Ich werbe immer gern für Staffel 2, die eine elegante Noir-Story rund um politische Korruption mit interessanten Figuren bringt, gewissermaßen eine Mischung aus klassischen Hardboiled-Quellen der Marke Hammett und Chandler und einem moderneren, psychologisch ausgerichteten Krimi. Dazu zieht Pizzolato hier - im Gegensatz zur ersten Staffel, wie richtig angemerkt wurde - voll durch. Das Ende ist deutlich düsterer und erinnert teils an filmische Vorlagen wie Night and the City oder Scarlet Street. Der Soundtrack ist erneut hervorragend. Mehr Action bietet die Staffel tatsächlich nicht, es gibt zwei etwas längere Shootouts, die aber keinem Selbstzweck dienen, und so handhabte man es bereits in der ersten Staffel.
Die dritte Staffel hat ein deutlich schwächeres Ende, bietet aber einen spannenden Kriminalfall und diskutiert verschiedenste Fragen bezüglich unserer Wahrnehmung von Realität und dem Nutzen unseres Gedächtnisses. Das sozioökonomische Milieu ist hier ein gänzlich anderes, was den Reiz steigert. Politisch-insitutionelle Fragen spielen aber hier auch wieder eine Rolle, ein Zusammenhang mit den Begebenheiten der 1. Staffel wird angedeutet, leider aber zuletzt nicht konsequent durchgehalten. Hier hoffe ich auf einen Auffang durch Staffel 4.
Meine These ist, dass die 1. Staffel Erwartungshaltungen bezüglich der Verbindung von Krimi und Weird Fiction weckte, die die Gesamtbewertungen der Serie bis heute negativ beeinflussen. Zu unrecht, wie ich finde. Es wurde gesagt, eine alleinstehende Mini-Serie wäre gut gewesen. Tatsächlich hat man das hier ja; jede Staffel ist in sich abgeschlossen und ruft zur einzelnen Bewertung auf. Man kann jede Staffel alleinstehend anschauen. Insofern ist Staffel 1 eine für sich stehende Mini-Serie.
Ich würde bloß davor warnen, die vermeintliche Originalität der 1. Staffel (die natürlich genial ist) allzu hoch zu hängen. Die Anteile, die der Serie einen Ruf in der Phantastik-Gemeinde verschafften, sind nüchtern betrachtet sehr gering, andere Einflüsse, wie eben aus den Bereichen Noir/Hardboiled oder auch der Décadence, überwiegen bei weitem. Der philosophische Unterbau ist natürlich gerade in den ersten Folgen toll eingewoben, aber damals hat man sich teils zurecht darüber mokiert, dass Pizzolato (der eigentlich ein Krimi-Autor ist, siehe seinen Roman Galveston) einfach Copy-and-Paste nach einer kursorischen Ligotti-Lektüre machte, und letztendlich spielen die Einflüsse aus der Weird Fiction für das Narrativ kaum eine Rolle. Es wird viel mit Motiven und Stimmungen gespielt, was ja auch sehr reizvoll ist, gleichzeitig aber zur Dekonstruktion aufruft. Und: Dies findet sich in den anderen Staffeln auf gleichem Niveau, nur eben mit alternativen Symbolen und Akzenten. Neben der nicht erfüllten Erwartungshaltung wurde bei Staffel 2 damals übrigens vor allem ins Feld geführt, die Handlung sei verworren und unlogisch. Das ist, mit Verlaub, eine eher dämliche Behauptung, da die Handlung zwar relevant aufbereitet, aber im Kern sehr simpel ist. Es geht um Korruption in Politik, Polizei und Verwaltung, daneben läuft ein Strang im organisierten Verbrechen, dazu ein paar persönliche Storys, die die Lücken füllen, am Ende läuft alles zusammen. Ich würde behaupten, die 1. Staffel ist da teils sogar komplexer in ihren Andeutungen. Viele Krimi-Bestseller sind es in jedem Fall. Die Stärke der Serie ist nicht die reine Handlung, sondern die Art, wie sie die Handlung benutzt.
Das soll mein Plädoyer gewesen sein. Natürlich bleibt es allen unbenommen, die Serie nicht zu schauen oder doof zu finden.