Im Schatten:
Ein Mann verbringt fast sein ganzes Leben in seiner Bibliothek. Er hat sich währenddessen mit „Albert Magnus, dem Aquianten, Augustinus beschäftigt, hatte dunkle Traktate der Alchemisten gelesen und sogar den Hexenhammer zu Rate gezogen“, aber Gott hat er in all diesen Werken nicht gefunden. Als er seine gesamten Bücher verbrennt, erscheint vor ihm plötzlich ein mysteriöser Mann, der ihm verspricht das zu verschaffen, wonach er sein ganzes Leben gesucht hat.
Ein Mann, der auf der Suche nach Gott den Verstand verliert und ein Beweis dafür, dass man nicht immer finden will/sollte, was man sein ganzes Leben gesucht hat - Denn manchmal ist die Wahrheit so grauenvoll, dass man sie einfach nicht ertragen kann. Hat mich stark an eine Geschichte erinnert, die ich vor Jahren mal gelesen habe. Ich glaube sie stammte von Clark Ashton Smith. (3/5)
In Stein:
Martins Frau ist vor 11 Monaten gestorben. Seitdem leidet er an starken Depressionen und hat dadurch seinen Job verloren. Immer häufiger fängt er an mit sich selbst bzw. mit seiner toten Frau zu reden - Doch die unendliche Leere die er verspürt, lässt sich so auch nicht vertreiben.
„Nach ihrem Tod hatte er gehofft, ein Zeichen von ihr zu erhalten, aber nichts war gekommen. Inständig hatte er sich gewünscht, noch einmal mit ihr vereint zu sein, sei es auch nur im Traum. Nicht einmal dieser Wunsch wurde ihm erfüllt.“
Doch dann entdeckt er in seinem Garten einen Stein, der die Gesichtszüge seiner Frau zu tragen scheint. Danach ist er von der Idee besessen, eine Statue von ihr zu erschaffen. Eine Statue, die die Ewigkeit überdauern soll.
Man kann „In Stein“ und besonders dass Ende eventuell etwas kitschig finden - Wenn man aber weiß, dass Siefener das gleiche Schicksal wie die Figur in seiner Geschichte teilt und dessen Frau ebenfalls nach einer schweren Krankheit verstorben ist, fällt diese harte Betrachtungsweise eher schwer. Die Geschichte zu bewerten, erscheint mir daher fast schon unmöglich. Zumal ich das starke Gefühl habe, dass sie der Autor (trotz Veröffentlichung) eher für sich selbst geschrieben hat. Sie lässt den Leser jedenfalls in einer äußerst melancholischen Stimmung zurück, die noch lange nachhallt. (Keine Wertung)
Hinter dem Spiegelglas:
Miriam verlässt fast nie ihre Wohnung. Nur nachts traut sie sich zum Briefkasten um die Post zu holen, da zu dieser Zeit keine Gefahr besteht auf einen anderen Menschen zu treffen. Denn „wenn sie jemand ansähe, würde er ihr ein Stück Seele aus den Augen ziehen. Oder ihr Blut nehmen. Denn die Anderen waren Vampire. Alle.“ Bei einer ihren nächtlichen Briefkasten-Ausflüge fällt jedoch dummerweise ihre Wohnungstür ins Schloss und sie steht völlig allein und schutzlos im dunklen Treppenhaus.
Der Titel der Geschichte lässt einen natürlich sofort an Lewis Carrolls „Alice“-Fortsetzung denken, doch damit hat „Hinter dem Spiegelglas“ nicht viel zu tun. Siefener zeigt uns hier stattdessen die gestörte Psyche einer zutiefst verängstigten Frau, die alles als Bedrohung auffasst - Besonders Männer. Ein bisschen fühlte ich mich daher an Polanskis „Ekel“ erinnert. Wenn die „Vampire“ auftauchen, kommt aber auch noch eine kleine Prise von „Ich bin Legende“ (Richard Matheson) hinzu.
Es ist jedenfalls beeindruckend wie Siefener es schafft dass harmlose Szenario - Frau sperrt sich aus - für den Leser wirklich beängstigend erscheinen zu lassen.
Oder ist die Bedrohung vielleicht tatsächlich real und gar keine Wahnvorstellung? Und wer muss hier eigentlich vor wem Angst haben? Nett. (3/5)
Hotel Kehrwieder:
Einem plötzlichen Entschluss folgend, kehrt Alfred L. zu dem Ort zurück, an dem er vor über 20 Jahren mit seinen Eltern regelmäßig den Sommerurlaub verbracht hat. Da alle Unterkünfte ausgebucht sind, landet er nach einer langen Suche in einem äußerst seltsamen Hotel, das fast vollständig von Blattwerk verdeckt wird. Nur mühsam findet er überhaupt den Eingang. Es wäre allerdings besser gewesen, er hätte ihn nicht gefunden.
Seltsame Rohre, sonderbare Pflanzen und ein undurchdringbarer Nebel, der ihn ans Haus fesselt, sorgen dafür dass er schon sehr bald den Verstand verliert. („Waren es überhaupt Pflanzen, die auf dieser Welt heimisch waren, oder auf einer anderen, in einer anderen Wirklichkeitsebene, einem Fiebertraum oder einem Opiumrausch vielleicht?“). Und wie lange ist er eigentlich schon an diesem Ort gefangen? Erst ein paar Tage oder doch schon Jahre? Und „welcher Tag ging welchem voraus? War zuerst das Fenster da - oder die Tapete? Oder etwa beides gleichzeitig?“
Siefener wählt hier eine extrem interessante Erzählperspektive: Da Alfred Schriftsteller ist, gestaltet er seine Aufzeichnungen über die bizarren Geschehnisse im Hotel wie eine seiner Spukgeschichten und schreibt dabei von sich in der dritten Person. „Ich kann es nur so erzählen, kann es nur in eine Geschichte kleiden. Ob es dadurch wirklicher wird oder unwirklicher wird, weiß ich nicht.“ Seine eigene Identität scheint ihm dabei jedenfalls immer mehr abhanden zu kommen.
Während des Erzählens unterbricht er (Alfred) sich auch immer wieder, wenn seine Geschichte von der Realität abweicht bzw. wenn seine Figur anders reagiert, als er es in Wirklichkeit getan hat. Sowieso stellt er sich bald die Frage, ob er nur aufschreibt, was passiert oder ob passiert, was er aufschreibt.
Ein großartiges Verwirrspiel über Fiktion und Wirklichkeit - Inklusive jeder Menge Botanic Horror. Definitiv ein würdiger Abschluss für diese gelungenen Storysammlung. Und nach dem „Hotel Kummer“ mein zweiter Hotelaufenthalt in diesem Jahr, den ich nicht im Geringsten bereut habe. Ganz großartig! (5/5)
Fazit:
Spiegel, die uns die ungeschönte Wahrheit/ unser wahres Ich zeigt. Spiegelwelten, die wie eine Pervertierung unserer Realität wirken… das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die meisten Geschichten in diesem Buch - Auch wenn sie ursprünglich nicht speziell für diesen Sammelband geschrieben wurden.
Natürlich gibt es dabei Qualitätsschwankungen (gerade die kürzeren Geschichten fallen etwas schwächer aus), aber allein für „Die Stadt und die Angst“, „Die Rückkehr“ und „Hotel Kehrwieder“, die aufgrund ihrer Länge auch einen Großteil des Buches ausmachen, lohnt sich die Anschaffung. Besser als in diesen Meisterwerken kann Weird-Fiction nämlich nicht sein! Und bei dem geringen Preis kann man sowieso nichts falsch machen.