Beiträge von Cheddar Goblin

    Kir Bulytschow - Der einheitliche Wille des gesamten Sowjetvolkes


    Bibliothek der Science Fiction des Ostens - Band 1

    Deutsche Erstausgabe, Januar 2020

    Übersetzung: Ivo Gloss

    Illustrationen: Renate Gloss

    Memoranda-Verlag, 300 Seiten




    Die erste Memoranda-Veröffentlichung seit Hardy Kettlitz und Golkonda getrennte Wege gehen. Das Buch enthält 3 Kurzgeschichten und einen Roman des Autors Kir Bulytschow, der neben Arkadi & Boris Strugatzki zu den bekanntesten Sci-Fi-Vertretern Russlands gehört. Mit klassischer Science Fiction hat man es hier überraschenderweise jedoch nur bedingt zu tun.


    DIE KURZGESCHICHTEN:

    "Der einheitliche Wille": Ein Raumschiff voller galaktischer Psychologen landet in Russland und macht der Bevölkerung ein verlockendes Angebot: Jeder darf sich für einen verstorbenen Menschen entscheiden - Derjenige mit den meisten Stimmen, wird dann nach Ablauf der Frist von den Ausserirdischen wieder zum Leben erweckt. Die Regierung steht nun vor dem großen Problem, das Volk so zu beeinflussen, dass es sich dabei auch für die richtige Person entscheidet.

    Aber wer ist überhaupt die "richtige Person"? Puschkin? Stalin? Lenin? Oder doch Karl Marx? Letzteren könnte man zur Not immerhin noch der DDR schenken.

    "Der freie Tyrann": Ein russischer Astronaut muss aufgrund von akutem Treibstoffmangel auf einem fremden Planeten landen. Dummerweise parkt er sein Raumschiff dabei mitten in einem Konzentrationslager, welches von einem irren Tyrannen geleitet wird, der alles und jeden verhaftet – Bis am Ende nur noch er selbst übrig bleibt.

    "Der alte Iwanow": Iwan arbeitet beim stattlichen Getreidekontor und tut dort alles um neue Prämien zu erlangen – Selbst wenn er dafür die ganze Welt zu Grunde richten muss...


    In seinen Kurzgeschichten betreibt Bulytschow gnadenlose Gesellschaftssatire, voller schwarzem Humor und jeder Menge absurder Ideen. Ich bin mir nicht sicher ob der Strugatzki-Vergleich hier wirklich passt – Wenn überhaupt, erinnern die Geschichten jedoch noch am ehesten an die humorvolleren Werke der zwei Brüder ( z.B. "Die zweite Invasion der Marsmenschen"). Gelegentlich musste ich aber auch an den Wahnsinn von Kurt Vonnegut oder den Zynismus von Harlan Ellison denken.

    Ich würde die genannten Autoren jedoch deutlich höher als Bulytschow einstufen, da die hier enthaltenen Geschichten wirklich nur sehr, sehr kurz sind (5 bis 15 Seiten) und von Anfang an eigentlich immer auf eine klare Pointe hinauslaufen. Gefallen haben sie mir aber trotzdem.

    Einen Großteil dieses Buches (225 Seiten) macht aber auch definitiv der Roman aus.


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    DER ROMAN:

    "Der Tod im Stockwerk tiefer": Ein Journalist aus Moskau reist in eine namenlose Stadt um dort einen Vortrag zu halten – Doch sein Aufenthalt erweist sich schon bald als die absolute Hölle: Eine Chemiefabrik verpestet die Luft, das Wasser stinkt nach Schwefel und ist ungenießbar, die Regierung tut alles, um den kritischen Auslandskorrespondenten schnellstmöglich los zu werden – Und dann taucht auch noch ein gelber Nebel auf, der jeden tötet, der mit ihm in Berührung kommt.


    Was den Roman mit den Kurzgeschichten verbindet, ist die schonungslose Abrechnung mit der sowjetischen Regierung – Das war es dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Bulytschow verzichtet hier völlig auf Humor und Sci-Fi-Elemente und erzählt stattdessen eine astreine Katastrophenstory, die ab und zu auch mal dezent in Richtung Horror schielt. Hauptinspiration dürfte hier klar das Unglück von Tschernobyl gewesen sein.

    Und auch wenn "Der Tod im Stockwerk tiefer" inzwischen über 30 Jahre auf dem Buckel hat, behandelt er (leider) immer noch recht aktuelle Themen (Umweltverschmutzung, Lobbyismus, Beschneidung der Pressefreiheit, staatliche Kontrolle/Zensur usw.) und hat daher nichts von seiner Wirkung verloren.


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    DER REST/ DAS FAZIT:

    Neben den Kurzgeschichten und dem Roman enthält der Band noch ein sehr ausführliches Nachwort, welches sich mit dem literarischen Schaffen von Bulytschow beschäftigt, diverse Illustration und eine Auflistung sämtlicher deutscher Veröffentlichungen des Autors.

    Alles in Allem also ein äußerst gelungenes Buch – Wer allerdings klassische, russische Science Fiction erwartete, dürfte von "Der einheitliche Wille" enttäuscht werden und sollte stattdessen eher zu den Strugatzkis greifen. Ich hatte ehrlich gesagt auch mit etwas anderem gerechnet, dennoch konnte mich der erste Memoranda-Band überzeugen. (7,5 von 10)

    Von dem Buch wird es dieses Jahr übrigens gleich zwei neue filmische Umsetzungen geben: "The Turning" ("Die Besessenen") kommt im April in die deutschen Kinos und "The Haunting of Bly Manor" wird noch 2020 als Serie auf Netflix erscheinen.

    Soweit man es nach dem Trailer beurteilen kann, scheint sich der Film einigermaßen an die Handlung des Buches zu halten, hat in den USA jedoch überwiegend negative Kritiken erhalten und sieht auch eher nach 08/15-Horrorkino aus. Bei der Netflix-Adaption dürfte es sich dann wahrscheinlich um eine wesentlich freiere (und interessantere) Interpretation der Ursprungsmaterie handeln. Die Anthologie-Serie hat sich ja schon in der ersten Staffel ("The Haunting of Hill House") nur sehr, sehr lose an der Vorlage von Shirley Jackson orientiert, konnte aber dennoch überzeugen.

    Das Vorwort von Jeff, sozusagen die Einführung, was es mit dem "Weird" auf sich hat, hatte ich damals für das Phantastikon übersetzt.

    Habe ich damals gerne gelesen. Ist der Beitrag noch irgendwo im Netz zu finden bzw. wird er eventuell erneut auf der "Veranda" veröffentlicht werden? Wäre schade, wenn er für immer verloren wäre...

    Gegenwärtig übersetze ich Eric Bassos "Beak Doctor", wo und inwiefern das dann erscheinen wird, ist überhaupt noch nicht geklärt.

    Klingt interessant.

    Gerade gesehen dass "Beak Doctor" auf Amazon für 1.738,78 Euro angeboten wird - Da wäre eine preiswertere Übersetzung auf jeden Fall wünschenswert.

    Ich erwähne das, weil ich schon seit Drucklegung selbst mit dem Gedanken gespielt habe - damals im Zuge der "Miskatonic Avenue"-Anthologie, etwas Vergleichbares in deutscher Sprache herauszugeben. (...) wenn mir niemand mit einer Veröffentlichung zuvor kommt, mache ich das vielleicht sogar alleine, sollte sich kein adäquater Verlag für die Herausgabe finden (was sehr wahrscheinlich ist, besieht man sich die Landschaft etwas näher).

    Da wäre ich ebenfalls dabei.

    "Miskatonic Avenue" war großartig! Fände es toll, wenn in der Richtung noch mehr von dir kommen würde.


    Und was eine Übersetzung von "The Weird" angeht: Man könnte einfach eine abgespecktere Version herausbringen und dabei auf die ganz großen Namen verzichten. Von Bradbury, King & Co. gibt es in Deutschland ja echt schon genug.

    Okay, Barron war auch eher nur ein Beispiel, welches mir spontan eingefallen ist. Hundert Prozent passend war der Vergleich bezüglich der Netflix-Umsetzung von "Wounds" sicher nicht. Im Film gab es jedenfalls keine Fantasy-/Barker-Elemente oder Engel & Teufel - Daher war ich von deiner Rezension etwas überrascht und hatte etwas ganz anderes erwartet. Aber du schreibst ja selbst, dass die Titelstory die untypischste von allen ist.

    Werde mir die Storysammlung aber demnächst mal vornehmen.

    Danke für den Thread, Erik.


    Wie schon an anderer Stelle geschrieben, bin ich erst kürzlich durch die Verfilmung seiner Kurzgeschichte "The Visible Filth" (Netflix) auf Nathan Ballingrud aufmerksam geworden. Da ich diese recht interessant fand, habe ich"Wounds" gleich mal bestellt, bisher aber noch nicht lesen.

    Basierend auf dem Film, hätte ich von der Storysammlung jedoch eher moderne Weird Fiction à la Laird Barron & Co. erwartet und bin von deinem Feedback nun etwas eingeschüchtert. Mit Dark Fantasy und Clive Barker kann ich in der Regel nämlich eher weniger anfangen. Und die "Luzifer und die gefallenen Engel"-Thematik haut mich jetzt auch nicht unbedingt vom Hocker.

    Mal abwarten...


    (Falls jemand auf Netflix sucht: Der Film trägt den Namen der Sammlung und nicht den der Kurzgeschichte.)

    Die offenbar nachträglich entstandene und der ursprünglichen Story "Der Außenposten" vorangestellte Kurzgeschichte „Der Besucher“ fand ich stilistisch wesentlich schwächer als den "Haupttext" und inhaltlich zudem ziemlich überflüssig.

    Für den späteren Handlungsverlauf ist "Der Besuch" tatsächlich nicht wirklich relevant - Ich habe die Geschichte aber trotzdem gerne gelesen und halte sie für eine gelungene Ergänzung/Vertiefung.

    Dann hoffen wir, dass die Fassung auch ins Deutsche übersetzt wird...

    Wäre wünschenswert, halte ich aber für eher unrealistisch. Bei einem Crowdfunding-Projekt wäre ich aber sofort als finanzieller Unterstützer dabei.

    ...und der Film kein Reinfall!

    Da wäre ich bei Blumhouse mal eher dezent optimistisch.

    The Thing ist der einzige Film, von dem ich alle Fassungen wirklich gleich gern mag

    Gilt das auch für den Film von 2011? Den hab ich nie gesehen, weil er ja angeblich ziemlicher Schrott sein soll. Hab aber gerade festgestellt dass es sich bei ihm gar nicht um ein Remake (wie von mir bisher angenommen), sondern um ein Prequel handelt. Das macht ihn eigentlich gleich schon wieder interessant.

    Ansonsten mag ich die Carpenter-Version (inkl. Morricone-Soundtrack) doch deutlich mehr, als die erste Verfilmung.

    Ich würde es nicht als Prequel bezeichnen.

    Ich schrieb ja auch "eine Art Prequel"... weil die Dorfbewohner/ der Kult aus dem Film im Buch eben schon längst Vergangenheit sind und die Wandertruppe nur noch Ruinen ihrer ehemaligen Behausungen vorfindet.

    Die Black-Metal-Kids sind ja so etwas wie indirekte Nachfahren des Kults.

    Selten so einen kompromislosen Twist gelesen.

    Die zweite Hälfte des Buches scheint die Leser ja generell ziemlich zu spalten.

    Ich bin da definitiv im Team Voss, auch wenn wir wohl in der Minderheit sind. Nevill gelingt jedenfalls ein Bruch, mit dem man nicht im Geringsten rechnet und hat irgendwie zwei Bücher in einem geschrieben. Fand die Black-Metal-Thematik, inklusive jeder Menge Mayhem-/Burzum-Anspielungen, auch ziemlich interessant. Gerade weil sie im Buch ziemlich lächerlich gemacht werden.


    Vielleicht sollten wir aber auch einen eigenen Thread zu "The Ritual" bzw. "Im tiefen Wald" aufmachen, denn mit "No One Gets Out Alive" hat die Diskussion ja eigentlich nichts zu tun.