Liebe Leute,
boar, spannendes Thema, da hab ich mich auch in den letzten Jahren bissl reingedacht und grad leider keine Zeit ( Felix kann da ein genervtes Lied von singen, fürchte ich ), da ganz einzutauchen. Würde mich aber auch ausgesprochen freuen, wenn das Thema einen Faden bekäme. Ich sehe absolut keine Gefahr, dass sich einer der hier engagierten politisch in die Nesseln setzt.
Eine Beleuchtung des deutschen/deutschsprachigen Folk Horror jener Epoche hätte in meinen Augen nahegelegen. Doch wer liebt es schon, Blut-und-Boden-Literatur zu lesen: sozusagen die Kehrseite der Medaille.
Den Begriff Folk Horror verbinde ich eigentlich mit rein postmodernen Werken, in denen eine bewusste Auseinandersetzung mit Historie/Kulturwisseschaft stattfindet. Letztlich ist das aber reine fuzzy logic-Definition meinerseits.
Das hört sich so an, als sei diese Vorgehensweise die Grundlage des Folk Horror. Eine solche Definition klammert jedoch die bewusst historisch gehaltene Erzählung aus.
Ich gehe mit, Axel.
Diese Konfrontation wiederum ist kein Alleinstellungsmerkmal des Folk Horror, sondern trifft grundsätzlich auf die historische Erzählung (Roman, Film, Spiel usw.) zu.
Stimmt, wenn man es auf das Wort 'Konfrontation' beschränkt (was im Horror wie auch im Drama und Thriller aber eh nötig ist). Aber man benötigt imA für Folk Horror ein aufklärerisches bzw. (post)modernes Bewusstsein, das zwei Lager schafft: Aberglauben vs Aufklärung.
Wie man das jeweils verortet, steht auf einem anderen Blatt, wie ja so schon das Hexenproblem zeigt.
- Klassisch ist das christliche Bürgertum (oder auch mal der Bauernstand) der Status quo, in das das Archaische, Heidnische a.k.a. Barbarentum einbricht. Logik vs Irrationalität. Wobei Christen dabei absurderweise die Rationalität für sich beantspruchen, obwohl sie nur den gleichen Wein in anderen Schläuchen asusschenken.
- In der Postmoderne mit der Neubewertung von Anthropologie, Archäologie und Kunstwissenschaften bzw. auch der sekulären Kritik an abrahamistischen Religionen verschieben sich die Vorzeichen: Die überkommene, spießige, chauvinistische und letztlich verbrecherische (Genozid, Zerstrung anderer Kulturen), aber noch etablierte Religion ist auf der Gegenseite. Vorchristliche Gesellschaften im Folk Horror nicht als der einbrechende Schrecken, sondern als das Korrektiv, die Wiederherstellung des eigentlichen Status quo.
Der Horror wird über das Infragestellen postmoderner Identitäten hergestellt, die sich als kritisch-aufgeklärt sehen. Es geht heute nicht mehr um den Clash zwischen zwei Glaubenskonzepten, sondern um die Gleichwertigkeit allen irrationalen Denkens (Christentum und Heidentum) gegenüber einer postmodernen Rationalität. Soweit zumindest in den Nordischen Ländern; wobei aber die Legenden dann als Realität in Sinne eines spekulativen Realismus etabliert werden: als selbstverständlicher Teil der aufgeklärten, postmodernen Welt, nicht als Gegenpart. Das Christentum wird aus diesen Narrativen meist ganz rausgeschrieben.
Hier scheint mir ein Unterschied zum britischen Folk Horror zu bestehen, wo das Archaische ängstigen soll, an der (dünnen) Rationalität des modernen Menschen kratzt. Wie Axel sagte, sind das dezent verschiedene Konzepte unter dem gleichen Label.
Die 'Hexen' schaffen ein ähnliches Problem (wie Hutton breits richtig anspricht): Welchem Konzept folgt man?
- Dem christlichen, das man dazu noch in eine prä-/post-Hexenhammer Ära einteilen müsste (-> prä, Mittelalter: unschädlicher, rückständiger Aberglaube / Hexen real nicht existent vs post, frühe Neuzeit bis heute: Ketzerei = Schwerverbrechen gegen 'Gott' und die Kirchen / Hexen real existent)
- Dem, was die Christen für heidnisch hielten, orientiert an den ersten Konkurrenzreligionen, innerhalb derer sie selbst wuchs: die der römischen und grichischen Antike. Sämtliche andere Religionen z.B. Nordwest- und Osteuropas wurden dementsprechend - bewusst oder unbewusst verfälschend - beschrieben. Dieses Konzept verfolgen z.B. Machen und Wicker Man noch, sie sind aber ahistorisch.
- Dem tatsächlich (rekonstruierten) vorchristlichen Hexenglauben ... eine very slippery slope
- Der Hexe, wie Himmler sie - zum großen Unmut des christlichen Hitler - definierte: von den Kirchen verfolgte unschuldige Hebammen und Kräuterfrauen; quasi eine sexistische Verfolgung solcher "mit altem Wissen". Diese ahistorische Legende übernahm leider die Frauenbewegung der 70er.
- Die Hexe gemäß aktuellem historischen Bild: als Teil einer breiten Schnittmenge von den beiden christlichen Kirchen Verfolgter, wobei keine tatsächlichen magischen Fähigkeiten zugrunde liegen.
Die letzte Definition ist die - leider - am seltensten in spekulativen Büchern/Filmen verarbeitete.
Da eine ungezählte Anzahl Menschen (und Tiere) - evt. sogar 2 Millionen allein unter dem Vorwurf der Hexerei/Ketzerei - ermordet wurde, bzw. im Kontext eines "Heidentums" ganze Kulturen und Völker ausgelöscht wurden, rufe ich auch hier zu verantwortungsvollem Umgang mit diesen heute spekulativ verwendeten Themen auf. Also nicht nur im Zusammenhang mit der vergleichsweise kurzen, ebenso katastrophalen Zeit des Faschismus.
Vielleicht kann hier das Gespräch mit dem britischen Historiker weiterhelfen, der Seiler zwar in Teilen zustimmt, die Sache aber dann doch etwas breiter anlegt und auch auf zumindest einen der von dir genannten Filme zu sprechen kommt.
Das ist das einzige, das ich aus Zeitgründen bislang lesen konnte, sehr spannend!
oder "Pagan Horror", wie wir ihn weiland in Braunschweig durchlebten
Ist das eine Andeutung auf politische Ereignisse in der Realität? Falls du ein Buch/Film meinst, wäre ich interessiert.
Stimmt, Horror muss nicht per se phantastisch sein. Und ein Film wie Wicker Man ist ja auch nicht phantastisch (und manche würden ihn noch nicht einmal als Horrorfilm sehen).
Hm, aber Wicker Man ist doch spekulativ, wäre das nicht Phantastik?
Meine schon länger gehegte Meinung ist, dass sich "die Forschung" – hier vertreten durch das Portal literaturkritik.de – nicht darüber bewusst ist und der Blick generell very british oder skandinavisch konzentriert ist.
Auch hier gehe ich mit.
Was mich betrifft, so erscheint mir der Zugang zum deutschen Folk Horror (oder meinetwegen auch zur folkloristischen Phantastik) naheliegend und auch ertragreich. Ohne verdächtigt worden zu sein, sage ich, dass dieser Zugang kein nationales Bekenntnis o. ä. meinerseits darstellt.
Da bist du über jeden Verdacht erhaben, und man kann nicht alles ignorieren, nur weil die Nazis etwas missbraucht haben (das ist nämlich ne ganze Menge, von Runen über Trachten, von Legenden zu German Folk Music und letztlich sogar die aktuelle Form des Umweltschutzes). Das lässt sich doch alles im Kontext besprechen.
Tatsächlich überlege ich seit längerem, wie ich das Thema mal hier im Forum ansprechen könnte. Ich habe in den vergangenen Monaten einige Werke, die in Frage kämen und meine These unterstützen, gelesen. Na ja, kommt Zeit, kommt Rat.
... kommt Attentat. Ich wäre außerordentlich interessiert.
Du findest sicher einen Weg und es klingt enorm spannend!
Sehe ich genauso, Felix.
Hättest du vielleicht jetzt schon eine Empfehlung aus deinen vergangenen lesemonaten für ein Stück deutschsprachigen Folk Horror(, das im besten Fall aber nicht nationalistisch trieft)?
Auch wenn ich nicht angesprochen bin, kann ich dir eine aktuellere Sammlung empfehlen: Tobias Könemann: Das schwarze Holz (schön illustriert). Ich hab hier was dazu geschrieben. Ich merke grad, dass das Buch einen ganz wesentlich positiveren Nachklang hinterließ, als meine kleine Rezi klingen mag. Als Soundtrack beim Lesen empfehle ich Wöljager.