Worum es geht, Teil 1
Der 16-jährige Theobald Nolten besucht
gemeinsam mit seiner Schwester Adelheid eine Burgruine. Es ist ein
grauer, wehmütiger Tag, der als Stimmungsbild der nun
folgenden schicksalhaften Begegnung dient. Im Inneren des Gemäuers
vernimmt Theobald einen betörenden Gesang – schnell ist die Quelle
ausgemacht: „eine Jungfrau, deren fremdartiges, aber keineswegs
unangenehmes Aussehen auf den ersten Blick eine Zigeunerin zu
verraten schien.“
Der Junge und seine Schwester nehmen
das Mädchen – Elisabeth – mit ins elterliche Pfarrhaus, wo ihr
Vater (die Mutter lebt nicht mehr) alles andere als begeistert ist
über den Gast. Tatsächlich ist ihm Elisabeth keine Unbekannte. Ihr
Anblick erinnert ihn an eine tragische Familiengeschichte, in die
sich einst sein eigener Bruder verstrickte … und die sich mit
Elisabeths Auftauchen fortzusetzen scheint. Freilich nicht
unmittelbar, denn sie verschwindet kurz darauf wieder, „ohne auch
nachher, als man sie vermisste, wieder aufgefunden werden zu können.“
Worum es geht, Teil 2
Jahre später malt Nolten das
Bild einer „nächtlichen Versammlung musikliebender Gespenster“,
in dem er Elisabeth die Rolle einer Organistin verleiht. Mit ihr –
zu der er seit jenen Jugendtagen gar keinen Kontakt mehr hatte –
wird zuerst eine von insgesamt drei Frauen eingeführt, denen Nolten
in Liebesglück und Liebesunglück verbunden ist. Denn eigentlich
wartet in der alten Heimat seine Verlobte Agnes auf ihn, von der er
sich aber entfremdet hat. Statt ihrer gilt seine Aufmerksamkeit
neuerdings der Gräfin Konstanze von Armond.
An dieser Stelle meint Noltens Freund,
der Schauspieler Larkens, eingreifen zu müssen. Um die Beziehung zu
Agnes zu retten, beginnt Larkens mit ihr einen Briefverkehr in
Noltens Namen und täuscht eitel Sonnenschein vor. Dieser fingierte
Briefwechsel fliegt natürlich eines Tages auf; mit fatalen Folgen
für alle Beteiligten.
Zwischen allen Stühlen
Eduard Mörikes 1832 erschienener
„Maler Nolten, eine sogenannte „Novelle in zwei Teilen“, kann
ebenso unter dem Aspekt der Gespenstergeschichte als auch unter dem
des Künstler- oder Bildungsromans betrachtet werden. Auch von einem
psychologischen oder Entwicklungsroman ist die Rede … je nachdem,
welche Sekundärliteratur man konsultiert. Schön hat es Volker
Hoffmann in seinem Eintrag in „Kindlers Literaturlexikon“
ausgedrückt: „Mit der Gattungszuordnung beginnen die Probleme des
Malter Nolten.“
Ohne Zweifel gibt das zu Beginn des
Buchs beschriebene Gemälde eines Totentanzes den Takt vor. Denn die
rätselhafte Zigeunerin Elisabeth, von welcher der 16-jährige Nolten
verkündet „Und lass es ein Gespenst sein!“, greift immer wieder
aus zwielichtigen, abgründigen Regionen in sein Leben ein. Sagen und
gespenstische Geschichten, die zwischen den Handelnden kursieren,
bilden einen durchgängigen Untergrund des Buchs. Dessen
Erzähltechnik erreicht mit „Der letzte König von Orplid“ einen
ersten Höhepunkt. In dieses „phantasmagorische Zwischenspiel“
eingeflochten (und davon unabhängig bekannt geworden) ist
Mörikes Ballade „Die Geister am Mummelsee“.
Fazit
Ich habe den „Malter Nolten“ gerne
gelesen, auch wenn die Lektüre zwischenzeitlich ins Stocken geriet.
Das liegt zum einen an der Länge des Buchs, meiner Ausgabe mit
kleinem Schriftbild und, wie das bei einem fast 200 Jahre alten Werk
natürlich ist, an der altertümlichen Sprache, in die es sich ja
immer wieder „einzuarbeiten“ gilt.
„Maler Nolten“ fußt sicher noch
irgendwo auf dem Schauerroman. Der geringe zeitliche Abstand zum Werk
E. T. A. Hoffmanns ist bedenkenswert, ebenso die Unterfütterung
durch die Gespensterballade: ein Feld, auf dem sich Mörike ohnehin
betätigte. Dennoch überwiegt die menschliche Tragik des Geschehens
– ein Geflecht aus Intrige und Gegenintrige – den gruseligen
Effekt.
Interessanterweise bleibt der
„Titelheld“ selbst relativ blass gezeichnet. Seine Gefühle und
Absichten kommen vielmehr in der Darstellung seiner drei
„Gespielinnen“ zum Ausdruck. Sie erscheinen denn auch als
Repräsentantinnen verschiedener gesellschaftlicher Sphären. Mit
Agnes strebt Nolten ein geregeltes Bürgerleben an, mit der
feinsinnige Konstanze von Armond verkehrt er in Adelskreisen und
Elisabeth mag für eine ungeordnete, umherirrende Existenz stehen, –
nicht zuletzt, so hat es Gero von Wilpert ausgedrückt, für die
„dunkle Dämonie des Künstlertums“.