvoll ist, von Kultur eine Repräsentation zu verlangen - imA geht das von falschen Annahmen aus und es nimmt Kultur (in diesem Falle Literatur) als Vehikel für Politik und das ist letztlich Propaganda. Auch, wenn es vielleicht Propaganda für etwas ist, das ich im sozialpolitischen Bereich (Gesetzgebung, Ausbau öffentlicher Orte zwecks Zugänglichkeiten etc. p.p.) sehr begrüße. Ich denke nicht, dass Kultur (Musik, Literatur, Film, Malerei, Skulptur ...) der geeignete Austragungsort für politische Umwälzungen ist.

    Ich wünsche mir (siehe ganz unten) eine größtmögliche Bandbreite an Literaturen und vermittelten Erfahrungen, Explorationen und Experimenten - genau so, wie Schaffende sie schaffen wollen (Schreibende also schreiben, Filmemacher drehen etc.). Ich möchte nicht - und ja, da spreche ich für mich, das muss jeder für sich tun, da gehe ich einmal mit Irigaray (oder Audre Lorde) -, dass quasi 'in meinem Namen' als potenziell diskriminierte xy-sexuelle Frau irgendwas in der Kunst geändert oder geleitet wird.


    Wie gesagt: Ich hätte gerne konkrete Beispiele. Sprich: Welches Interview? Welche Selbstdarstellung? Das mache ich nicht, um dich irgendwo festzunageln - ich will nur nachvollziehen können, wo du herkommst. Ebenso will ich das Buch, Kurzgeschichte, was-auch-immer genannt bekommen, wo die Sache für deinen Geschmack über das Ziel hinausschießt.

    Das kann ich dir nicht mehr sagen, weil ich schon irre viele Bookmarks zu Sachen setze, die mich interessieren, aber nicht zu Dingen, die ich später mal in Diskussionen als Beleg brauchen könnte. Als das Thema aufkam, hab ich mir das näher angeschaut, und gucke da aufgrund von Zeitungsberichten / News nochmal rein, aber da lege ich nix ab.


    Was über das Ziel hinausschießt sind Ausschreibungen, die own voices verlangen (obwohl ich die Forderung durchaus sehr gut verstehe!), und sind faktische Zensur von Kunst (in diesem Falle Literatur - die bereits geschrieben ist oder gerade geschrieben wird).

    Das liest sich für mich so, als jeder Rahmen deiner Ansicht nach schlecht und problematisch ist. Warum ist das so, bzw. wie meinst du das?

    Nein, nicht unbedingt schlecht, aber problematisch. Weil es ohne Zuschreibungen, Abgrenzungen und Fremddefinitionen logischerweise nicht funktioniert. Du musst für Rahmen etwas definieren, was nicht du selbst bist, weil Leute nicht nur aus diesen "Rahmeneigenschaften" bestehen, sondern noch aus vielen anderen. Rahmen definieren vielleicht positiv (us ..., in-group, action group - wie willst du sonst Politik machen?), aber sie grenzen auch aus (... vs them, outsider, Personen, die aus den Definitionen herausfallen - und je deutlicher man hinschaut, desto mehr sieht man mMn, dass eigentlich jede einzelne Person zu komplex ist, um sie zu definieren - vor allem, um sie für einen Gebrauch in Fiktion, als fiktionale Exploration zu verwenden.

    Hier würde mich wieder sehr konkret interessieren, wo du das erlebt hast - denn unter Umständen ist es viel wichtiger, über eben diese (potenziell problematischen) Instanzen namentlich zu sprechen. Das ist nämlich im Interesse vieler Kulturschaffender: Wer bietet Safe Spaces und wer betreibt ausgrenzendes Gatekeeping?

    Querbeet, wie gesagt: In Frauencafés (damals mit Männerverbot), in gemischten Szenekneipen. in Seminaren an der Uni oder anders organisierten, in Gresprächsgruppen, auf Veranstaltungen, Demos, einfach in privaten Gesprächen zu Hause, zu zweit oder in Gruppe unter Freundinnen. Ausnahmen: Sexarbeiter*innen-Zusammenhänge und die Anfänge der Trans-Szene in den USA (beides eigentlich kein Teil meiner Identität, aber dort hab ich nie erfahren, dass jemand mich fremddefinieren will oder Annahmen trifft - dort wurden Leute genommen wie sie sind, egal, was das war).


    Ich will keine Safe Spaces. Ich will nur, dass mir nicht gesagt wird, wer ich bin oder zu sein habe. Andere Leute bedeuten andere Haltungen, die können wehtun, aber damit kann man sich auseinandersetzen.

    Um es mal kurz und knapp auf den Punkt zu bringen, was mich an deiner Argumentation bisher stört: Was ich von dir bisher mitkriege ist (überspitzt gesagt) "Sensitivity Reading ist schlecht und macht schöne Dinge kaputt". Da fehlt mir jede Differenzierung und auch nur der Versuch, ein positives Potenzial zu erkennen. Für mein Gefühl ist das der Sache gegenüber ungerecht und realitätsfremd. Es ist nun einmal komplexer.

    Ah, nein - ich habe keine Bedenken, SR könnte mir "schöne Dinge kaputt machen", genau im Gegenteil. Was ich in Kultur suche, ist Transgression. Etwas, das meine Welt durcheinanderbringt, mir Dinge zeigt, die ich nicht antizipieren kann, die ich ggfs. nicht sofort einordnen kann (in meine Erfahrungen, Identität wasauchimmer), die mich und die Weltsichten, die ich kenne, infrage stellen. Ich möchte, dass ich die Welt nicht durch ein Fernrohr sehe, sondern durch ein Kaleidoskop, wobei die Bruchstücke meiner bisherigen Sichten neu geordnet werden (vorübergehend). Mich interessieren Psychopathologien, Konflikte, Grenzüberschreitungen, Experimente und ggfs. das Destruktive. Deskriptionen, Spekulatives, lateinamerikanischen antikolonialen Nihilismus.


    Ich will nicht die Repräsentationen meiner selbst (oder wie du sagst: du siehst Leute in deiner Umgebung und vermisst deren Repräsentation in der Literatur) lesen, weil ich jeden Tag mit mir zu tun hab und mich kenne. Das ist langweilig. Ich will auch keine Sozialutopien lesen, auch keine Alternativen, sondern Dinge sehen, die sozusagen ausbrechen.


    Dabei kann es etwas gehen, das nicht direkt oder offensichtlich mit mir zu tun hat. Aber durch Transgression wird mein Bild von mir und der Welt (dramatisch gesagt) erschüttert, ich muss mich neu verorten und finde mich vielleicht an Orten, die ich nicht erwartet habe. Das kann etwas Spekulatives sein, das nichts mit meinem Alltag zu tun hat, aber dennoch mein Verhältnis zur Welt (und der Realität, den Alltag) am Ende prägt.


    (Text zu lang =O )

  • Das funktioniert für mich (um konkret zu werden, es geht ja um Kultur) z.B. ganz banal in: den frühen Filmen von Cronenberg (Stereo -> eXistenZ), bei Gigers Kunst (Alien etc.), bei den Videos vom Duo Seth Ickerman (sogar klassisch feministisch), Shu Lea Cheangs Filmen, Antoine Volodine, Peter Verhelst, Michael Perkampus, in Metro 2033 (wegen dem Ende, daher nix anderes aus dem Universum), bei den frühen Shows der SRL - Survival Research Laboratories, experimental noise, einer ganzen Reihe von Horrorfilmen, in denen es nicht um Erhaltung des Status Quo geht (frühe Zombiefilme hatten sogar eine sozialpolitisch interessante Aussage und waren trotzdem nicht präskriptiv). Das kann auch abstrakter sein, Filme, die mein Zeitempfinden auf den Kopf stellen: Heinz Emigholz' Doku Goff in der Wüste, genauso übrigens wie Cronenbergs Stereo oder The First and Last Man, den ich auch gut ohne Text/Ton hätte sehen können. Das Intro von Lems Unbesiegbaren (das erwachende Raumschiff), ähnlich in SF Romanen von C. S. Friedman (This Virtual Night), wo es quasi um 'technisches Erleben' geht - ohne Transhumanismus reinzubringen, sondern ganz ohne Menschen. Carrolls Alice in Wonderland, Leonora Carrington, Surrealismus generell. Und das reicht in die Realität hinein: Astrophysik, Zeittheorien, Speziesismus, die Tiefsee - Dinge, die wir nie ganz erfassen werden können; die zeigen können, dass unsere (meine) Idee von der Welt inkomplett und ggfs. falsch ist. Dazu gehören auch ganz reale Sichtweisen wie ein Gespräch mit einem Blinden im Kino oder die Sichten zweier eng vertrauter Menschen, die beide bipolar waren / sind.


    Relativ aktuell: Titane von Julia Ducournau. Minus der Schwangerschaftsproblematik (die am letzten Drittel thematisch das Spekulative nicht gebraucht hätte) hat mich lange kein Film so begeistert, weil er extrem frei exploriert und dabei handwerklich extrem strukturiert ist. Der Film - vor allem das Intro - zeigt mir, welche Bandbreite an Identitäten und Begehren möglich sind, und das sind Themen / Emotionen, die ich einerseits nachvollziehen kann, aber die mich andererseits infrage stellen und mich fordern: als Pansexuelle, als Frau ... sogar als Mensch.


    Genau sowas will ich. Mit mir hat der Film an sich nicht viel zu tun: Ich mag keine Autos, hab keinen Führerschein, bin keine Mörderin, nicht in der Erotikszene und hab keine selbstdestruktiven Tendenzen, ich bin nicht intersex (obwohl ich das sehr spannend finde bei anderen und als Konzept) und nicht genderfluid (auch wenn ich das ebenso spannend finde). Eigentlich finde ich mich nur im non-hetero und - haha - dem Aspekt der Bandbekämpfung (durch meine Matrosenausbildung) wieder. Dennoch trifft der Film bei mir eine ganze Reihe Nerven - er zeigt, gibt nichts vor. Ich muss mich an nichts anschließen, ich stoße mich an Dingen / Bildern, ich entdecke Neues. Entdecke mich vielleicht in Aspekten, die ich nie gesehen habe. Der Film hat eine Freiheit, die ich als wohltuend empfinde - gerade weil er beim Zuschauer keine Grenzen, Empfindlichkeiten achtet. Er repräsentiert nichts und niemanden, aber geht mit seinen gebrochenen fiktionalen Figuren respektvoll um, selbstverständlich.

    (Der Film hat dabei durch die Hauptdarstellerin, aber nicht die Regisseurin, einen own voices Aspekt - allerdings: Agathe Rousselle sagte, sie habe die Rolle angenommen, weil sie eben rein gar nichts von ihr selbst hat. Es ist also keine Repräsentation von non-binary-Menschen, nicht mal eine die Repräsentation dieser einen non-binary Person.)


    Man kann den Film auf negative Klischees abklopfen: non-hetero nonbinary Hauptfigur ist psychopathisch, selbstdestruktiv, sexgesteuert, ermordet (zumindest teils) Unschuldige, ist beziehungsgestört oder ggfs. -unfähig, stirbt am Ende. Oh oh. Das sind ja die Bilder des Mainstreams und so wurden in den 1950ern in Filmen Lesben dargestellt. Das ginge auch mit einer realitätsnahen, positiven Darstellung ... oder? :- ) Vielleicht findest du die Idee, Titane könne sensitivity gelesen werden, absurd - aber mein Punkt ist, dass im Zweifelsfall gegen die Transgression und für den Schutz gegen Verletzungen bei potenziellen Zuschauer*innen argumentiert werden kann. Zu Zeiten unseres Filmfestivals hatten wir jedes Jahr mit Gruppen empörter Zuschauerinnen zu tun, die uns die Filmauswahl vorwarfen: Wir sollen keine negativen / konfliktgeladenen Darstellungen von Lesben zeigen, weil es bereits so viele negative, klischeehafte Darstellungen des Mainstreams von Lesben gäbe. Diese Filme wären keine realistische und / oder adäquate Repräsentation realer Lesben. Konkret hätte man uns gern verboten (anderes auch, das hab ich aber nicht mehr parat): High Art sowie ein Remake von Die bitteren Tränen der Katharina von Kant (hab keine Zeit, das zu googeln, USA, mit einem Tiger oder Leoparden als Haustier). Verschiedene Pornfilme (die aber own voices waren). Genau da sehe ich die Verbindung meiner Erlebnisse in der Szene mit SR.


    Lange Rede auch bei mir: Transgressionen können (sollen!) schmerzhaft sein und Vorstellungen vom eigenen Selbst wie auch von der Welt angreifen, ggfs. zerstören. Zumindest aber stören. Ich habe keine Bedenken, dass SV etwas "Schönes" kaputtmacht, sondern habe Bedenken, dass unter der Prämisse des Schutzes vor Verletzungen Transgressionen unmöglich gemacht werden (denn wer will unterscheiden, ob ein Buch unbewusst Klischees verbrät oder mit den Figuren eine verstörende Aussage treffen will? Das traue ich keinem zu und daher bin ich gegen kulturelle Rahmen, Reglementierungen und dem - wohlmeinenden - Eingriff in Fiktionen.)


    Sehe ich daher nix Positives am SR? Nein, eher nicht. Ich verstehe aber vor deinem Hintergrund, dass es dir anders geht. Denke letztlich, dass wir in Kultur zu unterschiedliche Dinge suchen, als dass wir hier auf einen Nenner kämen (finde ich auch nicht nötig, btw.). Den Austausch fand ich sehr interessant (nicht das negative 'interessant').

    Eigentlich sind wir beide, unsere Diskrepanzen hier im Faden, das beste Beispiel gegen SR. Stell dir vor, wir wären fiktionale Figuren eines Heteromannes. Wie hättest du "dich" (die Figur) und dann "mich" (die Figur) als S-Readerin behandelt? Die Erfahrungen "deiner" Figur würdest du sicher durchwinken - weil alles, was du erlebt hast, diese Figur unterstützte. Und bei mir? Wenn du mich als reale Person schon mit offensichtlichen Zweifeln fragst, ob ich mal genauer nachgedacht habe?


    Eigentlich würde ich das Ganze lieber mit dir über einem Wein / Kaffee / Tee diskutieren, als online. Allein aus Zeitgründen und weil sich im Gespräch schneller und besser Missverständnisse ausräumen ließen.


    Ich denke, wir haben unterschiedliche Erfahrungen oder Teilerfahrungen, kommen aus verschiedenen Generationen und sind ggfs. ganz generell an anderen kulturellen Erfahrungen interessiert. Aus Zeitgründen (ich hab ne Deadline und Fließbandarbeit bei der Posti ist der Konzentration auch nicht grad zuträglich) muss ich mich nach diesem Komm rausziehen, obwohl ich deine Sicht wie gesagt auch sehr spannend finde.


    Ganz herzliche Grüße,

    Katla

  • Hi Katla,


    entschuldige die späte Antwort - am Wochenende war in Bonn die FeenCon und ich war voll eingebunden. Daher komme ich erst jetzt dazu, deinen Kommentar zu lesen und darauf einzugehen. Leider kann ich nur kurz und knapp antworten, da ich wieder auf dem Sprung bin :/

    Ich bin ein Kind der 80er und der Politik der 90er: Ich kann mich derart kritisch nur zu Dingen äußern, die mich betreffen, weil ich sonst mit Annahmen und Erfahrungen operieren muss, zu denen ich keine Berechtigung habe.

    Ich sehe, wo du hier herkommst, habe aber da schon eine andere Meinung. Vielleicht aber auch nicht. Sich kritisch zu äußern über Dinge, von denen man nicht betroffen ist, ist sicherlich so eine Sache. Betroffene sollten immer den Vortritt haben. Gleichzeitig finde ich, dass man sich nicht ganz aus der Diskussion entziehen kann, weil man nicht betroffen ist. Denn dann kochen alle ihr eigenes Süppchen und es wäre bspw. schwer, Synergien aufkommen zu lassen. Aber daher schreibst du auch "derart kritisch" (glaube ich zumindest). Mir ist nur wichtig zu betonen, dass ich dennoch diese Aspekte des SR gerne mitdenken wollen würde.


    Was ich generell ablehne, sind präskriptive Eingriffe

    Das ist für mich immer der größte Haken - denn ich sehe noch nicht ganz, dass das passiert. Meines Wissens ist SR immer ein Angebot. Niemand pfuscht im Text rum, sondern es werden Anmerkungen gemacht. Die kann ich annehmen oder es lassen.


    Ich denke nicht, dass es sinnvoll ist, von Kultur eine Repräsentation zu verlangen - imA geht das von falschen Annahmen aus und es nimmt Kultur (in diesem Falle Literatur) als Vehikel für Politik und das ist letztlich Propaganda. Auch, wenn es vielleicht Propaganda für etwas ist, das ich im sozialpolitischen Bereich (Gesetzgebung, Ausbau öffentlicher Orte zwecks Zugänglichkeiten etc. p.p.) sehr begrüße. Ich denke nicht, dass Kultur (Musik, Literatur, Film, Malerei, Skulptur ...) der geeignete Austragungsort für politische Umwälzungen ist.

    Naja, sich das zu wünschen, heißt aber noch nicht, dass es so ist. Um mal zwei absolut konträre Beispiele zu nennen: James Joyce' Ulysses ist ein literarisches Nationaldenkmal mit explizit politischem Inhalt. Ebenso ist es aber auch mit The Birth of a Nation. Und beide haben nun einmal bedeutende Fußstapfen in ihren jeweiligen Kulturen und vor allem auch den Lebensrealitäten vieler Menschen hinterlassen. Und du nennst später ja selbst Beispiele, die du als sozialpolitisch interessant empfindest.


    Nein, nicht unbedingt schlecht, aber problematisch.

    "Problematisch" gebe ich dir. Aber auch dein "nicht unbedingt schlecht" ist mir sehr wichtig. Denn da triffst du eigentlich genau das, worum es mir geht: SR ist kein Keksförmchen, wo eins für alles verwendet wird. Es ist nun einmal jedes Mal eine individuelle Abwägung (also individuell sowohl auf den jeweiligen Text als auch die Person, die das SR vornimmt) bezogen. Daher auch mein Punkt, dass es immer Schwarze Schafe gibt - aber deswegen nicht das ganze Prinzip in die Tonne gehört. Ich glaube, dass wir da nicht vergessen dürfen, dass auch einfach vieles noch im Wandel ist. Keine Ahnung, wie wir das in 20, 50, 100 Jahren bewerten.


    ich habe keine Bedenken, SR könnte mir "schöne Dinge kaputt machen", genau im Gegenteil. Was ich in Kultur suche, ist Transgression.

    Das war aber das, was ich mit "schöne Dinge kaputt machen" meinte. Das war quasi ein Container von was auch immer du gerne in der Kultur hättest und von SR bedroht siehst. In dem Fall wäre das dein metaphorisches Kaleidoskop. Das klarzustellen ist mir deswegen sicher, weil SR eben nicht die Aufgabe hat (und ich bisher auch nicht sehe, dass das passiert), die Konflikte, Grenzüberschreitungen, etc wegzuschreiben. Aus SR entsteht nicht wirklich eine schöne Literatur im Sinne von "brav", "ästhetisch", "lieb", "alle mögen sich".


    Relativ aktuell: Titane von Julia Ducournau. Minus der Schwangerschaftsproblematik (die am letzten Drittel thematisch das Spekulative nicht gebraucht hätte) hat mich lange kein Film so begeistert, weil er extrem frei exploriert und dabei handwerklich extrem strukturiert ist. Der Film - vor allem das Intro - zeigt mir, welche Bandbreite an Identitäten und Begehren möglich sind, und das sind Themen / Emotionen, die ich einerseits nachvollziehen kann, aber die mich andererseits infrage stellen und mich fordern: als Pansexuelle, als Frau ... sogar als Mensch.


    Genau sowas will ich.

    Genau so etwas sollst du auch weiterhin haben. Ich sehe nicht, wie SR das gefährden würde. Ich sehe ein, dass es da durchaus Diskussionen gibt, ob der Film problematisch ist. Und es ist auch spannend zu hören, mit welchen Diskussionen sich ein Filmfestival herumschlagen muss. Aber das ist ja der Punkt: Es sind Diskussionen, die geführt werden und die geführt werden müssen. Die diesen und andere Filme einer kritischen Untersuchung unterziehen und damit auch unser Denken ein Stück weit anregen und befördern - denn genau solche Kritik regt so manche Leute erst einmal zum Nachdenken an, was sie selbst eigentlich vom Film halten. Ganz wichtig ist aber: Titane gibt es. Der Film wurde nicht zensiert. Und du schreibst, man "hätte euch gern verboten [...]" - woraus ich schließe, dass ihr euch nicht habt verbieten lassen. Das sind ja die besten Beispiele, dass diese Stimmen (zumindest in diesen Fällen) nicht stark genug waren - aber ich fände es ebenso schade, die Diskussion, die sie mitgebracht haben, zu unterbinden. Denn wie gesagt: Auch das regt das eigene Denken an.


    Eigentlich sind wir beide, unsere Diskrepanzen hier im Faden, das beste Beispiel gegen SR. Stell dir vor, wir wären fiktionale Figuren eines Heteromannes. Wie hättest du "dich" (die Figur) und dann "mich" (die Figur) als S-Readerin behandelt? Die Erfahrungen "deiner" Figur würdest du sicher durchwinken - weil alles, was du erlebt hast, diese Figur unterstützte. Und bei mir? Wenn du mich als reale Person schon mit offensichtlichen Zweifeln fragst, ob ich mal genauer nachgedacht habe?

    Nee, das sehe ich absolut nicht so. Dieses Gedankenbeispiel hat für mich, ehrlich gesagt, nichts mit SR zu tun. Denn ich finde bisher nix problematisches. Ich sehe hier nicht, dass irgendwelche marginalisierten Gruppen im Negativen stereotypisiert werden und Slurs habe ich auch keine mitbekommen. Von daher ist die Diskussion vor dem Hintergrund eines SRs für mich absolut uninteressant - egal, was meine persönlichen Erfahrungen sind.


    Aber ja, ein persönliches Gespräch würde uns hier erhebliche Umwege ersparen :D Und den Austausch voranbringen.


    Liebe Grüße,

    Rahel