Beiträge von Cheddar Goblin

    Zu "Die Kristallgruft":

    Wenn ich eine Drohung als politische Lösung etablieren will, mach ich das vorher. Die Erde hat hier quasi die Atombombe geworfen. Der Mars kann eigentlich nur aufgeben.

    Ja. Es ist eine reine Machtdemonstration, um die Verhältnisse zu klären und klar zu machen 'Gebt uns was wir wollen und ihr kriegt die Stadt zurück, ansonsten geht das hier so weiter'. Die Schrumpfung soll gleich deutlich machen, dass sie es a) ernst meinen und b) auch dazu in der Lage sind. Es ist ja nicht so, als wäre ähnliches in der Geschichte der Menschheit noch nie vorgekommen.

    Na, die dringen als Spione in die Stadt, verbuddeln ihre Gerätschaften und fliehen vor ihren Verfolger.

    Ja. Sie dringen aber vollkommen heimlich und unbemerkt ein (es sind ja auch Spione, die nicht entdeckt werden wollen). Es ist keine kriegerische Eroberung mit ganz viel "Krach-Boom-Peng". Enttarnt werden sie erst, als die Stadt schon geschrumpft ist. Klar, ist die Geschichte stark konstruiert, um sie aber als "hirnloses Action-Spektakel" zu bezeichnen, fehlt mir hier irgendwie die Action. Zumal Dick hier auch ganz deutliche Kolonialismus-Kritik betreibt, was die Geschichte für mich dann auch nicht besonders hirnlos wirken lässt.


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    Zu "Das kurze glückliche Leben des braunen Halbschuhs":

    In „Das kurze Leben“ kommt Dicks skurriler Humor mal wieder besonders gut zu Tage - Und die Erkenntnis, dass in seinen Geschichten, nichts so ist, wie es zunächst scheint: Da kann sich Gott schon mal in Form einer Spraydose offenbaren oder man gerät in eine hitzige Diskussion mit einer sprechenden Tür (siehe z.B. „Ubik“).

    Die zweite Geschichte mit Doc Rupert Labyrinth nach "Der Bewahrungsmaschine".

    Dick schrieb beide Geschichten übrigens ungefähr zur gleichen Zeit und verkaufte sie an das „F & SF“-Magazin. Da „Das kurze Leben“ allerdings wesentlich später veröffentlicht wurde, taucht es im Haffmans-Band erst jetzt auf.

    Es ist mMn wirklich schade, dass Dick die Figur des Doc Labyrinth danach wieder fallen ließ. In einem Brief, den er an den Herausgeber des „F & SF“-Magazins schrieb, dachte er noch darüber nach, daraus eventuell eine Serie zu entwickeln.

    Eine herrlich schräge Groteske über das Prinzip der hinreichenden Belästigung, die dafür sorgt, unbelebte Materie in Bewegung zu versetzen.

    Das Prinzip der hinreichenden Belästigung ist wirklich eine herrlich bekloppte Idee, auf die man erst einmal kommen muss.

    Beim Thema „Unbelebte Materie zum Leben erwecken“ muss man natürlich sofort an „Frankenstein“ denken. Ein bisschen von Goethes „Zauberlehrling“ kommt aber auch noch ins Spiel.

    In der zweiten Hälfte wurde mir das Ganze dann aber doch ein bisschen zu albern: Der Schuh wird durchs Haus gejagt, flüchtet in den Garten, kehrt nachts heimlich ins Haus zurück und schafft sich mit Hilfe des Animators eine Frau (einen Damenschuh). Was Frankenstein also stets verwehrt wurde, wird hier erfüllt. Und am Ende wird dann auch noch gefickt… Naja.

    Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass „Das kurze Leben“ in der Ich-Form geschrieben wurde, was bei Dick eine äußerst seltene Erzählperspektive ist (Spontan fällt mir jedenfalls kein weiteres Beispiel ein). Überraschenderweise mochte er diese Geschichte lieber als „Die Bewahrungsmaschine“. Bei mir verhält es sich da ganz klar andersherum, dennoch (da gebe ich Mammut Recht) ganz amüsant. (2,5/5)

    Eine recht simple technische Lösung aus drei Spulen schrumpft eine komplette Stadt. Das Wie ist reine Magie. Auch, was mit den Lebewesen darin passiert ist völlig offen. Wie lange etwa reicht die Luft in der Glaskugel?

    Das hat mich persönlich nicht im Geringsten gestört. Ich bin aber auch generell kein allzu großer Fan von Hard-Science-Fiction, bzw. seitenlanger technischer Erklärungen/Technobabble. Mir reicht da oft die Info "Das ist Maschine X und die kann folgendes...". Ich hab' diesbezüglich auch einen recht großen "sense of disbelief".

    Die geplante Erpressung mit dieser Stadt ist auch ziemlicher Quark. Defacto ist die Stadt ja bereits weg und der Mars muss damit klarkommen.

    Der Schrumpfungsprozess kann doch aber wieder umgekehrt werden, wenn die Marsianer auf die Forderungen eingehen. Das ist doch der Sinn der ganzen Sache.

    Die Sexualisierung der einzigen weiblichen Figur ist sehr deutlich und völlig handlungsirelevant.

    Ist mich hier auch wieder negativ aufgefallen. Dürfte aber wohl eher dem Zeitgeist geschuldet sein. Bei Asimov und den Strugatzki-Brüdern finden man das bspw. hin und wieder auch.

    Krieg und Spione, das ganze dermaßen an den Haaren herbei gezogen...

    Möchte ich gar nicht abstreiten, auf seine recht pulpige Art fand ich "Der Kristallgruft" trotzdem ganz unterhaltsam. Auch wenn sie weit davon entfernt ist, ein Meisterwerk zu sein.

    Typische Action SF ohne jeglichen Sinn.

    Viele Actionszenen wären mir eigentlich nicht aufgefallen (Ich finde so etwas selbst immer extrem langweilig). Im Zentrum steht hier doch eher die Befragung an Bord des Schiffes und das vorherige Eindringen in die Mars-Stadt (+ deren Beschreibung,; auch im politischen Sinne). Zu einer (sehr kurzen) Konfrontation kommt es ja eigentlich nur am Ende ihrer Mission.

    Im Kern ist es halt eine Kolonisierungs-Geschichte, die uns aus Sicht zweier machthungriger Regierungen geschildert wird - Skrupellose Terroristen auf der einen Seite (die Erde), grausame Diktatoren auf der anderen (der Mars). Das "einfache Volk" leidet unter beiden Fraktionen und zählt somit zwangsläufig immer zu den Verlierern. Nicht nur aufgrund der "Stadt in der Kugel"-Thematik habe ich daher starke Parallelen zur ersten Geschichte "Stabilität" gesehen. Da gab es ja auch nur die Wahl zwischen Pest und Cholera.

    ...aber Grotes Wettlauf gegen Raum und Hitze finde auch ich ziemlich klasse geschrieben.

    Das war definitiv mein Highlight in dieser eher mittelmäßigen Geschichte.


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    Die Kristallgruft:

    Worum geht’s: Die Menschheit ist gerade dabei den Mars zu kolonisieren, was bei den dort ansässigen Marsianern allerdings nur so semi-gut ankommt. Da die Spannungen immer mehr zunehmen und ein Krieg somit unausweichlich scheint, verlassen die Erdlinge nach und nach den roten Planeten und kehren in ihre alte Heimat zurück. Das letzte Raumschiff wird allerdings kurz nach der Landung, von den marsianischen Behörden, gestoppt. Laut ihnen befinden sich nämlich drei Terroristen an Bord, die für die Zerstörung einer ganzen Mars-Stadt verantwortlich sind. Mit einem Lügendetektor befragen sie die gesamte Besatzung - Allerdings finden sich unter ihnen nicht die Schuldigen. Irren sich die Marsbewohner also oder haben die Menschen sie einfach nur ausgetrickst?


    1954 in "Planet Stories" erschienen. Der Name „Kristallgruft“ klingt dabei ja eher nach einer Weird-Fiction-Erzählung a la Lovecraft oder nach dem nächsten Indiana Jones-Film. Und beim Thema Marskolonisierung denkt man natürlich zwangsläufig an Bradburys großartiges Meisterwerk „Die Mars-Chroniken“ - Tatsächlich liefert Dick hier aber eine Art Weltraum-Krimi ab (inklusive Kolonialismus-Kritik), der gerade am Anfang dezentes Agatha Christie-Flair versprüht (quasi die Sci-Fi-Version von „Mord im Orientexpress“).

    Jedoch wird hier nicht das klassische Whodunit-Motiv bedient (denn die Täter sind relativ schnell klar), sondern eher nach dem „Wie?“ gefragt. Wie konnten drei Menschen eine ganze Stadt zerstören und danach den Lügendetektoren der Marsianer austricksen.

    Beide Fragen werden in der zweiten Hälfte von „Die Kristallgruft“ zufriedenstellend beantwortet, da Dick dort in der Zeit zurückspringt und uns ein „Was zuvor geschah?“ präsentiert. Wir erleben nun wie sich die Terroristen in die Mars-Stadt einschleichen, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Die Beschreibung besagter Stadt ist eine interessant Mischung aus Ägypten („mächtige Quader waren dort von Sklaven der frühen Dynastien unter den Peitschenriemen der ersten großen Marskönige herbeigeschafft und aufeinandergelegt worden.“) und Industriegebiet („Sie sah Feuerzungen, die aus den Türmen schossen, Feuer aus den unterirdischen Fabriken und Hochöfen der Stadt. Die Luft war zum Schneiden dick und voller Rußpartikel.“).

    Und auch über die Machtverhältnisse auf den Mars erfahren wir etwas mehr: Der Rat der Höheren Leiter hat hier das sagen. Finstere Gestalten in dunklen Kutten, die den Planeten mit eisiger Hand regieren und (da wären wir wieder bei Lovecraft) eher an Alchemisten oder Nekromanten, als an typische Regierungsoberhäupter erinnern (…Aber wenn wir uns mal in der Realität umsehen, stellen wir schnell fest, dass die Grenzen diesbezüglich auch bei uns manchmal rech fließend sind).

    Natürlich leidet die Spannung im zweiten Teil etwas darunter, dass man schon weiß dass sie mit ihrer Mission erfolgreich sein werden - Der finale Twist ist mMn aber absolut gelungen und schließt sogar den Bogen zu der ersten Geschichte in diesem Band: Die Terroristen haben die Stadt nämlich gar nicht zerstört, sondern nur geschrumpft, in eine Glaskugel gesteckt (sic!) und als Briefbeschwerer getarnt an Bord des Raumschiffs geschmuggelt. Wenn man möchte, kann man „Die Kristallgruft“ also fast als Prequel zu „Stabilität“ ansehen.

    Zwei Dinge stören dann aber doch: Die Menschen überlisten den Lügendetektor, da sie nichts über eine zerstörte Stadt wissen, weil die Stadt ja gar nicht zerstört, sondern nur geschrumpft wurde - Hätten die Marsmenschen ihre Frage jedoch nur ein kleines bisschen anders formuliert, wären sie sofort aufgeflogen. Man kann aber annehmen, dass sie sich dieser Gefahr von Anfang an bewusst gewesen sind und einfach nur Glück hatten. Dass sie ihren genialen Masterplan aber anschließend stolz und breit einem völlig unbeteiligten Fluggast erzählen, erscheint dann doch recht naiv. Zumal sich dieser, wenig überraschend, als getarnter Marsianer entpuppt. Dennoch hat mir diese kleine Agenten-/Krimi-Geschichte richtig gut gefallen.

    Ergänzung 1: Hier tauchen am Rande wieder Roboter auf, diese nehmen jedoch nur die Rolle von Stewards/Stewardessen ein, scheinen wesentlich simpler als die „Bleimänner“ konstruiert zu sein und spielen für die Handlung absolut keine Rolle.

    Ergänzung 2: Dick scheint ein Faible für durchsichtige Hosen zu haben, zumindest stattet er die weibliche Agentin mal wieder mit einer aus (vgl. „Der variable Mann“). (3,5/5)

    Die Neuauflage ist bestimmt lohnenswert, da die alten Insel/Suhrkamp/Festa-Bände keine Schnapper sind, wenn ich es richtig sehe.

    Deswegen habe ich die Neuauflage auch erwähnt. Die meisten Jean Ray-Titel werden inzwischen leider wirklich nur noch zu recht hohen Preisen angeboten... was mich (trotz deiner permanenten Lobpreisungen) bisher auch noch davon abgehalten hat, mich mal näher mit dem Autor zu beschäftigen. Daher fände ich es durchaus begrüßenswert wenn im Apex-Verlag tatsächlich noch weitere Bücher von ihm erscheinen würden.

    Tja, den Film würde ich gerne auch mal sehen. Die DVD wird aber schon zu deftigen Preisen angeboten …

    An den Film scheint man tatsächlich auch nicht mehr so leicht zu kommen. Was mich etwas verwundert, da er mit Orson Wells ja durchaus gut besetzt ist. Da mittlerweile aber fast jede Gurke ein teures Mediabook erhält, ist es wohl auch hier nur eine Frage der Zeit, bis der Film neuaufgelegt wird... ich werde jetzt aber erst mal das Buch lesen.

    Klingt wirklich gut. Mal wieder vielen Dank für die ausführliche Vorstellung, Axel.

    Von "Malpertuis" ist 2018 auch eine Neuauflage im Apex-Verlag erschienen. Angeblich sind dort auch weitere Titel von Jean Ray geplant. Und verfilmt wurde der Roman auch (1971 von Harry Kümel).

    So einer bist du.

    Ganz genau, du geimpfter Systembückling :D.

    MAD Scientist trifft es meines Erachtens nicht. Es geht ja nur darum Recht zu haben.

    Okay, ich gebe zu, dass der Begriff "Mad Scientist" hier wirklich nicht hunderprozentig passt. Auch wenn es in "Der unermüdliche Frosch" um ein äußerst unethisches Experiment geht, bei dem Menschenleben eher zweitrangig sind.

    Bei Mad Scientist denkt man aber wohl eher an [frk].

    Wie gestern über Facebook bekanntgegeben wurde, ist Fred Ink inzwischen im KOVD-Verlag gelandet. Dort wird in nächster Zeit seine Kurzgeschichtensammlung "In dunklen Ecken: Abgründige Geschichten" erscheinen. Vielleicht ja eine gute Gelegenheit sich den Autor mal anzusehen. Eventuell versuch' ich es aber auch schon vorher mit seiner Lovecraft-Novellen-Sammlung "Die Alten waren, die Alten sind". Bei Selfpublishern bin ich ja immer vorsichtig.

    Ich lese auch erst morgen weiter, muss heute noch Shelob besiegen.

    Wer ober was ist ein Shelob?

    Der unermüdliche Frosch ist eine Groteske und handelt von einem Streit zwischen einem Physiker und einem Philosoph über einen Frosch, dessen Sprünge immer halbiert werden und er so nie den Rand des Teiches erreicht, In dessen Zentrum er startet.

    Das „Frosch/Brunnen“-Szenario, welches in Wahrheit weder ein Paradoxon, noch ein wirkliches Rätsel ist, ist natürlich ziemlicher Quatsch. Rolf Löchel bringt auf Literaturkrtik.de Dicks offensichtlichen Denkfehler mMn perfekt auf den Punkt:


    „In der Erzählung „Der unermüdliche Frosch“ literarisiert Dick eines der Paradoxa Zenons, von denen es bekanntlich mehrere gibt. Die Rede ist von dem des Achilles, der den Vorsprung einer Schildkröte nicht einholen kann. Hat er den Ort erreicht, an dem sie war, als beide starteten, ist sie schon ein kleines Stück weiter gekrochen. Erreicht er diesen Ort, ist auch sie wiederum ein Stückchen vorwärts gekommen und so weiter ad infinitum. Dick ändert das Paradoxon ab und macht aus dem griechischen Helden einen Frosch auf dem Boden eines Brunnens, dessen Sprünge immer nur halb so weit reichen wie der jeweils vorherige. Die unlösbare Frage sei nun, ob er den Brunnenrand erreichen kann oder nicht. So unlösbar, wie Dick meint, ist sie aber gar nicht, denn indem er das Paradoxon umgewandelt hat, hat er es zugleich zerstört. So gibt es gleich mehrere Lösungen, die vom Verhältnis der Tiefe des Brunnens zur Weite des ersten Sprunges abhängen. Beträgt diese beispielsweise mindestens zwei Drittel der Höhe des Brunnens, erreicht der Frosch dessen Rand schon mit dem zweiten Sprung. Kann er unendlich oft springen, erreicht er den Rand ebenfalls. Es sei denn, der Brunnen ist unendlich tief. Doch wie alle Philosophieprofessoren und Wissenschaftler bei Dick argumentieren auch die Universitätsgelehrten in dieser Geschichte nicht und kommen so dem vermeintlichen ‚Paradoxon‘ auch nicht auf den Grund. Vielmehr wiederholen sie stur ihre wenigen Glaubenssätze.“ (literaturkritik.de)


    Zenons Frage ist für die Geschichte allerdings auch nicht wichtig. Sie dient nur als Anlass für einen Streit zwischen zwei Professoren, von denen einer für seine Überzeugung bald schon billigend den Tod des anderen in Kauf nimmt. Wir haben es hier also mit dem klassischen Mad Scientist-Motiv zu tun. Auch wenn Hardys Transformation in einen solchen mMn irgendwie ein bisschen „out of nowhere“ kommt. Aber das mag der Kürze der Geschichte (13 Seiten) geschuldet sein.

    Zumal Grotes Leidensweg in der „Frosch-Kammer“ für mich definitiv zu den stärksten Passagen in dieser Geschichte zählt und Dick dort zweifelsfrei eine recht beklemmende Atmosphäre schafft (Ein endloser Marsch durch die absolute Finsternis, während man immer kleiner und kleiner wird, aber bei lebendigem Leib verbrennt, sobald man für längere Zeit stehen bleibt).

    Außerdem hat „Der unermüdliche Frosch“ noch einen netten Abschlussgag zu bieten: Grote erträgt sein Schicksal und seinen drohenden Tod mit stoischer Gelassenheit und ist vielmehr an der Lösung des Rätsels interessiert. Daher ist er Hardy auch nicht böse, sondern ärgert sich eher darüber, dass ihre Erfindung nicht zur gewünschten Lösung geführt hat. Als er dem Todesapparat entkommt, fängt ihr Diskussion sofort wieder von vorne an. (2,5/5)

    Die Story war nix.

    So sieht es aus.

    Gefallen hat mir die Idee, dass ein Zeitreisender die Berechnungen durcheinanderbringt, auf deren Grundlage die zukünftige Gesellschaft funktioniert.

    Dann kann ich dir nur den bereits erwähnten Asimov Roman „Ein Sandkorn am Himmel“ empfehlen. Der behandelt das Thema nämlich mMn wesentlich gelungener. Auch wenn es dort keine Wahrscheinlichkeits-Maschinen bzw. Berechnungen gibt.


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    Das wir diese Novelle so schnell abfrühstücken, hätte ich nicht gedacht.

    Auch wenn lapismont die Geschichte etwas positiver bewertet, scheinen wir uns größtenteils ja auch wieder einig zu sein. Fast schon ein bisschen langweilig :D.

    Ansonsten ist der Lesezirkel aber wirklich unterhaltsam. Auch wenn inzwischen nur noch der "harte Kern" übrig geblieben ist. Mammuts Idee, dass wir sofort weiterziehen, sobald jeder von uns etwas zur aktuellen Geschichte geschrieben hat, finde ich übrigens richtig gut. Auch weil wir den Haffmans-Schuber dadurch eventuell noch zu Ende gelesen kriegen, bevor wir das Rentenalter erreicht haben. Beim nächsten Halt ("Der unermüdliche Frosch") würde ich aber gerne jemanden von euch den Vortritt überlassen.

    Kurz und knackig, nicht übertrieben, aber gut.

    Dann sind wir uns ja alle einig.


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    Weiter geht es mit...


    Der variable Mann:



    Worum geht’s: Terra befindet sich in einem 100-jährigen Krieg - Zumindest in der Theorie. Immer wenn sie Waffen entwickeln die Centaurus überlegen sind, kontern diese sofort mit neuen Verteidigungsmaßnahmen, gegen die die Menschen wieder keine Chance haben. Im Zuge dieses fortwährenden Wettrüstens kommen beide Fraktionen allerdings meist gar nicht mehr dazu, die Waffen auch tatsächlich herzustellen (auch weil sie schon während der Herstellung völlig veraltet wären). Daher werfen sie sich gegenseitig quasi nur ihre Entwürfe um die Ohren, die dank fleißiger Spione immer ihren Weg ins jeweilige Lager finden. Der Krieg wird also nur hypothetisch ausgetragen. Während Maschinen berechnen, wer gerade vorne liegt.

    Für Terra sieht es dabei meist ziemlich schlecht aus.

    Hauptproblem der Menschen ist, dass ihre Gegenspieler die Erde mit einem eisernen Ring umschlossen haben und sie somit gar nicht zu ihnen durchdringen können. Ihre neue Erfindung: Eine Bombe namens „Ikarus“, die sich in Überlichtgeschwindigkeit bewegt, soll dieses Problem lösen, indem sie nach dem Abschuss quasi aufhört zu existieren und sich erst wieder im Zentrum der feindlichen Galaxie materialisiert. Doch die Menschen haben Probleme damit die Bombe fertigzustellen.

    Zur gleichen Zeit wird eine Zeitkugel aus dem Jahr 1913 nach Terra zurückgeholt. Ursprünglich wurde sie entsandt, um die Kriege der Vergangenheit zu studieren. An Bord befindet sich (aufgrund eines Fehlers) jedoch nun ein Mensch, dessen Anwesenheit die Statistiken der Maschinen gehörig durcheinanderbringen. Und auch die Menschen sind sich nicht sicher, ob der „variable Mann“ Segen oder Fluch ist. Die Fronten beginnen schnell sich zu verhärten…


    1952 geschrieben, 1953 im britischen Magazin „Space Science Fiction“ veröffentlicht und mit seinen fast 100 Seiten eigentlich mehr Novelle als Kurzgeschichte. Es ist verwunderlich, dass Dick „Der variable Man“ nicht noch zum Roman ausgebaut hat (wie er es z.B. später beim fast namensgleichen „unteleportierten Mann“ gemacht hat), da der Aufwand relativ gering gewesen wäre und er dafür sicherlich auch mehr Geld bekommen hätte. Da die Geschichte jedoch auch so schon diverse Längen aufweist, kann man darüber allerdings nur glücklich sein. Aber fangen wir mal von vorne an.


    Kapitel 1: Mal wieder Krieg. In „Mister Raumschiff“ haben die Aliens ihren Planeten noch mit einem Verteidigungsring umschlossen, hier sperren sie die Menschen in einem ein… Das Ergebnis bleibt jedoch das Gleiche. Und genau wie in „Die Verteidiger“ haben wir es hier mit einer Gesellschaft zu tun, die fast völlig auf Krieg ausgelegt ist und folgen einem ziemlich unsympathischen Protagonisten (Reinert), der alles andere als eine Identifikationsfigur darstellt. Dick fängt an sich zu wiederholen. Daneben hat mich das viele Techno-Babel etwas gelangweilt. Die Idee, dass beide Fraktionen jedoch so beschäftigt damit sind sich neue Strategien auszudenken, dass sie sich in Wirklichkeit nie gegenseitig angreifen, fand ich allerdings ganz witzig. Leider ist das aber auch schon fast der beste Einfall den „Der variable Mann“ zu bieten hat.


    Kapitel 2: Hier gibt es einen Perspektivwechsel. Wir erfahren nun wie Thomas Cole (der variable Mann) in die Zukunft gelangt ist. Interessant: Er nimmt die Zeitkugel als Tornado wahr, der ihn in eine völlig fremde Welt teleportiert, was stark an „Der Zauberer von Oz“ erinnert.

    Mit seiner Ankunft in der Zukunft (es handelt sich übrigens um das Jahr 2128) können wir uns auch erstmals ein etwas genaueres Bild von Terra machen: Aufgrund unzähliger Kriege, ist der Planet größtenteils ein atomares Ödland geworden. Eine Expansion ist also dringend notwendig, wenn die Menschheit überleben will. Interessant ist auch, dass Arbeit hier als Therapie bezeichnet wird (Was es damit genau auf sich hat, erklärt uns Dick allerdings nicht, was durchaus schade ist).

    Und auch über die Mode der Zukunft erfahren wir hier mehr (als wir wissen wollten): Cole trifft auf der Straße nämlich eine Frau, die bis auf ein knappes, durchsichtiges Höschen nichts anhat. „Die Frau war schön. Braune Haare und Augen, tiefrote Lippen. Eine recht gute Figur. Schlanke Taille, flaumbedeckte Beine, kräftige, volle Brüste…“ Alles klar, Dick.

    Daneben besteht das Kapitel eigentlich nur aus einer langen Verfolgungsjagd zwischen Reinert und Cole, die ziemlich langweilig ausfällt. Zumal Dick nach einer Weile ständig zwischen beiden Perspektiven hin und her wechselt und wir somit nur Dinge erfahren, die wir eigentlich schon längst wissen. Unnötige Wiederholungen, die die Geschichte leider noch mehr strecken. Generell hätte man „Der variable Mann“ mMn locker um die Hälfte kürzen können.

    Erstmals bekommen wir hier auch Coles besonderes Talent zu sehen: Er kann praktisch alles reparieren und hat scheinbar auch mit komplexen Maschinen aus dem Jahr 2128 kein Problem. Das ist natürlich ziemlich Quatsch.


    Kapitel 3: Reinert erkennt langsam das er seinen Feind unterschätzt hat, denn auch wenn er aus der Vergangenheit stammt, ist er ihnen aus technologischer Sicht weit überlegen - Zumindest will Dick uns das weismachen. Er erklärt das so: Da die Dinge immer komplexer werden, fokussieren sich die Forscher nur noch auf ihr jeweiliges Teilgebiet, verlieren dadurch aber das große Ganze aus den Augen und sind quasi vollkommen unfähig in irgendeiner Form zusammenzuarbeiten. Cole ist hingegen ein Allroundtalent der alten Schule. Wieso er jedoch Dinge reparieren kann, die 200 Jahre nach seiner Geburt entworfen wurden, wird dadurch allerdings nicht plausibel erklärt - Und das ist für mich einer der großen Knackpunkte in dieser Geschichte.

    (Zunächst dachte ich ja noch das es sich bei Cole in Wahrheit um Hedge handelt.

    Zur Erklärung: Hedge war ein genialer Wissenschaftler und quasi der Urvater des „Ikarus“-Projekts - Auch wenn er eigentlich gar keine Super-Bombe entwerfen wollte, sondern „nur“ eine Möglichkeit wie Menschen mit Überlichtgeschwindigkeit durchs All reisen können. Dummerweise explodierte sein Testobjekt und Hedge kam bei diesem Unfall ums Leben. Was wäre aber wenn er nie gestorben und durch die Explosion nur irgendwie in der Zeit zurückgeworfen worden wäre, seine Erinnerung, aber nicht seine Genialität verloren und die Identität von Thomas Cole angenommen hätte. Das hätte zumindest dessen Fähigkeiten erklärt.)

    Jedenfalls erkennt Sherikov (der Konstrukteur der Bombe) Coles Fähigkeiten und will sie zur Fertigstellung von „Ikarus“ nutzen. Eine Erkenntnis die man als Leser leider schon 80 Seiten vorher hatte und die daher nicht besonders überraschend erscheint. Dass Reinert ebenfalls nicht schon vorher auf die Idee gekommen ist, lässt ihn mMn ziemlich einfältig wirken - Aber laut Dick sind ja sämtliche Menschen absolute Fachidioten und nicht in der Lage auch nur einen Millimeter über ihren Tellerrand zu blicken. In einer satirischen Erzählung hätten solche Überspitzungen gepasst, hier wirkt sie eher albern und realitätsfern. Generell ein sehr zähes Kapitel, in dem fast nichts Relevantes passiert und nur das langatmige Katz- und Mausspiel zwischen Reinert und Cole fortgesetzt wird.


    Kapitel 4 oder „La grande Finale“: Mit Coles Hilfe wird die Bombe fertiggestellt und der Krieg beginnt - Aber Reinert ist immer noch davon besessen den „variablen Mann“ aus der Gleichung zu holen. Um es kurz zu machen: Das Finale ist eine endlose Aneinanderreihung von Action-Szenen, inklusive jeder Menge Explosionen, Schießereien und Weltraumschlachten. Geradezu unerträglich langweilig.

    Die abschließende Pointe ist jedoch wieder ganz gelungen und kam für mich dann doch unerwartet: Da die explosive Wirkung von Ikarus ja nie beabsichtigt war, sondern nur auf einer Fehlkonstruktion von Hedge basiert (die dieser nicht lösen konnte) und Cole jemand ist der einfach alles reparieren kann (wir erinnern uns), löst er nun den Fehler und macht aus der irrtümlichen Bombe nun wieder ein Überlichtgeschwindigkeits-Raumschiff. Der Krieg ist also gar nicht mehr nötig, da die Menschen die feindliche Galaxie einfach hinter sich lassen und endlich den Weltraum erforschen kann.


    Fazit: Eine sehr, sehr klassische Sci-Fi-Story, inklusive gigantischer Weltraumschlachten, extrem viel Technobabble, vorhersehbaren Entwicklungen und unzähligen Längen. „Der variable Man“ vereint so ziemlich alles, was ich an dem Genre nicht mag. Generell bin ich ja eher Fan von Dicks psychologischen, surrealen Geschichten.

    Und auch die Prämisse (Mann landet in der Zukunft und krempelt mal so eben eine komplette Gesellschaft um) ist nicht gerade neu und wurde z.B. schon zwei Jahre vorher in Asimovs Roman „Ein Sandkorn am Himmel“ behandelt. Der Roman ist auch deutlich besser als „Der variable Mann“. Um ehrlich zu sein: Hätte ich die Geschichte nicht im Rahmen dieses Lesezirkels gelesen, hätte ich sie spätestens nach der Hälfte abgebrochen. Bisher das absolutes Lowlight dieser Sammlung. (1,5/5)

    Neue Info via Facebook:


    "Halbzeit. Mehr als die Hälfte der Auflage ist bereits reserviert, knapp die Hälfte des Vorbestellungszeitraums ist bereits vorüber. Die Zeit der Feuerernte, ein Gemeinschaftsprojekt von Erik R. Andara, Ina Elbracht, Christian Veit Eschenfelder, Tobias Reckermann und Felix Woitkowski. Auflage der Erstausgabe: limitiert auf 50 Exemplare.


    Aber worum geht es dabei? Ginge ein Riss durch die Welt, welche Auswirkungen hätte das? Würden Kulte und Religionen um diesen Riss entstehen, diente er als Rechtfertigung für einen Kreuzzug und zugleich als Verheißung einer paradiesischen Anderswelt und der Hölle? Würde ein Wal, wie der der Jonas verschlang, durch diesen Riss in der Tiefe des Ozeans andere Welten erspähen? Ließe sich das Feuer aus dem Riss zur Erschaffung besonderer Artefakte nutzen? Würde allein das Hereindringen der Atmosphäre einer anderen Welt Mutationen und Krankheiten hervorrufen und so die Gesellschaften der Erde entzweien? Wie würden Künstler mit so einer umfassenden Veränderung alles Seienden umgehen?


    Die Zeit der Feuerernte ist spekulativ, mythisch auch und gewiss in hohem Maß literarisch. Verstrickungen zwischen ihren Textzeugnissen evozieren eine tiefere, vielleicht auch eine höhere Bedeutung. So etwas gibt es nicht noch einmal. Schließlich ist der Riss durch die Welt eine Singularität im wortwörtlichen Sinn."

    Im Englischen His Master's Voice. Ich denke, das hat einen etwas anderen Kontext (die Sache mit dem Hund und dem Grammophon) oder ist zumindest doppeldeutig.

    Dann bin ich ja beruhigt. Ich bin schon fast vom Glauben abgefallen ^^.

    Besonders mag ich "Der erste futurologische Kongreß".

    Ach ja, das hatte ich auch gelesen, bevor ich mir den Film angesehen habe.

    Als Film bevorzuge ich die Solaris-Verfilmung von Tarkovsky.

    Dito. Die verhasste Soderberg-Verfilmung hat dafür aber einen großartigen Soundtrack von Cliff Martinez, der ansonsten viel mit Nicolas Winding Refn zusammenarbeitet.

    Empfehlen würde ich einen Band mit 10 Erzählungen, Nacht und Schimmel (Suhrkamp); sowie den Roman Die Stimme des Herrn, der sehr politisch-philosophisch ist, aber auch dezent absurd & grotesk.

    Vielen Dank für die Tipps. Das sind jetzt zwei Bücher, die ich so gar nicht auf dem Zettel hatte. Und das du mir mal ein Buch mit dem Titel "Die Stimme des Herrn" empfehlen würdest, hätte ich auch nie für möglich gehalten ^^ .

    Bisher gelesen habe ich "Solaris" (natürlich!), "Also sprach GOLEM", die "Sterntagebücher" und "Memoiren, gefunden in der Badewanne"... und das war es leider auch schon. Die letzen zwei Bücher hat mir damals ein guter Freund und begeisterter Lem-Fanatiker ans Herz gelegt. Sie haben mir auch gut gefallen, allerdings ist es schon Jahre her, dass ich sie gelesen habe und ich kann mich kaum noch an den Inhalt erinnern.