Und Jo Piccol zeigt uns in „Exotik, Erotik und Exzess“ die Ästhetik des Unheimlichen im Werk von Hanns Heinz Ewers
Mein Geflenne bezog sich darauf, dass jeder einzelne Text mit ein paar eigenen Zeilen besprochen wird - der eine Halbsatz bei Jo dort ist aber lediglich die Unterüberschrift seines Essays. Finde ich eben sehr schade, weil ein belegter, strukturierter Fachtext einen ungleich höheren Arbeitsaufwand bedeutet. Never mind me - hat auch nix damit zu tun, dass ich Jo sehr schätze oder ihn überhaupt kenne.
Grad freue ich mich über meine je 40 Min, Busfahrt täglich, weil ich da Sachen lesen kann, für die ich grad eigentlich keine Zeit hätte. Anthologien sind doch so perfekte Alternativen zum aufs Handy gucken (das ich in der internetgängigen Form nicht mal habe, haha!). Einige Geschichten hab ich angeschaut oder quickgelesen, waren aber nicht so meine Tasse Kaffee (auktoriale, aber stark wertende Erzähler mit ständigen Vorgaben, wie ich was zu sehen habe; gehäufte Adjektive/Adverbien; zu bekannte Themen/Situationen, gute Prämisse aber dann viel Dialog / wenig Plot und manchmal lag es einfach daran, dass mein Geschmack ab einem gewissen Anteil Humor bzw. Person-von-nebenan nicht mehr mitgeht).
Dann bin ich dabei, das Buch zuzuklappen und lese einen ersten Satz: "Ich sehe den Toten nicht kommen." Bäm, gleich wieder das Buch aufgeschlagen, bei sowas setze ich mich innerlich gleich mal etwas aufrechter (auf Englisch sagt man so wunderbar: Something demands attention - so war das hier.) Von dem Autor nie zuvor gehört.
Jasper Nicolaisen: "Wunsch nach Freundschaft mit den Anglern". S. 185-194
Und kein skurriler nonsense-Titel, wie sich am Ende zeigt. Die Geschichte hab ich mit Herzrasen (weil sie so schön geschrieben und konzipiert ist) und innerlich offenstehendem Mund gelesen. Ein Stück perfekt getimten, ich sag mal 'sanften Stream of Conciousness' (also nicht stark ausscherend in Irrelevantes, Assoziatives und mit kurzen Sätzen) oder vielleicht Rollenprosa. Eine sehr, sehr starke Erzählstimme, absolut innovative Geschichte, unvorhersehbar und in einer ganz vor allem wunderbaren, grandiosen Sprache. Ich meine, der Text käme - mit Ausnahme von Farben - nahezu gänzlich ohne Adjektive/Adverbien aus, jedenfalls fiel mir kein einziges auf. Sätze aufs Wesentliche eingedampft, extrem poetisch. Individuelle Betrachtungen / Beobachtungen, aber auch Figurenkonzeption und (trotz der
durchaus gängigen dystopischen 'Last Man'-ähnlichen Lage)
auch Plot.
Hier erzählt jemand, der vollkommene Kontrolle über die Sprache, den Stil, seine Motivik und Geschichte hat - und trotzdem wirkt alles leichtfüssig, unforciert, lebendig. Wirklich mit Abstand einer der besten Texte, die ich in den vergangenen Jahren (das können gern 10+ Jahre werden) las. Da hab ich fast sowas wie Herausgeberneid (;-), das wär ein schöner dritter Autor im Kriegspferd gewesen.
Ohne, dass es da vom Stil oder Inhalt tatsächliche Deckungsgleichheit gäbe, erinnert mich die Wirkung an die von Perkampus' Erzählungen und ganz vor allem auch an die stärksten Romane von Antoine Volodine. Sein unter Lutz Bassmann verfasster We Monks & Soldiers (eine meiner meist geschätzten Fiktionen) hat einen ähnlichen Twist, der mich dort auch total begeistert hat - da ist es bissl ähnlich gelagert, aber da nicht plot-ähnlich, schreibe ich mal ohne Spoiler: Der Icherzähler bei Bassmann ist ein buddhistischer Soldat, der ein leerstehendes Haus exorzieren soll. Die Geister, die sich zeigen, sind ihm bekannt und am Ende der Szene wird er - der tatsächlich ebenfalls untot ist - von den Geistern exorziert. Solche Sachen mag ich einfach, weil sie Prämissen und Konflikte innerhalb einer schrägen, surrealistischen Welt erzählen, weil unserer Alltag damit nichts zu tun hat ... Allerdings nur auf den ersten Blick, denn die Konflikte und Probleme der Protagonisten/Erzähler sind absolut nachvollziehbar, wenn auch eben um die paar spekulativen Ecken mitgedacht.
Wo andere längere Biografien angeben, als ich zu lesen bereit bin, setzt Jasper nicht mal einen Homepage-Link (davon gibt es wohl zwei, sehr schöne, aber vielleicht mag er die von seinen gedruckten Texten freihalten?) - zum Glück dann aber via FB fündig geworden. Als ich nachts also in seinen anderen Veröffentlichungen und der einen Homepage stöberte, fiel mir auf, dass ich die Geschichte möglicherweise 'falsch' gelesen hab: nämlich mit viel Tragik, Härte, Düsternis und sehr schwarzem/bitteren Humor (wie eben genau bei Volodine). Gemessen an den anderen Texten mag es aber sein, dass dieser viel skurril-witziger und fluffiger gemeint gewesen war. Keine Ahnung, aber es ist so oder so ein kleines Juwel. (Könnte mir gut vorstellen, dass Frank Duwald Gefallen daran finden könnte).
Mal wieder: Ein Hoch auf Anthologien, und vor allem ihre Herausgeber Michael & Achim, die so unterschiedliche Texte aussuchen und präsentieren! (Du sprachst oben vom Horroraspekt der SF, Mammut , ich finde es übrigens sehr gut, dass im Zwielicht von Vergangenheit und Zukunft erzählt wird. Erinnere mich auch an eine schöne Mutanten oder eher Cyborggeschichte (im Z15?), mit einer schönen Illustration.)
Ach ja: Lieblingspassage
Zitat
Es gibt Angler, die ich aus der Ferne sehe, doch wenn ich näher komme, hat der Nebel sie weggewischt. Manchmal zappelt am Haken noch ein Fisch. Manchmal ist es etwas anderes, eine Art Stock mit Gesicht, etwas wie eine Qualle, das einen Mund oder eine Öffnung ausstülpt und mir stumm etwas zuruft. Ich verstehe es nicht. Mein Hund versteht es und knurrt und ich ziehe ihn weiter, nach Hause, wo die Schatten wandern und ich das dumpfe Gefühl bekomme, lange nicht mehr sauber gemacht zu haben.
So geht für mich perfekte Prosa. Ich könnte mich schon allein dafür begeistern, an welchen Stellen hier ein Komma und an welchen ein und steht, im Hinblick auf den Gesamtrhythmus, das ist extrem souverän. Auch so wunderbar fies dann später die - nun wirklich alles andere als adäquate - Feststellung: "Da mich hier niemand mehr zu brauchen scheint, (...) " Gaaaaaah, man sollte nicht denken, wie viel Schauder dieser unschuldige Satz vermitteln kann.
P.S. Ich denke keinesfalls, dass die Erzählerin ein Mensch im realistisch-biologischen Sinne ist. Auch Mutation reichte imA nicht für die - ich sag mal - 'Handlungsmöglichkeiten' aus, die sie gegen Ende zeigt.
An den geneigten Leser: Die Angler haben im Text wirklich einen Sinn / Funktion, aber der Plot selbst dreht sich - zumindest konkret - um anderes ...