Aleister Crowley: Gilles de Rais. The Bannes Lecture
(belleville, 1988)
gelesen von Thomas Hofmann
Gilles de Rais - zum dritten Mal! Etwa zuviel des Guten? So schlimm kommt es nicht, denn das vorliegende Büchlein ist eher eine dünne Broschüre.
Dafür schließt sich ein weiterer Kreis. War der Magier Aleister Crowley in Somerset Maughams "Der Magier" Protagonist, so referiert in dessen eigenem Buch derselbige über die Hauptfigur eines anderen Romans des fin de siècle- Huysmans "Tief unten".
Wie dem auch sei, auf den paar Seiten Crowleys geht’s deutlich zur Sache. Immerhin, seinerzeit erweckte allein der Gedanke, daß der "gefährlichste Mann Englands" vor Studenten in Oxford einen Vortrag halten soll, und dazu wohl noch über eine solch verruchte Persönlichkeit, den Argwohn der Behörden, so daß ihm dies verwehrt wurde. Dafür liegt der Vorrtag nun aber in dieser gedruckten Form vor. Initiiert hat übrigens die Herausgabe des Textes kein geringerer als John Symonds, dessen Crowley-Biographie ich auch schon die Ehre hatte, im SX zu besprechen.
Im Grunde referiert Crowley relativ wenig über die historische Person Gilles; er geht davon aus, daß sein Auditorium schon alles darüber weiß. Also setzt er sich sogleich mit der Sicht der Römisch-Katholischen Kirche auf diesen Ketzer auseinander, und davon ausgehend, mit der Wahrheitsproblematik der Kirche und ihrem Anspruch, die Wahrheit gepachtet zu haben. Hier wird auch deutlich, was die Vertreter von Law and Order so an Crowley fürchteten, denn offiziöse Moral- und Gesetzesvertreter erkannte er wohl nie als rechte Autoritäten an. Sicherlich ist es auch dieser Grundzug, den Crowley heute noch gewissen Kreisen interessant macht...
Doch wie steht es mit dem Wahrheitsgehalt von Crowleys Aussagen aus? Als Grundlage für seine Wertung geht er von einer interessanten Prämisse aus: Gilles de Rais sei von denselben Leuten verurteilt worden wie Jeanne d‘Arc, und derselben Punkte angeklagt gewesen.
Wenn man also die eine später rehabilitierte und heilig sprach, den anderen aber als das Böse schlechthin nach wie vor verteufele, habe das sicher Ursachen.
Ähnlich wie man das bei Däniken heute kennt, stellt auch Crowley einen fraglichen historischen Grundsatz auf (bzw. in Frage), um darauf seine Argumentation aufzubauen. Darunter leidet diese natürlich.
Interessant ist, daß Crowley ähnlich wie Tournier (besser wahrscheinlich: Tournier wie Crowley) Gilles als das Pendant zu Jeanne sieht, allerdings wesentlich unmittelbarer als Tournier, der erst eine enorme moralische Entfernung postuliert, an deren äußeren Enden sich beide wieder treffen. Jeanne d‘Arc war übrigens auch nicht immer die Heilige; gerade für die Engländer, die sie ja bekämpfte, nicht. So habe wohl Shakespeare ein Stück verfaßt, in dem er sie als Hure, Hexe und gemein darstellt. Hier ist eine große Nähe zwischen Gilles und Jeanne vorhanden.
Crowley zweifelt dann andererseits an, daß Gilles wirklich 800 Kinder umgebracht habe; er meint, daß wäre in den dünn besiedelten Gebieten zu dieser Zeit kaum möglich gewesen, zumal Gilles dies so lange unbehelligt treiben konnte.
Und weiter: Der Autor betont deutlich, daß das, wofür Gilles angeklagt wurde, nämlich das betreiben Schwarzer Magie und Teufelsbeschwörung, eigentlich Bestandteil der christlichen Lehre seien. (Das deckt sich mit Huysmans "Beobachtungen" , der ja bemerkte, daß vor allem Priester die Schwarzen Messen abhielten.)
Für Crowley ist die Verteufelung Gilles ein Zeichen für den Kampf der Kirche um ihre Macht. Im Mittelalter waren es die Vertreter der Kirche, die das Wissen akkumulierten und mehrten, es dabei aber vor der Öffentlichkeit verwahrten, Bildung war ein Privileg, Wissen bedeutet Macht; dessen waren sich die Kirchenfürsten bewußt und verbrannten lieber jemanden wie den Ketzer Gilles, der mit seinen alchimistischen Experimenten der Wahrheit und dem Wissen empfindlich nahe kam.
So jedenfalls argumentiert Crowley; nun, man möge sich selbst ein Bild machen...
Der Autor jedenfalls wird nicht müde, diese Kausalität auf seine Zeit zu übertragen und gegen die Kirche zu wettern, wobei er besonders auch die anti-jüdisch-bolschewistische Hetze des Papstes anklagt.
Ein Interview mit Crowley zum Thema des Auftrittsverbotes rundet das Büchlein ab.
Aleister Crowley: Gilles de Rais. The Banned Lecture. Zweisprachige Ausgabe mit einem Interview aus dem Jahre 1930, hg. u. aus dem Englischen übersetzt von Michael Farin und Roland Hepp; © 1984 John Symonds; © 1988 edition belleville, Hamburg, 45 Seiten