Beiträge von klausb

    Diesen herben Zug entwickelt er erst so richtig nach dem Tod seiner Frau, als ihm also das "irdische Glück" offenbar versagt ist.

    Da stimme ich dir zu. Aber ein eher kontaktscheuer Mensch war er auch schon vorher und sein Verhältnis zu Frauen immer passiv. Tatsächlich bestimmt der Tod in starkem Mass sein Leben und Handeln. Angefangen mit dem Tod des Gutsbesitzers, der ihn indirekt ins Gefängnis gebracht hat, weil er ihn hart "angefasst" hat, dann die Toten beim Eisenbahnunglück (Anlass für seinen ersten Zeitungsartikel), der sehr plastisch geschilderte Kampf am Halsteadstreet Viaduct mit vielen Toten, der Tod seines Freundes Kenny und später der seines Ziehsohnes Ephraim (den Tod seiner Frau hast Du ja schon erwähnt) und ganz am Ende die Toten der Titanic. Übrigens finde ich die Titanic-Episode am schwächsten, und überhaupt den schwülstigen Schluss mit seinem Tod zur Wagnermusik samt einer Hurra-patriotischen Vision über das böse England, bah. War wohl der damaligen Zeit geschuldet, der 1. Weltkrieg hatte ja schon begonnen, macht die Sache aber nicht besser. Zumal O. Pietsch vorher durchaus zu differenzieren wusste.

    Es ist interessant, wie sehr die Genre-Einordnung von der Sicht auf Merten abhängt. Du empfindest ihn als Übermensch und Erlöserfigur, ich als überhöhtes Idealbild eines investigativen Journalisten und in seinem privaten Leben als einen Menschen, mit dem ich eher keinen Umgang haben möchte und dem ein Psychiater sicher gut täte. Mit anderen Worten, sehr menschlich, mit all seinen Marotten und Spleens.

    Nun ja, jeder liest das Buch auf seine Weise und die Grenzen zur Phantastik sind eben verschwommen und fliessend.

    Hallo,

    bin neu hier und muss gleich widersprechen :(

    Hatte das Buch auch mal gekauft, weil es in der Bibliographie von Robert N. Bloch aufgeführt wurde. Nach gründlicher Lektüre ist es aber von meinem Phantastik-Regal wieder zurück ins "normale" Belletristik-Regal gewandert.

    In meinen Augen ist es keinesfalls phantastisch, in welchen Bereich der Phantastik man es auch stecken möchte.

    Das Argument, daß es kein Findelkind gegeben hat, auf das die dort geschilderte Biographie zutrifft, reicht nicht aus, um es als phantastisch einzuordnen.

    Für mich ist Theodor Merten die Symbolfigur für einen investigativen Journalisten, der mit seinen Artikeln gegen soziale Ungerechtigkeit, Korruption und Verbrechen kämpft. Klar ist sein Aufstieg vom kaum amerikanisch sprechenden armen Einwanderer zum Zeitungszar stellenweise kaum vorstellbar, aber wiederum auch nur eine Abart des amerikanischen Traums "vom Tellerwäscher zum Millionär".

    Der ganze Rest ist mehr oder weniger genaue Widerspiegelung der Geschichte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ich will hier nicht ins Detail gehen, führe also nur ein paar Punkte an, wie z.B. den großen Eisenbahnerstreik von 1877, den Grenzkonflikt zwischen Venezuela u. British Guyana, die Dreyfus-Affäre, der zweite Burenkrieg, der Russisch-Japanische Krieg und sogar der Untergang der Titanic usw.

    Es ist natürlich auch kein Schlüsselroman, aber eine Zeitlang scheint die journalistische Tätigkeit (nicht die Biographie) von Theodor Merten sich stark an der des ungarisch-amerikanischen Journalisten Joseph Pulitzer anzulehnen:

    Erwerb der Zeitschrift "New York World", Unterstützung des Präsi­dentschaftskandidaten Grover Cleveland und die Spendenaktion für die Freiheitsstatue usw.


    Also, wo ist hier das phantastische Element? Gut, es gibt zwei Stellen, einmal als sein Ziehsohns Ephraim auf einem nächtlichen Ritt durch Afrika in einer Vision (oder ist es nur ein Traum?) einen Disput zwischen den fiktiven Figuren Samuel Pickwick und dem "britischen Genius" über den Burenkrieg beobachtet und eine weitere Vision von Theodor Merten, in der er die untergehende Titanic mit Großbritannien vergleicht, das ebenfalls auf dem Wasser schwimmt und sich für unsinkbar/unbesiegbar hält und trotzdem unaufhaltsam dem Untergang entgegengeht.

    Aber rechtfertigen zwei solche Stellen (gerademal ca. 10 Seiten in einem Werk von 560 Seiten) das ganze Werk für "phantastisch" zu erklären? Ich glaube nicht, zumal man beides auch, wie erwähnt, als (Tag-)Traum bzw. letzteres als lebhafte Vorstellung/Erkenntnis über die Rolle Großbritanniens in der Welt deuten kann.


    Zum Schluß noch zur Verfilmung des Romans, hat es die tatsächlich gegeben, auf welche Quellen stützt sich da der Wikipedia-Artikel? Es ist natürlich noch kein Gegenbeweis, aber ich habe bis jetzt zwar einen Film mit diesem Titel "Das Gewissen der Welt, 1. Teil - Schattenpflanzen der Großstadt" (1921) gefunden

    IMDb zu "Gewissen der Welt"

    aber die Liste der Personen (Senator Petersen, Frau von Senator Petersen, Carl, Lindholm usw.) hat nichts, aber auch gar nichts mit den Personen des Romans zu tun. Aber das nur nebenbei.


    So, sicher viel zu lang mein erster Artikel, aber ich wollte auch etwas bieten, über das man diskutieren und mich vielleicht vom Gegenteil überzeugen kann.