Beiträge von hardt

    Band 2

    Ljod. Das Eis


    Berlin Verlag 2003, Orig. Ljod 2002


    Nun habe ich mir den zweiten Teil der Trilogie vorgenommen. Wie man an den Veröffentlichungsdaten sieht, wurde dieser Teil zuerst geschrieben, und tatsächlich kann dieser Teil vollkommen allein für sich stehen, auf die nähere Beschreibung der Gründung der Sekte in Bro und die Erfüllung der Prophezeiung, die ja wahrscheinlich im abschließenden Band geschildert wird, im Grunde verzichten.


    Das Buch ist in vier doch sehr unterschiedliche Teile gegliedert. Im ersten erleben wir, wie im gegenwärtigen Moskau drei potenzielle Mitglieder der blonden, blauäugigen Sekte der Auserwählten mit dem Eishammer aufgeklopft werden: Ein Student mit doch sehr zweifelhaftem Umgang, eine Prostituierte und ein dubioser Geschäftsmann. Alles sehr schmutzig, alles sehr widerlich, und doch kann man einfach nicht aufhören zu lesen. Im zweiten Teil erzählt Chram ihre Geschichte, die in einem von Deutschen besetzten Dorf beginnt, über die Erweckung durch eine SS-Einheit und den brutalen Terror der Stalin-Zeit bis hin zu Perestroika und Glasnost und dann dem heutigen Russland führt. Was in den beiden abschließenden Teilen beschrieben wird, muss der geneigte Leser selbst herausfinden.


    Was für eine Geschichte! Ein absoluter (Eis-)Hammer. Wahrscheinlich nicht jedermanns Sache, aber trotzdem ganz große Literatur.

    So, inwischen habe ich den Moloch gelesen. Die Reise in die Megapolis Rhein-Ruhr hat sich auf jeden Fall gelohnt. Sehr viele hervorragende Ideen, die Subvilles, Nanogoo, die Toten Zonen, Exoskelette, die Nexus, die Franchise-Städte, …, das Ganze mit viel Lokalkolorit angerichtet. Der Chaos Computer Club in der verseuchten Sperrzone. Die Zukunft der Wuppertaler Schwebebahn. Sehr schön. Das Weiterdenken von aktuellen Entwicklungen in düstere, dystopische Szenarien klingt häufig erschreckend plausibel. Die Idee hinter der zentralen Verschwörung des Buches, besonders die Symbolik dahinter, finde ich gelungen. Mit einer Hauptfigur, Sina, wurde ich nicht so recht warm. Kiran ist als Identifikationsfigur deutlich besser.


    Die Sprache des Buches finde ich sehr anstrengend. Technische Fachausdrücke, ewig lange Sätze, und insbesondere Sina neigt dazu, in jede Beobachtung und jeden anderen Menschen ihren Weltekel hineinzuinterpretieren. Man ist versucht, solche selbstgefälligen Stellen mit der Weltsicht des Autors gleichzusetzen. Das Buch hatte zudem oft deutliche Längen und das Ende fand ich doch etwas schwach.


    Trotzdem kann ich das Buch bedenkenlos empfehlen. Es ist aber bekanntlich aktuell nicht mehr erhältlich.

    Das Buch liegt dir mal wirklich am Herzen.


    Ich habe mir jetzt das letzte Exemplar bestellt, das es noch direkt bei Mr. Bezos gab. Dann hoffe ich mal, dass es so gut ist, wie du sagst. Ich hoffe, du kannst mit dieser Verantwortung umgehen ...

    Ich habe von Iwoleit nur mal versucht, "Psyhack" zu lesen, und bin nicht weit gekommen.


    Darum geht es aber gar nicht. Nur weil du der Meinung bist, dass "Moloch" um Längen besser sei als alles andere, was für einen Preis in Betracht gezogen wurde, heißt das nicht: "Das spricht aber nicht für die mehrere Leute."

    Für diese Kategorie habe ich ein englisches Buch gewählt, das es m.W. auch nicht auf Deutsch gibt. Das Buch ist 2008 in der Reihe Tomes of The Dead im Verlag Abaddon Books erschienen. Dieser ist bekannt für leichte, aber unterhaltsame Kost (wie etwa Ulysses Quicksilver, der sich auch als Übersetzung im Luzifer Verlag findet).


    Wir schreiben das Jahr 40 nach Christus. Auf dem römischen Thron sitzt der verrückte Kaiser Caligula. Unter den Gladiatoren, die sich zur Volksbelustigung gegenseitig abschlachten, ist die kimbrische Kriegerin Boda. Sie stolpert über ein Komplott, in das der Besitzer ihrer Gladiatorenschule verstrickt ist, und legt sich mit dem Kult der Isis an. Gelangweilte reiche Römer halten diesen für einen harmlosen ägyptischen Zeitvertreib, doch spätestens, wenn die Pforte zwischen dem Reich der Toten und dem der Lebenden eingerissen wird, wird aus dekadenten Orgien blutiger Ernst.


    Ich war ein wenig unschlüssig, ob man das Buch wirklich in die Kategorie Horror einordnen kann. Ich fand es jetzt nicht gruselig oder angsteinflößend, es hat etwas sehr comic-haftes. Aber andererseits – Zombies ziehen durch die Straßen des antiken Roms und meucheln die Lebenden, wenn das nicht die Voraussetzungen für die Einordnung in die Kategorie Horror erfüllt, was dann?


    Ich fand das Buch sehr unterhaltsam und auch das Englisch des Buches nicht übermäßig schwierig. Empfehlenswert.

    Klappentext:

    »Mein Name ist Rex. Ich bin ein guter Hund.« Und das ist auch alles, was Rex, eine sogenannte technisch optimierte Bioform, in seinem Leben möchte – ein guter Hund sein und seinem Herrn gehorchen. Gemeinsam mit seinem Rudel kämpft Rex in einem seit Jahrzehnten andauernden Krieg, und wenn sein Herr sagt »Töte!«, dann tötet Rex. Wieder und wieder. Als sein Herr eines Tages vors Kriegsgericht gestellt wird, kommen Rex jedoch Zweifel. Was soll er tun, wenn er keinen Herrn mehr hat, der ihm befiehlt? War es möglicherweise falsch, blind zu gehorchen? Und haben er und die anderen Bioformen überhaupt ein Anrecht auf Freiheit und ein eigenes Leben?


    Im Rahmen eines Lesezirkels hatte ich Tchaikovskys „Kinder der Zeit“ gelesen und war damals sehr angetan. Auch die Geschichte der Bioform Rex hat mich gut unterhalten. Tchaikovsky ist meist sehr plakativ, die Figuren diskutieren (politische) Standpunkte, eine ausgefeilte Charakterzeichnung sieht anders aus … Bei Tchaikovsky sind es die übersprudelnden Ideen, die einen ans Buch fesseln: Ein Bienenschwarm, der im Schwarm verteilte Intelligenz entwickelt, die Bärin Honey, die an einer Universität ihre menschlichen Kollegen bei weitem übertrifft und die Vorstellung eines tapsigen Tanzbären gibt, um nicht von ihnen herausgemobbt zu werden, dann gar eine menschliche Schwarmintelligenz, Kampfdelfine, Bioformen zum Besiedeln anderer Planeten, Schwarmintelligenz auf Nanogröße (mit Schwarmintelligenz hat er‘s wirklich), intelligente Hundedoktoren … Die schiere Flut an Ideen überwältigt den Leser beinahe, und vielleicht hätte sich der Autor etwas beschränken und dafür mehr in die Tiefe gehen sollen.


    Aber andererseits habe ich das Buch gefesselt ruckzuck durchgelesen, und das passiert mir heutzutage selten.

    Vielleicht sollte ich präzisieren, dass du mich insbesondere von dieser Ausgabe, also einer deutschen Übersetzung aus dem Jahre 1926 abgeschreckt hast. Wenn ich "She" noch mal lesen sollte, dann eher im Original.


    Haggards Stoffe kenne ich nur aus den Verfilmungen: Als Kind habe ich "König Salomons Diamanten" geliebt, und auch bei den Quartermain-Verfilmungen mit Richard Chamberlain habe ich mich damals besser amüsiert, als es die Filme eigentlich hergeben. Und auch wenn die "Liga der außergewöhnlichen Gentlemen" ebenfalls nicht besonders gut ist, so gibt Sean Connery trotzdem einen respektablen Quartermain ab.

    Band 1

    Bro


    Berlin Verlag 2006, Orig. Put‘ Bro 2004


    Der Protagonist des Romans, Alexander Snegirjow wird am 30. Juni 1908 geboren. Das ist deshalb bedeutsam, weil an diesem Tag wohl in der Nähe des Flusses Tunguska in Sibirien ein Meteorit einschlug. (Für dieses sogenannte Tunguska-Ereignis gibt es auch alternative Erklärungen.) Der Erzähler erlebt die Wirren der russischen Revolution und des Bürgerkriegs und schließt sich 1928 einer wissenschaftlichen Expedition an, die in der Taiga nach den Resten des Himmelskörpers sucht. Offenbar kann man hier keineswegs von Zufall sprechen, denn je näher sie der Absturzstelle kommen, umso seltsamer und befremdlicher wird sein Verhalten. Als er zu guter Letzt auf einen riesigen Brocken des himmlischen Eises Ljod stößt, offenbart sich ihm eine strahlende Verheißung: Er ist Bro, einer von insgesamt 23.000 Auserwählten, die sich unter der Menschheit verbergen (und selbst von diesem Fakt gar nichts wissen). Seine Aufgabe ist es, diese anderen zu finden und mit einem Eishammer aus dem himmlischen Ljod zu erwecken. Immerhin ist er treffsicher und wird zum Anführer einer immer größeren Schar von Gleichgesinnten, die sich zuerst Stalins und später auch Hitlers Machtapparat zu nutze machen, um nach ihren blonden und blauäugigen Brüdern und Schwestern zu suchen …


    Ein schwieriger Roman. War es zu Beginn noch leicht, sich mit dem Ich-Erzähler zu identifizieren und ihm auf seine Reise zu folgen, so wird er befremdlicher und befremdlicher; und wenn er sich in Sibirien vollständig durch die Begegnung mit dem Ljod in Bro verwandelt, ist es damit endgültig vorbei. Man folgt dem erleuchteten Bro in seine Heilslehren und seinen Lebensekel hinein, begleitet einen Mann, der jegliche Menschlichkeit verloren hat und deshalb auch vollkommen unbeeindruckt von den Verbrechen der stalinistischen GNU oder später etwa von den Vernichtungslagern bleibt. Oftmals ist sein Abscheu vor den „Fleischmaschinen“ nachvollziehbar, doch eine vollkommene Weltabkehr, wie er sie ins Extrem praktiziert, konnte mich noch nie überzeugen. Und welcher Gleichgültigkeit er diese minderwertigen Wesen behandeln zu können glaubt, hinterlässt doch deutliche Kratzer auf der lichterfüllten Erhabenheit, auf deren Kommen er hinstrebt.


    Alles in allem ein lohnender Roman. Ich bin schon auf die anderen Teile gespannt. Aber nach zwei Büchern von Sorokin brauche ich erst einmal eine kleine Pause.

    Die ganze Sache beginnt wie ein alter russischer Roman: Der Arzt Garin ist an einer Postkutschenstation gestrandet. Seine Pferde müssen gewechselt werden, doch ein neues Gespann ist nicht aufzutreiben. Zudem braut sich draußen ein Schneesturm zusammen. Doch Garins Mission duldet keinen Aufschub: Im Dorf Dolgoje ist eine Pest ausgebrochen, die ihre Opfer in beißwütige Zombies verwandelt, die sich wie Maulwürfe durch den Boden wühlen. In seiner Tasche hat er die kostbaren Vakzine, und so heuert er den Brotfahrer Kosma an, der ihn mit seinem Mobil, angetrieben von 50 Miniaturpferden, durch das immer ungemütlichere Schneegestöber kutschieren soll.


    Und so kämpfen sich die beiden durch eine fantastische zukünftige Welt voller Riesen und Zwerge und Einsprengsel aus Hochtechnologie. Hat etwas von „Stolz und Vorurteil und Zombies“, wenn man im Tonfall von Tolstoi oder Puschkin erfrorenen Riesen die Nase abhackt.


    Das Buch hat mir sehr gut gefallen und wird nicht mein letzter Sorokin gewesen sein. Eine echte Entdeckung.

    In dieser Kategorie habe ich mich für den ersten Band der Boris & Olga – Reihe entschieden. Ich hatte ihn mir auf dem letzten Buchmessecon, noch in der guten alten Zeit, gekauft, weil mir das Cover ins Auge gefallen war: Ein alter Soldat mit einem goldenen mechanischen Arm, auf dem er ein kleines Mädchen trägt, diese hat auf dem Kopf eine Mütze mit dem roten Stern. Die russische Revolution, Erinnerungen an „Wie der Stahl gehärtet wurde“ - die Prägung der Kindheit ließ mir einfach keine Chance.

    Worum geht es:

    Zitat

    „Seit 44 Jahren tobt der Krim-Krieg. Schon lange ist ein Menschenleben nichts mehr wert und die Mächtigen investieren fieberhaft in geheime Projekte, um das Schicksal zu ihren Gunsten zu wenden. Das Britische Empire setzt alles daran eine Zeitmaschine zu entwickeln, während Russland an einem Blauen Krieger arbeitet, eine willenlose Kampfmaschine.“

    Steampunk in Russland, ein zahnradgetriebener Terminator als eine Art Kurier des Zaren. Das Ganze gehört zu Qindie, und dort genauer zum Clockwork Cologne-Universum. Hat mir sehr gut gefallen. Boris ist ein so alter, erfahrener Soldat, dass ihn andere Soldaten für einen Glücksfresser halten und ihm aus dem Weg gehen. Er ist mechanisch und magisch aufgepimpt, leidet aber unter schweren Gedächtnislücken. Nach einer spektakulären Niederlage gegen die Osmanen trifft auf die kleine Anarchistin Olga. Auch wenn ihn ihr Schlachtruf „Tod dem Zaren“ ziemlich aus der Fassung bringt, raufen sie sich doch zusammen und müssen sich mit Leichenfledderern, Sklaventreibern, deren verhungernden kannibalistischen Opfern, der Ochrana, einem Zaren-Doppelgänger, einem unfassbar netten Tolstoi und vor allem den Auswirkungen der blauen Strahlung herumschlagen. So ganz ist mir noch nicht klargeworden, was nun genau an Bord des Luftschiffes geschah, und warum manche Dinge in die Luft geflogen sind, und wer sich da warum herumgetrieben hat, dazu waren Boris‘ Erinnerungsfragmente dann doch zu verworren. Da hoffe ich mal, dass die folgenden Bände meine Fragezeichen ausräumen.

    Bisher gibt es vier Bände um Boris und Olga, und die anderen Clockwork Cologne-Reihen sind ja auch noch da. Für genügend Lesestoff sollte also gesorgt sein.

    Inzwischen habe ich mir die deutsche Übertragung in der Literaturzeitschrift, auf die ich oben verwiesen habe, genauer angesehen, und es ist tatsächlich ärgerlich, dass ich erst jetzt über sie gestolpert bin. Viel Mühe mit dem englischen Original wäre mir erspart geblieben. Und die Erläuterungen dazu auf Deutsch lesen zu können, ist schon was ganz anderes.


    Na ja, ist ja immer so. Hinterher ist man schlauer.