Im Sinne unseres 'langsamen' Lesens habe ich erstmal bei S. 21 (Intro & Demonology I sozusagen) gestoppt. Ganz ehrlich gesagt schwanke ich zwischen neugierig, genervt und gereizt, mit Überhang zu letzterem. was an dem - zumindest an diesem Punkt - teils an seinem extrem arbiträren Mäandern liegt. Mein größter Kritikpunkt ist allerdings, dass seine historische Herleitung Humbug ist.
mir fällt auf, dass ET eigentlich nicht eingehend begründet, warum wir uns eine Welt ohne uns vorstellen sollen
Ja, und was ich noch verwundelicher finde ist, warum die Existenz einer Welt 'ohne uns' irgendwie beängstigend und (fast) traumatisierend sein soll. Ist das nicht klar, dass wir nur eine Bedeutung für uns selbst haben, und nicht für die Welt an sich? Ich hätte da nie ein Problem bei gesehen.
Kosmischer Nihilismus sind sicher passende Abbildungen dessen, was mit Black in BM assoziiert wird), trotzdem bleibt Black Teil der Bezeichnung rein arbiträr (was es ja sicher auch ist, aber na ja)
Sehe ich auch so. Mir ist auch unklar, woher er all diese Annahmen nimmt. Black Metal als Satanismus existiert erst, seit die norwegische Presse die Kirchenbrände so bezeichnet hat. Die waren allerdings nicht satanistisch, sondern aus politischen Gründen anthiteistisch, höchstens 'heidnisch'.
Soweit ich das aus Interviews zumindest mit Mitgliedern des nordic BM verstanden habe, ist es 'black', weil es kalt, lebensfeindlich und tot ist (wie das All, wie Frostnächte, der Tod ...) - das Adjektiv für die höchste Wertschätzung ist ja auch "cold". Insofern ist Thackers Herleitung über das Christentum, die Satansmythen und das Okkulte teils irrelevant bzw. irreführend.
Mit Schopenhauer scheint ET mit bis dahin größter Näherung bei dem angekommen zu sein, was er als Vorstellung einer Welt ohne uns meint.
Das sehe ich auch so. Von mir aus hätte das Buch mit diesen Passagen beginnen können. Das sind (auch philosophisch) klare Aussagen und - soweit ich das beurteilen kann - eine bessere Basis und Begründung für seine Herangehensweise, als diese etwas verqueren Themen vorher.
Den Ansatz, Supernatural Horror als einen Vorstoß zu betrachten, nicht-philosophisch philosophisch zum Ausdruck zu bringen, was die Philosophie selbst nicht beschreiben kann, finde ich allerdings gut getroffen,
Ja, da gehe ich mit.
Mit "Welt ohne uns" meint er sicher keine Welt ohne Menschen.
Doch. Da ich da grad gelesen hatte, das von Longstride angeführte Zitat u.ä, ist auf S. 4f
Die allermeisten der klugen Denker, die Thacker erwähnt, habe ich nicht gelesen. Und die, die ich gelesen habe, wurden nicht erwähnt.
Geht mir genauso. Er hat auch nicht ganz recht, wenn er sagt, die Philosophen hätten keine Konzepte hierfür, man müsse in die Literatur gehen. Mir fallen spontan zwei Beispiele ein: Julio Cabrera und Roberto Mangabeira Unger.
Ich finde Longstrides Anmerkungen zur Philosophie extrem spannend, weil ich mich da auch weitaus weniger auskenne, als (laienhaft) mit Historie. Ich werfe auch mal ein paar Eindrücke in die Runde, chronologisch:
S.1 - Meine Probleme mit dem Text fangen gleich im ersten Satz an.
"The world is increasingly unthinkable." Hübscher Satz. Was er aber eigentlich dann belegt (und wohl meint) ist, dass die Beschäftigung mit der Welt zunehmend unangenehm ist. -> "planetary disasters, emerging pandemics ..."
Daher ist das keine saubere Herleitung zu der These, dass die Welt im Grunde eine "non-human" world ist. Zumal seine Begründung in meinen Augen das genaue Gegenteil belegt:
"a world outside, one that is manifest is [sic!] the effects of global climate change, natural disasters, the energy crisis and the progressive extinction of species world-wide." (S. 2)
Davon ist alles bis (teils) Naturkatastrophen rein menschgemacht und so formuliert, dass es auch die Menschheit betrifft. Nichts ist weiter entfernt davon, als dass das eine non-human Welt bedeutet.
Ich habe außerdem über sehr weite Strecken das Gefühl, ein christliches Buch zu lesen:
- S. 2ff: Die ganze Problematik darum, dass jeder Mensch einen Sinn in seiner Existenz (oder einen Sinn der Existenz der Menschheit oder des Universums ...) sehen muss. Das Problem kenne ich nicht bzw. kenne ich bisher nur von Gläubigen. Ist Thacker Theist?
Mit beiden genannten Themen habe ich das gleiche Gefühl wie damals in der Schule beim Kant-Lesen. Kants Ausgangspunkt war (ich meine, es war in der Kritik der reinen Vernunft) salopp gesagt: 'Die Welt ist soundso und ich erkläre euch jetzt mal, warum'. Dagegen habe ich eine Allergie, weil ich schon mit der Grundthese nicht überseinstimme. Das gleiche sehe ich hier - anstatt zu zeigen, wie er selbst die Welt, die Literatur und die Funktion des Horrors interpretiert, spricht er von "wir". Das ist erstaunlich altbacken, von der Postmoderne kenne ich jedenfalls immer erstmal eine Selbstverortung und individuelles Argumentieren.
Kurzum: Die Veränderungen in der Welt haben stark mit den Menschen zu tun, und das Reflektieren darüber ist nicht unmöglich, sondern nur schmerzhaft. Korrigiert mich, wenn ich das zu handfest sehe ...
S. 9: Horror als die nicht-strengphilosophische Möglichkeit, über das 'unthinkable' (whatever ...) forschen und zu schreiben, ist ein schöner und spannender Ansatz, da gehe ich mit.
Kapt. I Black in BM
Wie gesagt, BM ist nicht ursächlich satanistisch. Auch 'paganism' ist etwas irreführend, weil es zwei Dinge bezeichnet: Alles, was vor dem Christentum an spirituellen/religiösen Konzepten existierte (im Grunde seit 65.000 Jahren noch vor dem Homo sapiens) und alles, was außerhalb des Christentums exsitiert: entweder in Unkenntnis dessen oder in Opposition dazu. Thacker argumentiert hier rein aus christlich-theistischer Perspektive, die aber nur ein winziger Teil ist, zumal er immer das gesamte Universum als Referenz hernimmt.
S. 11 "black metal (...) is way of thinking about demons and the demonic in the world" halte ich für äußerst gewagt und zumindest sehr beschränkt auf den theistischen BM (der soweit ich das abschätzen kann nicht die Mehrheit stellt).
Die nachfolgenden Ausführungen zur Entstehung des Satanismus sind schlichtweg falsch. Der "Erfinder" der Schwarzen Messen war ein Dominikaner, der Verfasser des Hexenhammer, Heinrich Institoris. Das Buch diente als Blaupause für alle Konzepte der "Teufelsanbetung" bzw. der Häresie. Das war alles Phantasie, und beschrieb nicht etwas tatsächlich im Untergrund exsitierende heidnische Geheimkulte (die Idee stammt von Heinrich Himmler und wurde seltsamerweise von der zweiten Frauenbewegung der 70er aufgegriffen). Die ersten echten Schwarzen Messen waren ein politisches Werkzeug am Hof Ludwigs XIV.
MIt diesem ganzen Kapitel kann ich überhaupt nichts anfangen. Vor allem nicht (und das ist ein doch Widerspruch zu seiner Grundthese, odr spinne ich?): S. 17, "(...) there is only the 'in-itself' world, indifferent to us human beings, despite all we do to change, to shape, to improve and even to save the world". Improve and save ist ja wohl ein schlechter Witz, vor allem, wenn man bedenkt, was er auf der ersten Seite als den zerstörerischen Einfluß der Menschheit auf die Erde beschreibt. Wie kommt er auf sowas? Wie gesagt, das klingt für mich nach einem religiösen Buch, das es wohl eigentlich nicht sein soll.
Ebenfalls christlich klingt das Unterkapitel zu BM und Paganism, weil hier "Heidentum" ausschließlich in Relation zum christlichen Glauben besprochen wird. Das finde ich maximal irritierend. Mir scheint fast, Thackers Widerstand, die Menschheit als irrelevant für alles außer sich selbst bzw. als ohne "Sinn" existierend zu erkennen, spiegelt sich in seinem Widerstand / Unvermögen wider, die Welt aus nicht-theistischer Sicht zu sehen.
Spannend wird es für mich ab den Schopenhauer-Passagen, weil er sich hier genau dem Thema der Irrelevanz und des Nihilismus annähert, das er mit dem 'cosmic horror' eingangs angekündigt hat.
Ich gebe zu, das waren nicht besonders philosophische Eindrücke, aber sind erstmal der Grund für meine Befremdung. Mal gucken, wie es weitergeht!
Das Ende dieses Kapitels