bin schon sehr gespannt, wie Dir Artikel und vor allem die Geschichte von Brian Evenson gefallen!
PN mit weiterführenden Infos folgt ...
Erst mal wirklich Tausend Dank an Mammut für das Buch! (Hab tatsächlich sehr lange an dem Lektoratstext rumgedacht - sowas wie 10 Stunden -, es fühlt sich aber dennoch an wie ein Geschenk!).
Das Cover ist echt der Hammer, nach Z15 - das ich wegen der Splinter-Vibes so liebe - imA das mit Abstand beste bislang. Ist vielleicht gar nicht so gemeint, aber ich sehe sofort die Ukraine vor mir.
Jos ausführliche Einführung zu Evenson ist mal wieder stilistisch und inhaltlich äußerst souverän, immer eine echte Freude zu lesen. Ich mag nicht nur die vielen verschiedenen Punkte, sondern auch, dass ich nicht so stark den Verfasser als Person vor mir sehe - der Autor tritt zurück, damit sein Thema/Inhalt glänzen kann. Und trotzdem nie unpersönlich, sondern immer engagiert, mit individuellen Anmerkungen, das ist einfach eine tolle Gratwanderung.
Ich hab gleich mal bissl zum Autor gegoogelt und las, dass der Skandal wohl eher ein "Skandal" war: Ein innerhalb eines Colleges der Latter Day Saints (eine recht extreme, fundamentalistische Splittergruppe des Todeskults) veröffentlichtes Weird/Horror-Werk. Das kann man dann sicher mit einer Prise Salz nehmen. Freut mich sehr für Evenson, dass er sich aus dieser ungesunden Umgebung befreien konnte.
Seine Bücher sind mir schon verschiedentlich ans Herz gelegt worden, aber ganz ehrlich gesagt war das nicht meine Tasse Kaffee. Und die Schuld daran trägt keinesfalls die schöne Übersetzung. Ich lese einfach nicht so stark menschfixiert oder figurenfixiert, und in der Geschichte kommt nahezu gar nichts zu Setting (Rasen, Haus - that's it), zum Hintergrund, nichts wirklich Sensorisches, keine Motivik. Härter in medias res zu starten wäre kaum möglich.
Es geht um zwei Schwestern und ein unerklärtes, arbiträres Ritual, das in eine ungute Parallelwelt führt. Da reicht mir als Dringlichkeit, das durchzuführen, nicht, dass die eine es im Traum sah und in der Zwillingskonstellation die dominante ist. Ich kriege keine Infos zur "Geisterlogik" - was ist das Paranormale da, was hat es mit dieser Welt auf sich? Von der Konzeption her auch: Was für Konsequenzen hat das? (Nicht für die Figuren, das wird deutlich, aber im übertragenen Sinne gesehen.)
Was mich vor allem störte, waren die ungeheuer zahlreichen Wiederholungen: Zwillingsschwester, Schwester, Spiel spielen (das ist sicher im Englischen einen Tick unauffälliger: play a game, aber es geht nicht anders als vorliegend zu übersetzen). Auf den ersten zwei Seiten wird die Geschichte weder in Bezug auf äußere noch innere Handlung vorangetrieben. Am Ende bleibe ich mit einem Fragezeichen stehen. Vielleicht gedacht als Variante der britisch-irischen Fairy Tales, vielleicht stand ich auch ganz massiv auf dem Schlauch.
Objektiv gesehen ist mir aber klar, dass mein Desinteresse an einem extrem starken Figuren-Fokus (wie er ja auch z. B. bei Millionen-Bestsellern wie King oder Martin besteht) sicher nicht mehrheitsrelevant ist und ich weiß aus Kurzgeschichtsforen bzw. Rückmeldungen zu allen möglichen Texten dort, dass es wohl den meisten Lesern um Identifikation, Repräsentation und einen Anknüpfungspunkt geht - von daher gehe ich davon aus, dass Evenson eine wirklich gute Wahl zur Veröffentlichung ist. Ich kann mir vorstellen, dass sich das wirklich gut vermarkten / verkaufen lässt und dass die Geschichte im Z19 starkes Interesse generieren wird. Und ein Lob wirklich an Jos Übersetzung, die klingt, als wäre der Text im Original Deutsch verfasst worden, aber mit dem amerikanischen 'Kopf gedacht' - so soll es sein.
Apropos 'Fairy Tales': Ausnehmend gut gefiel mir Nele Sickels Geschichte, "Geburtstag ohne Simon". Hinter dem prosaischen Titel verbirgt sich eine flotte, wirklich hochspannende und sehr schräge Geschichte, deren Motor 'drei Wünsche' aus Märchen entlehnt wurde. [Das hab ich auch gerade in einem bereits eingereichten Text gemacht und weiß daher, dass das mit der Wunschlogik wirklich nicht so einfach ist, wie es scheint - und Nele hat da eine tolle Komplexität (quasi um drei Ecken geplant) erreicht.] Für mich war die Geschichte vollkommen unvorhersehbar, aber auch in allen Punkten nachvollziehbar. Der Prota ist sympathisch, ohne mir Leser angedient zu werden. Eigentlich bin ich kein Fan von Rollenprosa (schon gar nicht ironischer) oder 'sie/er dachte' - aber hier ist das einfach super charmant eingesetzt. Jeder Satz treibt die Geschichte voran, nichts ist redundant und dennoch lässt sie sich Zeit, hetzt nicht.
Es gibt tolle Eindrücke der Umgebung (Zirkus / Jahrmarkt), mit irre vielen Details - Farben, Haptik, Sensorik/Gerüche -, die das Ganze wie direkt erlebt erscheinen lassen. Ich hab - trotz der märchenhaften 'Künstlichkeit' des Plots - teils wirklich vergessen, dass ich lese. Dabei schafft Nele all das sogar ohne Adjektiv-Overkill, ganz nebenbei, unauffällig. Es ist eine gemeine und auch empathische Geschichte, bei der es trotz (relativ) klarer Verteilung der Sympathien kein klassisch-langweiliges Gut/Böse gibt. Das Ende gibt genau richtig dosiert eine Aussicht, wie es weitergeht und was das alles bedeuten mag. Klassischer Kurzgeschichten-Ausstieg mit Teaser, der einen die Geschichte weiterspinnen lässt.
Wie Jos Einführung: best practice, würde ich sagen.
Bei einigen Texten wusste ich schon, dass es nicht mein Geschmack ist, andere hab ich abgebrochen, weil die Sprache oder die Figuren nicht so meins waren. Philip Krömers Geschichte hab ich im Quickread gelesen (imA eine unpassende Mischung aus Zynismus und Marty Stu - Feeling), fand das dann auch vor dem Hintergrund, dass eine nicht unerhebliche Anzahl Obdachloser durch Inbranntsetzung ermordet werden, ziemlich unangenehm - als Kritik daran aber imA nicht klar erkennbar. Die Moral von der Geschicht' kam mir zu grobmotorig / heavy handed, und das Ganze wird durch einen plötzlich total flapsigen Satz auch komplett ausgehebelt.
Mammut sprach ja davon, dass Ina Elbrachts Geschichte extrem düster sei, also hab ich mich da auch draufgestürzt. Düster, schwer, fand ich sie gar nicht, sondern eigentlich ganz klar dickensian. (Das Faß Amontillado legt Poe nahe, allerdings richten sich dessen Figuren in psychologischen Nöten selbst, der extern auftretende Richter, ob nun als Doppelgänger oder nicht - ist imA eindeutig Dickens, wie in der berühmten Weihnachtsgeschichte). Ich fand den Plot leider sehr vorhersehbar, überdeutliche teaser und foretelling. Viele Verbindungen werden dem Leser direkt erklärt (Name des Protas etc.). Auch die wirklich häufigen Lautmalereien (Tonbandgerät), die vielen Zirkel, Wiederholungen, die der Text nimmt und die Aussicht darauf, dass nach der ersten - ich sag mal spoiler-frei - Analogie weitere folgen werden und das alles seinen absehbaren Gang nimmt, haben mich ziemlich enttäuscht. Gehofft hatte ich eigentlich auf einen fiesen Twist, der aus dem Schema ausbricht. Ich kann mir vorstellen, dass der Text um 1/4 oder 1/3 gekürzt zumindest für mich wesentlich besser funktioniert hätte. *Person ist in einem unterirdischen Verlies von ominösen Gestalten festgesetzt und wird gefoltert/ermordet* erfindet natürlich im Horror auch nicht das Rad neu.
Das war meine Halloween-Tüte Süßes und Saures --- wobei der süße Eindruck sicher nachhaltiger ist. Auf jeden Fall war das ein ganz dringender Anreiz, mir Neles Texte anzuschauen (ihrer in Felix' Wenn die Welt klein wird ... hatte mir schon so gut gefallen), bzw. sie auch mal anzufragen *flöt*; und dass ich Jos Werke mag und begeistert aufsauge, wusste ich ja auch schon. Ich freue mich sehr auf weitere Beiträge!