Bruno E. Thyke (Hrsg.): Erntenacht - Dunkle Folklore

  • Es hat ziemlich lange gedauert (einige Monate), bis ich diese Anthologie zu Ende gelesen habe, nicht weil sie nicht gut war, aber weil ich immer ganz viele Bücher durcheinander lese. Die ‚Erntenacht‘-Trilogie ist mir durch sein interessantes Cover aufgefallen. Die rote Farben und die bedrohliche Figur, die auf mich wie eine Vogelscheuche wirkt, springen sofort ins Auge. Auch der Untertitel ‚Dunkle Folklore‘ hatte mich neugierig gemacht.


    Das Buch hat mir gut gefallen, weil es aus vielen sehr unterschiedlichen Geschichten besteht. Manchmal spielen sie in der Gegenwart, manchmal in der Vergangenheit. In jedem Text spielt eine Figur aus den Volksgeschichten eine Rolle: Zwergen, Druden, Kornmütter, Getreidewölfe usw. Für mich waren die meisten Kreaturen neu. Deswegen habe ich mich auch sehr über die Auflistung der verschiedenen Wesen am Ende des Buches gefreut. Da werden sie kurz beschrieben und darauf hingewiesen in welcher Geschichte sie vorkommen.


    Die Geschichte sind alle recht gruselig. Sie ermitteln eine düstere Atmosphäre. Rache ist ein Thema, das sehr oft wieder vorkommt, aber manchmal kann der Protagonist auch gar nichts dafür, dass er in den Fängen eines Erntedämons gerät. Am meisten beeindruckt haben mir: ‚Die Roggenmuhme‘ von Stefanie Fahlteich, ‚Nichts wie raus aus Märchenstadt‘ von Thomas Williams und ‚Die siebte Tochter‘ von Katrin Ils.


    ‚Die Roggenmuhme‘ erzählt die Geschichte von Heinrich, ein Junge mit einer Behinderung. Er wird von den Dorfbewohnern gehänselt und der Roggenmuhme geopfert. Die Roggenmuhme aber frisst ihn nicht, wie es normalerweise mit ihren Opfern macht, aber mag ihn irgendwie. Sie lässt ihn am Leben, was für die Dorfbewohner natürlich nicht so erfreulich endet. Ich fand die Geschichte sehr gut geschrieben. Man lebt während des Lesens richtig mit, weil Heinrich als Protagonist so sympathisch beschrieben wird und man sehr gut nachvollziehen kann, welche Entscheidung er am Ende trifft.


    ‚Nichts wie raus aus Märchenwald‘ fand ich genial, weil sie total anders war, als die Texte, die sonst im Buch vorkommen. In dem Text handelt es sich um eine Gruppe Heinzelmännchen. Sie wohnen in einer Welt, wo sie früher mal als wertvoll angesehen worden sind, aber die Zeiten sich inzwischen geändert haben. Man hat nämlich entdeckt, dass ihr Blut ein ziemlich starker Rauscheffekt hervorrufen kann. Die Geschichte fängt damit an, dass das Versteck einige Heinzelmännchen entdeckt wird und sie die Flucht ergreifen müssen. Das Ganze wurde meiner Meinung nach sehr schön dargestellt und ist auch spannend geschrieben.


    Die letzte Geschichte des Buches ‚Die siebte Tochter‘ von Katrin Ils war ein sehr schöner Abschluss für diese Anthologie. In dem Text lernen wir eine junge Frau kennen: Grete. Grete ist eine Drud, weil als siebte Tochter geboren worden ist. Sie hat aber keine Familie mehr und die Dorfbewohner haben sich immer um sie gekümmert, weil sie ihr wahres Wesen nicht kennen. Am Anfang des Textes folgen wir Grete, die ein Drudenmesser in der Brust bekommen hat und es loswerden möchte. Das kann aber nur durch derjenige wieder entfernt werden, die es ihr zugeworfen hat. Die Geschichte nimmt einen sehr dramatische Lauf. Gefallen haben mir das historische Setting und die Darstellung der Bösartigkeit der Menschen. Grete hofft bis zum Ende, dass jemand ihr glauben und helfen wird, weil auch sie empfindet das Drud-sein als Fluch. Sehr schön geschrieben.


    Insgesamt muss ich sagen, dass das Buch mir gut gefallen hat. Es hat einen guten Aufbau. Jede Geschichte wird durch eine Illustration, in dem das Wesen, das im Text vorkommt, vorgestellt wird, vorangegangen. Und was mir extrem gut gefallen hat, ist, dass der Verfasser der Geschichte direkt nach dem Text kurz beschrieben wird und nicht erst ganz hinten im Buch, wie das in den meisten Anthologien üblich ist. So muss man nicht ständig umblättern, falls man von einer Geschichte begeistert ist und mehr über den Autor/ die Autorin erfahren möchte.


    Diese Anthologie kann ich weiterempfehlen, wenn man sich für Figuren aus der Folklore interessiert und düstere Geschichten mag.

  • wenn man sich für Figuren aus der Folklore interessiert und düstere Geschichten mag.

    Da fühle ich mich gleich angesprochen. Danke für den Hinweis auf diese Anthologie – Folk Horror interessiert mich ja sehr. Wie ich gesehen habe, wird zudem der Verkaufserlös des Buchs zugunsten der Wildbienen gespendet werden.