Eine Sammlung von alten und neuen Kurzgeschichten, die es in dieser Form leider nur als eBook gibt. Was dort sofort negativ auffällt: Ein großer Fan von Leerzeilen scheint der Herausgeber/Lektor nicht zu sein. Das Inhaltsverzeichnis und die Geschichten werden jedenfalls zu einem einzigen, langen Fließtext vermengt. Glücklicherweise hat man nach jeder Geschichte wenigstens noch das Wörtchen „Ende“ eingefügt - Ansonsten würde man manchmal gar nicht merken, wann eine Erzählung aufhört und die nächste anfängt.
Einen Anhang finden man am Ende des Buches ebenfalls nicht. Ob und wo, die hier versammelten Geschichten bereits erschienen sind, ist also nicht ersichtlich. Zumindest bei „Hotel Kehrwieder“ handelt es sich anscheinend aber um eine Erstveröffentlichung.
Von diesen Ärgernissen sollte man sich allerdings nicht abschrecken lassen, denn anders als die Gestaltung sind die enthaltenen Erzählungen wirklich extrem gelungen. Zudem kostet die Sammlung gerade mal 1,84,-.
Die Stadt und die Angst:
Der Antiquar David Thurnein reist in eine größere Stadt, um in einer Bibliothek ein paar Bücher anzukaufen. Der dortige Aufenthalt ist für ihn jedoch von Beginn an eine einzige Qual - Denn David leidet an einer starken Sozialphobie und Angststörung. Zumindest seine Ängste scheinen auch nicht völlig unbegründet zu sein.
Siefener lässt den Leser sofort in die verschrobene Gedankenwelt seines Protagonisten eintauchen und erweckt so den Eindruck, dass hinter jeder Ecke ein grauenhaftes Unheil lauern könnte. Als David dann Nachts durch die Stadt läuft und auf ein Spiegelkabinett stößt, welches von einer sehr merkwürdigen Gestalt bewacht wird („eine missgestaltete kleine Person, die nur aus Verwachsungen und fließenden Formen zu bestehen schien“) kippt die bedrohliche Stimmung dann auch ganz schnell ins völlig Surreale. Die Geschichte wirkt zunehmend wie die Beschreibung eines kafkaesken Alptraumes und die Stadt verwandelt sich in einen Ort, der mit unserer Realität nicht mehr allzu viel zu tun hat.
Siefener bedient sich dabei einer großartigen Sprache und erschafft ein paar wirklich beängstigende Schreckensbilder, die man nicht mehr so schnell vergisst. „Die Stadt und die Angst“ ist ein großartiger Mindfuck a la David Lynch. Aber auch an Thomas Ligotti musste ich beim Lesen ununterbrochen denken. Ganz großes Kino und moderne Weird-fiction at its best. (5/5)
Die Rückkehr:
Schon mit den ersten Sätzen erzeugt Siefener hier eine äußerst unwirkliche und hypnotische Atmosphäre, die einem beim Lesen sofort gefangen nimmt. Wir folgen einem namenlosen Protagonisten immer tiefer „in den raunenden Traum des Waldes und dessen, was dahinter liegt.“ Eigentlich hatte er sich geschworen diesen Ort nie wieder zu betreten, doch ein seltsam flehender Anruf seines Vaters hat ihn zurückgelockt. Für ihn ist es eine Reise in seine eigene Vergangenheit bzw. zum Leuchtturm seiner Eltern, der tief im Wald verborgen liegt. Als er schließlich ankommt liegt seine Mutter im Sterben und sein Vater wirkt wie ein Fremder. Kurz danach sind beide tot, doch damit fängt der Wahnsinn erst so richtig an.
Wer ist der mysteriöse Mann mit dem vogelartigen Gesicht, der neben dem Bett seiner Mutter wacht? Was hat es mit den seltsamen Flechten auf sich, die den Turm befallen haben? Und welchem Zweck dient die Wendeltreppe im Keller, die „tief in die Eingeweide der Erde“ führt.
Mit jedem Satz wird die Geschichte seltsamer. Ähnlich wie schon „Die Stadt und die Angst“ hat sie eine extrem traumartige und (ich muss es wieder schreiben) surreale Atmosphäre. Aufgrund des Leuchtturms und der seltsamen Pflanzen musste ich zudem immer wieder an Jeff Vandermeers „Southern Reach“-Trilogie denken. Absolut fantastisch! (5/5)
Abendstimmung mit Burgruine:
Georg Plath betritt nach einer langen Wanderung die Ruine der Oberburg von Manderscheid. Für seinen Besuch hat er sich extra die späten Abendstunden ausgesucht, da er dort oben allein sein wollte - Doch zu seinem missfallen muss er feststellen, dass er nicht der einzige Gast auf der Burg ist. Auf einer Parkbank sitzt ein seltsamer Mann, der Plath schnell in ein Gespräch verwickelt. Angeblich soll es auf der Burg spuken. Plath glaubt nicht daran, doch dann nimmt das Gespräch plötzlich einen äußerst befremdlichen Verlauf.
Die Burgen in Manderscheid sehen wirklich verdammt beeindruckend aus (Ich hab während des Lesens gegoogelt). Jedenfalls habe ich mir den Ort mal gleich auf die Besichtigungs-Liste geschrieben.
Siefener beschwört hier, auf gelungen Art und Weise, ein starkes Gothic-Horror-Flair herauf - Geister, Burgen, Fledermäuse. Das Ende ist dann zwar recht vorhersehbar, aber dennoch wirkungsvoll - Inklusive einer netten Schlußpointe. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber der Protagonist trägt den Namen Plath nicht zufällig und er hat die Burg auch nicht aufgesucht, um die schöne Aussicht zu genießen. (4/5)
Die Versuchung:
Lily Kleber hasst ihr schreiendes Baby und ihren gewalttätigen Mann. Als sie von ihrer Freundin Regula zu einer Tupperparty eingeladen wird, sieht sie darin eine willkommene Gelegenheit, um aus ihrem Horror-Alltag auszubrechen. Es ist allerdings keine gewöhnliche Party auf der sie da landet.
Lily leert ein Weinglas nach dem anderen, ist schnell betrunken und nimmt den Abend nur noch äußerst schemenhaft wahr. Irgendwann reicht man ihr ein altes Buch, in das sie ihren Namen eintragen soll. Danach ist nichts mehr wie zuvor. Und man bietet ihr eine Möglichkeit ihr Kind und ihren Mann für immer loszuwerden.
Das Hexenbuch das in dieser Geschichte auftaucht, kennen wir schon aus der Siefener-Novelle "Das schwärzeste Buch - Ein Kapitel in Nekromantie". Ansonsten liefert der Autor hier eine Emanzipationsgeschichte, die er mit dem Hexenmythos verbindet. Der Ansatz ist nicht gerade neu und wirkt stellenweise auch etwas flach bzw. mit dem Holzhammer präsentiert. Den Coven am Ende der Geschichte beschreibt er zwar zweifelsfrei ganz interessant, aber wirklich überzeugt hat mich „Die Versuchung“ in seiner Gänze nicht. (2,5/5)