Konstantin Paustowski (1892 –
1968)
Es
gab eine Zeit, ungefähr von den 1960ern bis in die 1980er, da war
der Name Konstantin Paustowski kein unbekannter auf den Büchermärkten
der DDR und der BRD. Er wurde genannt als Reiseschriftsteller,
Romantiker oder „der reinste Vertreter eines gemäßigten
realistischen Klassizismus“ (Johannes von Guenther). Im
Zentrum der Aufmerksamkeit standen allerdings seine autobiografischen Erzählungen vom Leben
(original 6 Bände, 1945 bis 1963). Von dieser Bekanntheit ist in der
gesamtdeutschen Wahrnehmung wenig geblieben. Kurz flackerte das
Interesse auf, als 2002 in der Anderen Bibliothek
abermals ein Band aus den Lebenserinnerungen erschien (Der Beginn eines verschwundenen Zeitalters).
Danach blieb Paustowski ein Fall für LiebhaberInnen mit Schwerpunkt
russische/sowjetische Literatur.
Bild: Konstantin
Paustowski (um 1915). Unbekannter Fotograf (Gemeinfrei)
Paustowskis
Berührungen mit der Phantastik sind sporadisch, aber vorhanden. Das
wurde mir jedoch erst im Lauf der Zeit klar. Tatsächlich lernte ich
zuerst seine autobiografischen Schriften kennen und schätzen. Ein
weiterer Grund, ihn ins Spiel zu bringen: Sowohl in seinen
eigenen Geschichten als auch in seiner Beschäftigung mit
Zeitgenossen stößt man regelmäßig auf die Namen ukrainischer
Städte und Regionen. Wie aus dem Nichts heraus sind sie ja (den
meisten von uns) seit der russischen Invasion als Kriegsschauplätze
geläufig: Kiew, der Donbass, Cherson, Odessa, die Krim … Der in
Moskau geborene Paustowski bewegte sich hier ganz selbstverständlich.
Er rühmte ihre Schönheiten und Besonderheiten. Orte der Seligkeit
waren sie natürlich auch zu seiner Zeit nicht, ganz im Gegenteil.
Ein Schrei in der Nacht
Zitat
Eine Welle von Gewalttätigkeiten
rollte auf Kiew zu, und in jener Nacht, von der ich erzähle, sollte
die Stadt das erste nächtliche Pogrom erleben. […] Einzelne und
Gruppen von Menschen habe ich schon früher vor Furcht schreien
hören, aber noch niemals eine ganze Stadt. Das war grauenhaft und
nicht mehr zu ertragen, weil die selbstverständliche, wenn
vielleicht auch naive Vorstellung einer für alle verbindlichen
Humanität mit einem Schlage ausgelöscht schien. Dieser wehklagende
Schrei appellierte an die letzten Funken menschlichen Gewissens.
(aus: Beginn eines unbekannten
Zeitalters, S. 195, S. 197)
Bild: 3 Bände aus den
Erzählungen vom Leben in verschiedenen Ausgaben
Kleine Werkauswahl
Als Hauptwerk gelten die Erzählungen
vom Leben. In ihnen schildert Paustowski aus erster Hand die
Entwicklungen, Umbrüche und Tragödien Russlands und der Sowjetunion
im 20. Jahrhundert. Aufmerksame Beobachtungen, Erinnerungen an
außergewöhnliche Begegnungen und ein gediegener Stil machen die
Bücher zu einer fesselnden Lektüre. Hervorheben möchte ich zudem die
Begegnungen mit Dichtern. In einer Mischung aus Biographie und
Werkbetrachtung präsentiert uns Paustowski diverse
russische/sowjetische Schriftsteller. Aus der Reihe tanzen freilich
Edgar Allan Poe und Hans Christian Andersen: Mit ihnen stellt der
Autor zwei seiner erklärten Idole vor. Für ein phantastisches
Publikum sind vor allem die Kapitel über Michail Bulgakow und
Alexander Grin interessant.
Michail Afanassjewitsch Bulgakow
Zitat
Die Ukraine erglühte in einem
grausigen inneren Feuer. Güter und Bauernhöfe loderten in Flammen
auf, es kam zu Zusammenstößen mit deutschen Strafabteilungen. In
Kiew saß der Hetman Skoropadski, den Bulgakow so treffend in seinem
Stück „Die Tage des Turbins“ charakterisiert hat. Diese
operettenhafte Figur war nichts als ein „furnierter Hampelmann“
im weißen Tscherkessenrock, an dessen Fäden die deutschen Generäle
zogen.
(aus: Begegnungen mit Dichtern, S. 52)
Bild: Bulgakow-Museum
in Kiew. Urheber: Prymasal (CC BY-SA 4.0)
Alexander Stepanowitsch Grin
Zitat
Zwei Jahre nach Grins Tod fand ich die
Gelegenheit, nach Stary Krim zu fahren und das Haus, in dem Grin
gestorben war, und auch sein Grab zu besuchen. […] Es wehte
Südwind. Sehr weit in der Ferne, hinter Feodossija, erkannte man das
graublaue Meer. Und über dies alles – über Grins Haus, über sein
Grab und über Stary Krim – wölbte sich ein schweigender
wolkenloser Sommertag.
Als Grin starb, hinterließ er uns die
Frage, ob unser Jahrhundert so ungestüme Träumer wie ihn brauchen
kann oder nicht.
(aus: Begegnungen mit Dichtern, S. 199)
Bild: Iwan
Aiwasowski: Feodossija (1845).
Jerewan, armenische Nationalgalerie (Gemeinfrei)
In seinen eigenen (mir bekannten)
Erzählungen erweist sich Paustowski als feinsinniger Gestalter von
Menschen und Landschaften namentlich seiner russischen Heimat. Es
sind ruhig vorgetragene Geschichten von Spannungen und Wendepunkten,
Einzelschicksale, immer wieder autobiografisch eingefärbt. Das
häufig vorkommende Motiv der Reise erinnert an Alexander Grin.
Schwarze Netze
Zitat
Lobatschow zählte eine ganze Liste
gestorbener Häfen auf, die mit Karthago begann und mit Taganrog
endete. Reiche Häfen verwandelten sich in Teiche, in denen kleine
Jungen Fische fingen. Von dem irgendwann im Überfluß ausgestreuten
Korn verwandeln sich ihre Ufer in Felder, in blühende Wiesen, und
die Hafenbecken werden eine Zuflucht für abgetakelte Segelschiffe,
die in Ehren alt und morsch geworden sind.
(aus: Schwarze Netze, S. 7)
Bild: Erzählbände aus
den 1960er Jahren
Dem Phantastischen nah kommt Paustowski
mit „Die unheimliche Kammer“, erschienen in Die schwarze
Kammer. Unheimliche Geschichten aus aller Welt. Stolz verkündet
der Herausgeber Martin Gregor-Dellin, dass Paustowskis Beitrag
„absolut sicher“ noch nie in einer Anthologie erschienen sei. Es
handelt sich um eine ebenso schaurige wie rätselhafte Episode aus
dem autobiografischen Buch der Wanderungen,
die in Batumi (Georgien) spielt. Paustowski verbringt die Nacht in
der Dachkammer eines Hotels, in der kurz vorher ein anderer Gast
wahnsinnig wurde …
Lesenswerte Artikel
In den letzten
Jahren sind einige Artikel über Paustowski erschienen. Besonders im
Zusammenhang mit Russlands Feindseligkeit gegen die Ukraine fällt sein
Name:
Quellen
Die verwendeten
Zitate stammen aus folgenden Büchern:
- Beginn eines
unbekannten Zeitalters. Erzählungen vom Leben. Übersetzung: Josi
von Koskull. Fischer. Frankfurt a. Main 1983
- Begegnungen mit
Dichtern. Übersetzung: Mary Diehl und Roland Beer. Gustav
Kiepenheuer. Weimar 1970
- Schwarze Netze.
Erzählungen. Übersetzung: Ilse Mirus. Nymphenburger
Verlagshandlung. München 1964