Jörg Fischer - Das Artefakt

  • Im letzten Sommer erschien in limitierter Auflage, aber immer noch verfügbar, bei Yellow King Productions die Kurzgeschichte "Das Artefakt" von Jörg Fischer.

    Zudem gibt es noch ein E-Book und ein Hörspiel davon.


    Worum geht es?


    Es gibt mal wieder geheime Bücher und einen Protagonisten, der vollkommen ahnungslos in die Geschichte schlittert.

    Dazu Zeitungsausschnitte, welche die Handlung ergänzen.


    Na, klingelt was?

    Richtig. Wir haben eine klassische Mythosgeschichte, angesiedelt in Amberg (allein Bayern als Handlungsort ist für alle Nicht-Bayern im Allgemeinen schon weird genug).

    Im ersten Weltkrieg wird bei Straßenarbeiten eine Art Friedhof entdeckt, dabei findet sich ebenfalls das namensgebende Artefakt. Die örtlichen Behörden nehmen es sogleich in Beschlag und wir ahnen, das es damit nichts Gutes auf sich hat...


    So weit, so gut und nichts Neues, unaussprechliche Kulte im Hinterland kennen wir schon.

    Dennoch ist das Büchlein absolut lesenswert. Fischer schafft es, seine eigene Heimat in die Geschichte einzubauen, die Orte existieren in der echten Welt und auch die handelnden Personen haben wirklich gelebt, laut Verlagsauskunft ist jedoch nichts über deren kultische Aktivitäten bekannt. Er trifft exzellent den Ton von HPL und spannend ist definitiv auch das, was er nicht erzählt oder nur andeutet, auch das Ende ist keine echte Überraschung, lies mich jedoch mit einem Schmunzeln zurück.

    Insgesamt liest es sich allerdings wie der Auftakt zu einer längeren Geschichte.


    Aus meiner Sicht hat die Geschichte zu Recht sehr gute Kritiken bekommen (die sich jedoch offenbar meist auf das Hörspiel beziehen), darunter auch von der deutschen Lovecraft Gesellschaft und ich hoffe auf mehr vom Autor.


    Die Versionen sind bei Yellow King Productions bzw. über die bekannten E-Bookstores erhältlich.

    Das Büchlein ist mit rund 10 Euro für 50 Seiten (inkl. mehrerer Illustrationen in s/w) nur direkt über den Verlag zu beziehen, das E-Book kostet die Hälfte.

    Der Preis ist , trotz der guten Verarbeitung, schon eine Ansage. Wer ihn trotzdem zahlt, wird eine Stunde lang gut unterhalten. [Skl]

  • Danke für die Vorstellung, inferninho.

    Das kleine Buch interessiert mich schon länger und ist auf meiner Wunschliste nun definitiv ein paar Plätze weiter nach oben gerutscht. Ich hoffe auch immer noch dass es von Yellow King Productions irgendwann noch Print-Versionen von "This Weird World" (Anthologie) und "Finstere Zeremonien" (tolle Storysammlung des leider vor ein paar Wochen verstorbenen Joseph S. Pulver Sr.) geben wird.

  • Gern geschehen.


    An den Anthologien bin ich auch sehr interessiert, wenn ich doch nur nicht so ein E-Bookhasser wäre...X(

    Von Pulver soll wohl auch noch was kommen. Gibt es von ihm überhaupt ansonsten etwas auf deutsch?

    Die isfdb sagt "Nein", aber das muss ja nicht immer was heißen.



    Der Preis von 10 Euro enthält übrigens die Versandkosten, das hatte ich oben unklar dargestellt.

  • An den Anthologien bin ich auch sehr interessiert, wenn ich doch nur nicht so ein E-Bookhasser wäre..

    Ich mag prinzipiell auch keine eBooks, aber es gibt leider viele tolle Bücher, die entweder nie eine Print-Version erhalten oder bei denen diese inzwischen einfach unbezahlbar ist. Gerade im englischsprachigen Bereich kann man da häufig enorme Schnäppchen finden.

    Von Pulver soll wohl auch noch was kommen.

    Habe ich auch gehört. Freut mich außerordentlich. Der Mann hat teilweise echt extrem abgedrehtes Zeug geschrieben...

    Gibt es von ihm überhaupt ansonsten etwas auf deutsch?

    Soweit ich weiß, war seine Geschichte in "This Weird World" seine erste deutsche Veröffentlichung (obwohl er bis zu seinem Tod in Berlin gelebt hat).

    Der Preis von 10 Euro enthält übrigens die Versandkosten, das hatte ich oben unklar dargestellt.

    Okay. Werd' dann wohl mal bestellen.

  • Ich kopiere mal meine Meinung zur Hörspielfassung hier rein, verfasst im Juli des vergangenen Jahres.


  • Mit ziemlicher Verspätung (wo bliebt nur die Zeit?!) komme ich - dank Elmar - auch mit einem Eindruck. Ehrlich gesagt bin ich zwiegespalten. Und zwar nicht, ob ich es gut oder nicht so gut finden soll, sondern: Ich liebe die erste Hälfte absolut und ohne Abstriche, und war in der zweiten ziemlich verloren. Das nicht, weil die Geschichte zu komplex wäre, sondern, weil es nach andauerndem - und zwar exzellent gemachten - Foreshadowing irgendwie keinen Payoff gibt.


    Der Reihe nach: Das Setting sowohl vom Ort wie auch der Epoche her, sowie die Figuren sind ein richtiger Jörg-Fischer-Klassiker und imA auch absolut handwerkliche best practice. Jörg taucht richtig ein in diese Epoche, die etwas steifen Umgangsformen, die Haltungen von damals, ohne dass sich aber diese Steifheit auf mich als Leser überträgt. Ich feiere das sehr, so alles aus einem Guss, kein Rausfallen aus dem Tonfall, dem Vokabular, der Erzählhaltung und der Figurenzeichnung. Ich glaube zu wissen, dass Jörg da wirklich ganz in seinem Element ist, und das klingt so, als habe er sich beim Schreiben sehr wohl gefühlt. Trotz der Steifheit der Umgangsformen zwischen den Figuren hab ich den Eindruck, alles fließt im genau richtigen Tempo.


    Das Ganze hat auch Lokalkolorit, und es wird ein literarischer Konflikt aufgebaut, der einerseits spekulativ (das Artefakt eben) und andererseits realistisch / historisch ist (die französischen Gefangenen und die sich verändernde Haltung des Erzählers dazu). Bis zu der Szene in der Bibliothek des Bruders finde ich alles sehr harmonisch - selbst mit den eingestreuten Zeitungsartikeln, was ich an sich nicht so arg gern mag - und auch sehr, sehr spannend sowie super sympathisch erzählt.


    Dann kam ich irgendwie ins Schleudern. Es wird ziemlich achronologisch (jetzt nicht nur über die Zeitungsnotizen, sondern auch in der Erzählung der Ich-Figur selbst), und anstatt nun einen Payoff zu bekommen, also eine Weiterführung der angeteaserten Fäden (Artefakt, Buch, das seltsame Verhalten einiger Beamten, die schrägen Interessen des Bruders, ein vorzeitlicher Todeskult etc.) kommt nur noch mehr Foreshadowing, Andeutungen und vage Spekulationen - aber ab einem Punkt wünschte ich einfach, dass hier Butter bei die Fische kommt. Etwas Konkretes, das vllt. sogar direkt in der erzählten Zeit stattfindet. Dabei halte ich mich nun nicht für jemanden, dem man was mit dem Holzhammer beibringen müsste, so hoffe ich zumindest.


    Durch die vielen, teils längeren Rückblicke kommt in diesen Sequenzen auch ein Hilfsverben-Overkill durch die ganzen hattes, was man durch eine nur leichte Umstrukturierung leicht hätte vermeiden können. An vielen Stellen wäre eh einfaches Perfekt besser gewesen - denn zur etwas förmlichen Epoche hätte es gut gepasst. (Und man kann es durchaus so machen, dass man nach einem PQP-Einstieg als Tempuswechsel-Anzeiger schnell wieder ins Perfekt geht, damit das alles flüssiger klingt).


    Dass dann Menschen verschwinden - offensichtlich eine von den Behörden vertuschte Opferung - ist imA kein Payoff, denn wenn vorzeitliche Menschenopfer erwähnt werden, ist ja genau zu erwarten, dass dem in der erzählten Zeit auch jemand zum Opfer fällt. Aber irgendwie hatte ich fest damit gerechnet, dass eben die Erwartungen mit etwas übertroffen werden und - so wie ich es zumindest las - läuft es dann mit ein paar Andeutungen und Vermutungen in dieser Richtung aus. Auch das Leder des Buches hatte ich mir gleich gedacht.


    Irgendwie las es sich für mich, wie wesentlich unkonzentrierter geschrieben / konzipiert als die erste Hälfte. Vielleicht liegt es aber auch an mir, obwohl ich es in Ruhe und in einer einzigen Session durchlas.


    Nichtsdestotrotz gefällt es mir wahnsinnig gut, dass Jörg ohne Humor auskommt, dass es sehr lebensnah und doch glaubhaft historisch klingt und er einfach in der ersten Hälfte eine ganz wahnsinnig tolle Leserführung betreibt, nämlich eben mit den vielen kleinen Spannungspunkten. Es gibt sehr schöne Zeichnungen im liebevoll aufgemachten Buch, auch, wenn ich gewünscht hätte, der Hintergrund wäre etwas heller Grau gewesen (meine Augen finden wenig Kontrast nicht mehr so cool wie früher, auch ein Problem bei finnischen Metalmagazinen: schwarz auf Dunkelgrau oder weiß auf Mittelgrau). Ich bin jedenfalls trotz leichter Enttäuschung und Konfusion sehr froh, das Buch zu besitzen.


    Ein Lovecraft-Feeling hatte ich gar nicht, und das ist absolut kein Kritikpunkt. Es sehe es eher im Sinn einer fiktionalen Place Lore. (Ja, klar: Der bereuende Erzähler, der aus dem Jetzt schaut, das Dräuen und das Verzögern von konkreten Bedrohungen - bzw. in diesem Falle beinahe die Negierung dessen - sind auch Kunstgriffe, die Lovecraft verwendet, aber andererseits gbt es das ja bereits in Gothic Tales und Klassischem Horror um 1900).