Stimmt, die beiden Bände in neuem Gewand hatte ich schon wieder ganz vergessen. Ich hatte den Band irgendwann mal sehr günstig ersteigert, wobei mir bis neulich gar nicht aufgefallen war, dass es sich offenbar um eine private Nachbindung handelt.
Dark Entries
Faber & Faber, London, 2014
Zuerst 1964 erschienen.
Heute außerdem in höherwertiger Variante bei der Tartarus Press zu bekommen.
Es handelt es sich um Aickmans erste gänzlich eigenständige Sammlung, in der 6 Geschichten zu finden sind. Die Einführung übernimmt hier der Schriftsteller Richard T. Kelly, das Nachwort Robert Aickman Remembered stammt von Ramsey Campbell. Der Band enthält durchgehend starke bis sehr starke Beiträge, deren Eindruck höchstens durch motivische und thematisch-konzeptionelle Wiederholungen geschmälert wird,
The School Friend
Im Mittelpunkt dieses Coming-of-Age-Mysteriums stehen zwei Schulfreundinnen, die gemeinsam in einer englischen Kleinstadt aufwachsen. Während die eine über ein neugieriges und offenes Gemüt verfügt, erscheint die andere als hochbegabte, aber sozial seltsame Person. Sie lebt mit ihrem niemals vor die Tür gehenden Vater in einem merkwürdigen Haus am Ende einer Sackgasse - ein Ort, der von den Leuten in der Stadt allgemein gemieden wird. Ranken sich dunkle Geheimnisse um diese sozial auffällige Familie und ihr gedrungenes Gemäuer?
Im Gewand einer Entwicklungsgeschichte sinniert Aickman über Grundthemen wie "Schicksal" und "Moral". Meiner Meinung nach geht es für Aickman ungewohnt explizit in eine übernatürliche, gar christlich konnotierte Richtung, wobei ironischer Subtext erkennbar und sicherlich eine Kritik an sozialen Exklusionsprozessen im spießbürgerlichen Milieu intendiert ist. Literarisch gewohnt hochwertig und in Teilen durchaus schaurig; allerdings ist man sich nicht immer sicher, wo Aickman hier eigentlich hin wollte. ,5
Ringing the Changes
Ein frisch verheiratetes Ehepaar reist in das Küstenstädtchen Holihaven, um dort einige unbeschwerte Tage zu verbringen. Allerdings wird das Glück des im Lebensalter sehr ungleichen Paars von Beginn an getrübt. Die Bewohner des Ortes reagieren irritiert auf die Ankunft der Fremden. Der kleine Ort scheint sich einer konkreten sinnlichen Wahrnehmung zu entziehen. Durchgehend läuten Kirchenglocken. Als das Paar feststellt, dass neben einem kauzigen alten Ex-Militär und ihnen selbst niemand sonst im Hotel abgestiegen ist, beginnt der Ehemann, Verdacht zu schöpfen.
Eine von Aickmans effektivsten Geschichten. Gekonnt wird durch den Aufprall einer neurotischen Persönlichkeit auf eine fremdartige, diffus bedrohliche Kulisse eine subtile Spannung aufgebaut, die auf Entschleierung eines monströsen Geheimnisses zuzusteuern scheint. Auf Seiten des Protagonisten scheint sexuelle Verunsicherung und eine allgemeine Lebensentfremdung eine Rolle zu spielen. Wie es für Aickman typisch ist, häuft er durch allerlei Unklarheiten einige gewichtige Fragen auf. Gibt man uns hier ein Kabinettstückchen modernen britischen Folk Horrors? Wer sich im Genre auskennt, dem liegen Assoziationen zu Blackwoods Ancient Sorceries und Lovecrafts The Shadow over Innsmouth nicht allzu fern. Ein mögliches Spiel mit ruralen Mythen und maritimen Ritualslegenden kommt in den Sinn. Aickman scheut auch nicht vor einer extremen, rassistisch anmutenden Konsturktion des "Anderen" zurück, was gewiss sehr kritisch zu bemerken ist, der Zielsetzung hier aber dienlich erscheint.
Choice of Weapons
Romantische Exzentrik a la Aickman at its best! Obsessive Leidenschaft reißt einmal mehr einen jungen Mann aus seinen gewohnten bürgerlichen Bahnen und führt inmitten der modernen Großstadt scheinbar in eine frühere Epoche, deren Eleganz und Personal den Jüngling in ihren Bann schlägt. Okkulte Kräfte oder doch bloß Wahngebilde der nutzlosen Liebe? ,5
The Waiting Room
Auf ganz kurzer Distanz zeigt Aickman hier, dass er auch konventionell auf hohem Niveau kann. Er lässt einen Regierungsbeamten seinen Anschlusszug verpassen. Der frustrierte Herr muss mangels Alternativen die Nacht im Wartehäuschen auf dem verlassenen Gleis zubringen...
The View
Ein Mann entschließt sich, seinem lästigen Alltag zu entfliehen und bucht einen Fährplatz gen irische See, wo er sich auf eine kleine Insel zurückziehen will. Auf der Fähre lernt er eine Dame kennen, die auf der Insel wohnt. Sie lädt den Mann ein, in ihrem Haus zu logieren. Vor Ort stellt der Mann schnell fest, dass die visuelle Orientierung schwer fällt - jeder Blick scheint gänzlich Anderes zu offenbaren, als noch zuvor.
Komplex entwickelt Aickman Stück für Stück ein vom Alltäglichen ins Seltsame übergehendes Kammerspiel, das eine beinahe postmoderne, radikalkonstruktivistische Lesart ermöglicht. Die Dimensionen scheinen um den Protagonisten zu verschwimmen. Die personenzentrierte Erzählweise lässt freilich die psychologische Hintertür immer offen. Eine romantisch-märchenhafte Kritik am modernen Leben schimmert ebenso durch wie die in Frage stehende Möglichkeit eines phantastischen Eskapismus. Aickman diskutiert verschiedene philosophische Fragestellungen, der Reflexionsgrad lässt die Geschichte oft wie ein Prosagedicht wirken. Zwar bleibt die Sache zu hermetisch, um wirkliche Erkenntnis zu bringen und es wird eine hohe Akzeptanz für Exotisches und Malerisches abverlangt - als methodischer Experimentiermeister nötigt Aickman uns hier jedoch ein hohes Maß an Respekt ab.
Bind Your Hair
Erneut ist es eine abseitige Liebesbeziehung, die Aickman als Vehikel nutzt, um einen Weltenbruch vorzubereiten. Diesmal folgen wir einer kurz vor dem Eintritt ins mittlere Alter stehenden Büroangestellten, die den Heiratsantrag eines Kollegen akzeptiert. Wirklich überzeugt ist sie zwar nicht, aber Alternativen scheint es keine zu geben. Der Verlobte nimmt sie mit aufs Land, wo sie ihre neue Schwiegerfamilie kennenlernen sollen.
Wieder profiliert Aickman gekonnt einen sozial engen Raum, um die Leute "with" von den Leuten "without" zu trennen, um eine Kategorisierung F. Scott Fitzgeralds zu bemühen. Als der Protagonistin die Hohlheit ihrer Welt erkennbar wird, driftet sie zur anderen Seite hinüber. Was wird sie dort erwarten? Die Diffusion der Grenzen gelingt Aickman meisterlich, der Weg ist gepflastert mit allerlei Symbolen und schaurigen Ereignissen. Wer sich mit der Wiederholung von Themen und Motiven abfinden kann und Aickmans Vagheit schätzt, ist mit diesem recht kurzen Ausflug in die Provinz gut beraten.