Gaia (SA 2021)



  • Gaia

    Südafrika 2021

    Länge: 96' . Sprachen: Englisch, Afrikaans

    Regie: Jaco Bouwer

    Drehbuch: Tertius Kapp

    Produktion: Jaco Bouwer, Tertius Kapp, Jorrie van der Walt, Wikus du Toit

    Kamera: Jorrie van der Walt | Editing: Leon Visser

    Score: Pierre-Henri Wicomb

    Mit: Monique Rockman, Carel Nel, Alex van Dyk, Anthony Oseyemi


    Homepage

    Trailer

    Schöne, differenzierte Besprechung (Engl.) auf Cultural Hater

    Als Gaia - Grüne Hölle (oh mann, schnarch!) Deutschlandpremiere auf dem Fantasy Film Fest 2021. Bei Prime bzw. auf DVD offenbar auch deutsch synchronisiert zu sehen.


    Wenn man nur Stichworte zum Film liest, macht das vielleicht nicht besonders Lust: Öko-, Body- oder Survival-Horror, Dschungel, Natur/Göttin- bzw. Mensch/Natur-Thematik ... scheint alles schon mal dagewesen zu sein. Und der Film tippt auch ganz zart Motive an, die man teils mit diesem Thema und Setting erwartet: die Protagonistin nimmt entgegen der Warnungen einen Wrong Turn, es gibt ein Duo, das archaisch / regressiv wirkt und mich irgendwie an Lord of the Flies hat denken lassen, es gibt feminin gedachte Naturmystik und tatsächliche 'Monster'. Es hat einen Touch von Blair Witch und Invasion of the Body Snatchers.


    Das alles ist aber keine Kommerz-Collage, die auf ein möglichst breites Zielpublikum schielt, sondern eine sehr stimmige, gut durchdachte und organisch wirkende Geschichte. Der Film geht nahezu sofort in media res: Zwei Forstangestellten, Gabi und Winston, geht im Tsitsikamma National Park eine Drohne verloren. Gabi macht sich allein auf die Suche, wird aber von einer Falle am Fuß verletzt. Sie fühlt sich zudem verfolgt und flieht, bis sie an eine Hütte kommt. Diese ist nicht so verlassen wie es scheint: zwei eigentümlich archaisch wirkende Männer leben dort: Barend und sein Sohn Stefan. Die beiden sind mit Pfeil und Bogen bewaffnet, man kann zuerst nicht einordnen, ob sie Bedrohung oder Retter sind. In der Nacht greifen jedoch seltsame Kreaturen die Hütte an (Gabis Verfolger), und obwohl die beiden Männer sie vertreiben können, liegt eine Bedrohung über dem Ganzen: Gabi hat Albträume, in denen Pilzsporen Besitz von ihr ergreifen, oder sie mit Flechten überwuchert wird. Und tatsächlich muss sie morgens kleine Flechten von ihrer Haut streifen.


    Auch beobachtet sie Barents und Stefan dabei, von einem seltsam geformten Baum (der nachts purpurn erglüht) Pilze zu ernten und offenschtlich rituell zu verzehren. Nach und nach zeigt sich, dass Vater und Sohn nicht so symbiotisch leben wie gedacht: Stefan verliert seine Scheu, erweist sich als Pragmatiker, der plant, in die Stadt zurückzugehen. Barents trauert aber immer noch um seine vor langen Jahren dort in der Hütte an Krebs gestorbene Frau, spricht davon, dass die Menschen besser aussterben sollten bzw. in seinen Augen nur minderwertige Affen seien. Dann finden die drei Gabis Kollegen, der auf der Suche nach ihr von Pilzsporen befallen wurde und nun als Substrat herhalten muss.


    Nach und nach vermischen sich Albträume, Halluzinationen und faktischer Horror bzw. Mystik, die Grenzen zwischen Bedrohung und Akzeptanz des spekulativ Anderen / Assimilation verschwimmen und sogar der Tod verliert seinen Schrecken, ist eher friedvolle, wenn auch ekelerregend-schöne, Transformation. Der Film endet ohne klassischen, singulären Höhepunkt mit einem interessanten kleinen Twist.


    Ich hatte mir den Film bei Night Visions geschenkt, weil das Plakat (ein anderes als die hier geposteten) so kindisch aussah, ärgere mich nun aber massiv, den nicht auf großer Leinwand gesehen zu haben. Zum einen ist er enorm schön gefilmt, hat einen tollen, sehr schrägen Score, ist gruselig (ohne jump scares), angenehm ambivalent und auch angenehm ohne ökopolitischen Holzhammer, ohne aber an Prägnanz und Aussagekraft einzubüßen. Dann musste ja jemand endlich etwas aus den organisiert planenden 'Zombie-Pilzen' machen, und das alles noch mit nahezu ausschließlich Practical Effects, bei nahezu ausschließlich natürlichem Licht on location gefilmt (daher oft recht dunkel/monochrom). Auch sind das wirklich gute Schauspielleistungen sowie un-klischeehafte Figurenkonzepte bzw. Dialoge.


    Es gibt zwar eine Bedrohung, aber diese ist nicht eigentlich 'böse' - sie ist mehr durch ihre bloße Existenz eine Gefahr, denn ein Antagonist. Die Figuren sind komplex und haben einen interessanten, nachvollziehbaren Hintergrund, der nebenbei vermittelt und nicht etwa in Flashbacks oder ewigen Expositionen ausgewalzt wird. Die Verehrung der Gaia hat nichts mit einem Kult oder auch nur Riten zu tun und der Bodyhorror ist eine slippery slope von Ekel und Angst zu Harmonie und Akzeptanz. Das Ekelbesetzte bedeutet auch Schönheit und es gibt hier kein Gefühl von einem Status quo: alles ist seltsam, aber alles ist auch ganz bodenständig realistisch.

    Wird öfter als Folk Horror bezeichnet und mit Midsommar, Lighthouse und Annihilation verglichen, wovon ich nichts auch nur im Ansatz nachvollziehen kann. Es ist schon allein deshalb kein Folk Horror, weil der mystische Aspekt eher ein privat-persönlicher ist, oder dann wieder ein archaisch-globaler; ihm fehlt aber völlig die Komponente des Regionalen und auch des sozial etablierten Ritus'.


    Hat mir wirklich sehr gut gefallen, ein klischeefreier, innovativer Film, der das Allerbeste aus seinem geringen Budget zu machen versteht. Ich hab mal irgendwo gelesen, dass Naturwissenschaftler immer noch nicht mit Sicherheit sagen können, ob Pilze Pflanzen oder Tiere sind, und dieser Film bildet diese Unsicherheit wunderbar ab.



  • Freut mich sehr, Nils wenn es interessieren kann. [Cof]


    Anders als meine Bildauswahl vermuten lassen könnte, ist Gabi übrigens keinesfalls eine damsel in distress, sondern recht durchsetzungsfähig. Keine Figur ist nur stark oder nur schwach, das ist auch schön gemacht.


    Hab grad etwas geschaut, was gut zum Film passt, bzw. zu seiner Konzeption:

    "The Marvelisation of Cinema" - eine Art Videoessay. Dort wird gesprochen von einer "entropischen" versus einer "anti-entropischen Erzählweise". Erstere mixt lediglich erfolgreiche Motive / Figuren mit ironischen Selbstreferenzen und Zitaten, bis irgendwann alles ein Brei aus unzusammenhängenden Komponenten ist. Zweites ist ein organisches Storytelling, bei dem originelle Figuren originelle Entwicklungen durchmachen, und eben die Konflikte auf diese eine Geschichte ausgerichtet sind.


    Auch, wenn sich das Video v.a. auf Franchises bezieht und leider am Ende den Faden verliert, ziemlich unpräzise schließt, lässt sich das gut auf Gaia beziehen: Nämlich als Paradebeispiel für anti-entropisches Erzählen.