Beiträge von Cheddar Goblin

    Inzwischen beendet...


    Vorab:

    Man kann dem Wandler Verlag gar nicht genügend dafür danken, dass er sich (neben Whitetrain) darum bemüht moderne Weird-Fiction nach Deutschland zu holen und Werke veröffentlicht, die hierzulande ansonsten nie eine Chance gehabt hätten. Damit dass ich irgendwann mal eine übersetzte Version von Vandermeers Romandebüt "Veniss Underground" in den Händen halten würde, hätte ich wirklich nie gerechnet.


    Über das Buch -"Ich möchte dir von der Stadt erzählen" :

    Präsentiert wird diese surreale Geschichte aus der Perspektive von drei Personen – Nicolas, Nicola & Shadrach:


    Nicolas: Der erste und auch kürzeste Teil. Nicolas entwirft lebende Kunst und macht sich auf die Suche nach Quin - dem Prinzen der genetischen Erneuerung - um von ihm ein Erdmännchen zu kaufen. Quin ist so etwas wie der Herrscher/Schöpfer/Gott der Stadt Veniss, doch gesehen hat er ihn noch nie. Schon bald wird er sich wünschen, das wäre auch so geblieben: "Selbstportrait des Künstlers als ein Quader aus Fleisch, Farbgebung gelblich-braun, ähnlich einem Hauttransplantat, bevor es einheilt, und mit Augen gepickt – blinzelnden Augen und nicht blinzelnden Augen, Augen, die zwinkerten und alle starrten mich an, der ich sie anstarrte." Danach ist er spurlos verschwunden.

    Aufgrund der Sprache, die Nicolas selbst kreiert hat und "Slangjockey" nennt, ist der Einstieg zunächst etwas gewöhnungsbedürftig und anstrengend, aber wenn man mal drin ist, entfacht das Ganze eine enorme Sogwirkung. Sowieso steigert sich die Geschichte von Kapitel zu Kapitel...


    Nicola: Hier folgen wir Nicolas Zwillingsschwester, die sich nun auf die Suche nach ihrem verschollenen Bruder macht. Der Abschnitt ist in der Du-Form verfasst und die Sprache wesentlich poetischer als noch im ersten Teil. Hier finden sich auch leichte Elemente eines Detektivromans - Wenn Nicola den "Wald" erreicht, wird ihre Suche aber schnell zum reinen Horror: "Ihr seid nicht die Herren der Welt. Denn was Quin's Shanghai Menagerie bedeutet, ist das; die Auslöschung der Menschheit. Die Menschen an denen du auf dem Heimweg vorbeikommst, diese Lenkenden und Gelenkten – wissen sie schon, dass man sie vom Thron gestoßen hat? Dass sie am Ende sind? Wie lange, bis sie begreifen?"

    Die lebenden Kunstwerke, die sich systematisch zerfleischen, haben mich zudem stark an Cronenberg (besonders dessen "Crimes of the Future") erinnert. Außerdem hat der Nicola-Part ein wirklich grandioses Ende. Danach wird man Erdmännchen garantiert nie mehr mit den gleichen Augen sehen!


    Shadrach: Letzter und längster Teil. Shadrach ist der ehemalige Geliebte von Nicola und versucht herauszufinden, was mit ihr passiert ist. Er begibt sich dafür in den Untergrund von Veniss und wühlt sich dort durch Berge von verfaulendem Leben und stinkenden Kadavern. Dort unten erwartet ihn seine ganz persönliche Hölle und je tiefer er kommt, desto grausamer und perverser wird es.

    Ein extrem düsterer, intensiver und absolut hoffnungsloser Alptraumtrip, für den man bisweilen auch einen starken Magen braucht – Zum Beispiel wenn Shadrach die "Kathedrale des Blutes" erreicht: "Hinter diesem Tor – Fleisch, ungeheure Massen an totem Fleisch, menschliches Aas. Lebende Gestalten krochen darauf herum wie Fliegen, wie Maden, Kinder taten unaussprechliche Dinge mit zerstückelten Körpern. Sie gruben die Augen aus den Köpfen, die zwischen Metallstreben der Torflügel steckten..."

    Erinnert anfangs an Dantes "Inferno", entwickelt sich aber irgendwann zur wirklich schrägen Rachestoty. Mit dem Gollux, der von sich nur in der dritten Person spricht, kommt gegen Ende dann sogar noch eine Prise Humor dazu ("Der Gollux ist ein makelhafter Befinde-Ort, nicht ein makelhafter Gollux."). Eine Figur die auch aus Hensons "Labyrinth" stammen könnte und die ich sofort in mein Herz geschlossen habe.


    Fazit:

    Experimentell, weird, surreal, anspruchsvoll, unglaublich intensiv, spannend, witzig und auch teilweise außerordentlich brutal. Mich hat Vandermeers Romandebüt ziemlich weggeblasen und ich konnte das Buch kaum auf der Hand legen.

    Die extrem nihilistische Welt die er entwirft, könnte auch aus einem Anton Volodin-Roman stammen. An William Hope Hodgsons "Nachtlande" musste ich gelegentlich auch denken. Und Cronenberg-/Bodyhorror-Fans kommen bei der Lektüre sicher ebenfalls auf ihre Kosten. Was sich Vandermeer an Kreaturen/ Deformationen/ Mutationen ausgedacht hat, lässt jedenfalls selbst den Crawler aus "Annihilation" wie ein Schoßhündchen wirken. Eine wahre Symphonie der Fäulnis und Körpertransformation. Was den Ekel angeht, braucht sich das hier definitiv nicht vor Flavius Ardeleans "Der Heilige mit der roten Schnur" zu verstecken

    Natürlich ist der Roman recht speziell und auch nicht für jeden geeignet, wer aber mit oben genannten Autoren/Künstlern etwas anfangen kann und/oder sämtliche Whitetrain-Veröffentlichungen und "Southern Reach"-Bände im Regal stehen hat, sollten hier definitiv zugreifen. In meinen Augen ist "Veniss Underground" ein absolutes Meisterwerk in Sachen Surrealismus und New-Weird! Und neben Alexander Zelenyjs "Tiere des Exodus" das Beste, was ich dieses Jahr gelesen habe. Man kann nur hoffen, dass das Buch nicht die letzte Vandermeer-Übersetzung aus dem Wandler-Verlag bleiben wird. (10/10)

    Ich lese staunend und absolut fasziniert deinen Leiber-Rundumschlag.

    Das freut mich, Katla. Macht bisher auch großen Spaß. Zumindest meistens.

    Guck mal hier. Das sieht auch in den direkten Links bestellbar aus.

    Tausend Dank für den Link. Ich hab das Buch jetzt einfach mal auf Rechnung bestellt. Paypal geht nicht und meine Kreditkarte ist kürzlich abgelaufen (und ich habe die aktuelle noch nicht aktiviert). Bin mal gespannt, ob sich der Verkäufer bei mir meldet.

    Das Buch ist leider nicht mehr zu kriegen. Auch nicht antiquarisch. Zumindest habe ich im Internet bisher kein Angebot gefunden. Wenn es hier im Forum aber jemand besitzt und zufällig loswerden will, kann er sich gerne bei mir melden.

    Leibers Nachlass ist sicher ein spannendes Thema, zu dem ich jedoch überhaupt nichts beitragen kann. Dafür kann ich aber zu folgendem Buch/Heft etwas sagen:


    Tödlicher Mond



    Inhalt & Meinung:

    In dieser Storysammlung sind die Geschichten "Der Zauberwald", "Tödlicher Mond", "Dr. Komotevskys Tag", "Das Schiff startet um Mitternacht" und "Die Atmosphärenbremse" enthalten. "Der Zauberwald" (aka "Der verzauberte Wald") und "Das Schiff" finden sich auch in "Die besten Stories von Fritz Leiber" und wurden hier schon thematisiert. Beides wirklich starke Erzählungen. Der Rest:


    "Tödlicher Mond": Janet leidet unter einer extremen Mondfurcht. Ihr Vater beauftragt deshalb den Psychologen Dr. Snowden, um sie von ihrer Phobie zu befreien. Doch ihre schlimmsten Alpträume sollen sich schon bald bewahrheiten...

    Man erkennt hier durchaus ein paar Figuren, Muster und Ideen, die Leiber später noch in seinem Roman "Wanderer im Universum" aufgreifen sollte. Und auch genretechnisch präsentiert er in "Tödlicher Mond" mal wieder einen recht wilden Mix: Horror, Sci-Fi & jede Menge Psychoanalyse. Daneben geht es noch um die Welteistheorie, bizarre Kometen, Gedankenwellen, Skeletttürme und Mondspinnen. Ähnlich wie der erwähnte Roman "Der Wanderer" besitzt die Geschichte auch ein wirklich überraschendes Ende, das man so sicher nicht vorhergesehen hat. Richtig gut!

    "Dr. Komotevskys Tag": Hier lernen wir diverse Anhänger eines obskuren Buches kennen, in dem behauptet wird, dass die Planeten unseres Sonnensystems regelmäßig die Plätze tauschen. Als dann plötzlich immer mehr kleinere Monde verschwinden, fühlen sie sich sofort in ihrer Theorie bestätigt. Doch die Wahrheit ist eine völlig andere...

    Die Geschichte wird immer wieder durch leicht surreale Traumsequenzen unterbrochen - Aber auch ansonsten passiert hier extrem viel: Das mysteriöse Verschwinden berühmter Persönlichkeiten; Menschen, die zu Göttern werden; sehr viel Polygamie; ein gewaltiger Krieg höherer Wesen... und sogar der Ursprung der Menschheit wird dem Leser in einem genialen Twist offenbart. Zudem sind hier erneut diverse Parallelen in Bezug auf "Der Wanderer im Universum" zu erkennen. Nur über das Ende kann man sicher streiten - Es fällt aber zweifelslos wieder sehr unvorhersehbar aus. Eine richtig starke Geschichte.

    "Die Atmosphärenbremse": Wir befinden uns mitten in einem intergalaktischen Krieg gegen einen nicht näher benannten Feind. Primär folgen wir dabei Grunfeld, der nach Überlebenden einer gigantischen Uranusexplosion sucht.

    Leiber verschwendet hier sehr viel Zeit für das Worldbuilding, welches für eine Kurzgeschichte mMn viel zu ausführlich und umfangreich ausfällt. Generell ist "Die Atmosphärenbremse" eine äußerst zähe Kriegsgeschichte, voller Technbabble und physikalischem Blabla über Bremswege und ähnlich spannende Themen. Am Ende wird dann wenigstens noch der große Feind offenbart - Spoiler: Es sind Weltraumwale. Gähn!


    Erwähnenswert ist aber sicher noch die Werbung im Innenteil der Sammlung. Der Verlag scheint damals jedenfalls ein recht spezielles Bild von seinen Lesern gehabt zu haben, das in etwa so aussehen dürfte: Männliche, weltfremde und schwächliche Sci-Fi-Nerds, die wahlweise zu unattraktiv oder gestört sind, um eine Frau abzukriegen. So werden hier u.a. Ohrenkorrekturen, Anti-Pickel-Mittel, Kraft-Dragees und Hilfe gegen Erröten, Hemmungen oder Bettnässen angeboten. Und "Wie man Frauen erobert" kann man auch noch erfahren. Und sollte das alles nichts helfen, kann man sich immerhin einen Band voller reizvoller Fotos und Zeichnungen bestellen, der "die Steigerung der körperlichen und seelischen Liebesharmonie" verspricht.

    Shut up and take my money!!!


    Fazit:

    Eine kurze und auch kurzweilige Storysammlung, die besonders interessant ist, wenn man zuvor "Wanderer im Universum" gelesen hat. Und zum muskelbepackten Sexgott wird man nebenbei auch noch. Was will man mehr?

    Ich mach jetzt aber trotzdem erst mal eine kurze Leiber-Pause und werde mich danach endlich seinen Fafhrd-Storys widmen.

    Gestern ist der Score zum neuen A24-Horrorfilm "Bodies Bodies Bodies" erschienen. Komponist ist Disasterpeace, der u.a. schon für den großartigen "It Follows"-Soundtrack verantwortlich war.


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    Dieselbe ist als Der Schrecken aus den Tiefen im 6. Gespensterbuch (Vampirnächte) des Bastei Lübbe-Verlags erschienen.

    Danke für den Hinweis. Das wusste ich nicht.

    Was echte Pastiches angeht, so würde ich hier z. Bsp. Robert Blochs Der Schatten aus dem Kirchturm (The Shadow from the Steeple) den Vorzug geben. Keine Parodie, aber eine Antwort auf Lovecrafts The Haunter of the Dark, welches wiederum von Blochs The Shambler from the stars befeuert wurde.

    Klingt interessant. Du weißt nicht zufällig in welcher Storysammlung/Anthologie "Der Schatten aus dem Kirchturm" zu finden ist?

    Wenn ich mit Leiber durch bin, wollte ich mich passenderweise sowieso etwas intensiver mit Bloch bzw. dessen Sci-Fi- & Horrorgeschichten auseinandersetzen. Aktuell habe ich "Das Regime der Psychos", "Kein Platz auf der Erde", "Die besten SF-Stories von Robert Bloch", "Unheimliche Schattenlichter", "Eine irre Show", "Der Besucher aus dem Dunkel", "Dr. Jekylls Erbe" und "Cthulhus Rückkehr" auf dem SuB liegen. Für weitere Empfehlungen, abseits von "Psycho", wäre ich sehr dankbar.

    Inhalt & Meinung (Teil 2):


    Die Kurzgeschichten & Gedichte:

    Für mich definitiv der interessanteste Part des Buches. Enthalten sind 8 Kurzgeschichten und ein Gedicht.

    Lyrik ist nicht unbedingt meine Baustelle, deswegen kann ich zu "The Demon of the Upper Air" nicht wirklich viel sagen. Die zwei Fafhrd-Geschichten "Adept's Gambit" und "Sunken Land" habe ich nicht gelesen, da ich mir erst kürzlich die vier EP-Bände gekauft habe und mich demnächst chronologisch durch diesen Epos arbeiten möchte. Und die Geschichte "A Bit of a Dark World" ist (unter dem Namen "Begegnungen mit der Schattenwelt") in der Storysammlung "Die Spiegelwelt" enthalten und wurde von mir bereits vorgestellt.

    Der Rest (der soweit mir bekannt ist, auch noch nicht übersetzt wurde):

    "Diary in the Snow": Der Erzähler ist mal wieder ein Schriftsteller. Er reist zu seinem Freund John, um in dessen Waldhütte endlich seinen Roman zu beenden. Zunächst genießt er die extreme Einsamkeit, die dort herrscht - "How wonderful to be away from people and newspapers and advertisments and movies – all that damable intellectual static" - doch eines Nachts beobachtet er dann einen seltsamen Lichtstrahl am Himmel und aus der Idylle wird plötzlich ein Ort des Grauens.

    Angst, Isolation, Eifersucht, jede Menge Whisky... ein bisschen hat mich diese beklemmende und wirklich unheimliche Geschichte an Robert Eggers Film "The Lighthouse" erinnert. Oder an T.E.D. Kleins "Die Ereignisse auf der Poroth Farm". Hauptsächlich ist das hier aber eine klare Hommage an Lovecrafts "Die Farbe aus dem All", mit einer Prise "Die Berge des Wahnsinns". Vielleicht nicht besonders originell, aber mMn dennoch ziemlich stark und atmosphärisch.

    "The Dreams of Albert Moreland": "I think of the autumn of 1939, not as the beginning of the Second World War, but as the period in which Albert Moreland dreamed the dream." Der professionelle Schachspieler Moreland berichtet dem Erzähler von seinen nächtlichen Alpträumen. Dort nimmt er an einem äußerst bizarren Spiel teil.

    Bei der Beschreibung des Schachspiels musste ich etwas an die surrealen Ereignissen im Roten Haus aus "Das Experiment" von den Strugatzkis denken, aber auch an Leibers Geschichte "Ich muss mal wieder würfeln", für die er 1969 ja sogar einen Hugo Award gewonnen hat. Ganz okay, aber wer eine wirklich gute Horrorgeschichte mit Schach-Thematik lesen will, sollte mMn eher zu "Moxon's Master" von Ambrose Bierce greifen. Über den Lovecraft-Einfluss kann man hier sicher auch streiten. Vielleicht sind mir aber auch einfach ein paar Anspielungen entgangen.

    "A Dead Man": Professor Max Redford ruft einen befreundeten Sci-Fi-Autoren zu sich, um diesem einen ganz besonderen Patienten vorzustellen - "Here was a person whose body was fantastically obedient to the dictates of his subconcious mind." Man kann ihm quasi jede Krankheit einreden, die dann sofort bei ihm ausbricht. Ein faszinierender Fall, doch Redfords Experimente werden schnell immer skrupelloser.

    Hier versucht sich Leiber erfolglos an "Re-Animator", aber auch ein paar Anspielungen an Poes "Die Tatsachen im Fall Waldemar" sind vorhanden. Noch deutlichere Parallelen gibt es aber zu Leibers (postum veröffentlichter) Novelle "Die Umtriebe des Daniel Kesserich". Diese fand ich zwar eher mittelmäßig, aber dennoch deutlich gelungener als "A Dead Man". Die Erzählung ist nämlich äußerst zäh und vorhersehbar geraten.

    "To Arkham and the Stars": Arkham, Miskatonic, Pickman, Cthulhu... in jedem Satz dieser Kurzgeschichte, befinden sich mindestens fünf Lovecraft-Anspielungen, was auf Dauer doch etwas anstrengend und nervig ist. Die eigentliche "Handlung" (wenn man es denn überhaupt so nennen möchte) ist auch nicht der Rede wert: Der namenlose Erzähler trifft in der Miskatonic-Universität ein und wird von einem gewissen Albert Wilmarth (siehe "The Whisperer in Darkness") herumgeführt und trifft dabei unzählige Figuren aus Lovecrafts Gruselkabinett.

    Es ist wohl das erste Mal dass die Universität wirklich beschrieben wird und als Handlungsort einer Geschichte dient, trotzdem kann man sich das hier sparen. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich "To Arkham" auch als eine frühe Fingerübung des Autors verbucht, tatsächlich wurde die Geschichte jedoch erst 1966 für die Arkham-House-Anthologie "The dark Brotherhood and other Pieces" geschrieben. Naja.

    "The Terror drom the Dephts": Ein Vater fertigt wie besessen Skulpturen von extrem bizarren Tentakelwesen an, die seinen Sohn George Reuter Fischer zutiefst verstören. Kurze Zeit später leidet George nicht nur unter schrecklichen Alpträumen, in denen er als wurmartiges Wesen durch gigantische Tunnel kriecht, sondern er fängt auch noch an zu schlafwandeln.

    Besonders die Beschreibungen der Träume gelingt Leiber recht eindrücklich: "And then in my next dream I did begin to see things – creatures – in the tunnels, floating through them in the same general rhythmic fashion as I progressed. They were worms about as long as an man and as thick as a man's thigh, cylindrial and untapering."

    Ansonsten steckt die Geschichte wieder voller Anspielungen an den Cuthulu-Mythos. Und sogar Lovecraft selbst wird hier als Figur verwurstelt. Das Name-Dropping und Referenz-Feuerwerk, das Leiber in den letzten zwei Geschichten betreibt ist schon wirklich extrem und rückt sie für mich fast schon in die Nähe einer Parodie. Das ist aber sicher Geschmackssache.


    Fazit:

    Briefe von Lovecraft, Essays über Lovecraft, Lovecraft-Pastiches... das Buch ist für Fans von Mister Providence sicher nicht uninteressant - Für Leiber-Enthusiasten jedoch nur bedingt zu empfehlen. Am interessantesten dürften für diese sicher noch die Kurzgeschichten sein. Wobei man aber sagen muss, dass hier zwar durchaus ein paar Highlights versammelt sind, das Meiste aber doch eher recht durchschnittlich ausfällt. Da hat Leiber deutlich bessere Horrorgeschichten verfasst.


    Anmerkung: Festa plant für nächstes Jahr ja einen Band mit Leibers Lovecraft-Geschichten. Ich könnte mir gut vorstellen, dass man sich dabei überwiegend an diesem Buch hier orientiert. Ich würde mir jedoch wünschen, wenn man für die deutsche Ausgabe noch die Geschichten "Der schwarze Gondoliere", "Die Spiegelwelt", "Das Ruß-Gespenst" und "Nachhutgefechte" aufnehmen würde. Diese haben nämlich ebenfalls ein deutliches Lovecraft-Flair und sind wesentlich stärker, als ein Großteil der Stories, die man in "Writers of the Dark" findet. Auch wenn sie schon alle übersetzt wurden und sich sich in diversen Anthologien finden.

    Das hört sich nach einem beneidenswerten Arbeitsplatz an!

    Schön wäre es! Aber die Tatsache, dass ich ein Buch mit zur Arbeit nehme, bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass ich es dort auch lesen kann.

    Wie zu sehen ist, wirst du ja außerdem die Bekanntschaft mit Fafhrd und dem Grauen Mausling machen …

    Ja. Ich bin mal über meinen Schatten gesprungen und werde es mit Fantasy versuchen. Ob es jedoch so schlau war, gleich alle vier Bände zu kaufen, sei mal dahingestellt :D.

    Was die Beziehung Leiber – Lovecraft angeht, so ist noch ein Titel besonders erwähnenswert: „Adept’s Gambit“

    Lovecraft hat die Geschichte wirklich gemocht. Danke für deine Erläuterungen, Axel. Ich habe hier auch etwas dazu geschrieben:


    H.P. Lovecraft & Fritz Leiber: Writers of the Dark



    Klappentext:

    "While Howard Phillips Lovecraft was closing the final chapter of his writing career, Fritz Reuter Leiber was only beginng to open his own. The year was 1936 and Jonquil Leiber, fritz's first wife, sent a letter on her own initative to Lovecraft, knowing that her husband had been an admirer of his work, ever since his first reading of 'The Colour out of Space' and hoping that Lovecraft's presence in Fritz's slow-paced writing career might be the source of inspiration he so dearly needed. Lovecraft replied promptly on November 2 of that year, the seed of an invigorating correspondence, which lasted till Lovecrafts's passing.

    'Writers of the Dark' presents Lovecraft's letters to Leiber, an impressive selection of Leiber's Lovecraft-inspired fiction, and a selection of Leiber's fine essays on H.P. Lovecraft and Matters Lovecraftian."


    Inhalt & Meinung (Teil 1):


    Die Briefe:

    Leider sind hier nur die Briefe enthalten, die Lovecraft an Leiber und seine Frau schrieb – Deren Antworten fehlen. Von Seiten Lovecraft wird jedenfalls ganz viel gebauchpinselt: Er schwärmt u.a. begeistert von Leibers Vater, den er als Schauspieler bewunderte - Und auch von den Kurzgeschichten, die Leiber ihm regelmäßig zuschickte, zeigt er sich völlig begeistert. Besonders die Fafhrd-Geschichte "Adept's Gambit" hat es ihm dabei angetan (siehe Axels Post). Ursprünglich waren dort auch noch diverse Anspielungen an den Cuthulu-Mythos enthalten, was Lovecraft doch spürbar schmeichelte. Im Zuge einer Überarbeitung entfernte Leiber jedoch sämtliche Bezüge, damit die Erzählung auf eigenen Beinen steht.

    Ansonsten gibt Lovecraft während ihrer Korrespondenz diverse Ratschläge/Schreibtipps, zitiert gelegentlich aus seinem "Supernatural Horror", schwadroniert viel über Algernon Blackwood und empfiehlt Leiber ein paar Bücher und Autoren: Clark Ashton Smith (besonders seine Hyperboria & Zothique-Geschichten), William Hope Hodgson und Robert E. Howard (besonders dessen Geschichten aus dem Hyborion Age). Alles nicht wirklich essentiell.

    Den letzte Brief an Leiber verfasste Lovecraft dann Ende Januar, 1937: Dort schreibt er, wie sehr er sich auf die Überarbeitete Fassung von "Adept's Gambit" freut und dass er es kaum erwarten kann, sie endlich in den Händen zu halten. Dazu sollte es jedoch nicht mehr kommen - Sechs Wochen später war er tot.


    Die Essays:

    In "Writers of the Dark" sind insgesamt zehn Essays von Leiber versammelt, in denen er sich mit dem Werk von H.P. Lovecraft auseinandersetzt. Die einzelnen Texte sind größtenteils jedoch recht kurz und umfassen nur wenige Seiten.

    Ich muss gestehen, dass ich noch nicht alle gelesen habe. Was ich bisher dazu sagen kann: Leiber schreibt u.a. darüber, was Lovecraft zur Weird-Fiction beigetragen hat bzw. was das Genre ihm zu verdanken hat, berichtet von ihrem gemeinsamen Briefkontakt, zählt seinen Lieblingsgeschichten auf und beschreibt ausführlich welchen Einfluss Lovecraft auf sein eigenes Werk hatte. Sicher alles ganz nett, aber neue Erkenntnisse darf man sich davon nicht versprechen.

    Im Roman "Herrin der Finsternis" schrieb Leiber über Lovecrafts "bedauernswerten, aber zweifellos vorhandenen Ekel vor den Schwärmen von Einwanderern, die, wie er fürchtete, die Traditionen und Denkmäler seines geliebten Neu-Englands und der ganzen Ostküste bedrohten." Daher hatte ich mir von seinen Essays durchaus einen kritischeren Umgang mit Lovecrafts Werk erhofft – Hier wird allerdings nur gehuldigt.

    Der Vollständigkeit halber hier mal noch die aktuellsten Zugänge:



    Die ungekürzte Fassung von "Wanderer im Universum", die Storysammlung "Tödlicher Mond" und sämtliche "Fafhrd"-Geschichten in vier Bänden.

    Ich bitte darum.

    Ich werde berichten. Allerdings komme ich momentan nicht viel zum Lesen. Außerdem hatte ich das Buch übers Wochenende dummerweise auf der Arbeit liegen lassen. Dafür hab' ich jetzt aber eine Kurzgeschichte von Leiber dazwischengeschoben, die ich noch auf dem eBook-Reader hatte:


    Cyclops



    Inhalt:

    Die Besatzung der Flea ist auf dem Weg zur Weltraumstation Outward Bound, um nachzusehen, warum plötzlich der Funkkontakt zur Mondzentrale abgebrochen ist. Dort angekommen, erwartet sie das absolute Grauen.


    Meinung:

    1965 geschrieben und erstmals in "Worlds of Tomorrow" veröffentlicht. Auf Deutsch findet man die Geschichte im 14. Band der Roman- und Anthologiereihe "Galaxis Science Fiction" (Titel: "Ein Faible für Dostojewski").

    Leiber macht hier von Anfang an klar, dass der Weltraum ein bedrohlicher, menschenunfreundlicher Ort ist: "Durch das große, gekrümmte Raumfenster sahen die Sterne aus wie Spinnenaugen in einem riesigen schwarzen Netz" und jedes gesprochene Wort betont die Stille "wie das Flüstern in einem Geisterhaus." Ein toter, kalter Ort.

    Auf dem Weg zur Outward Bound philosophiert die Mannschaft dann darüber wie fremdes Leben im Weltraum überhaupt aussehen und wie es, im Falle einer geplanten Invasion, die Erde erreichen könnte. Das hat mich doch etwas an Leibers Lovecraft-Hommage "Diary in the Snow" erinnert, wo sich ein Horrorautor in eine einsame Waldhütte zurückzieht, um dort ein Buch über genau dieses Thema zu schreiben. Während ihm jedoch partout nicht einfallen will, wie seine Tentakelmonster auf die Erde gelangen könnten, haben die Astronauten in "Cyclops" eine recht genau Vorstellung davon, wie die Wesen eine solche Reise bewerkstelligen könnten. Nett.

    Als sie die Station Outward Bound erreichen, wird es dann durchaus creepy und Leiber beschwört starkes lovecraft'sches Grauen herauf - Allerdings ist der Spuk auch wieder ganz schnell vorbei. Trotzdem hat mir "Cyclops" ziemlich gut gefallen. Ich musste beim Lesen auch gelegentlich an William Hope Hodgson denken. Besonders dessen Geschichte "The Derelict" ("Die Herrenlose") sei hier erwähnt. Nur dass Leiber die Handlung eben vom Meer ins Weltall verlegt.


    Fazit:

    Eine gelungene Sci-Fi-Horror-Story mit erkennbaren Anlehnungen an H.P. Lovecraft und W.H. Hodgson. Hätte mMn auch ganz gut in den "Yuggoth-Reiseführer" gepasst.

    Ich habe gestern wieder die Gelegenheit einer Tramfahrt für eine weitere short story genutzt...

    Freut mich immer, wenn du diesen Thread durch deine Leseeindrücke bereicherst. Schade, dass du mit deiner aktuellen Wahl aber anscheinend so daneben gegriffen hast.

    Ich halte mich vorerst an andere der von dir besprochenen Romane.

    Würde ich dir auch empfehlen. Vielleicht hilft dir dabei ja dies hier:


    Abschließende Meinung zu den Romanen von Fritz Leiber:

    Nachdem ich nun diverse Storysammlungen und all seine Romane gelesen habe, muss ich sagen, dass die Kurzform Leiber deutlich mehr liegt, als die Langfassung. Er selbst scheint das ähnlich zu sehen. Im Interview mit Paul Walker sagt er: "Es ist schwierig, die Stimmung von übernatürlichem Horror über die Länge eines Romans aufrechtzzuerhalten. Mir will auch kein Beispiel für einen gelungenen Versuch einfallen. Und seit die SF sich für Ideen, Meinungen und Spekulationen interessiert (und das, was unmöglich scheint, möglich macht), ist sie ebenfalls mehr für Kurzgeschichten geeignet – wahrscheinlich aber nicht in dem Maße wie das Horror-Genre."

    Wer also noch nichts von ihm gelesen hat, sollte mMn zunächst zu den zwei Goldmann-Bänden "Die Spiegelwelt" und "Spekulationen" greifen. Dort finden sich zweifelsfrei ein paar der beeindruckendsten und besten Sci-Fi- und Horrorgeschichten, die ich je gelesen habe. (Glücklicherweise habe ich aktuell noch sechs weitere Sammlungen von ihm vor mir liegen.)

    Trotzdem hat der Mann aber auch ein paar wirklich tolle und lesenswerte Romane geschrieben: Zum Beispiel "Herrin der Finsternis". Die Handlung besteht zwar größtenteils nur aus Gesprächen einer Künstlerclique über LSD, Psychosen, Geister, die Manson-Family, Anton La Vey, Aleister Crowley & Co., wenn es mal unheimlich wird, erreicht das Buch (abgesehen vom schwachen Ende) aber wirklich eine enorme Qualität. Auch wenn Leiber dort nie die Intensität seiner Horror-Kurzgeschichten wie "Begegnung mit der Schattenwelt", "Der schwarze Gondoliere" oder "Das Ruß-Gespenst" erreicht.

    Sein anderer Horrorroman "Hexenvolk" fand ich hingegen extrem anstrengend und nervig. Aber das ist durchaus eine unpopular Opinion, denn allgemein genießt das Buch ein recht hohes Ansehen und Autoren wie Ramsey Campbell und Stephen King loben es in den höchsten Tönen. Von meiner Kritik soll sich also bitte niemand abgeschreckt fühlen.

    Einer der gelungensten Leiber-Romane ist für mich aber sicher "Das Licht der Finsternis" - Denn dort findet man wirklich sämtliche Facetten des Autors abgebildet – Horror, Sci-Fi, Fantasy - it's all there. Und das auf gerade mal 230 Seiten! Ich habe den Roman in meinem Ranking zwar auf Platz 2 gesetzt (siehe unten), aber er hätte auch genauso gut ganz oben landen können.

    "Schicksal mal drei" kann ich Sci-Fi-Fans ebenfalls wärmstens empfehlen. Was hier auf 140 Seiten passiert, ist schon ziemlicher Wahnsinn. Neben dem wilden Genremix den man in Leibers Werken findet, sicher eine weitere Sache, die ich an diesem Autor so mag - Er verschwendet nie viel Zeit. Meistens jedenfalls. Andere Autoren hätten aus Geschichten wie "Das Licht der Finsternis" und "Schicksal mal drei" jedenfalls mindestens drei Bände herausgequetscht.

    Seine völlig durchgeknallte Satire "Das grüne Millennium" zählt allgemein zwar zu seinen schwächeren Romanen, aber auch dieses Buch hat mir richtig gut gefallen. (Eventuell die zweite unpopular Opinion in meinem Ranking.)

    Seine anderen humorvollen Romane können da jedoch leider nicht mithalten. "Ein Gespenst sucht Texas heim" war noch okay, "Die programmierten Musen", trotz großartiger Prämisse, hingegen ziemlich zäh. Man merkt dem Titel mMn einfach recht deutlich an, dass er ursprünglich mal eine Kurzgeschichte war, die Leiber dann zu einem Roman umgearbeitet hat.

    Generell ist er, was die Verteilung seiner Ideen angeht, recht inkonstant. Während manche Romane vor lauter Einfällen fast überquellen (Finsternis, Sicksal), haben Andere nur ein, zwei gute Ideen, die er dann über die gesamte Handlung streckt (Musen, Die Sündhaften).

    Auch die Romane für die er den Hugo Award gewonnen hat, konnten mich nicht völlig überzeugen: "Eine große Zeit" war überraschend langweilig, obwohl die Geschichte in einem wirklich interessanten Universum spielt. Dieses hat Leiber später glücklicherweise noch öfters aufgegriffen und dabei wesentlich gelungener umgesetzt. Z.B. in den Kurzgeschichten "Der Versuch, die Vergangenheit zu ändern" und "Macbeth und Queen Elisabeth".

    "Der Wanderer im Universum" punktet zwar mit einem fulminanten Finale, der Weg bis dorthin ist jedoch ziemlich anstrengend und wird durch unzählige quälende und teilweise wirklich unerträgliche Episoden künstlich in die Länge gezogen – Und dabei habe ich von dem Buch nur eine gekürzte Fassung gelesen. Außerdem ist er, genau wie "Ein Gespenst sucht Texas heim", in Sachen Political Correctness nicht besonders gut gealtert.

    Abschließend kann man also sagen, dass Leibers Romane doch äußerst durchwachsen sind. Ich habe es aber definitiv nicht bereut, sie alle gelesen zu haben und darunter ein paar wirkliche Perlen entdeckt.


    Hier noch mein persönliches Schulnoten-Ranking seiner Romane:


    Sehr gut:

    1. Herrin der Dunkelheit

    2. Das Licht der Finsternis


    Gut:

    3. Das grüne Millennium

    4. Schicksal mal drei


    Befriedigend:

    5. Ein Gespenst sucht Texas heim

    6. Die Umtriebe des Daniel Kesserich

    7. Wanderer im Universum


    Ausreichend:

    8. Die Sündhaften

    9. Die programmierten Musen


    Mangelhaft:

    10. Eine große Zeit

    11. Hexenvolk


    +++


    Aktuell lese ich übrigens gerade "Fritz Leiber and H.P. Lovecraft: Writers of the Dark" und bin bisher ziemlich begeistert. Eventuell werde ich über das Buch hier demnächst noch ein paar Wort verlieren.