Beiträge von Nils

    Danke für die kleine Vorstellung. Noch nie von der Sache gehört bislang! Die Idee des Herausgebers/Übersetzers ist sicherlich löblich, aber deine Kritik ist gewiss berechtigt. Eine seltsame Story-Auswahl, flache Übersetzungen und BoD-Style sind nicht das, was einen bei der Stange hält. Zumal sowohl Das rote Zimmer als auch Englands Das Ding keine Glanzlichter sind, dazu recht oft anthologisiert. Interessanter wäre es, wenn uns ein Pulp-Kenner Obskureres präsentieren würde.

    Diese Bücher von Faber & Faber haben einfach so schöne Titelbilder

    Dem stimme ich zu! Eine für Taschenbücher wohl besondere Sache ist auch die geprägte Schrift auf dem Cover. Wirklich ein tolles Design.

    Cold Hand in Mine

    Faber & Faber, London, 2014

    Zuerst 1975 in Großbritannien bzw. 1977 in den USA erschienen.

    Heute außerdem in höherwertiger Variante bei der Tartarus Press zu bekommen.




    Der Band versammelt 8 Geschichten Aickmans, die teils vorher schon in Magazinen veröffentlicht worden waren. Den Stories vorangestellt ist eine Einführung des Aickman-Liebhabers Reece Shearsmith, als Abschluss ist ein Bericht der Autorin Jean Richardson beigegeben, die Aickman kennenlernte, als sie zufällig im gleichen Londoner Wohnkomplex residierten.



    The Swords


    Ein junger Handelsvertreter steigt in einem miesen Hotel in Wolverhampton ab. Der schüchterne und wenig weltgewandte Angestellte ist von der prosaischen Welt seines Berufs angewidert und sucht dem durch urbane Streifzüge zu entgehen. In einer verlassenen Gegend der Großstadt stößt er eines Tages völlig unvermittelt auf einen seltsamen kleinen Jahrmarkt...


    Eine irritierende und in Teilen surreal verstörende Story voller sexueller Symbole und psychologischer Metaphern, die vorgeblich im Gewand einer Geistergeschichte daherkommt, durch starke Elemente eines poetischen Realismus und die Gestalt des mental an seine Grenzen kommenden Flaneurs aber weit darüber hinaus weist. :thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:



    The Real Road to the Church


    Aickman führt uns hier auf eine einsame britische Insel, deren Atmosphäre voller seltsamer Andeutungen ist und deren BewohnerInnen einen abergläubischen Habitus an den Tag legen. Die Protagonistin der Story wird geschickt mit nur wenigen Beschreibungen als vom modernen Berufs- und Liebesleben ausgezehrte Aussteigerin entworfen, auf deren Seele diverse Schatten lasten. Kann sie ihrer Vergangenheit durch selbstgewähltes Exil entgehen? Ihr neues Heim von kuriosen Mächten beherrscht, die dem entgegen stehen. :thumbup::thumbup::thumbup:



    Niemandswasser


    Hier nutzt Aickman das unterkühlte deutsche Adelsmilieu des 19. Jahrhunderts und die - aus Sicht des Engländers - kantige Fremdheit der deutschen Sprache, um erneut eine Vergangenheitsflucht zu inszenieren. Vom hektischen Berlin geht es an die ruhigen Gestade des Bodensees, wo der Protagonist im Schoße der Familie Ruhe zu finden hofft.


    Erneut spielt Aickman gekonnt mit klassischen Motiven des Genres: Schmerzhafter Einbruch der Vergangenheit in die Gegenwart, seelische Pein, unterdrückte Erotik, Schuld. Besonders hervorzuheben ist hier die Einbindung der lokalen Landschaft, bei der sich mögliche Blackwood-Einflüsse offenbaren. :thumbup::thumbup::thumbup:



    Pages from a Young Girl's Journal


    Für diese in der Spätromantik angesiedelte, im exotischen Milieu englisch-italienischen Adels spielende Delikatesse erhielt Aickman zu Recht 1975 den WFA. Ein subtiles, sprachlich wunderschön schauriges Spiel mit sacht erwachendem, juvenilem Begehren, einer renaissanceartigen Kulisse und einem Rekurs auf italienische und englische Literatur. Wer wissen möchte, welches Maß an Perfektion Aickman erstrebt, wenn er versucht, ein assoziatives Gewebe zwischen Handlung und Motiv zu entwerfen, der und die muss dieses kleine Meisterwerk studieren. :thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:



    The Hospice


    Aickmans möglicherweise berühmteste Geschichte um einen Verkäufer, der sich des Nachts mit seinem Dienstwagen verfährt und plötzlich in einer zuvor nicht ausgeschilderten Gegend voller seltsam gebauter Häuser landet. Da sein Benzin zur Neige geht, steuert er am Ort ein Hotel an.


    Ähnlich wie in The Swords geht es hier psychogeographisch surreal zu. Kafkaeske Dimensionen, fließende Übergänge zwischen Realität und Traum (oder... ? ) und ein unterschwelliges Gefühl dimensionaler Bedrohung wabern durch diese kauzige Story. :thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:



    The Same Dog


    Was oberflächlich als eine recht konventionelle Schauermär daher kommt, entpuppt sich bei genauerer Lektüre als eine sensible Parabel über Vergänglichkeit und kindliche Verlusterfahrung, als eine psychologisch einfühlsame Überlegung mit übernatürlichem Bruch, der zu Interpretationen verschiedenster Art reizt. :thumbup::thumbup::thumbup:



    Meeting Mr. Millar


    Eine von vielen Gelegenheiten, in denen Aickman uns recht deutlich über ein alter ego durch die Geschichte führt. Wir begegnen einem jungen Autor von aufstrebender Natur, dem eine Etablierung jedoch nicht recht gelingen will. Er zieht in den Dachboden eines schäbigen Londoner Hauses ein, wo er hauptsächlich davon lebt, pornographische Schundliteratur zu redigieren und andere Hilfstätigkeiten für den Verlag zu erledigen. Im Erdgeschoss lebt eine sechsköpfige Familie, zur Mutter der Kinder unterhält der Autor eine diffuse, feinfühlige Beziehung. Der Autor genießt die Ruhe des Ortes und seine speziellen Arrangements, bis dies alles eines Tages durch den Zuzug einer äußerst merkwürdigen Buchhaltungsagentur gestört wird,


    Erneut spielt Aickman mit surrealen Anordnungen, stiftet Verwirrung und schafft eine im Hintergrund dräuende Drohkulisse, derer man als LeserIn lange nicht HerrIn wird. Die Story ist gewiss ein gutes Beispiel für die hohe Lektürekompetenz, die Aickman von seinem Publikum erwartet. Was passiert hier eigentlich? Mit was für Gestalten hat man es zu tun? Aickman brennt ein multisensorisches Feuerwerk der Unklarheit ab, bei dem man sich entweder als Betrogene/r oder als Zeuge/-in von Meisterschaft vorkommen kann. :thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:



    The Clock Watcher


    Den Abschluss macht eine Dahl-Hommage mit erneutem Deutschland-Bezug. Der Protagonist - ein charakterlich äußerst durchschnittlicher Geschäftsmann - lernt im Krieg eine Frau aus dem Schwarzwald kennen, die er nach Kriegsende heiratet und mit nach England nimmt. Die Dame des Hauses pflegt eine Leidenschaft, die der Mann verabscheut: Das obsessive Sammeln von Kuckucksuhren. Als irgendwann das ganze Haus der Eheleute voller tickender Kuckucksuhren hängt und der Mann entdeckt, dass ein seltsamer Mechaniker die Uhren in seiner Abwesenheit in Schuss hält, droht die Lage aus dem Ruder zu laufen.


    Allerlei exzentrische "Englishness" und mysteriöse Vorgänge, die sich subkutan abspielen und schlichte Gemüter zum Wahnsinn treiben; Aickman zeigt auch hier, was er methodisch zu leisten im Stande ist. :thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    auch heute gibt es skeptische Geisterjäger, die sagen, sie suchten eher naturwissenschaftliche Erklärungen und würden erst an Paranormales glauben, wenn sie Beweise dafür fänden.

    Wobei ich die Wissenschaftlichkeit bei solchen Leuten doch sehr in Anführungszeichen setzen würde. Parapsychologen wie Walter von Lucadou kommen zwar ursprünglich aus der Wissenschaft und geben sich gern skeptisch, ignorieren aber theoretische und methodische Argumente von außen meist einfach oder lassen sie nicht gelten.


    Ist also auch interessant, zu sehen, ob sich seine Geschichten dadurch irgendwie von denen seiner skeptischen Kollegen unterscheiden.

    Aber das wäre gewiss eine interessante Fragestellung.

    Ich tendiere nach Anschauen dieses zum Niederknien sympathischen Collector-Videos zur Anschaffung des New York Book Review Bandes. Davon habe ich kürzlich ein paar gekauft und finde die wirklich liebevoll aufgemacht und auch von Schriftbild und Haptik her extrem angenehm.

    Compulsory Games lohnt gewiss die Anschaffung, wobei ich nicht sicher bin, ob die Sammlung wirklich als Einstieg taugt. Russell meint im Video zwar, es handele sich um "a good selection", ich würde aber schon darauf hinweisen, dass sie fast durchwegs weniger bekannte und potentiell sperrigere Geschichten von Aickman enthält.


    Ich würde als Einstieg eher Cold Hand in Mine empfehlen; hier hat man die preisgekrönte Story Pages from a Young Girl's Journal, den Klassiker The Hospice, die sexuell verstörende, surrealistische Groteske The Swords und mit Geschichten wie The Same Dog und Meeting Mr Millar hervorragende Beispiele für Aickmans atmosphärische Meisterschaft durch den eigentümlichen Gebrauch eigentlich eher konventioneller Motive.