Beiträge von Katla

    Felix Huch, das gleich noch mal auflegen? Komisch.


    Ich hab beim verspäteten Frühstück jetzt drei Geschichten gelesen und bin wirklich mehr als hingerissen. Bislang ist da kein einziger Satz und kein Detail, die ich nicht absolut genossen hätte.


    Vielleicht bin ich noch nicht bei dem entsprechenden Text angekommen, aber hatte mir unter 'splatter' und 'extreme gory' eine andere Art Erzählen vorgestellt. Also die übliche zynische, empathiegestörte Haltung (ich werfe mit Steinen aus dem Glashaus, so hab ich selbst auch schon gelöst). Aber zumindest die drei Texte haben eine starke - dabei keineswegs spießige - Moral. Und große Empathie, besonders für das Andere. Die Texte laufen alle über poetic justice, was ich eigentlich hasse wie die Pest, aber hier erstaunlicherweise als absolut perfekt und emotional sehr befriedigend empfinde - vielleicht, weil man das trotz allem nicht Happy Ends nennen kann, es wird nicht irgendwie süßlich. Durchaus eine Märchenlogik, nur, dass die Normies die Bösen sind und die 'Monster' die Guten.


    Ich muss jetzt was anderes machen (selbst schreiben *gn*) und kann mich kaum losreißen - was für eine tolle Entdeckung!

    [Cof]

    Zu #693, Sofi Oksanen: Putins Krieg gegen die Frauen


    Ich warte eigentlich nur auf die englische Übersetzung, die es anscheinend noch nicht gibt (häh?). Ein bisschen schade, dass im Beitrag so wenig dieses spezielle Buch besprochen wird, sondern eher ein Überblick über ihre Themen & Motive versucht wird. Auch, wenn ich über jeden positiven Beitrag / Werbung zu Oksanen froh bin und auch, wenn ich nicht davon ausgehe, dass die Journalistinnen für einen knapp 8-Minutenbeitrag mehrere Bücher tatsächlich lesen, ist das eine - aus meiner Sicht - leider etwas reduzierte und ggfs. verfälschende Besprechung. (Und sie wird nicht "Soofi Oksahnen" ausgesprochen, sondern wie es eben geschrieben ist. *gn* Das war bissl quälend zu hören.)


    Übrigens nicht ihr erstes Sachbuch, sie hat zusammen mit der wunderbaren estnischen Autorin/Filmemacherin Imbi Paju einen - leider noch unübersetzten - dicken Wälzer zu stalinistischem Terror im besetzten Estland herausgegeben und mitgeschrieben: Kaiken takana oli pelko (Hinter allem war die Angst). Imbi Paju schrieb / drehte ihre eigene traumatische Familiengschichte, in der es um Mutter und Tante (Zwillingsschwestern) geht, die unschuldig verhaftet und gefoltert wurden: Memories Denied / Verleugnete Erinnerungen - mein Einstieg zum Thema, das mich seitdem nicht mehr loslässt. 2007 auf den Lübecker Nordischen Filmtagen gesehen und im selben Jahr das Okkupationsmuseum in Tallinn besucht - das auch einen extrem üblen Aspekt deutscher Historie offenlegt (nämlich die deutsche Nazi-Besatzung Estlands vor der durch die Sowjets).


    Es ist sicher so, dass Oksanen von Frauen aus Osteuropa bzw. dem Baltikum und speziell von der Geschichte und den aktuellen Folgen der sowjetischen Besatzung Estlands erzählt. Sie war auch eine der ersten, die sich gut sichtbar zum zweiten Angriff auf die Ukraine positionierte und schon länger über das Land schreibt. Aber ihr geht es auch stark darum, was Okkupationen und Terror mit der Psyche, der Persönlichkeit machen, und so sind viele ihrer Protagonistinnen ambivalent oder werden zu (Mit-)Täterinnen. In Hundepark ist ein Strang aus der gefühlskalten Sicht einer modernen Sklavenhändlerin (Ukrainische Leihmütter für den reichen Westen, hier Finnland) erzählt.

    Sicher sind die Täterinnen auch Opfer, aber durchaus solche, die das lange oder vollständig verleugnen und vom Elend anderer profitieren - sei es finanziell oder emotional. Siehe auch den absolut grandiosen Roman Fegefeuer (eigentlich: Säuberung). Nicht alle der Protagonistinnen sind sympathisch, andererseits so konzipiert, dass man sich auch nicht moralisch über sie erheben kann. Sondern nicht sagen könnte, wie man selbst in solchen Umständen handeln / denken würde. Und genau das macht Oksanens Bücher so anders, komplex, facettenreich und wichtig.


    Putins Krieg gegen die Frauen hätte ein wunderbares Pendant zu Victoria Amelinas erstem Sachbuch War and Justice Diary: Looking at Women Looking at War abgegeben, an dem sie arbeitete, als sie am Anfang Juli 2023 bei einem russischen Raketenangriff auf eine Shopping Mall getötet wurde. Es gibt Andeutungen, dass das auch im Original auf englisch geschriebene Buch posthum veröffentlicht werden soll (Stand Mitte 2023). Ich denke mal: Alles davon ein must read.

    Und wie schon gesagt sind ja Sofi Oksanen und Victoria Amelina auch Phantastikautorinnen, also keineswegs OT hier.



    Vielen Dank für den Tipp, lieber Felix - das klingt ja echt verrückt und nach einem ziemlich wilden Mix. Train to Busan meets "The Monkey's Paw"...


    Ich hab mal nach der englischen Übersetzung gelinst, und die heißt interessanterweise The Cursed Bunny. Wär mal spannend, welche Variante davon dem Original entspricht, das sind ja quasi zwei sich beinahe gegenseitig ausschließende Haltungen dem spekulativen 'Schuldigen/Täter' gegenüber.


    Die "sometimes extremely gory" (ThisIsHorror.co.uk) Kurzgeschichtensammlung war - im positiven Sinne erstaunlicherweise - auf der nur sechs Werke umfassenden Shortlist des renommierten International Booker Price, hat ihn aber leider nicht gewonnen. Das Buch schaue ich mir auf jeden Fall an, ein echt ein cooler Tipp und mal wieder ein Hoch auf dieses Forum! [Cof]


    Im Deutschen hat es ein tolles Cover, mal völlig weg vom Einheitsbrei.


    EDIT: Ich hab mir das mal als eBook geholt und bin rein von den ersten Zeilen der Titelgeschichte wirklich allerschwerstens begeistert. Keine Rollenprosa, kein Leser-Anbiedern, sondern klare Sprache mit Präzision und poetischer Ästhetik. Erinnert mich sogar an manches von Volodine - der ja mit der Autorin teilt, als Brotjob aus slawischen Sprachen zu übersetzen.


    Hier die erste Passage:


    Grandfather used to say, “When we make our cursed fetishes, it’s important that they’re pretty.”

    And the lamp, shaped like a bunny rabbit sitting beneath a tree, is truly pretty. The tree part looks a bit fake, but the bunny was clearly made with love and care. The tips of the bunny’s ears and tail are black, as are its eyes, and the body a snowy white. Its material is hard, but its body and pink lips are crafted to look soft to the touch. When the lamp is switched on and the light shines upon it, the bunny looks like it’s about to flick its ears or wriggle its nose.

    Every object has a story. This object is no exception, especially as it’s a cursed fetish. Sitting in an armchair next to the bunny lamp, Grandfather tells me the same story he’s already told me time and time again.

    The lamp was made for a friend of his.

    It is forbidden to make a cursed fetish for personal use. Also according to family tradition, it is forbidden to curse any handmade item. These unwritten rules have been passed down for generations in our family’s line of work: the creation of cursed fetishes.

    This bunny, however, is the only exception.

    Happy Birthday, Zwielicht! Uuuuh, da sind eine ganze Reihe Beitragende versammelt, auf die ich schon gespannt bin wie ein Flitzebogen! [Cof]


    Erstmal natürlich die anderen der Vier apokalyptischen Reiterinnen ( :) ) vom Anfang: Julia zu lesen ist immer ein Fest und ich bin gespannt, was hier Thema / Motiv ist. Dann sieht es so aus, als wäre Neles Text wieder ein modernes Märchen, da hatte mich im Z19 ja bereits ihr "Geburtstag ohne Simon" total geflasht (lieben Dank nochmal, Michael, für die 'Leihgabe' :- )). Ich finde ja, Nele sollte unbedingt einen ganzen Band davon schreiben - wie damals Angela Carters legendäre Sammlung Bloody Chamber.

    Und auf Inas Geschichte bin ich auch schon super neugierig,


    Auf Sascha Dinse und Max P. Becker freue ich mich auch schon. Viele andere kenne ich nicht (das wird sicher an mir liegen).


    Und Björn hat sich ja grad bei den letzten Covern beständig gesteigert (meine: von einem eh schon hohen Level), das wird sicher auch wieder klasse.


    Last but absolutely not least einen wirklich heißen Dank, dass ich wieder dabei sein darf - grad bei der 20, wo doch im Zwielicht zwar nicht meine erste Genre-Veröffentlichung, aber meine erste in der wahrgenommenen 'Szene' war. Also auch für mich ein schönes Jubiläum.

    :* [Gh2]

    Oooooooh, Martin Cell 71 - vielen lieben Dank, das freut mich ungeheuer! Dann hoffe ich mal sehr, dass auch der Rest keine zu großen Ausreißer für dich bereithält.


    Freut mich ungeheuer, dass du auch Steve Rasnic Tem mochtest - er hat übrigens gestern auf seiner FB-site bekannt gegeben, dass bei ihm Nierenkrebs diagnostiziert wurde! Er ist aber wohl in guten Händen, hat eine gute Krankenversicherung (in den USA ja nicht selbstverständlich) und klang recht zuversichtlich, dass ein erfolgversprechender Behandlungsweg - es stehen wohl zwei Ansätze zur Debatte - gefunden wird. Und er schreibt auf jeden Fall weiter.

    Andrew F. Sullivan: The Marigold

    ECW Press, Kanada 2023

    352 Seiten

    Buchvorstellung Verlag (mit Pressestimmen)

    Homepage Sullivan (mit einer Reihe kostenfreier Kurzgeschichten)


    Zum Inhalt: Siehe unter dem Bild.


    Vom Locus Magazine fälschlich als Debütroman gelistet (das war Waste von 2016), aber extrem spannend beschrieben und mit einem tollen Themenmix zwischen CliFi und paranormalem Hochhaus-Horror. Da schon mal einer der drei extrem beeindruckenden Türme - ich vermute Cromwell Tower - des Londonder Barbican Estates auf dem Covers ist, ich das Gebäude kenne und das auch ein Setting in einer meiner neueren KGs war, musste ich da einfach zugreifen. (eBook)


    Ich war auf den ersten 20 oder 30 Seiten überzeugt, hier einen würdigen Nachfolger für Harlan Ellison gefunden zu haben (auch das 'unhinged' der Pressestimmen hätte man noch zu Recht erwarten können), und stürzte mich in die Geschichte, vollkommen begeistert von einer Sprache, die kein überflüssiges Wort, keine Beschreibung / Erklärung zu viel hat und trotz eines schrägen Weltenbaus völlig auf Infodump verzichtet. Das Ganze spielt in einem Toronto der nahen Zukunft, aber es gibt - nicht nur durch das Coverbild - Verweise auf London: Ich nehme an, der nach seinem Erbauer benannte Marigold Tower spielt mal wieder auf Goldfinger an, den Architekten der Towers Balfron und Trellick.


    Nach und nach setzte allerdings die Ernüchterung ein: Obwohl in 3. Person mit auktorialen Anteilen erzählt, ist der PoV doch eher personal bei den jeweiligen Figuren, und davon gibt es einfach unübersehbar viele: Protagonisten wie Nebenfiguren, ich hab nicht gezählt, aber es werden bis über 20 verschiedene Blickwechsel sein - und zwar von Figuren, die teils nicht aufeinandertreffen. Es gibt sogar Backstories von denen, die innerhalb desselben Kapitels nach der Erstvorstellung sterben (und tot bleiben, also nicht mehr agierend auftauchen).

    Beim fünften Komplettwechsel (an dem Punkt überschneiden sich die Linien noch nicht) hat sich doch langsam die Neugier verabschiedet, zumal es sehr schräg, unheimlich und extrem geheimnisvoll beginnt, dann aber immer stärker in Alltagsprobleme wie 'kann jemand die Rechnungen zahlen' ausartet - das kenne ich selbst, davon muss ich jetzt nicht in Phantastik lesen.


    Nach und nach entpuppt sich das Ganze als eine Mischung aus Ballards High Rise und Adam Nevills Last Days (auf den bedrohlichen, schattenhaften 'Befall' bezogen), mit sowas wie der Umbrella Corporation im Hintergrund. Mal wieder sind Betongebäude in schlechter Qualität gebaut (was auf das Titelbild wie auch auf Goldfinger bezogen wie Rufmord erscheint), bieten derangierten - wenn auch teils reichen - Kriminellen ein Zuhause und erwachsen quasi-organisch aus etwas 'Bösem'. Das alles ist zwar paranormal und mit durchaus echten Horrorelementen, aber nicht so innovativ urban-mystisch wie man aus dem Intro annehmen könnte, sondern kocht sich auf die immer gleichen Verschwörungen, Kulte und Opferrituale runter. Wenn auch mit etwas mehr Phantasie hergeleitet und ausgeschmückt.

    Könnte mir gut vorstellen, dass China Miéville dieses Buch gern geschrieben hätte.


    Ich muss gestehen, dass ich nur drei der Stränge (nämlich die ersten Haupt-Protagonisten Cathy & Jasmine und dann "Soda" & Dale (sein Vater) sowie einen etwas später eingeführten Antagonisten Hans wort-für-wort las, die anderen ab Seite 100 nur im Quickread. Die konventionelle Gut/Böse-Aufteilung am Ende bzw. Showdown hätte ich nach dem stark innovativen Anfang absolut nicht vermutet und das hat mich mit einem ziemlich faden Nachgeschmack aus dem Roman entlassen.


    Nichtsdestotrotz: Sullivan ist eine - vor allem vom Sprachstil her - extrem interessante, (relativ) neue Stimme, den ich sicher noch weiter lesen werde. Z.B. Eine neuere KG gefällt mir ganz extrem gut, vielleicht ließe sich da eine Erlaubnis zum Übersetzen bekommen.




    In a near-future Toronto buffeted by environmental chaos and unfettered development, an unsettling new lifeform begins to grow beneath the surface, feeding off the past. *)

    The Marigold, a gleaming condo tower, sits a half-empty promise: a stack of scuffed rental suites and undelivered amenities that crumbles around its residents as a mysterious sludge spreads slowly through it. Public health inspector Cathy Jin investigates this toxic mold as it infests the city’s infrastructure, rotting it from within, while Sam “Soda” Dalipagic stumbles onto a dangerous cache of data while cruising the streets in his Camry, waiting for his next rideshare alert. On the outskirts of downtown, 13-year-old Henrietta Brakes chases a friend deep underground after he’s snatched into a sinkhole by a creature from below.


    All the while, construction of the city’s newest luxury tower, Marigold II, has stalled. Stanley Marigold, the struggling son of the legendary developer behind this project, decides he must tap into a hidden reserve of old power to make his dream a reality — one with a human cost.

    Weaving together disparate storylines and tapping into the realms of body horror, urban dystopia, and ecofiction, The Marigold explores the precarity of community and the fragile designs that bind us together.


    --

    *) Das 'feeding off the past' klingt super geheimnisvoll und vielversprechend, ist aber letztlich etwas extrem Banales.

    Lieber Frank Duwald , ich bin sogar 100% sicher, dass ich davon in diesem Forum las und mich dann erst online weiter nach Artikeln darüber umschaute. Das wird so auch nirgends groß erwähnt. Vielleicht hat die eine tolle Geschichte ja auch seine Schwester verfasst *gn* :P .


    Befremdlich finde ich, dass man Lovecrafts Namen kaum nennen darf, ohne eine halbe Seite politischer Einschränkungen kundzutun, die sich aber in erster Linie (wie bei James) auf sein Privatleben bzw. Briefe und Jugendgedichte beziehen. Bei James scheint sein disaströses Verhalten gar keinen Einfluss auf die Rezeption zu haben und bei Bram Stoker ebenfalls nicht, wobei er den allermassivsten Rassismus gegen alles, was nicht englisch-weiße Mittel-/Oberklasse ist (Schwarze, Asiaten bzw. Chinesen, Iren, Osteuropäer ... Arbeiter, Dorfbewohner), direkt in seinen Geschichten selbst stehen hat. Auch seine Frauenfiguren - bzw. eher die Schicksale, die jene erleiden, die aus der reproduzierenden / untergeordneten Rolle fallen - sind ja nicht so das Gelbe vom Ei.


    An sich stört mich die Abwesenheit von Frauenfiguren in Fiktionen gar nicht. Vor allem: Lieber gar keine Frauenfiguren als fiktionale Frauen in komischen Rollen. Selbst die rationalen Strugatzkis schrieben sie bissl in die 'gefühlsbetonte', 'spontan-naiv-irrationale' Ecke. Aber selbstverständlich ist - hehe - Muff total öde, da stimme ich dir sofort zu. Den können Frauen aber auch ganz gut (looking at you, Mrs. Radcliffe ...).

    Cool, vielen lieben Dank für die Info, Elmar! Das ist ja super, dann bekommt der endlich - zumindest potenziell - ein breiteres Publikum.


    Grad zwei Tage bevor das Filmteam das mit Netflix ankündigte, lehnte das Science Fiction Jahr meinen Vorschlag ab, den Film zu besprechen und ein Interview zu führen - mit der Begründung, man habe davon nie gehört und hätte nix gefunden, wo der zugänglich sei (naja, DVD/BluRay ...). Abgesehen davon, dass ich dachte, man wolle dort nicht Blockbustern hinterherhecheln, sondern auch Innovationen aufgreifen, hatte ich da wohl ein unglückliches Timing.


    Egal, ich wäre aber immer noch sehr gespannt, wie er anderen hier gefällt. Ich hoffe ja wirklich sehr, es gibt den irgendwann wo zu streamen / als VoD, hab keinen Player mehr und will auch nicht noch mehr Plastik/Scheiben in der Bude haben.

    Nils Zum Thema 'Übersetzungen' und KI: Das sehe ich auch mit Sorge. Vor ein, zwei Jahren konnte man noch gut lachen, dass da ziemlicher Schrunz rauskommt. Heute ...?


    Da es von Antoine Volodine kaum etwas übersetzt gibt, hatte ich vor zwei Jahren Lutz Bassmanns Black Village als eBook gekauft und durch DeepL gejagt (ins Englische, das Programm funzt nur, wenn eine Sprache Englisch ist). Ich hab fast nur Bahnhof verstanden und als das Buch ein Jahr später übersetzt rauskam, war die Differenz bodenlos.

    Volodine hat gerade den 49. und damit letzten Roman veröffentlicht, und ich kann nicht zehn Jahre warten, bis sich wieder ein Linguistik-Institut einer amerikanischen Uni erbarmt. Das eBook von Vivre dans le feu auch durch DeepL / Engl. geschickt - und heute liest es sich nahezu wie ein echtes Buch. Es fehlt die Schönheit der Sprache, die Sensorik, die Raffinesse - aber es sind (anders als bei Black Village) vollständige Sätze, die Sinn ergeben und in denen ich absolut die Handschrift des Autors erkenne.


    Das finde ich schon arg bedenklich - für mich ist das ja kein Buchersatz, ich würde es (wie Black Village) sofort als physisches Buch kaufen, erschiene es in einer Sprache, derer ich mächtig wäre. Aber wer - ich ziehe hier Vergleiche zum self publishing von Romanen, die nicht im Bearbeitungsstand eines regulär publizierten Romans sind - einfach nur so ungefähr mitkommen will, hat hier, was er sucht.


    Was eben die KI (noch?!) nicht kann: Die Satzstruktur einer Sprache ins Verhältnis zur anderen zu setzen. Das Deutsche hat einen wesentlich freieren Satzbau als das Englische, und das kann man sehr produktiv nutzen - und dabei eben immer noch ganz nah am Original bleiben. Ich hab auch mal getestet, was DeepL (Englisch) als 'editing' für Sachtexte anbietet und mir ist fast der Kaffee aus dem Gesicht gefallen - das jedenfalls geht gar nicht.


    Spannend wird imA, wenn DeepL und ChatGPT gezwungen würden, die illegal verwendeten Textkörper zu löschen. Und mit dem weitermachen, was dann übrig bleibt (einer Art kannibalistischen Sprachkorpus).

    Moin dear ralphomat ,


    die Ausgabe wundert mich ziemlich, es gibt ja die Collected Works (wirklich alles, was er geschrieben hatte) bereits seit längerem und das sind nun mal fast alles Ghost Stories.


    "Whistle ..." ist zu Recht im Klassiker-Kanon ganz oben und das wäre ein must read. (Steht aber glaube ich auch frei online.) Ich besaß mal die Collected Works und fand alles andere, das er geschrieben hat, unglaublich schnarchig und stilistisch erstaunlich schwach, heißt: Lahme Ideen, laberige Sprache ohne Modulation im Tempo, vom Vokabular / Syntax her sehr basic = unästhetisch, kein Spannungsbogen, vorhersehbar, kein anständiges Ende. Vieles beginnt mit einer interessanten Prämisse und einer netten Atmosphäre, führt dann aber irgendwie zu nix. ImA war "Whistle ..." so Art 'auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn'.

    Ich hab auch in jede Geschichte dort mit viel gutem Willen zumindest reingelesen, wenn nicht ganz durch. Kapiere absolut nicht, wie James zu dieser Berühmtheit kam, ganz ehrlich.


    Es hilft jetzt gar nix, dass James ein ultra-reaktionärer Spießertyp mit Stock im *beep* war, der seine lesbische Autoren-Schwester aktiv vom Veröffentlichen abhalten - und sie sogar ganz aus der Öffentlichkeit drängen - wollte. (Als ich seine Geschichten versuchte zu lesen, wusste ich allerdings von all dem noch nix - eigentlich hatte er bei mir massig Vorschusslorbeeren wegen dieser einen tollen Story.) Für Tipps, wo man ihre Texte bekäme, wäre ich nun wieder dankbar, ich hab mal irgendwo gelesen, dass sie wesentlich besser schrieb als er (und er ihr Ideen klaute? weiß nicht mehr genau).


    Du kannst dir jetzt sicher denken, was ich dir rate ... Meine Collected Works hätte ich dir sehr gern geschenkt, hab sie aber schon vor Jahren im offenen Bücherschrank unserer Bibliothek ausgesetzt.

    Allerdings muss ich nach 90 Seiten einräumen, der Roman ist schwülstig, die Personen selbstgefällig und Viktor Frankenstein ein eitler Popanz. Ach, das wird ein schwerer Gang und ich bin nicht sicher, ob ich bis zum Ende durchhalte.

    Oh oh. Ich bin inzwischen zur Überzeugung gelangt, dass wir damals im Seminar bereits die Urfassung von 1918 lasen. Da ist dann nur Percys 70-Seiten-Anfang nervig (kitschig, laberig), aber der Rest eigentlich nicht. Wenn ich dein Urteil höre, Michael, rate ich fast: brech das ab und lies die Urfassung. Gibt es auch bei Penguin DE / Anaconda, und zwar interessanterweise von Alexander Pechmann übersetzt.

    Die Presse schrieb dazu:

    »Alexander Pechmanns Neuübersetzung der Erstausgabe von 1818 bringt das aus heutiger Sicht etwas verschnörkelte Englisch des frühen 19. Jahrhunderts in ein klares Deutsch, ohne seinen oft schwärmerischen Ton zu verfälschen. Die Ausgabe ist darüberhinaus besser kommentiert als manche englische.«

    Süddeutsche Zeitung, Nicolas Freund (04. January 2018)


    Das jedenfalls entspricht meinem - überwältigend positiven - Leseerlebnis damals, wobei wir ja auch eine englische Penguin-Classics-Ausgabe vorliegen hatten. Da kann ich Tintenkiller s schönem Lob kaum etwas zufügen. Ich nehme jetzt im Nachhinein an, dass ich die editierte Version nie gelesen hab. Es wäre doch schade, wenn sich deine Meinung zum Buch so durch das Edit/Rewrite verziehen würde. Das ist eigentlich ein sehr frischer, moderner Roman (Form Follows Function bzw. Follows Motif, wenn man den Untertitel - der moderne Prometheus - bedenkt).

    Denke auch nicht, dass ich es im Nachhinein geschönt sehe, denn wir lasen im gleichen Seminar auch Ann Radcliffe, und der Kitsch-/Laber-Overkill da hätte mich um ein Haar gekillt.


    Albico Dass Pechmann Shelley auch übersetzte - und wenn man der Süddeutschen glaubt, wohl mit extrem sensibler Hand - macht seine Biografie natürlich extrem interessant. Vielleicht ist dann ja auch der so gelobte Kommentar in der deutschen Penguin-Übersetzung von ihm, würde zumindest sehr nahe liegen. Vielleicht schaffe ich mir die an, obwohl meine Tendenz da automatisch in Richtung englischsprachiges Original gegangen wäre. Wirklich super Tipp, danke sehr!

    Ah puha, @lieber Felix , dann ist ja gut. Dachte schon du denkst: Herrje, das weiß ich doch alles, wollte nur ...

    Ich muss wohl mindestens ein Buch kaufen, aber ob von Suhrkamp oder von Nautilus ist für mich noch nicht ganz klar.

    Hehe, das Kaufenmüssen sehe ich auch so.


    Als Entscheidungshilfe vielleicht:

    Das Hörrohr ist etwas 'wärmer', freundlicher und humorvoller als die meisten Kurzgeschichten und vielleicht besser zu genießen, wenn man die Art der Figuren und Motive bei ihr bereits kennt. Hauptprota ist eine sehr verschmitzte alte Frau (Dame, Hexe ...), eben die mit dem Hörrohr.


    Typischer für das Gesamtwerk wären imA die Geschichten in Die ovale Dame, ganz vor allem rate ich mit enthusiastischem Nachdruck, als erstes "Die Debütantin" zu lesen. Nicht nur, weil es eine ganz gemeine (und etwas blutige), aber auch empathische und extrem verrückte Geschichte ist, sondern weil sie mMn exemplarisch für das Werk steht. Das war auch mein Einstieg und danach wollte ich restlos alles lesen, was sie geschrieben hat.


    Unten wäre dann eine gute Ergänzung - denn obwohl es das reale Leben erzählt, fehlt es hier absolut nicht an phantastischen Eindrücken ... oder Albträumen.


    Das Haus der Angst hat imA einen etwas anderen drive als Die ovale Dame. Es ist düsterer, unheimlicher, bedrückender, aber wirkt teils auch etwas fragmentarischer vom Aufbau der Texte her (manches kam mir kaleidoskopartig vor, ohne Ende).


    In Kürze würd ich raten zu allem auf einmal dieser Reihenfolge:

    - Die ovale Dame (Qumran, auch, weil die Übersetzung toll und das Buch haptisch/optisch schön ist)

    - Unten (Suhrkamp)

    - Das Haus der Angst (Suhrkamp)

    - Das Hörrohr (Suhrkamp)


    Und weil du dann nicht genug hast, kaufst du die Theaterstücke und die Windsbraut, einfach der Vollständigkeit halber. :) [Cof]


    Die Theaterstücke sind very nice to have, wenn man mit der Prosa durch ist. Hier werden einige storylines und Figurenkonzepte aufgegriffen und neu erzählt, es wiederholt sich dann einiges (wobei das auch wunderbar ist, nix von dem, was ich sage , ist irgendwie negativ gemeint).

    Viel Spaß und berichte bitte, wie es bei dir ankam. [Gh2]