Armomurhaaja / Euthanizer
Finnland 2017, 85 min, DCP
Regie, Drehbuch, Produktion, Schnitt u.a.: Teemu Nikki
Deutscher Vertrieb: Nordlichter Film. Kinostart April 2019
Finnische Dramen kommen selten ohne bitterböse-sarkastischen
Humor aus, und wenn ein Film als „schwarze Komödie“ vermarktet wird, rechne ich
eher mit leichter Unterhaltung. Synopsen und der offizielle Trailer suggerieren
folgenden Plot: Ein desillusionierter Tiertöter erträgt die Gefühllosigkeit
seiner Kunden nicht mehr, und ‚euthanasiert‘ sie anstelle ihrer Haustiere. Auch
wenn dies im Film so vorkommt, sieht die Handlung sehr viel komplexer aus, und
ist keineswegs der schlichte feel-good revenge flick, als der er verkauft wird,
sondern ein psychologisches Drama.
Setting: ein verschlafenes Kaff. Veijo lebt allein weitab
des Ortes – was nicht ungewöhnlich ist, hier gibt es keine Ortskerne – und arbeitet
als Mechaniker mit Nebenberuf Tiertöter. Es wird schnell klar, dass er aus
Mitleid handelt. Die Begründungen seiner Kunden interessieren ihn nicht, er schaut
die Tiere an und scheint zu verstehen, was sie zu sagen hätten. (Es bleibt offen,
ob dies Einbildung oder paranormales Geschehen / Phantastik ist.) Einem Kunden
sagt er: „Dein Hund möchte dir noch etwas sagen: Er bedankt sich bei dir. Bedankt
sich dafür, dass du ihn aus einer Puppy Mill geholt und so ermöglichst hast, dass
Tausende weiterer Welpen produziert, gequält und ausgebeutet werden.“ Der
Kunde: „Ich diskutiere doch nicht mit einem Hund!“
Als ein verhaltensgestörter
Neonazi seinen Hund erschießen lassen will, lässt Veijo sich zwar für die
Tötung bezahlen, adoptiert das Tier aber stattdessen.
Veijos Frustration über die Empathielosigkeit seiner
Mitmenschen eskaliert in Erniedrigungen, Prügeleien und einer kurzen Entführung
– und wenn man comic relief sucht, findet man das am ehesten in diesen (absurden)
Gewaltszenen.
Der zweite, parallele Hauptstrang des Filmes erzählt von
Veijos beginnender Zuneigung zu der jungen Pflegerin seines Vaters im Hospiz:
die beiden scheinen seelenverwandt zu sein. Ihre Beziehung ist jedoch ebenfalls
nicht ohne Hindernisse und die beiden Eigenbrötler müssen erstmal die
Grundlagen der Kommunikation neu erarbeiten. Dann findet der Neonazi heraus,
dass sein Hund noch lebt, und die Geschichte gleitet von ‚schwarzer Komödie‘
ins reine ‚schwarz‘ ab, um in den letzten zehn Minuten unversehens in einer
Tragödie zu enden.
Auch wenn Rache ein Thema ist, geht es hauptsächlich um
anderes: die tiefe Verzweiflung an einer rücksichtslosen Welt, Autonomie vs
Einsamkeit, die Frage nach der Grenze des Leidens und der Würde im Alter bzw. existenzieller Moral und ob / ab wann Gewalt gerechtfertigt erscheint.
Der Film stellt diese Fragen, überlässt es aber dem Zuschauer, sie
zu beantworten. Dabei sind die Hauptcharaktere und ihre Beweggründe so komplex
angelegt, dass eindeutige Urteile schwierig oder unmöglich sind.
Matti Onnismaa liefert als ‚Euthanizer‘ eine charismatische Glanzleistung ab,
und sagt mit einem leicht verzogenen Mundwinkel mehr, als viele andere in
minutenlangen Dialogen.
Armomurhaaja / Euthanizer prämierte auf dem Helsinkier Horrorfilm-Festival Night Visions, ist in Finnland mit mehreren
Filmpreisen ausgezeichnet worden, und war die – nicht nominierte – Einreichung für
den Oscar 2018. Auf DVD mit englischen UT erhältlich. (Wozu ich nichts sagen
kann, ich hab den Film ohne UT gesehen.)
Absolute Empfehlung für alle,
die gern hinter das Offensichtliche schauen und schrägen Humor zu schätzen wissen.
Trailer mit Dt UT
Trailer mit Engl UT (und einigen anderen Szenen)
Teaser mit Engl UT
Ja, aber nicht in der Szene unten. Kein Tier überlebt, aber alle werden off-screen / außerhalb des shots getötet.