Podcast: H.P. Lovecraft - Religionskritik in "The Wicker Man", "Equus" und "Midsommar"

  • Im Format Movietime des Youtube-Kanals Filme, Serien und Stars ist eine Podcast-Folge erschienen, in der sich Stefan M. Preis und meine Wenigkeit über Lovecrafts kritische Haltung zur Religion, seine ideengeschichtlichen Quellen und mögliche interpretative Anwendungen auf die Filme The Wicker Man (1973), Equus - Blinde Pferde (1977) sowie Midsommar (2019) unterhalten.



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  • Lieber Nils , das ist sehr spannend, danke fürs Teilen!


    Finde es cool, dass ihr die Themenkombi so leger angeht - hatte mich auch erst gefragt: "Okay diese Filme ... und Lovecrafts Atheismus?" Aber bei sowas kommen ja interessante Sachen raus.


    Dazu ein paar kurze Gedanken, wenn okay ist:


    Die Religionen in Wickerman und Midsommar sind ja Fiktionen und basieren nicht auf aktuellen, historischen oder vorzeitlichen Kulten, Riten oder Traditionen. Finde ich wichtig, wenn man beginnt, die mit dem Christentum zu vergleichen.

    Extrem interessant finde ich dabei die Jahrhunderte - fast kann man sagen, Jahrtausende - alte Obsession der Christen mit heidnischen, besonders Germanischen und Keltischen, "Menschenopfern". Das galt bis vor nicht allzu langer Zeit als Fakt, wird aber immer mehr von Archäologen stark bezweifelt, bzw. wird inzwischen ausgeschlossen, dass es eine häufige / verbreitete Praktik war. Es finden sich nämlich so gut wie keine schlüssigen, eindeutigen Belege dafür. Aber genau dieses Thema wird natürlich im Horror zentral behandelt. (Ich oute mich übrigens mal als Fan von Children of the Corn, allerdings nur des Films, fand den richtig schön gemein.)


    Ich komme aus einer rationalistischen Familie und bin selbst seit Kinderzeit Antitheistin. Kannte den französischen Theoretiker aber auch nicht. Da finde ich es wichtig, Atheismus / Antitheismus nicht als eine Art alternative Religion zu interpretieren, die auch eine theoretische Grundlage braucht. Es reicht, dass nicht an einen Gott / Uhrmacher etc. geglaubt wird, weil es einfach wider die Logik ist. Insofern sehe ich Lovecrafts - kindliche! - Phantasien zu antiken Kulten nicht als Parallele zu seiner Rationalität später.

    Ich denke - und erlebe das immer wieder in Diskussionen -, dass Atheisten oder sogar Antitheisten ein entspanntes Verhältnis zum Neoheidentum oder sogar Pantheismus haben, weil diese Religionen historisch wie aktuell niemanden verfolgen oder wegen seines Nicht/Andersglaubens foltern oder töten. Das ist nahezu ausschließlich ein Merkmal des Christentums und des Islams. Viele Antitheisten haben Freunde in rekonstruierten heidnischen Religionen, weil - wenn die Bewegungen politisch sind - es eine gemeinsame Front gegen Unterdrückung ist, und gleiche freiheitlich-tolerante Ziele hat.


    Und selbstverständlich kann man Spekulatives erdenken und faszinierend finden, ohne selbst an die geschaffenen Geister, Kreaturen, Gottheiten etc. zu glauben. (Es klang ab und zu an, als wäre davon auszugehen.)


    Einen wichtigen Punkt beim Vergleich abrahamische Religionen (hier positioniert sich nur das Judentum mit auf der Gegenseite) vs Heidentum oder Atheismus ist das Verhältnis dieser ganzen Kulte zur Naturwissenschaft, Philosophie und der Umgang mit 'unbiased' Forschung und Theorien. Da nämlich ist ein eklatanter Unterschied, den einer meiner Helden, Astrophysiker Neil deGrasse Tyson, mal so schön ausführte. Hier ab 5:30'.

    Aus all diesen Gründen kann man Atheismus nicht mit Glauben gleichsetzen, er ist wirklich das Gegenteil davon und braucht keine andere Grundlage als die Rationalität.


    Kleiner Einwurf: Der Weihnachtsmann wohnt ja in Lappland [skul] , und selbstverständlich gibt es bei uns Santa Claus als spekulativ-paranormale Horrorfigur: Rare Exports. Grandioser Film, übrigens.


    Du hattest neulich einen Radiobeitrag zu X Jahre Harry Potter gepostet - Daniel Radcliffe, der ja recht punkig drauf ist, sehr selbstbewusst, hatte übrigens die Hauptrolle in einer Equus-Bühnenaufführung gespielt. Broadway, 2008.


  • Die Religionen in Wickerman und Midsommar sind ja Fiktionen und basieren nicht auf aktuellen, historischen oder vorzeitlichen Kulten, Riten oder Traditionen. Finde ich wichtig, wenn man beginnt, die mit dem Christentum zu vergleichen.

    Komplette Fiktionen? Ist natürlich ein guter Hinweis und auch historisch interessant, ich würde aber sagen, dass das für die Debatte über die Filme und den Vergleich der in den Filmen dargestellten Sinnkonstruktionen (zumindest beim Wicker Man, wo zwei religiöse Ansichten, ob real oder nicht, konkret clashen) eher nebensächlich ist.


    "Menschenopfern". Das galt bis vor nicht allzu langer Zeit als Fakt, wird aber immer mehr von Archäologen stark bezweifelt, bzw. wird inzwischen ausgeschlossen, dass es eine häufige / verbreitete Praktik war. Es finden sich nämlich so gut wie keine schlüssigen, eindeutigen Belege dafür.

    Auch sehr interessant!


    Children of the Corn

    Danke, kanne ich gar nicht. :)


    Da finde ich es wichtig, Atheismus / Antitheismus nicht als eine Art alternative Religion zu interpretieren, die auch eine theoretische Grundlage braucht. Es reicht, dass nicht an einen Gott / Uhrmacher etc. geglaubt wird, weil es einfach wider die Logik ist.

    Ein wichtiger Punkt, wo ich aber einwenden würde: Genau umgekehrt muss man es sehen. Eine Religion hat keine theoretische Grundlage, sondern präsentiert eine Geschichte, die Erklärungskraft beansprucht. Die muss formal gar nicht unlogisch sein, christliche Scholastiker haben schließlich nichts anderes gemacht, als Logik anzuwenden. Logik erklärt ja abseits ihrer Regeln aus sich heraus erstmal nichts bzw. logisch begründen kann man irgendwie alles. Die Prämissen sind interessant, und die können natürlich auch unlogisch sein (so wie die Gottesbehauptung, da hast du ja ganz Recht), aber die sind dann nicht "einfach so" unlogisch, sondern kann mittels wissenschaftlich-theoretischer Grundlage als unlogisch entlarvt werden. Auch "Rationalismus" ist nicht einfach gegeben, sondern bedarf einer Begründung dessen, was als vernünftig gelten soll und warum. Aber vielleicht habe ich dich hier auch falsch verstanden?


    Ich kenne La Mettrie auch nur durch ideengeschichtlichen Überblick, Texte von ihm gelesen habe ich nicht. Ich hatte, nachdem ich Dawkins gelesen hatte, keinerlei Bedürfnis mehr, mich mit dem Thema zu befassen, mir reichten seine Argumente massig aus. Soziologisch ist dann die soziale und politische Funktion von Religion für mich auch wichtiger.

    hatte übrigens die Hauptrolle in einer Equus-Bühnenaufführung gespielt


    Wir haben das Thema nicht so vertieft im Gespräch, glaube ich, ich hoffe aber, dass nicht der Eindruck entstanden ist, Atheismus würde als Glaube angesehen. Da hätte man bei den biographischen Details zu Lovecraft vielleicht exakter sein müssen.


    wenn die Bewegungen politisch sind

    Das ist auch der absolute Knackpunkt bei allen irgendwie nicht-wissenschaftliche Wahrheiten verkündenden Bewegungen (Religionen, Esoteriker, Verschwörungsverbreiter usw.). Wenn man im stillen Kämmerlein wirr sein will, weil man sich damit besser fühlt, bitte sehr. Aber irgendwie kommen solche Leute ja immer an den Punkt, ihrer subjektiven Sicht politische und gesellschaftliche Geltung verschaffen zu wollen.


    Und selbstverständlich kann man Spekulatives erdenken und faszinierend finden, ohne selbst an die geschaffenen Geister, Kreaturen, Gottheiten etc. zu glauben. (Es klang ab und zu an, als wäre davon auszugehen.)

    Ja, selbstverständlich. Ich hoffe, in meinen Sprechanteilen klang das nicht so. :D Wie mein Gesprächspartner genau darüber denkt, weiß ich tatsächlich nicht.


    Daniel Radcliffe, der ja recht punkig drauf ist, sehr selbstbewusst, hatte übrigens die Hauptrolle in einer Equus-Bühnenaufführung gespielt

    Oh, sehr cool. Ich mag Radcliffe ohnehin gern als Schauspieler, er hat mehr zu bieten als die Potterei.

  • Komplette Fiktionen?

    Ja, wobei Wickerman sich vieles ausgedacht hat, aber auch teils auf bestehende Fiktionen zurückgreift, die ja - schlag mich, so zwischen 1880 und 1920 - sehr modern waren, so eine Art erfühlte Anthropologie. The Golden Bough hattet ihr ja selbst angesprochen; oder Bertha Eckstein-Dieners Mothers and Amazones, Ranke-Graves ... Das ist ein Mix aus archäologischen Fundstücken, Wunschfantasien und Legenden, intuitiver gemixt, als es sich den Anschein gibt. das ist teils recht anstrengend zu entfusseln. Aber Wickerman stellt nix historisch Reales dar, auch nicht in Ansätzen (außer: Menschen treffen sich in Gruppen draußen und verwenden rituell Feuer und Holz und opfern was ... ).

    Midsommar hab ich nur in Ausschnitten gesehen und kritische Artikel (auch zu dem Kult dort eben) gelesen, und bis auf die Tatsache, dass es in Schweden auch den Maibaum zu Mittsommer gibt und man dieses eben heidnische Fest feiert, ist daran alles fake. Ich hab öfter gelesen, dass der Kult eigentlich eher christlich erscheint. In Finnischen Artikeln wird er dann mit den Laestadiern verbunden, die sind aber rein christlich fundamentalistisch, den Amish ähnlich. Und arbeiten viel mit körperlicher Gewalt, Züchtigung, Gaslighting - hier wird der Film quasi als ironischer Kommentar zu dieser noch existierenden Sekte gesehen, auch wenn klar ist, dass die Filmemacher das selbst nicht so meinten - oder auch nur kannten. (Vor dem Hintergrund kann ich einen extrem schrägen, aber nicht-phantastischen Film empfehlen: Populärmusik aus Vittula (wörtlich: Fotzenmoor).

    ich würde aber sagen, dass das für die Debatte über die Filme und den Vergleich der in den Filmen dargestellten Sinnkonstruktionen (zumindest beim Wicker Man, wo zwei religiöse Ansichten, ob real oder nicht, konkret clashen) eher nebensächlich ist

    Ich finde das (oder verstehe ich dich jetzt falsch?) aber schon relevant, wenn - wie in Wickerman - eine christliche Religion nicht einer heidnischen, sondern der christlichen Phantasie einer heidnischen Religion gegenübergestellt wird. Dadurch hat der Film ja so eine Art doppelte Ebene - einmal die Geschichte wie dargestellt und einmal dieses historische Missverständnis.

    Ein wichtiger Punkt, wo ich aber einwenden würde: Genau umgekehrt muss man es sehen. Eine Religion hat keine theoretische Grundlage, sondern präsentiert eine Geschichte, die Erklärungskraft beansprucht. Die muss formal gar nicht unlogisch sein, christliche Scholastiker haben schließlich nichts anderes gemacht, als Logik anzuwenden.

    präsentiert eine Geschichte, die Erklärungskraft beansprucht - Das ist sehr schön gesagt. Bei der Kombi "Religion und Logik" komme ich allerdings arg ins Schleudern. a) innerhalb (z.B. die sehr unterhaltsamen Versuche, Gott und das Böse zu erklären bzw. in ein Machtverhältnis zu setzen; aber auch die internen, direkten Widersprüche) und auch außerhalb: es gibt sowas wie 4.500 Götter, und jede Religion sagt, ihrer ist aber existent ... das Argument kennst du ja.

    Auch "Rationalismus" ist nicht einfach gegeben, sondern bedarf einer Begründung dessen, was als vernünftig gelten soll und warum.

    Das ist selbstverständlich wahr - das ist eine Sache der Benennung: Ich sage Rationalismus statt Atheismus, weil es auch keine Bezeichnung für Menschen gibt, die nicht an Einhörner oder Santa Claus glauben. Ich sehe das Wort 'Atheismus' eigentlich als Unding. (Antitheismus geht, weil man aktiv gegen aktive / virulente Religionen eingestellt ist - sowas, das eher historisch oder LARPig oder anti-imperialistisch ist, wird ja oft davon ausgenommen und toleriert.)

    Aber irgendwie kommen solche Leute ja immer an den Punkt, ihrer subjektiven Sicht politische und gesellschaftliche Geltung verschaffen zu wollen.

    Oh, da haben wir uns wirklich missverstanden: Ich meinte es positiv. Dachte an die rekonstruierten vorchristlichen Religionen in Ländern, die das als anti-imperialistisch verstehen, nämlich gegen die gewaltsame Invasion und Konversion durch das Christentum: z.B. in Litauen, Polen, Russland (Ukraine? vermutlich auch) ... Das war ja sogar genau der Ursprung des Kirchenanzündens in Norwegen. Kein Satanismus, und gut, dort nach rechts gerutscht, das ist aber in den anderen Ländern nicht so. Da sehe ich eine starke gemeinsame politische Sache.

    Ja, selbstverständlich. Ich hoffe, in meinen Sprechanteilen klang das nicht so. :D Wie mein Gesprächspartner genau darüber denkt, weiß ich tatsächlich nicht.

    Nee nee, bei dir keinesfalls. Bei Stefan dachte ich es manchmal, konnte aber auch nicht direkt den Finger drauf legen bzw. müsste das noch mal anhören. Stellen: Dass Lovecraft ja Religionen erfunden hat und sich in diesen fiktionalen Räumen offenbar gern bewegt hat. Und eben, ob das zu seiner Kinderzeit nicht auch religiös anstatt zweifelnd war, wenn er an diesen römischen Kulten entlang dachte. (Grad in den USA läuft der Weg aus dem Christentum in den Atheismus / Rationalismus ja oft über Pantheismus oder noch mehr theistischen wie atheistischen Satanismus. Grad wenn Lovecraft da noch Kind war, mag das wirklich diese Option gewesen sein - ich meine: 1895-1900 rum!)

    Ich mag Radcliffe ohnehin gern als Schauspieler, er hat mehr zu bieten als die Potterei.

    Sehe ich auch so, intelligenter Kerl, extrem sympathisch, macht so sein Ding. Ich lese auch Interviews gerne (und bin wirklich alles andere als Potter-Fan).

  • Sehr interessant, was du zur historischen Korrektheit schreibst. Dass die Darstellung des Kults in Wicker Man eklektisch ist, verwundert zwar nicht, wahrscheinlich gilt dies für die Mehrzahl der Male, wo das für fiktionale Stoffe genutzt wurden, aber wenn wirklich keins der motivischen Elemente eine Entsprechung in der Realität hat, dann ist es natürlich höchst bemerkenswert. Nun aber die Frage struktureller Dynamiken, die im Podcast hauptsächlich besprochen wird, dann ja noch stärker auch bezüglich Midsommar (den ich übrigens schlecht finde): Wenn es niemals reale Verbände religiöser Natur gab, die solche Dynamiken entfalteten, dann hätte man das auf jeden Fall anmerken können/sollen. Es ist aber insofern nicht zentral, als dass wir ja über filmische Darstellungen und religionskritische Implikationen sprechen, die von diesen ausgeht. Ob der Kult im Film "echt" ist oder nicht, ist nicht vorrangig relevant. Seine diskursive Wirkung kann er ja trotzdem entfalten.


    Bei der Kombi "Religion und Logik" komme ich allerdings arg ins Schleudern

    In dem Abschnitt kann wiederum ich deinem Gedankengang nicht folgen.


    Oh, da haben wir uns wirklich missverstanden: Ich meinte es positiv.

    Okay, das hatte ich dann wirklich falsch verstanden.



    Grad in den USA läuft der Weg aus dem Christentum in den Atheismus / Rationalismus ja oft über Pantheismus oder noch mehr theistischen wie atheistischen Satanismus

    Okay, das wusste ich so nicht.

  • Es ist aber insofern nicht zentral, als dass wir ja über filmische Darstellungen und religionskritische Implikationen sprechen, die von diesen ausgeht. Ob der Kult im Film "echt" ist oder nicht, ist nicht vorrangig relevant. Seine diskursive Wirkung kann er ja trotzdem entfalten.

    Ja, ganz sicher, selbstverständlich kann er Wirkung entfalten - egal, ob realitätsgetreu / historisch oder nicht. Und ganz generell finde ich Filme mit völlig fiktiven Kulten auch super (siehe Children of the Corn). Ich knirsche da mit den Zähnen, wenn das Marketing darauf ausgerichtet ist, der Regisseur hätte wie verrückt recherchiert und so wäre das / wäre so damals gewesen (siehe: Midsommar Marketing, oder das für Hereditary). Da finde ich ganz gut zu unterscheiden: Hat dieser fiktive Kult eine Wirkung, die rein werkimmanent herzuleiten ist, oder eine, die echte sozialhistorische Grundlagen hat. Glaube, das würde ich immer unterscheiden, je nachdem aber durchaus vollkommen ohne Wertung.

  • Ich knirsche da mit den Zähnen, wenn das Marketing darauf ausgerichtet ist, der Regisseur hätte wie verrückt recherchiert und so wäre das / wäre so damals gewesen (siehe: Midsommar Marketing, oder das für Hereditary). Da finde ich ganz gut zu unterscheiden: Hat dieser fiktive Kult eine Wirkung, die rein werkimmanent herzuleiten ist, oder eine, die echte sozialhistorische Grundlagen hat.

    Das kann ich gut verstehen, das grenzt dann ja an Verarsche.