Habe jetzt auch die letzten zwei Novellen gelesen:
Hoch oben (circa 140 Seiten):
"Ein junger Mann fliegt für seinen ersten Fallschirmsprung hoch in den Himmel … und landet auf einer festen Wolke, die von einem eigenen Verstand belebt zu sein scheint und Gedanken lesen kann."
Eben noch im Flugzeug, plötzlich an einem äußerst irrationalen Ort gefangen, von dem es kein Entkommen gibt... Der Beginn von "Hoch oben" erinnert ein bisschen an die Serie "Lost". An John Ajvide Lindqvists fantastischen Roman "Himmelstrand" musste ich im späteren Verlauf ebenfalls denken.
"Hoch oben" ist jedenfalls eine wirklich schräge, leicht surreale Robinsonade, die gleichzeitig aber auch "nur" die Halluzination eines ge- bzw. verstörten Mannes sein könnte. "Hier auf der Wolke gab es gar kein Narrativ, geschweige denn einen Wirbel verrückter Traumereignisse. Ein Moment ging einfach so in den andern über."
Um am Ende kommt sogar noch eine Prise Cosmic Horror dazu. Großartig. Und der Beweis, dass sich Reinhard Mey all die Jahre geirrt hat: Die Freiheit ist üben den Wolken nämlich ganz und gar nicht grenzenlos.
Regen (circa 150 Seiten):
"An einem scheinbar gewöhnlichen Tag in Colorado öffnen sich die Wolken und es regnet Kristallsplitter, die jede Person zerfetzen, die ohne Deckung ist. Dieses Phänomen droht sich wie eine Apokalypse auf der ganzen Welt auszubreiten."
Im Nachwort bezeichnet Hill die Geschichte als eine Parodie auf seinen letzten Roman "Fireman" und erklärt, dass der Wahlsieg von Donald Trump, die Handlung der Novelle stark beeinflusst hat. Und auch wenn sie bereits vor mehreren Jahren geschrieben wurde, muss man beim Lesen noch permanent an die aktuelle Corona-Pandemie denken.
Im Prinzip ist "Regen" eine recht typische und unoriginelle Post-Apokalypse-Story (inklusive der obligatorischen Weltuntergangs-Sekte, einem beschwerlichen Roadtrip, Freunden, die zu Feinden werden usw.). Ähnlich wie in John Nivens kürzlich erschienenen Roman "Die Fuck it-Liste" (welcher ebenfalls mit der Trump-Regierung und dem momentanen grassierenden Wahnsinn abrechnet), geht es hier aber gar nicht so sehr um die Handlung, sondern um das Gesellschaftsbild, welches Hill uns währenddessen präsentiert.
Die Botschaft wird zwar ähnlich subtil an den Leser gebracht, wie in "Geladen" (Protagonistin Honeysuckle Speck kämpft sich durch religiöse Fanatiker, misogyne, homophobe Dreckssäcke und rassistische Mörder), dennoch hat mir die Geschichte wesentlich besser gefallen. Auch wenn sie durchaus ein paar Längen besitzt, Hill es manchmal deutlich übertreibt und das Ende bzw. die finale Auflösung hinter dem Kristallregen (die eigentlich niemand gebraucht hätte) mMn völlig misslungen sind.
Alles in allem ist "Strange Weather" aber eine äußerst abwechslungsreiche Sammlung geworden: Coming-of-Age-Horror, Anti-Waffen-Thriller, Sci-Fi-(Alp)Traum, Post-Apokalypse-Story... Abgesehen von "Geladen" fand ich die Novellen auch größtenteils sehr gelungen. Kann man machen...