Heinz J. Galle - Erlebte Vergangenheit und gestaltete Zukunft

  • Heinz J. Galle zählt zu den unvermeidlichen Größen, wenn es zum Volksliteratur geht, um populäre Lesestoffe, Triviales, Heftromane und dergleichen mehr. Zum 85-jährigen hat DvR seine Autobiographie neu aufgelegt.





    In seinen bewusst subjektiv gefärbten, launig geschriebenen Schilderungen nimmt uns Galle mit in seine Berliner Kindheit im 3. Reich (Baujahr: 1936) und in die unmittelbare Nachkriegszeit, als es die Galles auf Umwegen ins niedersächsische Zonenrandgebiet (Helmstedt) verschlug. Schon früh, so wird spannend berichtet, regte sich beim Autor ein Interesse an populären Stoffen in Literatur und Film. Die Zeit zwischen Kriegsende und wirtschaftlichem Aufschwung ist für den jungen Galle und seine Freunde auch geprägt von der Suche nach Zerstreuung, aber wenn nicht gerade alte Hefte oder Ähnliches zwischen Trümmern gefunden werden können, so muss der Groschen für erste Unterhaltungsware vom Munde abgespart oder beim Bauern nebenan verdient werden. Zerfledderte Lesemappen mit Konvoluten machen die Runde. Erste Leihbüchereien schaffen schließlich Abhilfe; harte Kriminalromane sind ebenso zu erhalten wie Western. Magazine mit Karikaturen wecken das Interesse für die Verbindung von Gesellschaft und Kunst. Im Kino laden Konsorten wie Zorro und Tarzan zum exotischen Abenteuer, auf seinem Rappen Trooper prescht Hopalong Cassidy, Cowboy ohne Furcht und Tadel, durch die Weiten der Lichtspielhausprärie. Galle kommt schließlich nach Braunschweig, lernt via Bill Haley und Little Richard (nicht Elvis!) den Rock 'n' Roll lieben, begeistert sich für Jazz, mischt in der vermeintlich à l Die Halbstarken aufgepeitschten Jugendkultur mit.


    Zitat

    Die Jugend wurde rebellisch: Am 11. August 1956 verbreitete sich in Braunschweig unter uns die Parole: "Morgen um 3 Uhr auf dem Hagenmark!". Ich war im typischen Habitus jener Zeit natürlich auch dabei.


    Wir erfahren von einem lustigen Intermezzo mit Schlagersternchen Conny Froboess, einem Provinzbesuch Romy Schneiders und ersten Gehversuchen im SFCD, dessen Braunschweiger Ortsagruppe Galle mit gründet. Treffen auf Conventions, Flohmärkten und Börsen zählen zu den sozialen Highlights des Leser- und Sammlerlebens.


    SF-Fans unter sich


    Galle verschlägt es später nach Leverkusen, wo er nach Buchangaben bis heute lebt. Seine Tätigkeit als Beforscher und Verteidiger der Volksliteratur nimmt Fahrt auf. Galle publiziert im Sammler-Journal, wird in Sendungen von Funk und Fernsehen als Experte zugeladen, hält Vorträge vor interessiertem Publikum. 1986 erscheint sein Standardwerk Groschenhefte. Die Geschichte der deutschen Trivialliteratur bei Ullstein.


    Presseecho


    Ein längerer Abschnitt der Schilderungen ist dem Sammeln bzw. der Sammlerszene gewidmet. Hier kann man sich in vielen Schilderungen wiederfinden, aber es gibt auch historische Berichte (was tut ein Sammler, wenn die Hyperinflation zuschlägt?) und allerlei Nischenreports von Privatsammlern aus verschiedenen Städten (Wuppertal, Hamburg, Berlin...). Galle referiert eigene Erlebnisse, zitiert aber auch aus seiner privaten Korrespondenz, da der Autor mit Kennern und Sammlern allerorten bekannt war (darunter auch Forry Ackerman). Die Typenlehre des Heftromansammlers ist vielfältig: Gierschlünde und Geizhälse gibt es ebenso wie Samariter und Freigiebige. Das Panoptikum der Nischensammler hält entsprechend unterschiedliche Erfahrungsberichte bereit.


    Der Autor liest


    Galles knapp bemessene Autobiographie (126 bevorwortete, reich bebilderte Seiten) liest sich flüssig und beschert einige Kurzweil. Das Buch ist volkstümlich verfasst, theoretische Exkurse gibt es sogut wie nicht, subjektiv-assoziative Schilderungen aus der Lebenswelt des Autors werden geboten. Knapp bemessen ist dies, vielleicht zu knapp: Bei all den Jahren des Sammelns, des Lesens, des Publizierens, des Forschens und Suchens, des Verweilens in Clubs und Fachkreisen hätte man auf längere und zeitlich konsistentere Schilderungen gehofft. So wirkt die Sache eher wie ein Parforceritt, was aber kein negatives Urteil sein soll, denn das, was vorgelegt wird, ist von hohem Interesse. Gerade aber die Zeiten des frühen SFCD aus Galles Sicht, auch das Ringen mit Verlagen und bürgerlicher Fachpresse und zu guter Letzt natürlich die Schatzjagden der passionierten Sammler; ja, all dies wäre doch ausgiebigere Chroniken wert, so scheint es. Aber man muss dankbar sein für das, was man hat, und nicht zu Unrecht verweist Galle natürlich auch komplementäre Publikationen zur Geschichte des frühen BRD-Fandom u. ä., und so bleibt das Urteil klar: Galle lesen macht dem Volksliteraren Freude und es bildet ihn, Schnellkursus hin oder her. Dass die Neuauflage nun erstmals Galles eigene Vignetten und Kurzgeschichten im Anhang versammelt - vormals wohl nur zeitlich und örtlich vollkommen disparat erschienen - ist ein zusätzlicher Verdienst.