Mein Belegexemplar von Cthulhu Libria Neo 3 Dunkle Weihnacht trudelte auch vor einigen Tagen ein. Wenn ich es schaffe, poste ich hier in unregelmäßiger Folge einige Eindrücke … los geht es mit Julbocken von Silke Brandt.
Inhalt
Im dänischen Schloss Kronborg kommt in der Nacht des Julfests 1863 eine kleine Gesellschaft zusammen. Graf und Gräfin Østergaard haben den Baron Scavenius und seine Frau zu Gast. Als — sozusagen — fünftes Rad am Wagen ist die Erzählerin mit von der Partie — eine aufmerksame Beobachterin und Chronistin dieser exklusiven Soiree. Wie sollte es in so einer Nacht anders ein: Man erzählt sich Gespenstergeschichten am Kamin. Grund dafür ist naturgemäß vorhanden: Denn schon während der Hinfahrt zum Schloss sah man auf dessen Mauern eine schemenhafte Gestalt, zudem bergen die alten Mauern manch düsteres Geheimnis. Und schließlich bringt unsere Erzählerin noch den tragischen Bericht eines Schiffsunglücks an, der sich vor genau 50 Jahren vor den Toren der Stadt zutrug.
Eindruck
Es gibt ein interessantes historisches Setting, eine bemerkenswerte Gesellschaft, es gibt Grusel und Gemütlichkeit. Nicht zu vergessen: ein feines erotisches Feuer, das die Autorin wohlbedacht im Hintergrund schürt. Als sei es die natürlichste Sache der Welt entsteht vor dem lesenden Auge ein Mix aus Historie, nordischer Folklore, seemännischem Aberglaube, Gothic Tale und Gesellschaftserzählung. Das Schöne ist, dass man das als lesende Person natürlich nicht so auseinanderklamüsert, — sondern als völlig gegeben hinnimmt. Grund dafür ist eine erzählerische Prägnanz und ein ausgesprochenes Gefühl für die richtige Länge von Szenen und Episoden. In dieser Hinsicht ist Julbocken ist ein Paradebeispiel für die Überlegenheit der Kurzgeschichte (etwa im Vergleich zum Roman). Ich wüsste beim besten Willen nicht, wo ich etwas hinzutun, wo ich etwas wegnehmen sollte — so ausgewogen und in sich stimmig ist die ganze Konstruktion, die schließlich von der Autorin mit diabolischem Schalk im Nacken zum Platzen gebracht wird.
Fazit
Julbocken ist nicht die erste Story in dem Band: aber für mich ein mehr als gelungener Auftakt. Und weil ich so einen Spaß beim Lesen hatte, habe ich die Geschichte gleich noch einmal gelesen. Dies auch, weil sie einige sehr schöne Sätze enthält, die in der Phantasie ein Eigenleben entwickeln. Das kann mal die Beschreibung der nächtlichen Tafel sein, mal die Skizzierung einer erotischen Attraktion. Frohes Fest, kann ich da nur sagen!