Beiträge von Katla

    Im Sinne unseres 'langsamen' Lesens habe ich erstmal bei S. 21 (Intro & Demonology I sozusagen) gestoppt. Ganz ehrlich gesagt schwanke ich zwischen neugierig, genervt und gereizt, mit Überhang zu letzterem. was an dem - zumindest an diesem Punkt - teils an seinem extrem arbiträren Mäandern liegt. Mein größter Kritikpunkt ist allerdings, dass seine historische Herleitung Humbug ist.

    mir fällt auf, dass ET eigentlich nicht eingehend begründet, warum wir uns eine Welt ohne uns vorstellen sollen

    Ja, und was ich noch verwundelicher finde ist, warum die Existenz einer Welt 'ohne uns' irgendwie beängstigend und (fast) traumatisierend sein soll. Ist das nicht klar, dass wir nur eine Bedeutung für uns selbst haben, und nicht für die Welt an sich? Ich hätte da nie ein Problem bei gesehen.

    Kosmischer Nihilismus sind sicher passende Abbildungen dessen, was mit Black in BM assoziiert wird), trotzdem bleibt Black Teil der Bezeichnung rein arbiträr (was es ja sicher auch ist, aber na ja)

    Sehe ich auch so. Mir ist auch unklar, woher er all diese Annahmen nimmt. Black Metal als Satanismus existiert erst, seit die norwegische Presse die Kirchenbrände so bezeichnet hat. Die waren allerdings nicht satanistisch, sondern aus politischen Gründen anthiteistisch, höchstens 'heidnisch'.

    Soweit ich das aus Interviews zumindest mit Mitgliedern des nordic BM verstanden habe, ist es 'black', weil es kalt, lebensfeindlich und tot ist (wie das All, wie Frostnächte, der Tod ...) - das Adjektiv für die höchste Wertschätzung ist ja auch "cold". Insofern ist Thackers Herleitung über das Christentum, die Satansmythen und das Okkulte teils irrelevant bzw. irreführend.

    Mit Schopenhauer scheint ET mit bis dahin größter Näherung bei dem angekommen zu sein, was er als Vorstellung einer Welt ohne uns meint.

    Das sehe ich auch so. Von mir aus hätte das Buch mit diesen Passagen beginnen können. Das sind (auch philosophisch) klare Aussagen und - soweit ich das beurteilen kann - eine bessere Basis und Begründung für seine Herangehensweise, als diese etwas verqueren Themen vorher.

    Den Ansatz, Supernatural Horror als einen Vorstoß zu betrachten, nicht-philosophisch philosophisch zum Ausdruck zu bringen, was die Philosophie selbst nicht beschreiben kann, finde ich allerdings gut getroffen,

    Ja, da gehe ich mit.

    Mit "Welt ohne uns" meint er sicher keine Welt ohne Menschen.

    Doch. Da ich da grad gelesen hatte, das von Longstride angeführte Zitat u.ä, ist auf S. 4f

    Die allermeisten der klugen Denker, die Thacker erwähnt, habe ich nicht gelesen. Und die, die ich gelesen habe, wurden nicht erwähnt.

    Geht mir genauso. Er hat auch nicht ganz recht, wenn er sagt, die Philosophen hätten keine Konzepte hierfür, man müsse in die Literatur gehen. Mir fallen spontan zwei Beispiele ein: Julio Cabrera und Roberto Mangabeira Unger.


    Ich finde Longstrides Anmerkungen zur Philosophie extrem spannend, weil ich mich da auch weitaus weniger auskenne, als (laienhaft) mit Historie. Ich werfe auch mal ein paar Eindrücke in die Runde, chronologisch:


    S.1 - Meine Probleme mit dem Text fangen gleich im ersten Satz an. ^^

    "The world is increasingly unthinkable." Hübscher Satz. Was er aber eigentlich dann belegt (und wohl meint) ist, dass die Beschäftigung mit der Welt zunehmend unangenehm ist. -> "planetary disasters, emerging pandemics ..."

    Daher ist das keine saubere Herleitung zu der These, dass die Welt im Grunde eine "non-human" world ist. Zumal seine Begründung in meinen Augen das genaue Gegenteil belegt:

    "a world outside, one that is manifest is [sic!] the effects of global climate change, natural disasters, the energy crisis and the progressive extinction of species world-wide." (S. 2)

    Davon ist alles bis (teils) Naturkatastrophen rein menschgemacht und so formuliert, dass es auch die Menschheit betrifft. Nichts ist weiter entfernt davon, als dass das eine non-human Welt bedeutet.


    Ich habe außerdem über sehr weite Strecken das Gefühl, ein christliches Buch zu lesen:

    - S. 2ff: Die ganze Problematik darum, dass jeder Mensch einen Sinn in seiner Existenz (oder einen Sinn der Existenz der Menschheit oder des Universums ...) sehen muss. Das Problem kenne ich nicht bzw. kenne ich bisher nur von Gläubigen. Ist Thacker Theist?

    Mit beiden genannten Themen habe ich das gleiche Gefühl wie damals in der Schule beim Kant-Lesen. Kants Ausgangspunkt war (ich meine, es war in der Kritik der reinen Vernunft) salopp gesagt: 'Die Welt ist soundso und ich erkläre euch jetzt mal, warum'. Dagegen habe ich eine Allergie, weil ich schon mit der Grundthese nicht überseinstimme. Das gleiche sehe ich hier - anstatt zu zeigen, wie er selbst die Welt, die Literatur und die Funktion des Horrors interpretiert, spricht er von "wir". Das ist erstaunlich altbacken, von der Postmoderne kenne ich jedenfalls immer erstmal eine Selbstverortung und individuelles Argumentieren.


    Kurzum: Die Veränderungen in der Welt haben stark mit den Menschen zu tun, und das Reflektieren darüber ist nicht unmöglich, sondern nur schmerzhaft. Korrigiert mich, wenn ich das zu handfest sehe ...


    S. 9: Horror als die nicht-strengphilosophische Möglichkeit, über das 'unthinkable' (whatever ...) forschen und zu schreiben, ist ein schöner und spannender Ansatz, da gehe ich mit.


    Kapt. I Black in BM

    Wie gesagt, BM ist nicht ursächlich satanistisch. Auch 'paganism' ist etwas irreführend, weil es zwei Dinge bezeichnet: Alles, was vor dem Christentum an spirituellen/religiösen Konzepten existierte (im Grunde seit 65.000 Jahren noch vor dem Homo sapiens) und alles, was außerhalb des Christentums exsitiert: entweder in Unkenntnis dessen oder in Opposition dazu. Thacker argumentiert hier rein aus christlich-theistischer Perspektive, die aber nur ein winziger Teil ist, zumal er immer das gesamte Universum als Referenz hernimmt.

    S. 11 "black metal (...) is way of thinking about demons and the demonic in the world" halte ich für äußerst gewagt und zumindest sehr beschränkt auf den theistischen BM (der soweit ich das abschätzen kann nicht die Mehrheit stellt).


    Die nachfolgenden Ausführungen zur Entstehung des Satanismus sind schlichtweg falsch. Der "Erfinder" der Schwarzen Messen war ein Dominikaner, der Verfasser des Hexenhammer, Heinrich Institoris. Das Buch diente als Blaupause für alle Konzepte der "Teufelsanbetung" bzw. der Häresie. Das war alles Phantasie, und beschrieb nicht etwas tatsächlich im Untergrund exsitierende heidnische Geheimkulte (die Idee stammt von Heinrich Himmler und wurde seltsamerweise von der zweiten Frauenbewegung der 70er aufgegriffen). Die ersten echten Schwarzen Messen waren ein politisches Werkzeug am Hof Ludwigs XIV.


    MIt diesem ganzen Kapitel kann ich überhaupt nichts anfangen. Vor allem nicht (und das ist ein doch Widerspruch zu seiner Grundthese, odr spinne ich?): S. 17, "(...) there is only the 'in-itself' world, indifferent to us human beings, despite all we do to change, to shape, to improve and even to save the world". Improve and save ist ja wohl ein schlechter Witz, vor allem, wenn man bedenkt, was er auf der ersten Seite als den zerstörerischen Einfluß der Menschheit auf die Erde beschreibt. Wie kommt er auf sowas? Wie gesagt, das klingt für mich nach einem religiösen Buch, das es wohl eigentlich nicht sein soll.


    Ebenfalls christlich klingt das Unterkapitel zu BM und Paganism, weil hier "Heidentum" ausschließlich in Relation zum christlichen Glauben besprochen wird. Das finde ich maximal irritierend. Mir scheint fast, Thackers Widerstand, die Menschheit als irrelevant für alles außer sich selbst bzw. als ohne "Sinn" existierend zu erkennen, spiegelt sich in seinem Widerstand / Unvermögen wider, die Welt aus nicht-theistischer Sicht zu sehen.


    Spannend wird es für mich ab den Schopenhauer-Passagen, weil er sich hier genau dem Thema der Irrelevanz und des Nihilismus annähert, das er mit dem 'cosmic horror' eingangs angekündigt hat.


    Ich gebe zu, das waren nicht besonders philosophische Eindrücke, aber sind erstmal der Grund für meine Befremdung. Mal gucken, wie es weitergeht!


    Das Ende dieses Kapitels

    Mammut Klingt sehr spannend und das Titelbild finde ich echt fies ... Ich hab so eine dezente Motten-/Kokonphobie. Aber sehr, sehr hübsch gemacht.

    Werde mir das Buch wohl demnächst selbst kaufen.

    Ich wäre äußerst gespannt, was du dazu sagst.

    Warum haben BM-Bücher eigentlich immer so lange Namen?

    ^^ Eigenverortung, damit sie besonders wissenschaftlich klingen und niemand sie der unkritischen Gefolgschaft anklagen kann?

    Vielleicht war es das ja.

    Darüber bin ich auch gestolpert, klingt nicht uniinteressant aber ich hab's gefunden - es war ein Roman, offenbar eine humorige Detektivreihe, der Autor spielt selbst in einer Band, Berni Mayer: Black Mandel. Ich habe keinerlei Erinnerung mehr daran, außer, dass typische Bandnamen witzig verballhornt werden.

    "deutschen BM-Roman" sprichst du denn genau?

    Sehr gute Frage ... Ich hab das mal geschenkt bekommen, es war ziemlich biederes Blabla (eher wie ein langer Zeitungsartikel) und ich habe es weggegeben. Meine, der Titel sei etwas Selbsterklärendes gewesen, wie Schwarzmetall. Darunter find ich online aber nix. Möglich auch, dass es ein sehr erzählendes Sachbuch war. Hm, sorry.

    Dafür hab ich dank deiner Frage aber etwas sehr Interessantes gefunden, und grad bestellt: Tobias Könemann: Das schwarze Holz. "[Der Roman] ist der verkohlte Scheiterhaufen des Fortschrittsoptimismus." :thumbup: :D


    Weil du eine Doku erwähnst: Ich kann nur allerwärmstens Until the Light Takes Us empfehlen. Steht immer mal wieder - auch gerade - vollständig auf YT, auch wenn immer wieder mal gelöscht. Wenn der Link nicht mehr geht -> "Until The Light Takes Us- Full Documentary" eingeben.


    Der lief hier auf verschiedenen Filmfestivals und ist nicht nur inhaltlich komplex, sondern auch von allen filmtechnischen Aspekten her ein perfekter Dokumentarfilm. Kein Fanwerk, aber auch keine Abrechung, und überlässt dem Zuschauer die Wertung, sehr reif, nah dran, auch humorvoll. Der Score ist durchgehend Ambient, kein BM.

    Hei dear Goblin,

    Auch wenn dein Urteil letztendlich gar nicht so gut ausfällt, klingt "Corpsepaint" mMn immer noch extrem interessant.

    das ist es auf jeden Fall, und gäbe es noch die Editiermöglichkeit, hätte ich im Nachheinein von 8/10 geändert.


    Das habe ich ein bissl unterbetont, aber der phantastische Teil ist echt gut, die Aufnahme des Albums auch tatsächlich gruselig, auf eie Art, die ich nicht erwartet hätte. Das sind auch slles Sachen, die ich so noch nie woanders gelesen habe. Ich hab mir tatsächlich überlegt, ob Peak selbst mal ein Nahtoderlebnis hatte. Der Teil allein macht das Buch lesenswert.


    Dabei ist sie doch pures Comedy-Gold

    Absolut! Abgesehen davon haben ja viele Bands auch Selbstironie, wie inferninho s Immortal-Video zeigt, es gibt auch Interviews mit Fenriz (den ich sehr mag, sehr unorthodox) und sogar mit Vikernes, die sehr humorvoll sind.

    Das Peak auf ein paar reale Ereignisse Bezug nimmt und sie für seine Geschichte fiktionalisiert finde ich jetzt aber nicht weiter tragisch. Ganz im Gegenteil sogar.

    Was ich mir eben gewünscht hätte, wäre eine Innensicht, die die Thematik verarbeitet und in eine eigene Stimme gießt. Also nicht so 'Ich hab das recherchiert und hier habt ihr das jetzt nacherzählt'. Es gibt auch einen deutschen BM-Roman, der das ebenfalls versäumt. Keine Ahnung, kann das so schwer sein?

    Und der Part mit dem Ziegenbock klingt auch schön bekloppt.

    Du wirst lachen, der Part ist absolut toll und super gezeichnet. Ich hatte gehofft, dass alle sterben und das kleine schwarze Zicklein (eine Missgeburt übrigens, sympathsich, aber so Black-Phillip-mässig gruselig) allein das Ende erzählt. Ich will nicht spoilern, aber es kommt etwas anders.


    Ich hatte mir beim Lesen zwischendrin schon vorgenommen, dir das Buch zum Tausch anzubieten, aber für die cosmic horror Kernerzählung werde ich das Buch sicher noch einige Male zur Hand nehmen.


    David Peak: Corpsepaint

    Petaluma, CA 2018. Word Horde, 229 S.


    Tja … ich bin echt hin- und hergerissen. Weil ich Peaks Non-Fiction so außerordentlich schätze, möchte ich seine Prosa dringend mögen. Ein anderes Werk (The River Through the Trees) fand ich aber belanglos und vom ästhetischen Standpunkt bestenfalls unauffällig. Die Eleganz seiner Sachtexte konnte ich auch hier nur stellenweise finden. Zweifelsohne hat das Buch aber etwas, das zwischendurch durchscheint und es ist der ehrliche Versuch, aus typischen Settings und Mainstreamerzählweisen auszubrechen. Außerdem einfach – haptisch & optisch – ein sehr schönes Buch.


    Plot:

    Der alternde Begründer einer US-amerikanischen Black Metal Band namens Angelus Mortis, Max a.k.a. Strigoi, hat Probleme mit seiner Drogensucht und verliert immer mehr den Bezug zur Musik. Er startet eine Zusammenarbeit mit dem jungen Drummer Roland, der fachlich exzellent, aber ansonsten ein schlampiger, reizbarer Schluffer ist. Das Label schickt die beiden zur Aufnahme des als Comeback gedachten Albums in eine ‚alternative‘ BM-Kommune in die Ukraine. Dort laufen angestaute Konflikte erstmal vollkommen aus dem Ruder, bevor sich der Plan des Labels doch auf recht ungewöhnliche :D Art und Weise erfüllt. Auch wenn die Geschichte als Sozialrealismus beginnt, entwickelt sie sich im letzten Viertel zur eindeutigen Phantastik.


    BM ist nicht mein bevorzugtes Metalgenre, und abgesehen von einer detaillierten, monatelangen Recherche für eine eigene Kurzgeschichte kann ich nicht behaupten, irgendwelche Insidereinblicke zu haben. Ich bin auch eigentlich kein Freund von diesen ständigen Diskussionen, was nun trv kvlt sein soll *gn*. Auch Peak hat eindeutig sehr gründlich recherchiert, aber seltsamerweise behindert das seine Erzählung mehr, als dass es ihr nützt: Es gibt einfach eine Menge vielzirkulierter Anekdoten und Dokus, die er fast 1:1 verarbeitet (z.B. die Story der beiden VICE-Journalisten, die von Gaahl durch den Schnee zu einer angeblich von seinem Opa gebauten Berghütte geschleift wurden), und diese Wiedererkennungseffekte machen das Eintauchen in die Geschichte schwierig. Auch an der Figurenzeichnung erkennt man ein paar Metal-Größen: Gaahl, Vikernes, Kvitrafn und sicherlich Masha „Scream“ Arkhipova, Vokalistin/Texterin des erfolgreichsten Musikexports Russlands, Arkona.


    Die weit abgelegene Siedlung mit den schwer bewaffneten Selbstversorgern erinnert an Vikernes‘ französischen Rückzugsort, von dem aus er Selbstverteidigungsanleitungen für Endkriegs-Szenarien bloggt; ebenso an die neo-heidnische Kommunen der Rodnovery (= Slavic Native Faith), in einer derer Arkhipova aufwuchs und weiterhin lebt. Der – durchaus sympathische – Versuch Peaks, realistische Figuren zu entwerfen gerät an (zu) vielen Stellen allerdings zu einer Collage von extremen Persönlichkeitsaspekten, die im Gesamtbild nicht komplex, sondern unstimmig bzw. arbiträr wirken. Die Zerrissenheit wird noch dadurch verstärkt, dass Peak in jedem Kapitel den personal-auktorialen Erzähler wechselt: Max, Roland, Seph (die ‚Anführerin‘ der Kommune) und sogar ein kleiner Ziegenbock erzählen jeweils aus ihrer Sicht, Überleitungen und temporale/kausale Anschlüsse gibt es nicht. Diese Perspektivwechsel sind interessant, allerdings teils auch irritierend, da sich fast alle Protagonisten gegenseitig hassen, sodass man ständig eine andere Haltung zu den Protas bekommt (das meine ich nicht als Kritik: obwohl es auch störend war, ist es eine wirklich spannende Struktur).


    Eine ähnliche – hierbei aber negative – Zerrissenheit gibt es beim Thema: Peak als Amerikaner wird BM vor allem mit Satanismus verbinden, und diesen nicht mit der europäischen Variante, sondern der dort vorherrschenden atheistischen Church of Satan / LaVeyan Satanism. Auch interpretiert er die politische Haltung vieler BM Bands miss, indem er die Betonung von vorchristlicher regionaler (sehr viel selten nationaler) Kultur und Geschichte als unbedingten Nazismus interpretiert – was sich aber eben nicht immer bedingt, auch wenn Mayhem oder Burzum Negativbeispiele wären. Gerade die extrem innovative und spannende osteuropäische Pagan / Black / Deathmetal-Szene, die ja wohl für sein Setting Pate stand, lässt sich da nicht über einen Kamm scheren. Peaks – gut gemeinte – Kritik an diesen Negativausrichtungen liest sich zu stark aus dem auktorialen Part der Erzählstimme heraus; hier wäre es spannender gewesen, nicht den von konservativen Massenmedien Standpunkt zu wählen, sondern eine Erzählung aus echter Innensicht. Die Moral wäre besser dem Leser überlassen gewesen. So ist Corpsepaint eine eigenartige Mischung aus detailliertem Einblick / Verständnis und spießigem Klischeedenken.


    Hierbei ist mir unklar, warum Peak die Ukraine als Setting wählte. Er nimmt zwar explizit auf das Neoheidentum Bezug, verbindet dies aber mit dem US-amerikanischen, atheistischen LaVey’schen Satanismus, was einfach Unsinn ist. Anstatt die spirituelle Kommune mit dem rekonstruierten alten slawischen Götterglauben zu verbinden, beschreibt er ihre Religion wie die christliche: der zentrale Gott wird zwar in den Kontext von cosmic horror und Nihilismus gesetzt, aber – auch in personal erzählten Passagen ‚aus Innensicht – absolut identisch zum strafenden, patriarchalen Kontrollfreak der abrahamistischen Religionen beschrieben. Das ist mit Abstand meine größte Kritik am Buch, und das, was mich am meisten aus der Geschichte geworfen hat. Echt ärgerlich.


    Das Buch wird dort spannend, wo Peak sich aus der Recherche oder seiner Kritik löst und frei erzählt: der Part des cosmic horror, ca. 20-30 Seiten gen Ende, sind eine wunderschön dunkle, abgründige tour de force aus Bodyhorror, Nahtoderlebnis, spiritueller Selbsterkenntnis und (nicht-depressivem) Nihilismus. Zusammen mit dem hohen body count bekommt man hier ein echtes Gefühl der Dunklen Phantastik und des Weird.


    Corpsepaint hat zwei Enden – ein offenes und ein Extro. Ich hatte den Impuls, nach dem open end aufzuhören, und wünschte, ich hätte es getan: der Abschluss reißt die Geschichte schon wieder aus dem Phantastischen raus und verbindet das Thema BM/Neoheidentum mit dem Krieg in der Ukraine, was einfach extrem oberflächlich und sensationalistisch rüberkommt; nichts zu der Geschichte selbst beiträgt und seine beiden einzigen Sympathieträger (Seph und Roman) vollkommen diskreditiert.


    Das sind jetzt fast 2 DIN A 4 Seiten Kritik, allerdings habe ich das Buch auch sehr gern gelesen, weil es wirklich spannend und unvorhersehbar ist, neugierig auf die Figuren macht, und eine eben etwas andere Art darstellt, BM-Horror zu erzählen. Die Reise als sowohl faktische wie innerliche ist angenehm klassisch, und der originelle Teil gen Schluss zeigt auch Peaks Erzähltalent, unkitschig und innovativ un-lovecraft’sch über die schreckenbehaftete spirituelle Reise in/durch den Tod zu schreiben.

    In Punkten: irgendwo zw. 2/10 und 7/10.


    Ich hab mir den Spaß gemacht, das Buch mit einem durchgehenden Soundtrack zu lesen:

    Graveland (POL) / Norkturnal Mortum (UKR): The Spirit Never Dies für das Intro in den USA / die Hinreise,

    Nokturnal Mortum: Істина | Verity in Dauerschleife und

    Arkona (RUS): "Pokrovy Nebesnogo Startsa" für die Seph-Passagen gen Ende.


    (Verity höre ich sowieso gerade rauf und runter, eher growliges Folk-Metal als hardcore BM, und da bin ich heilfroh, dass sich die Band vor Jahren ausdrücklich von ihrer rechten Vergangenheit distanziert hat – eine Tatsache, die leider noch nicht auf dem deutschen Wikipedia angekommen ist).

    Ich hätte wahrscheinlich sowieso nichts Erhellendes zur Diskussion beitragen können.

    Das sehe ich anders. ;) Aber als 'Passivleser' bist du dann ja viellicht doch dabei. :)

    Toller Autor. Auch wenn ich bisher nur eine Storysammlung von ihm gelesen habe.

    Oh, interessant. Ich habe selten eine Autorenwebsite gesehen, die ich derart abschreckend fand (voller hasserfüllter Tiraden gegen "Marxisten", Atheisten, die linke Weltverschwörung in den sozialen Medien und überhaupt ...). Mich kümmert eigentlich nicht, was Autoren privat so denken, aber der klingt sehr drüber. Du machst mich neugierig, welcher Titel war das, den du mochtest?

    Ich wäre mit dabei, vielleicht so ab Mitte der Woche? Nach wie vor aber "langsam".

    Langsam passt mir auch sehr gut, das klingt doch gut.

    würde aber die Diskussion verfolgen und ggf. noch zusteigen, sofern es die Zeit erlaubt.

    Und das auch. :)

    inferninho Das klingt ja extrem spannend, mir sagt aber weder die Autorin noch der Verlag etwas. Beim googeln habe ich gelesen, dass Ice offenbar ein vielbeachtetes Revival hatte, weil eben das 50. Jubiläum der Veröffentlichung war.


    Echt blöd, das hätte ich gern in einem Essay untergebracht, das hab ich aber am Sonntag eingereicht. ;(


    Werde ich mir auf jeden Fall zulegen, zumal ich ein riesen Fan von - ich sag mal salopp - Antipsychiatrieliteratur bin: Frances Farmer, Susanna Kaysen, natürlich Plath (die sich in einem Gedicht auch mit Lazarus identifizierte) und Phantastinnen wie Leonora Carrington oder Emilie Autumn.


    Klasse Tipp!! [Cof]

    Erik R. Andara Ganz lieben Dank, Aickman's Heirs hört sich doch gut an, da schaue ich mal nach.


    Ach, interessant, ich habe Files einge Jahre nach Brite entdeckt, beide dann 15 Jahre nicht mehr gelesen, und im Nachhinein immer noch Probleme, deren Kurzgschichten in der Erinnerung auseinanderzuhalten. Ich habe aber auch nichts Aktuelles von Files in der Hand gehabt, mag daran liegen, und das sollte ich auch mal ändern. Diese Vastarien-Story ist allerdings nicht so anders als die in Kissing Carrion. Außer, dass kein Sex vorkommt. "Vanio" fand ich erstaunlich 'undeftig'.


    Von Kiernan kenne ich nur eine KG, aber die war sehr selbstsicher erzählt, schön dynamisch vom Sprachstil her, hat mir gefallen und macht Lust auf mehr. Das war ein guter Tipp!