Bevor Enemy neulich im finnischen TV lief, war mir
Villeneuve kein Begriff (peinlicherweise, sollte ich vllt. anfügen), und bis
zur Hälfte war ich nicht sicher, ob ich den Film überhaupt mag. Wenn man ihn aber
– und Ähnliches gilt auch für Arrival – in Hinblick auf seine Konzeption,
Struktur, Symbolik und Kameraarbeit hin betrachtet, und nicht nur der Erzählung
/ dem Protagonisten folgt, ist er ziemlich genial. Und eigenartigerweise ist
der Nachhall sehr, sehr viel intensiver, als die Wirkung beim Ansehen.
Enemy
Canada/Spain 2013. 90 min. Drehbuch: Javier Gullón
nach José Saramagos Kurzgeschichte „O Homem Duplicad / The Double“
Ein lethargischer Geschichtsprofessor, Adam Bell, findet
heraus, dass er einen Doppelgänger hat: Anthony Claire ist ein Extra in
C-Movies, selbstbewusst und finanziell unabhängig. Beide haben
Beziehungsprobleme: Während Adam sich seiner Freundin gegenüber eigenartig kalt-distanziert
verhält, wird Anthony von seiner schwangeren Ehefrau – vermutlich zu recht – angeschuldigt,
untreu zu sein. Die Doppelgänger treffen sich, was dramatische Folgen haben wird.
Schnell wird durch das Filmediting suggeriert, dass Adam und Anthony – wenn vielleicht
nicht physisch dieselbe Person – zwei Aspekte einer einzigen Persönlichkeit
sind. Es geht um Verantwortung vs Eskapismus und die Zwanghaftigkeit von Verhaltensmustern.
Zur Schluss-Sequenz wird gesagt, sie sei das
erschreckendste Ende außerhalb des Horrorgenres; und wer eine Spinnenphobie
hat, sollte die letzte Minute besser skippen. Die Symbolik lässt einige Szenen
wie Magischen Realismus wirken, und es gibt amüsante Interpretationen („Spinneninvasion
in Toronto!“), aber Regisseur wie Hauptdarsteller betonen: Der Film ist eine
Reise ins Unterbewusste.
Arrival
USA 2016. 116 mins. Drehbuch: Eric Heisserer
nach Ted Chiangs Kurzgeschichte "Story of Your Life" (Volltext hier)
Zwölf UFOs landen auf der Erde, die Außerirdischen
beginnen eine Kommunikation, der in den ‚betroffenen‘ Ländern unterschiedlich
begegnet wird. In den USA heuert das Verteidigungsministerium eine Linguistin
an, die den Code knacken kann. Gemäß der Theorie, dass das Erlernen einer
Fremdsprache neue Hirnstrukturen schaffen kann, merkt sie, dass sie nicht nur
in einer Aliensprache kommunizieren, sondern auch – analog zu der nichtlinearen
Orthographie der Aliens – eine nichtlineare
Zeit erleben kann. Was der Film inhaltlich erzählt, setzt er auf anderer Ebene
auch im Editing um: Stichwort Kuleshov Effekt / Sowjet Montage.
Ähnlich wie Enemy funktioniert Arrival über mehr als nur
Plot, Motiv oder Charaktere: Die Filme fordern ihre Zuschauer, Konsequenzen und
Implikationen auf ihre eigene Realität zu übertragen. Sie geben keine
Interpretation vor, sind aber dennoch mit viel Bedacht eng konstruiert –
Offenheit sollte also nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden.
In grauer Vorzeit hatte ich Linguistik (Anglistik)
studiert, und lese immer noch gerne ins Thema rein. Auch, wenn ich sonst dem
Thema „Aliens kümmern die Belange der Erde“ eher zynisch gegenüberstehe, ein
Alienbesuch rein rechnerisch ausgeschlossen ist, und das Dechiffrieren der
Sprache etwas zu smooth passiert, bin ich wirklich von dem Film begeistert.
Vielleicht der erste Versuch nach Tolkiens Elvish (und Klingonisch), eine in sich schlüssige,
fremde Sprache zu erfinden, die tatsächlich funktionieren könnte. Zudem sind
sowohl die Alienschriftsprache, wie auch die Aliens selbst sehr ästhetisch und glaubhaft in Szene gesetzt. Langweilig fand ich nur die häufigen Familien-/Kinderszenen,
sehe aber ein, dass die Geschichte ohne einfach nicht funktioniert.
Hier ein klasse Making of und sympathisches Interview mit Villeneuve. (SPOILER!)