Curt Hohoff – Die verbotene Stadt
Leinen, 160 Seiten, farbiger Kopfschnitt. Schutzumschlag von Gerhard M. Hotop
Carl Hanser. München 1958
Curt Hohoffs Die verbotene Stadt (1958)
ist der Bericht einer phantastischen Reise nach einem langersehnten,
unzugänglichen Ort. Als Parabel gedacht, entwickelt der kurze Roman
durchaus eine souveräne, unterhaltsame Qualität. So kann er auch
als Abenteuererzählung bestehen – und dementsprechend gelesen
werden.
Inhalt
Der Erzähler namens Ulrich ist
Mitarbeiter in der Redaktion eines Wörterbuchs. Seit seiner Kindheit
wünscht er sich, die verbotene Stadt zu besuchen: ein Plan, den
schon sein Vater verfolgte, wenn auch vergeblich. Die verbotene Stadt
liegt inmitten des zentralasiatischen Jenking, gut geschützt von
einer hohen Mauer. Ihr Wappentier ist das Einhorn, welches dort noch
heimisch ist.
Zitat
Es ist das stärkste, ungebärdigste
und wildeste Tier, das man sich denken kann. Es ist auf Erden
ausgestorben, weil für sein Freiheitsbedürfnis kein Platz mehr
bleibt. Die letzten Wüsten und Eismeere sind erforscht und
vermessen. Da hat sich das Einhorn, ich kann nicht sagen freiwillig,
aber doch auch nicht gegen seinen Willen, auf die verbotene Stadt
beschränkt. Dort weiß man um seine Hoheit und Macht, während man
es sonst fast überall für ein Tier der Fabel hält.
Gemeinsam mit seinem Freund, dem
Schotten Mac Alister, schließt sich Ulrich in Damaskus einer
Karawane nach Jenking an. Die Wüstenstadt ist Treffpunkt einer bunt
gemischten Gesellschaft aus Ost und West. Dort angekommen, begegnen
die Reisenden zu ihrer Überraschung diversen Bekannten und Freunden aus
Deutschland. Sie alle dienen, jede und jeder auf seine Art,
den Interessen Jenkings und letztendlich auch der verbotenen Stadt.
Namentlich diese gilt es zu schützen gegen einen bevorstehenden
Angriff der Tataren. Als die Attacke erfolgt, reihen sich auch Ulrich
und Mac unter die Verteidiger, die sich in der Ebene vor Jenking
sammeln. Ulrich wird dabei schwer verwundet. Erst die erlittene
Verletzung und die anschließende Rekonvaleszenz bringen ihn in die
verbotene Stadt. Hier klären sich für ihn drängende Fragen aus
Vergangenheit und Gegenwart, sein Leben bekommt eine neue Richtung.
Er verlässt die Stadt; im Herzen den Auftrag, künftig für ihre
Ideale einzustehen.
Eindruck
In
dem asiatischen Jenking und seiner Verbotszone hallt entfernt Alfred
Kubins exotische Traumstadt Perle (Die andere Seite) nach. Als
sagenhafter, vorläufig unerreichbarer Ort erinnert die verbotene
Stadt an Kafkas Schloss oder Lord Dunsanys Carcassonne. Als ein weiteres
Bauwerk kommt einem Dino Buzzatis Festung (Il deserto dei Tartari) in
den Sinn (nur dass der dort imaginäre Tatarenüberfall hier
tatsächlich stattfindet). Die von Hohoff gewählte Form der Parabel
ist freilich ein Grenzfall phantastischer Literatur. An Symbolen und
symbolhaften Elementen ist jedenfalls kein Mangel: Wunsch – Traum –
Reise – Suche – Jagd – Fabeltier – Verbot – Zugang –
Erkenntnis – Aufgabe … Dabei schlägt der Autor einen flüssigen,
gut lesbaren Ton an. Gedankliche Reflexion und Ereignisschilderung
halten sich die Waage. Nicht zuletzt bietet das Buch handfeste Action
und interessante Charaktere: eine Einhornjagd, den Tatarenangriff
oder einen schurkischen Karawanenführer, der unseren Gefährten
räudige Pferde andreht. Alls dies rechtfertigt vielleicht die
Einschätzung, dass wir es mit einer sublimierten Karl-May-Erzählung
zu tun haben.
Fazit
Auch wenn Ulrich und Mac schließlich die verbotene Stadt kennenlernen, offenbart
sie doch längst nicht ihre sämtlichen Geheimnisse. Was hat es etwa
mit ihrem unbescheidenen Anspruch auf Herrschaft über die Welt auf
sich? Oder mit dem dort gehüteten „verlorenen Roman“ Heinrich
von Kleists? Solche Dinge werden manchmal wie nebenbei erwähnt, doch
liegt gerade in ihnen der gedankliche Reichtum der Geschichte. Wer
sich für die deutschsprachige Literatur nach dem 2. Weltkrieg unter
dem Aspekt der Phantastik interessiert, ist mit dem sympathischen
Büchlein gut beraten. Mir ist es 4 von 5 Daumen wert.